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Der weiße Buschmann
Der weiße Buschmann

Der weiße Buschmann

Vom Wilderer zum Wildhüter
Claudia Reiter
17. Folge

Willie, mein „schwarzer Vater“

Nach diesem ersten Löwen sah ich Willie mit anderen Augen an. Auch ich war ihm wohl einen Schritt näher gekommen; wir wurden echte Kameraden. Ich habe von ihm so unwahrscheinlich vieles gelernt. Wenn er für andere vielleicht „nur“ ein alter Buschmann war, für mich war er wie ein Vater mit vielen philoso-phischen Gedanken.

Willies Buschkenntnis und sein Vermögen Fährten zu lesen waren erstaunlich. Er war noch „wild“ im Busch geboren und aufgewachsen, ein junger Mann, ehe er bei den Weißen zu arbeiten anfing. Er war ein reiner Hai//om, genoss bei seinesgleichen hohes Ansehen, da er eine Art Medizinmann unter den Busch-leuten war. Was bei Willie besonders bewundernswert war, ist schwer zu sagen. Ob es Buschkenntnis, Richtungssinn, sein Vermögen als Fährtenleser war, in allem war er hervorragend.

Auf Onguma waren drei starke natürliche Quellen, deshalb gab es auf Onguma sehr viel Wild. Herr Böhme hatte mehrere Buschmannfamilien auf der Farm, die alle ernährt werden mussten. Daher musste regelmäßig Wild für Rationen geschossen werden. Willi war mein ständiger Jagdführer. Wir gingen meist morgens früh los; eine Flasche Wasser war das einzige, das wir mitnahmen. Wenn Willie Wildfährten sah, die ihm frisch genug erschienen und der Wind für uns günstig war, nahm er die Fährten auf. So schoss ich oft bis zu drei Stück Wild an einem Tag. Hier ein Gnu, dort ein Zebra und dann vielleicht noch einen Kudu; alle drei Tiere weit voneinander entfernt, im dichten Busch. Willie lief zurück zum Farmhaus, spannte den Ochsenkarren mit zwei Ochsen ein und holte zielsicher diese Tiere, ohne sich auch nur einmal zu irren. Oft musste er wegen dichten Dorngestrüpps große Umwege einschlagen, aber er kam jedes Mal genau bei der richtigen Stelle an. Sehr oft kamen wir erst spät nachts wieder nach Hause.

Dieser Richtungssinn war mir anfangs ein Rätsel. Ich bearbeitete ihn mit vielen Fragen und geduldig erklärte Willie: „Siehst du den großen Baum da, dort hat er einen großen, schiefen Ast; wenn du bei dem angekommen bist, such ein anderes Merkmal.“ So zeigte er mir besondere Termitenhügel, Palmen, kleine Flächen und andere Anhaltspunkte. „Halte fortwährend deinen Schatten und den Stand der Sonne im Auge“. So lernte ich, mich nach der Sonne zu orientieren und auf die natürlichen Merkmale acht zu geben, so dass ich mich bald besser im Busch zurecht fand als die meisten Buschleute selber. Dies half mir vor allem später als Naturschutzbeamter, als wir oft tagelang sehr weite Pferde-patrouillen ritten. Ich habe meist die Patrouillen nach Hause oder zum Lager geführt, auch wenn es schon Nacht war und ich mich nach den Sternen richten musste. Hinzu kam Willies Fähigkeit, Spuren zu deuten. Von ihm lernte ich, soweit wie möglich die Spuren voraus zu ahnen, oft auf zwanzig oder dreißig Meter, je nach Pflanzenwuchs und Bodenbeschaffenheit. Das hat den Vorteil, dass man das Opfer oder die Verfolgten so schnell wie möglich einholen kann. Gute Spu-renleser müssen Fährten im Dauerlauf folgen können. Anfangs, wenn ich mit Willie Löwen jagte, habe ich mich oft geärgert, wenn er plötzlich die Spur verließ, Baumharz pflückte, wilde Kaffeebohnen oder sonstige Beeren seelenruhig in seine Felltasche steckte oder anfing, nach Wasserwurzeln oder wilden Kartoffeln zu graben. Ihm entging keine Feldkost, auch wenn er auf einer schwierigen Spur war. Wenn ich ihn ungeduldig fragte: „Was jetzt mit den Löwen?“, antwortete er meist nur „Noch weit!“ Jedes Mal nahm ich mir fest vor: „Heute will ich die Löwen aber als erster entdecken.“ Meistens ging er plötzlich zur Seite und zeigte nach vorne, wo die Löwen lagen. Fast immer sah er sie zuerst!

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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