Deutschland vor Gericht in den USA- die Hereroklage I
Prof. Dr. Manfred O. Hinz, Dekan der Rechtsfakultät der Universität von Namibia hat in einem Interview Fragen der Allgemeinen Zeitung zu Hereroklage behandelt. Das Interview führte Eberhard Hofmann. Es erscheint komplett in drei Folgen. - Seit 1995 haben führende Herero wiederholt die Forderung nach Wiedergutmachung für erlittenes Leid und Schaden während des Deutsch-Herero-Krieges zwischen 1904 und 1907 erhoben. Deutsche Regierungsvertreter wie der damalige Bundeskanzler Kohl und der vorige Bundespräsident Prof. Roman Herzog wurden 1995 und 1998 in Windhoek damit konfrontiert. Nun strengt die Herero Peoples" Reparation Corporation , angeführt vom obersten Herero-Chef Kuaima Riruako und von Nationalratsmitlgied Prof. Mburumba Kerina, vor einem US-amerikanischen Gericht gegen Deutschland eine Reparationsklage an. - Aufnahme eine Prozession von Hererofrauen in Okahandja in den fünfziger Jahren.
Frage: Herr Professor Hinz, Sie sagten mir, als ich Sie um dieses Interview bat, dass Sie es bisher abgelehnt hätten, sich zu der vor kurzem anhängig gemachten Klage der Herero gegen die deutsche Regierung und deutsche Unternehmen zu äußern. Warum? Sie sind Jurist, Sie lehren an der Universität von Namibia, Sie kennen die Kolonialgeschichte Namibias: Warum Ihre Zurückhaltung?
Antwort: Ich lehnte Äußerungen zur Klage der Herero aus mehreren Gründen ab: Abgesehen von der alten Regel, mit Äußerungen zu einem laufenden Verfahren Zurückhaltung zu üben, steht das von den Herero angestrengte Verfahren in einem sehr schwierigen rechtlichen, politischen und emotionsbestimmten Zusammenhang.
Der von den Herero angestrengte Prozess wirft eine Fülle von schwierigen rechtlichen Fragen auf, deren sachgerechte Bearbeitung ein Team von Rechtsexperten verlangt, so wie vermutlich auf Seiten der Kläger und der Beklagten Teams mit hohem Zeiteinsatz an ihren Argumenten arbeiten.
Wer sich zu einem politisch-brisanten Zusammenhang wie dem, in dem die Hereroklage steht, äußert, läuft leicht Gefahr, gegen seinen Willen von der einen oder anderen Seite vereinnahmt zu werden. Diejenigen, die von meiner Arbeit vor der Unabhängigkeit Namibias wissen, werden im Zweifel meine Objektivität anfechten, wenn eines meiner Argumente für die Klage der Herero spricht. Andere werden mir unvertretbare Parteinahme anlasten, wenn ich als Deutscher etwas von mir gebe, was mit Positionen der deutschen Regierung übereinstimmt.
Die emotional-menschliche Betroffenheit, die das Umfeld der Klage bestimmt, macht es dem Juristen fast unmöglich, die trockene Seite des stets unvollkommenen Rechts durchzuhalten. Und dies gilt umso mehr, als ich in früheren Äußerungen kein Hehl daraus machte, dass der Vernichtungsbefehl von Trothas Befehl zum Völkermord war. Man mag darum streiten, wie viele Herero in der Befolgung des von Trothaschen Befehls umkamen; die Berichte in deutschen Akten (ich beziehe mich ausdrücklich auf diese und nicht auf das nach dem Ende der deutschen Kolonialzeit verfasste blue book) lassen keinen Zweifel daran, dass das, was nach der Schlacht am Waterberg geschah, Völkermord war. Das Schuldeingeständnis der deutschen Bundesregierung und die den Betroffenen gegenüber ausgesprochene Entschuldigung gehört in diesen Zusammenhang.
Ich nahm trotz dieser Vorbehalte Ihre Einladung zum Interview an, weil ich hoffe, dass meine Anmerkungen dazu beitragen, die Diskussion der Hereroklage stärker auf das rechtlich Mögliche zu lenken und damit besser erkennen zu lassen, wo das Feld des rechtlich Möglichen endet und das Feld des Politischen beginnt. Fragen nach den Erfolgsaussichten der Klage will und kann ich nicht beantworten. Ich werde mich darauf beschränken, Rechtspositionen, die für den Fall erheblich sein können, zu benennen und darauf hinzweisen, wo die Würdigung des Falles auf rechtlich umstrittene Felder stößt.
Frage: Die Herero haben ihre Klage auf Reparationszahlung wegen Schäden, die in den Jahren 1904 - 1907, also vor rund 98 Jahren entstanden, vor dem US-amerikanischen Bezirksgericht von Columbia erhoben. Drei Fragen drängen sich mir hierzu unmittelbar auf: Welches sind mögliche Anspruchsgrundlagen für die Klage? Kann ein Gericht der USA für die Klage zuständig sein? Ist der Vorgang nicht verjährt? Ich stelle zunächst die erste Frage nach den möglichen Anspruchsgrundlagen.
Antwort: Gestatten Sie eine Vorbemerkung: Da in der Diskussion des Hererofalles immer wieder auf Völkerrecht (public international law) und auch auf Klagemöglichkeiten vor dem Internationalen Gerichtshof (International Court of Justice - IGH, bzw. ICJ) in Den Haag hingewiesen wird, ist eine Bemerkung zum juristischen Ort des Völkerrechts und zur Zuständigkeit des IGH am Platz.
Völkerrecht ist das Recht der Völker, oder besser, das Recht der Staaten. Völkerrecht regelt in erster Linie den Rechtsverkehr der Staaten untereinander. Der IGH wurde geschaffen, um Staaten die Möglichkeit zu geben, völkerrechtliche Streitigkeiten vor einem von den Staaten anerkannten internationalen Gericht auszutragen. Mögliche Kläger vor dem Internationalen Gerichtshof sind deshalb Staaten, nicht einzelne, nicht Gruppen von einzelnen und bis jetzt auch nicht Völker (peoples).
Ob und inwieweit sich einzelne, Gruppen oder Völker vor anderen Gerichten, wie z. B. vor Gerichten in den USA, auf Völkerrecht berufen können, hängt vom Einzelfall ab. Es ist jeweils zu prüfen, ob die in Frage stehende Norm des Völkerrechts ausschließlich Verpflichtungen zwischen Staaten begründet oder ob sie mittelbar oder unmittelbar einschließt, dass der einzelne Bürger diese für sich beanspruchen kann.
Nun zu den rechtlichen Grundlagen der Ansprüche der Herero. Nach meiner Einschätzung der Rechtslage sind vier Anspruchswege zu überlegen: eine Klage auf Schadensersatz aus, wie man im deutschen Recht sagen würde: unerlaubter Handlung (delict im römisch-holländischen Recht Namibias); eine Klage, die Schadensersatzfolgen aus allgemeinem humanitärem Völkerrecht ableitet; eine Klage, die Schadensersatz auf die völkerrechtliche Ächtung von Völkermord stützt und schließlich eine Klage, die sich auf die allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung zur Wiedergutmachung von Schäden aus Verletzungen des Völkerrechts bezieht. Jede der vier Anspruchswege hat seine spezifischen Probleme, auf die ich im folgenden kurz eingehen werde.
1. Im Vorfeld der Prüfung des ersten Anspruchsweges steht die Frage, wie das Verhältnis zwischen der deutschen Kolonialverwaltung und den (Gruppen der) Herero rechtlich zu bestimmen ist. War das Verhältnis ein Verhältnis von Staat und der der Gewalt dieses Staates Unterworfenen? Oder war es ein Verhältnis völkerrechtlich gleichberechtigter Souveräne? Die hier angesprochene Problematik ist in einem Beitrag jüngeren Datums in Richtung der zweiten Möglichkeit beantwortet worden. Die Tatsache, dass Deutschland in der Durchsetzung seiner Kolonialinteressen mit Gruppen der Nama und Herero quasi-völkerrechtliche Verträge abschloss, ist ein Argument für diese Option; die im Gefolge der Verträge vollzogene Besitz- und Herrschaftsnahme ein Argument dagegen.
Ohne Einzelheiten zu dem im Zeitpunkt des Schadenseintritts im damaligen Deutsch-Südwestafrika geltenden Recht weiter zu erörtern, sind für eine Klage aus unerlaubter Handlung einmal dem Schädiger zuzurechnende Verletzungen rechtlich geschützten Interessen und zum anderen die beim Kläger daraus folgenden Schäden zu ermitteln. Schadensersatzklagen dieser Art sind üblicherweise Individualklagen, ähnlich den Klagen derjenigen, die zur Zeit des zweiten Weltkrieges in rechtswidriger Weise von der nationalsozialistischen Regierung Deutschlands zu Zwangsarbeit herangezogen worden waren und in jüngerer Zeit mit Schadensersatzklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland angetreten sind.
Soweit die Hereroklage eine Klage einzelner Herero ist, wird es schwierig sein, einen damals entstandenen und bis heute nachwirkenden Schaden zu begründen. Soweit die Klage als Klage der Herero, also als Klage einer ethnischen Gemeinschaft (eines tribe, wie es in der Klageschrift heißt) ist, wird das besondere Problem sein zu bestimmen, inwieweit der ethnischen Gemeinschaft ein rechtlich geschütztes Interesse im Rahmen des Rechts der unerlaubten Handlung zustand, ob dieses zurechenbar verletzt und wiederum, in welcher Weise der durch diese Verletzung entstandene Schaden bis heute nachhält. Zum weiteren Problem, ob die Klagenden die ethnische Gemeinschaft der Herero repräsentieren, verweise ich auf später.
2. Wenden wir uns dem zweiten Anspruchsweg zu, der sich auf Schutznormen des humanitären Völkerrechts bezieht. Dieser Anspruchsweg wird insbesondere dann bedeutsam, sollte der erste ausscheiden, weil das Verhältnis zwischen der deutschen Kolonialmacht und den Herero als Verhältnis kriegführender Parteien anzusehen ist, in dem das Recht der unerlaubten Handlung nur eingeschränkten Platz hat.
Einmal ist hier an Regeln zu denken, die sich in der Genfer Rot-Kreuz-Konvention von 1864 und dem Haager Abkommen von 1899 finden. Zum anderen ist zu überlegen, ob das, was im IV. Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom Oktober 1907 niedergelegt wurde, zur Begründung der Schadensersatzklage weiterhilft.
Im Hinblick auf alle genannten Abkommen wird erörtert werden müssen, was aus den Abkommen auf die Auseinandersetzung zwischen der deutschen Kolonialmacht und den Herero anwendbar ist, da die Herero nicht Vertragspartei der Abkommen waren. Ist bei den erstgenannten Abkommen zudem fraglich, ob ihre Schutznormen die Schadenstatbestände im Sinne der Klage abdecken, wirft die Anwendung des Abkommens von 1907 insbesondere drei Fragen auf: Die erste ist, ob wenigstens bestimmte Prinzipien, die in dem Abkommen ihren Niederschlag fanden, auf Klagegründe, die vor dem Inkrafttreten des Abkommens aus dem Jahre 1907 entstanden, herangezogen werden können. Solche Prinzipien könnten für die Entscheidung der Klage erheblich sein, wenn diese vor dem Inkrafttreten des Abkommens Teil des damals geltenden völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht waren. Als zweite Frage ist zu überlegen, ob anwendbare Schutznormen im Sinne des Haager Abkommens nicht-staatliche Kläger berechtigen. Man wird dies in Übereinstimmung mit wichtigen Stimmen im Völkerrecht bejahen, denn vieles im Wortlaut des Abkommens spricht in der Tat für die Begründung von unmittelbaren Rechten für individuell Betroffene. Die dritte Schwierigkeit, mit der die Berufung auf den hier erörterten Anspruchsweg rechnen muss, ist wiederum (wie beim ersten Anspruchsweg), ob die Kläger einen aus der Verletzung der genannten Schutznormen anhaltenden Schaden darlegen können.
3. Zum Anspruch, der sich auf den Vorwurf des Völkermords gründet! Die Prüfung des Anspruchsweges Völkermord führt zum Teil zu Problemen, die den gerade erörterten nahe stehen. Völkermord wurde "Verbrechen gemäß internationalem Recht" mit der Annahme der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes" vom Dezember 1948. Die Konvention wurde von Deutschland zum innerstaatlich maßgeblichen Recht im Jahre 1954. "§220a des deutschen Strafgesetzbuches erhielt einen Wortlaut, der Art. II der Konvention entspricht. Dokumentationsmaterial aus der deutschen Kolonialzeit ergäbe sicherlich genügend Anlass, die von der deutschen Kolonialregierung in der Auseinandersetzung mit den Herero gewählten Mittel im Sinne der Völkermorddefinition der Konvention und des Strafgesetzbuches zu interpretieren.
Wie aber schon zur Haager Konvention von 1907 überlegt wurde, ist im Blick auf die Völkermordkonvention noch einmal mehr die Frage, inwieweit die Prinzipien der Konvention auf Ereignisse Anwendung finden können, die lange vor dem Inkrafttreten der Konvention und ihrer nationalrechtlichen Umsetzung stattfanden. Noch einmal mehr deshalb, weil es sich bei der Völkermordkonvention um die Vereinbarung von Strafnormen handelt, mit denen individuelle Täter und Täterinnen strafrechtlich belangt werden. Auch wenn der Grundsatz nulla poena, sine lege (keine Bestrafung ohne ein entsprechendes Strafgesetz) im Völkerrecht, wie in der völkerrechtlichen Bearbeitung der Kriegsverbrecher Prozesse von Nürnberg erörtert, Einschränkungen unterworfen ist, ist an seiner grundsätzlichen Bedeutung auch für das Völkerrecht festzuhalten. Somit wäre zu untersuchen, ob die Gründe, die für die rückwirkende völkerrechtliche Strafbarkeit der nationalsozialistischen Kriegsverbrechen sprachen, auch für die rückwirkende völkerstrafrechtliche Behandlung des Völkermordes gelten. Dies und nicht was man bisweilen in Diskussionen hören kann, nämlich, dass die rückwirkende Anwendung der Konvention (im Sinne von: wo kämen wir denn da hin?) Tür und Tor für unzählige Prozesse (Armenier gegen die Türkei, Indianer gegen Spanien, Portugal, England, USA etc.) öffnen würde, ist das entscheidende Argument in der rechtlichen Bearbeitung des Problems einer möglichen rückwirkenden völkerrechtlichen Strafbarkeit von Völkermord im Sinne der Völkermordkonvention.
Eine andere Argumentation könnte fragen, ob mit der Völkermordkonvention nicht etwas unter Strafe gestellt wurde, was bereits vor der Konvention völkerrechtliches Unrecht war. In der Tat gibt es in der Geschichte der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts Belege dafür, dass Maßnahmen, die heute zweifelsohne unter die Völkermordkonvention fielen, lange vor der Völkermordkonvention und ungeachtet des im Völkerrecht lange Zeit zugestandenen sogenannten Rechts auf Krieg (ius ad bellum) völkerrechtlich nicht toleriert wurden. Woran ich hier denke, sind z. B. die theologisch begründeten kriegsrechtlichen Einschränkungen, die Las Casas, Francisco de Vitoria, u.a. im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert gegen die spanische Kolonialpolitik und zugunsten der Indianer Mittel- und Südamerikas vertraten. Die von diesen frühen Völkerrechtlern vertretenen Einschränkungen drangen allerdings zu einem eigentlichen Völkerstrafrecht nicht durch. Das setzte erst nach dem zweiten Weltkrieg ein und steht ungeachtet der erreichten Positionen, wie etwa im derzeitigen Jugoslawien Tribunal, noch am Anfang der Entwicklung.
Die Annahme der rückwirkenden Anwendung der Konvention oder der entsprechenden Anwendung von Prinzipien, wie sie in der Konvention ihren Niederschlag fanden, hätte weiter zu bestimmen, ob sich aus der Verletzung der Konvention bzw. der genannten Prinzipien Schadensersatzansprüche ergeben können, und wer die möglichen Kläger derartiger Ansprüche sind. Wird der erste Teil der Frage unter Bezug auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Verantwortung für völkerrechtswidriges Verhalten (hierzu gleich nochmals) zu bejahen sein, betritt man mit dem zweiten juristisches Neuland. Das im Tatbestand des Völkermordes enthaltene kollektive Element schließt sicherlich Individualklagen (Klagen von Individuen, die den Völkermord überlebten) aus. Ist dann das übriggebliebene Volk der Kläger, oder ist es der Staat, in dem die Überlebenden des Völkermordes leben?
Frage: Herr Professor Hinz, Sie sagten mir, als ich Sie um dieses Interview bat, dass Sie es bisher abgelehnt hätten, sich zu der vor kurzem anhängig gemachten Klage der Herero gegen die deutsche Regierung und deutsche Unternehmen zu äußern. Warum? Sie sind Jurist, Sie lehren an der Universität von Namibia, Sie kennen die Kolonialgeschichte Namibias: Warum Ihre Zurückhaltung?
Antwort: Ich lehnte Äußerungen zur Klage der Herero aus mehreren Gründen ab: Abgesehen von der alten Regel, mit Äußerungen zu einem laufenden Verfahren Zurückhaltung zu üben, steht das von den Herero angestrengte Verfahren in einem sehr schwierigen rechtlichen, politischen und emotionsbestimmten Zusammenhang.
Der von den Herero angestrengte Prozess wirft eine Fülle von schwierigen rechtlichen Fragen auf, deren sachgerechte Bearbeitung ein Team von Rechtsexperten verlangt, so wie vermutlich auf Seiten der Kläger und der Beklagten Teams mit hohem Zeiteinsatz an ihren Argumenten arbeiten.
Wer sich zu einem politisch-brisanten Zusammenhang wie dem, in dem die Hereroklage steht, äußert, läuft leicht Gefahr, gegen seinen Willen von der einen oder anderen Seite vereinnahmt zu werden. Diejenigen, die von meiner Arbeit vor der Unabhängigkeit Namibias wissen, werden im Zweifel meine Objektivität anfechten, wenn eines meiner Argumente für die Klage der Herero spricht. Andere werden mir unvertretbare Parteinahme anlasten, wenn ich als Deutscher etwas von mir gebe, was mit Positionen der deutschen Regierung übereinstimmt.
Die emotional-menschliche Betroffenheit, die das Umfeld der Klage bestimmt, macht es dem Juristen fast unmöglich, die trockene Seite des stets unvollkommenen Rechts durchzuhalten. Und dies gilt umso mehr, als ich in früheren Äußerungen kein Hehl daraus machte, dass der Vernichtungsbefehl von Trothas Befehl zum Völkermord war. Man mag darum streiten, wie viele Herero in der Befolgung des von Trothaschen Befehls umkamen; die Berichte in deutschen Akten (ich beziehe mich ausdrücklich auf diese und nicht auf das nach dem Ende der deutschen Kolonialzeit verfasste blue book) lassen keinen Zweifel daran, dass das, was nach der Schlacht am Waterberg geschah, Völkermord war. Das Schuldeingeständnis der deutschen Bundesregierung und die den Betroffenen gegenüber ausgesprochene Entschuldigung gehört in diesen Zusammenhang.
Ich nahm trotz dieser Vorbehalte Ihre Einladung zum Interview an, weil ich hoffe, dass meine Anmerkungen dazu beitragen, die Diskussion der Hereroklage stärker auf das rechtlich Mögliche zu lenken und damit besser erkennen zu lassen, wo das Feld des rechtlich Möglichen endet und das Feld des Politischen beginnt. Fragen nach den Erfolgsaussichten der Klage will und kann ich nicht beantworten. Ich werde mich darauf beschränken, Rechtspositionen, die für den Fall erheblich sein können, zu benennen und darauf hinzweisen, wo die Würdigung des Falles auf rechtlich umstrittene Felder stößt.
Frage: Die Herero haben ihre Klage auf Reparationszahlung wegen Schäden, die in den Jahren 1904 - 1907, also vor rund 98 Jahren entstanden, vor dem US-amerikanischen Bezirksgericht von Columbia erhoben. Drei Fragen drängen sich mir hierzu unmittelbar auf: Welches sind mögliche Anspruchsgrundlagen für die Klage? Kann ein Gericht der USA für die Klage zuständig sein? Ist der Vorgang nicht verjährt? Ich stelle zunächst die erste Frage nach den möglichen Anspruchsgrundlagen.
Antwort: Gestatten Sie eine Vorbemerkung: Da in der Diskussion des Hererofalles immer wieder auf Völkerrecht (public international law) und auch auf Klagemöglichkeiten vor dem Internationalen Gerichtshof (International Court of Justice - IGH, bzw. ICJ) in Den Haag hingewiesen wird, ist eine Bemerkung zum juristischen Ort des Völkerrechts und zur Zuständigkeit des IGH am Platz.
Völkerrecht ist das Recht der Völker, oder besser, das Recht der Staaten. Völkerrecht regelt in erster Linie den Rechtsverkehr der Staaten untereinander. Der IGH wurde geschaffen, um Staaten die Möglichkeit zu geben, völkerrechtliche Streitigkeiten vor einem von den Staaten anerkannten internationalen Gericht auszutragen. Mögliche Kläger vor dem Internationalen Gerichtshof sind deshalb Staaten, nicht einzelne, nicht Gruppen von einzelnen und bis jetzt auch nicht Völker (peoples).
Ob und inwieweit sich einzelne, Gruppen oder Völker vor anderen Gerichten, wie z. B. vor Gerichten in den USA, auf Völkerrecht berufen können, hängt vom Einzelfall ab. Es ist jeweils zu prüfen, ob die in Frage stehende Norm des Völkerrechts ausschließlich Verpflichtungen zwischen Staaten begründet oder ob sie mittelbar oder unmittelbar einschließt, dass der einzelne Bürger diese für sich beanspruchen kann.
Nun zu den rechtlichen Grundlagen der Ansprüche der Herero. Nach meiner Einschätzung der Rechtslage sind vier Anspruchswege zu überlegen: eine Klage auf Schadensersatz aus, wie man im deutschen Recht sagen würde: unerlaubter Handlung (delict im römisch-holländischen Recht Namibias); eine Klage, die Schadensersatzfolgen aus allgemeinem humanitärem Völkerrecht ableitet; eine Klage, die Schadensersatz auf die völkerrechtliche Ächtung von Völkermord stützt und schließlich eine Klage, die sich auf die allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung zur Wiedergutmachung von Schäden aus Verletzungen des Völkerrechts bezieht. Jede der vier Anspruchswege hat seine spezifischen Probleme, auf die ich im folgenden kurz eingehen werde.
1. Im Vorfeld der Prüfung des ersten Anspruchsweges steht die Frage, wie das Verhältnis zwischen der deutschen Kolonialverwaltung und den (Gruppen der) Herero rechtlich zu bestimmen ist. War das Verhältnis ein Verhältnis von Staat und der der Gewalt dieses Staates Unterworfenen? Oder war es ein Verhältnis völkerrechtlich gleichberechtigter Souveräne? Die hier angesprochene Problematik ist in einem Beitrag jüngeren Datums in Richtung der zweiten Möglichkeit beantwortet worden. Die Tatsache, dass Deutschland in der Durchsetzung seiner Kolonialinteressen mit Gruppen der Nama und Herero quasi-völkerrechtliche Verträge abschloss, ist ein Argument für diese Option; die im Gefolge der Verträge vollzogene Besitz- und Herrschaftsnahme ein Argument dagegen.
Ohne Einzelheiten zu dem im Zeitpunkt des Schadenseintritts im damaligen Deutsch-Südwestafrika geltenden Recht weiter zu erörtern, sind für eine Klage aus unerlaubter Handlung einmal dem Schädiger zuzurechnende Verletzungen rechtlich geschützten Interessen und zum anderen die beim Kläger daraus folgenden Schäden zu ermitteln. Schadensersatzklagen dieser Art sind üblicherweise Individualklagen, ähnlich den Klagen derjenigen, die zur Zeit des zweiten Weltkrieges in rechtswidriger Weise von der nationalsozialistischen Regierung Deutschlands zu Zwangsarbeit herangezogen worden waren und in jüngerer Zeit mit Schadensersatzklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland angetreten sind.
Soweit die Hereroklage eine Klage einzelner Herero ist, wird es schwierig sein, einen damals entstandenen und bis heute nachwirkenden Schaden zu begründen. Soweit die Klage als Klage der Herero, also als Klage einer ethnischen Gemeinschaft (eines tribe, wie es in der Klageschrift heißt) ist, wird das besondere Problem sein zu bestimmen, inwieweit der ethnischen Gemeinschaft ein rechtlich geschütztes Interesse im Rahmen des Rechts der unerlaubten Handlung zustand, ob dieses zurechenbar verletzt und wiederum, in welcher Weise der durch diese Verletzung entstandene Schaden bis heute nachhält. Zum weiteren Problem, ob die Klagenden die ethnische Gemeinschaft der Herero repräsentieren, verweise ich auf später.
2. Wenden wir uns dem zweiten Anspruchsweg zu, der sich auf Schutznormen des humanitären Völkerrechts bezieht. Dieser Anspruchsweg wird insbesondere dann bedeutsam, sollte der erste ausscheiden, weil das Verhältnis zwischen der deutschen Kolonialmacht und den Herero als Verhältnis kriegführender Parteien anzusehen ist, in dem das Recht der unerlaubten Handlung nur eingeschränkten Platz hat.
Einmal ist hier an Regeln zu denken, die sich in der Genfer Rot-Kreuz-Konvention von 1864 und dem Haager Abkommen von 1899 finden. Zum anderen ist zu überlegen, ob das, was im IV. Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom Oktober 1907 niedergelegt wurde, zur Begründung der Schadensersatzklage weiterhilft.
Im Hinblick auf alle genannten Abkommen wird erörtert werden müssen, was aus den Abkommen auf die Auseinandersetzung zwischen der deutschen Kolonialmacht und den Herero anwendbar ist, da die Herero nicht Vertragspartei der Abkommen waren. Ist bei den erstgenannten Abkommen zudem fraglich, ob ihre Schutznormen die Schadenstatbestände im Sinne der Klage abdecken, wirft die Anwendung des Abkommens von 1907 insbesondere drei Fragen auf: Die erste ist, ob wenigstens bestimmte Prinzipien, die in dem Abkommen ihren Niederschlag fanden, auf Klagegründe, die vor dem Inkrafttreten des Abkommens aus dem Jahre 1907 entstanden, herangezogen werden können. Solche Prinzipien könnten für die Entscheidung der Klage erheblich sein, wenn diese vor dem Inkrafttreten des Abkommens Teil des damals geltenden völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht waren. Als zweite Frage ist zu überlegen, ob anwendbare Schutznormen im Sinne des Haager Abkommens nicht-staatliche Kläger berechtigen. Man wird dies in Übereinstimmung mit wichtigen Stimmen im Völkerrecht bejahen, denn vieles im Wortlaut des Abkommens spricht in der Tat für die Begründung von unmittelbaren Rechten für individuell Betroffene. Die dritte Schwierigkeit, mit der die Berufung auf den hier erörterten Anspruchsweg rechnen muss, ist wiederum (wie beim ersten Anspruchsweg), ob die Kläger einen aus der Verletzung der genannten Schutznormen anhaltenden Schaden darlegen können.
3. Zum Anspruch, der sich auf den Vorwurf des Völkermords gründet! Die Prüfung des Anspruchsweges Völkermord führt zum Teil zu Problemen, die den gerade erörterten nahe stehen. Völkermord wurde "Verbrechen gemäß internationalem Recht" mit der Annahme der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes" vom Dezember 1948. Die Konvention wurde von Deutschland zum innerstaatlich maßgeblichen Recht im Jahre 1954. "§220a des deutschen Strafgesetzbuches erhielt einen Wortlaut, der Art. II der Konvention entspricht. Dokumentationsmaterial aus der deutschen Kolonialzeit ergäbe sicherlich genügend Anlass, die von der deutschen Kolonialregierung in der Auseinandersetzung mit den Herero gewählten Mittel im Sinne der Völkermorddefinition der Konvention und des Strafgesetzbuches zu interpretieren.
Wie aber schon zur Haager Konvention von 1907 überlegt wurde, ist im Blick auf die Völkermordkonvention noch einmal mehr die Frage, inwieweit die Prinzipien der Konvention auf Ereignisse Anwendung finden können, die lange vor dem Inkrafttreten der Konvention und ihrer nationalrechtlichen Umsetzung stattfanden. Noch einmal mehr deshalb, weil es sich bei der Völkermordkonvention um die Vereinbarung von Strafnormen handelt, mit denen individuelle Täter und Täterinnen strafrechtlich belangt werden. Auch wenn der Grundsatz nulla poena, sine lege (keine Bestrafung ohne ein entsprechendes Strafgesetz) im Völkerrecht, wie in der völkerrechtlichen Bearbeitung der Kriegsverbrecher Prozesse von Nürnberg erörtert, Einschränkungen unterworfen ist, ist an seiner grundsätzlichen Bedeutung auch für das Völkerrecht festzuhalten. Somit wäre zu untersuchen, ob die Gründe, die für die rückwirkende völkerrechtliche Strafbarkeit der nationalsozialistischen Kriegsverbrechen sprachen, auch für die rückwirkende völkerstrafrechtliche Behandlung des Völkermordes gelten. Dies und nicht was man bisweilen in Diskussionen hören kann, nämlich, dass die rückwirkende Anwendung der Konvention (im Sinne von: wo kämen wir denn da hin?) Tür und Tor für unzählige Prozesse (Armenier gegen die Türkei, Indianer gegen Spanien, Portugal, England, USA etc.) öffnen würde, ist das entscheidende Argument in der rechtlichen Bearbeitung des Problems einer möglichen rückwirkenden völkerrechtlichen Strafbarkeit von Völkermord im Sinne der Völkermordkonvention.
Eine andere Argumentation könnte fragen, ob mit der Völkermordkonvention nicht etwas unter Strafe gestellt wurde, was bereits vor der Konvention völkerrechtliches Unrecht war. In der Tat gibt es in der Geschichte der internationalen Beziehungen und des Völkerrechts Belege dafür, dass Maßnahmen, die heute zweifelsohne unter die Völkermordkonvention fielen, lange vor der Völkermordkonvention und ungeachtet des im Völkerrecht lange Zeit zugestandenen sogenannten Rechts auf Krieg (ius ad bellum) völkerrechtlich nicht toleriert wurden. Woran ich hier denke, sind z. B. die theologisch begründeten kriegsrechtlichen Einschränkungen, die Las Casas, Francisco de Vitoria, u.a. im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert gegen die spanische Kolonialpolitik und zugunsten der Indianer Mittel- und Südamerikas vertraten. Die von diesen frühen Völkerrechtlern vertretenen Einschränkungen drangen allerdings zu einem eigentlichen Völkerstrafrecht nicht durch. Das setzte erst nach dem zweiten Weltkrieg ein und steht ungeachtet der erreichten Positionen, wie etwa im derzeitigen Jugoslawien Tribunal, noch am Anfang der Entwicklung.
Die Annahme der rückwirkenden Anwendung der Konvention oder der entsprechenden Anwendung von Prinzipien, wie sie in der Konvention ihren Niederschlag fanden, hätte weiter zu bestimmen, ob sich aus der Verletzung der Konvention bzw. der genannten Prinzipien Schadensersatzansprüche ergeben können, und wer die möglichen Kläger derartiger Ansprüche sind. Wird der erste Teil der Frage unter Bezug auf den völkerrechtlichen Grundsatz der Verantwortung für völkerrechtswidriges Verhalten (hierzu gleich nochmals) zu bejahen sein, betritt man mit dem zweiten juristisches Neuland. Das im Tatbestand des Völkermordes enthaltene kollektive Element schließt sicherlich Individualklagen (Klagen von Individuen, die den Völkermord überlebten) aus. Ist dann das übriggebliebene Volk der Kläger, oder ist es der Staat, in dem die Überlebenden des Völkermordes leben?
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