Der Sargmacher von Katutura - wie Simon trotz HIV positiv lebt
Ja, er sei wirklich ein schlimmer Finger gewesen, gibt Simon Elago unumwunden zu. Aber das mit dem Raubüberfall, das lasse er sich nicht anhängen. Vielleicht sei er wieder einmal so "zu" gewesen, dass er sich nicht habe erinnern können, was denn nun wirklich vorfiel, aber die vier Jahre Knast, die ihm der Richter aufbrummte, die hätten ihn wirklich unschuldig erwischt.
Simon ist heute 30. Ohne Scheu erzählt er von seinem Vorleben. In einer Wellblechhütte am Rand des Wohnquartiers Katutura verbrachte er seine verpfuschte Jugend, meist arbeitslos herumlungernd. Suff und Kleinkriminalität bestimmten damals ebenso seinen wie seiner Altersgenossen Tagesablauf in der Apartheidszeit. Wer schwarz war, hatte von vorneherein schlechte Karten. Und wer "An dem Ort, an dem wir nicht leben wollen" noch nicht einmal eine der gleichförmigen winzigen Steinbaracken bewohnte, sondern nur in einer der Wellblechhütten ohne Strom- und Wasseranschluss hauste, der hatte schon gar keine Chancen. Und so einer war Simon.
"Vier Jahre Haft", lautete das Urteil, das der Richter trotz aller Unschuldsbeteuerungen damals verhängte. "Schuldig verurteilt ist schon schlimm, aber wenn du es gar nicht warst - das ist die Hölle!", erinnert sich Simon. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Im Gefängnis wurde Simon krank: Geschwüre brachen am ganzen Körper auf, und ständiger Durchfall quälte ihn. Nach der Untersuchung durch den Gefängnisarzt hörte er dessen Urteil, das ihn viel schlimmer noch als der Richterspruch - mit der Wucht einer Keule traf: "Aids"! - "Das ist das Todesurteil", dachte er und überlegte verzweifelt, wie er am besten seinem verkorksten Leben ein Ende machen könne.
Wer Simon heute sieht, kann sich seinen damaligen Seelenzustand nur noch schwer vorstellen. Er lacht, scherzt, treibt Sport und steckt voller Pläne - Pläne für die knapp bemessene Spanne des Lebens, die ihm noch verbleibt. - Ja, in der tiefsten Verzweiflung habe er einen Rettungsanker gefunden, erzählt er strahlend: den Glauben an Jesus Christus. "Es gab da einen christlichen Gefangenenbesuchsdienst. Die Leute haben in meiner Zelle mit mir gebetet, und da habe ich irgendwie gespürt, dass Aids nicht das Ende ist."
Nach seiner vorzeitigen Entlassung kam Simon in Kontakt mit dem katholischem Aids-Beratungszentrum in Katutura, dem nach dem früheren deutschen Generalvikar von Windhoek benannten Bernhard-Nordkamp-Zentrum. Dort erfuhr er, dass er zwar HIV-positiv sei, aber dennoch durchaus noch eine ganze Reihe von Jahren "positiv" leben könne: "Das gab Hoffnung und Zuversicht".
Simon begann sein Leben neu zu ordnen: "Kein Alkohol mehr! Stattdessen wieder regelmäßig essen und den Tag diszipliniert mit Arbeit verbringen." Und so hält er es bis heute. Essen gibt's im Zentrum: jeden Mittag eine kräftige Gemüsesuppe mit Einlage. Aber Arbeit? Wo doch ringsumher Arbeitslosigkeit herrscht... Simon dachte nach und hatte da eine Idee. Jeden Tag führte ihn der Weg am Friedhof vorbei. Früher war der so groß gewesen wie ein Fußballfeld. Jetzt, wo die Aids Seuche täglich Dutzende in Katutura dahinraffte, reichten fünf Fußballfelder nicht mehr für die frischen Grabhügel mit den nummerierten Betonsteinen davor und den einfachen handbeschriebenen Kreuzen, auf denen zumeist zwischen Geburt und Todestag gerade einmal zwei oder drei Lebensjahrzehnte festgehalten sind. Simon wusste, dass die meisten Familien in Katutura jahrelang Schulden machen mussten, wenn die Seuche einen Verwandten dahingerafft hatte. Und er kannte nicht eine Familie, der das erspart blieb. Ein Sarg für den letzten Gang kostet für die am Rande des Existenzminimums dahinvegetierenden Wellblech Hüttenbewohner ein halbes Vermögen. Und Holz ist Mangelware. Da müsste, so dachte Simon, ein Ersatzstoff her. Aber welcher?
Afrikaner sind erfinderisch. Recycling von Zivilisationsmüll zu nützlichen neuen Gebrauchsgegenständen steht überall hoch im Kurs. Da war zum Beispiel der Wirt des Shebeen, an dem Simon täglich vorbeikam. Die Stühle auf seiner Veranda hatten Beine aus zusammengelöteten Cola-Dosen und eine Sitzfläche aus Pappmaschee. Pappmaschee - das war's. Särge aus Pappmaschee. Die würden billig und, wie ihm einer der Berater im Bernhard-Nordkamp-Zentrum sagte, zudem auch noch umweltfreundlich sein. Aus dem bekehrten Tunichtgut von einst wurde jetzt der achtbare Handwerker "Simon, der Sargmacher".
Die Werkstatt hinter dem Zentrum ist in einem alten Möbelwagen. Simon erklärt: "Hier links, das sind die Rohstoffe." Plastiksäcke, voll bepackt mit kleingeschreddertem Papier, stehen neben Eimern mit Tapetenkleister. "Den Kleister muss ich kaufen, das Papier stiftet die Amerikanische Botschaft in Windhoek." Beim genaueren Betrachten einzelner winziger Schnipsel lässt sich noch ausmachen: Der Grundstoff für Simons alternative Ökosärge sind die Akten der diplomatischen Vertretung der Weltmacht USA. So vergeht der Ruhm der Welt ...
Auf Holzböcken aufgebahrt steht die "Mater" der künftigen Totentruhe, solide, aus Holz gezimmert. Die Innenseite ist mit einer Plastikplane ausgelegt, damit der Papier-Brei, den Simon in mehreren Schichten aufspachtelt, nicht an der Form haften bleibt. Rund drei Tage dauert es, bis der Sarg so trocken ist, dass er aus der Form gelöst werden kann. Dann streicht Simon ihn an, damit er auch für Arme auf deren letztem Weg "etwas hermacht". Lila, ganz so, wie die Farbe der Milka Kuh, hat es Simon offensichtlich besonders angetan. "Das ist doch ganz fröhlich", meinte er, und traurig sei der Tod doch eigentlich nur für Leute, für die dann "alles aus" sei. Aber die gebe es in Katutura eigentlich nicht.
Sechs Griffe aus silbernem Stanzblech links und rechts und ein Kreuz auf den Deckel: fertig! "200 Namibia-Dollar kostet ein Modell für Erwachsene - 150 Namibia-Doller der Kindersarg." Der billigste "richtige" Holzsarg kostet mindestens das Fünfzehnfache. Zweifel an der Tragfähigkeit der schlichten Truhe widerlegt Simon fast beleidigt. "He, kommt mal her!", ruft er sechs Burschen zu und legt sich selbst in den Pappmaschee-Schrein: "Anheben und wippen!" Tatsächlich, das zerbrechlich wirkende lilafarbene Behältnis, das - leer - leicht ein Mann samt Deckel tragen kann, hält, was Simon verspricht. "Übrigens der da hinten, der letzte, das ist mein eigener", erklärt der Sargmacher von Katutura erstaunlich fröhlich. Ob ihn dessen täglicher Anblick nicht deprimiert. "Nein, warum? Erstens ist das nicht das Ende und zweitens sind wir alle einmal dran. Der eine später, ich eben früher. Jedenfalls kann ich, bis es so weit ist, noch eine ganze Menge für meine Leute tun."
Helmut S. Ruppert, KNA
Simon ist heute 30. Ohne Scheu erzählt er von seinem Vorleben. In einer Wellblechhütte am Rand des Wohnquartiers Katutura verbrachte er seine verpfuschte Jugend, meist arbeitslos herumlungernd. Suff und Kleinkriminalität bestimmten damals ebenso seinen wie seiner Altersgenossen Tagesablauf in der Apartheidszeit. Wer schwarz war, hatte von vorneherein schlechte Karten. Und wer "An dem Ort, an dem wir nicht leben wollen" noch nicht einmal eine der gleichförmigen winzigen Steinbaracken bewohnte, sondern nur in einer der Wellblechhütten ohne Strom- und Wasseranschluss hauste, der hatte schon gar keine Chancen. Und so einer war Simon.
"Vier Jahre Haft", lautete das Urteil, das der Richter trotz aller Unschuldsbeteuerungen damals verhängte. "Schuldig verurteilt ist schon schlimm, aber wenn du es gar nicht warst - das ist die Hölle!", erinnert sich Simon. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Im Gefängnis wurde Simon krank: Geschwüre brachen am ganzen Körper auf, und ständiger Durchfall quälte ihn. Nach der Untersuchung durch den Gefängnisarzt hörte er dessen Urteil, das ihn viel schlimmer noch als der Richterspruch - mit der Wucht einer Keule traf: "Aids"! - "Das ist das Todesurteil", dachte er und überlegte verzweifelt, wie er am besten seinem verkorksten Leben ein Ende machen könne.
Wer Simon heute sieht, kann sich seinen damaligen Seelenzustand nur noch schwer vorstellen. Er lacht, scherzt, treibt Sport und steckt voller Pläne - Pläne für die knapp bemessene Spanne des Lebens, die ihm noch verbleibt. - Ja, in der tiefsten Verzweiflung habe er einen Rettungsanker gefunden, erzählt er strahlend: den Glauben an Jesus Christus. "Es gab da einen christlichen Gefangenenbesuchsdienst. Die Leute haben in meiner Zelle mit mir gebetet, und da habe ich irgendwie gespürt, dass Aids nicht das Ende ist."
Nach seiner vorzeitigen Entlassung kam Simon in Kontakt mit dem katholischem Aids-Beratungszentrum in Katutura, dem nach dem früheren deutschen Generalvikar von Windhoek benannten Bernhard-Nordkamp-Zentrum. Dort erfuhr er, dass er zwar HIV-positiv sei, aber dennoch durchaus noch eine ganze Reihe von Jahren "positiv" leben könne: "Das gab Hoffnung und Zuversicht".
Simon begann sein Leben neu zu ordnen: "Kein Alkohol mehr! Stattdessen wieder regelmäßig essen und den Tag diszipliniert mit Arbeit verbringen." Und so hält er es bis heute. Essen gibt's im Zentrum: jeden Mittag eine kräftige Gemüsesuppe mit Einlage. Aber Arbeit? Wo doch ringsumher Arbeitslosigkeit herrscht... Simon dachte nach und hatte da eine Idee. Jeden Tag führte ihn der Weg am Friedhof vorbei. Früher war der so groß gewesen wie ein Fußballfeld. Jetzt, wo die Aids Seuche täglich Dutzende in Katutura dahinraffte, reichten fünf Fußballfelder nicht mehr für die frischen Grabhügel mit den nummerierten Betonsteinen davor und den einfachen handbeschriebenen Kreuzen, auf denen zumeist zwischen Geburt und Todestag gerade einmal zwei oder drei Lebensjahrzehnte festgehalten sind. Simon wusste, dass die meisten Familien in Katutura jahrelang Schulden machen mussten, wenn die Seuche einen Verwandten dahingerafft hatte. Und er kannte nicht eine Familie, der das erspart blieb. Ein Sarg für den letzten Gang kostet für die am Rande des Existenzminimums dahinvegetierenden Wellblech Hüttenbewohner ein halbes Vermögen. Und Holz ist Mangelware. Da müsste, so dachte Simon, ein Ersatzstoff her. Aber welcher?
Afrikaner sind erfinderisch. Recycling von Zivilisationsmüll zu nützlichen neuen Gebrauchsgegenständen steht überall hoch im Kurs. Da war zum Beispiel der Wirt des Shebeen, an dem Simon täglich vorbeikam. Die Stühle auf seiner Veranda hatten Beine aus zusammengelöteten Cola-Dosen und eine Sitzfläche aus Pappmaschee. Pappmaschee - das war's. Särge aus Pappmaschee. Die würden billig und, wie ihm einer der Berater im Bernhard-Nordkamp-Zentrum sagte, zudem auch noch umweltfreundlich sein. Aus dem bekehrten Tunichtgut von einst wurde jetzt der achtbare Handwerker "Simon, der Sargmacher".
Die Werkstatt hinter dem Zentrum ist in einem alten Möbelwagen. Simon erklärt: "Hier links, das sind die Rohstoffe." Plastiksäcke, voll bepackt mit kleingeschreddertem Papier, stehen neben Eimern mit Tapetenkleister. "Den Kleister muss ich kaufen, das Papier stiftet die Amerikanische Botschaft in Windhoek." Beim genaueren Betrachten einzelner winziger Schnipsel lässt sich noch ausmachen: Der Grundstoff für Simons alternative Ökosärge sind die Akten der diplomatischen Vertretung der Weltmacht USA. So vergeht der Ruhm der Welt ...
Auf Holzböcken aufgebahrt steht die "Mater" der künftigen Totentruhe, solide, aus Holz gezimmert. Die Innenseite ist mit einer Plastikplane ausgelegt, damit der Papier-Brei, den Simon in mehreren Schichten aufspachtelt, nicht an der Form haften bleibt. Rund drei Tage dauert es, bis der Sarg so trocken ist, dass er aus der Form gelöst werden kann. Dann streicht Simon ihn an, damit er auch für Arme auf deren letztem Weg "etwas hermacht". Lila, ganz so, wie die Farbe der Milka Kuh, hat es Simon offensichtlich besonders angetan. "Das ist doch ganz fröhlich", meinte er, und traurig sei der Tod doch eigentlich nur für Leute, für die dann "alles aus" sei. Aber die gebe es in Katutura eigentlich nicht.
Sechs Griffe aus silbernem Stanzblech links und rechts und ein Kreuz auf den Deckel: fertig! "200 Namibia-Dollar kostet ein Modell für Erwachsene - 150 Namibia-Doller der Kindersarg." Der billigste "richtige" Holzsarg kostet mindestens das Fünfzehnfache. Zweifel an der Tragfähigkeit der schlichten Truhe widerlegt Simon fast beleidigt. "He, kommt mal her!", ruft er sechs Burschen zu und legt sich selbst in den Pappmaschee-Schrein: "Anheben und wippen!" Tatsächlich, das zerbrechlich wirkende lilafarbene Behältnis, das - leer - leicht ein Mann samt Deckel tragen kann, hält, was Simon verspricht. "Übrigens der da hinten, der letzte, das ist mein eigener", erklärt der Sargmacher von Katutura erstaunlich fröhlich. Ob ihn dessen täglicher Anblick nicht deprimiert. "Nein, warum? Erstens ist das nicht das Ende und zweitens sind wir alle einmal dran. Der eine später, ich eben früher. Jedenfalls kann ich, bis es so weit ist, noch eine ganze Menge für meine Leute tun."
Helmut S. Ruppert, KNA
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Allgemeine Zeitung
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