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Die Aborigines Südafrikas organisieren sich

Frank Steffen
Als im Jahre 1652 die Niederländer am Kap der Guten Hoffnung landeten und dort in der Folge eine Kolonie gründeten, war das Land keineswegs menschenleer, wie man später in der südafrikanischen Geschichtsschreibung oft lesen konnte. Wahr ist wohl, dass zu jener Zeit noch keine Schwarzen die Regionen an der Südspitze Afrikas bevölkerten. Stattdessen lebten in den dünn besiedelten Landstrichen die hellhäutigen Ureinwohner des Kontinents, nämlich die als Jäger und Sammler umherstreifenden San, damals Buschleute genannt, und die viehhaltenden Khoikhoi oder Khoekhoe (in der Übersetzung „eigentliche Menschen”), die als Wanderhirten durch die Gegend zogen und die von den Niederländern wegen ihrer Schnalz- und Klicklaute als Hottentotten bezeichnet wurden. Beide Völker sind eng miteinander verwandt, haben dieselben Wurzeln und sprechen ähnliche Sprachen (die erwähnten Schnalz- und Klicklaute, die auch die San benutzen, wurden später sogar von einzelnen schwarzen Ethnien übernommen, die sich nach ihrer Einwanderung ins südliche Afrika mit der indigenen Bevölkerung vermischten.



Khoi-San sind Ureinwohner

Die San verteilen sich vornehmlich auf drei Gruppen, die Khomani, die !Xun und die !Khwe, die Khoikhoi bestanden ursprünglich aus vier Gruppen, nämlich den Griqua, den Nama, den Koranna und den Cape Khoi. Heute werden beide Volksgruppen, welche sozusagen die Aborigines Südafrikas bilden, unter der Bezeichnung Khoi-San (auch Khoisan oder Khoesan) zusammengefasst, eine Wortschöpfung des Anthropologen Leonhard Schultze, die dieser 1928 erstmals verwendete. Obwohl vereinzelt noch die alten Sprachen existieren, verständigen sich die Khoi-San untereinander auf Afrikaans, weil sie über Jahrhunderte hinweg Kontakte zu den Niederländern pflegten, aus deren Sprache dann ja das Afrikaans entstand. Während der Zeit der Apartheid galten die Khoi-San ethnisch als Coloureds (Farbige oder Mischlinge), und auch heute noch werden sie als solche klassifiziert, wogegen sie sich immer wieder wehren. Die Zahl der südafrikanischen Farbigen, deren Lebensraum sich weitgehend auf die Provinz West-Kap beschränkt, wo sie fast die Hälfte der Einwohner ausmachen und damit die Bevölkerungsmehrheit bilden, beträgt derzeit rund vier Millionen (8,9 Prozent der Gesamtbevölkerung). Die überwiegende Mehrheit davon besteht aus einer Mischbevölkerung, die sich im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet hat. Eingeschlossen sind ca. 200.000 Kap-Malaien, Nachkommen von Arbeitssklaven, welche die Niederländer ab dem 17. Jahrhundert aus ihren ostasiatischen Besitzungen importierten und die fast ausnahmslos muslimischen Glaubens sind. Die tatsächliche Zahl der Khoi-San allein in Südafrika ist nicht bekannt und wird statistisch auch nicht erfasst, doch soll es sich nach inoffiziellen Schätzungen um etwa 2.400 Khoi und 4.500 San handeln, die vornehmlich im West-Kap und im Nordkap leben. Im südlichen Afrika insgesamt dürfte es noch ungefähr 100.000 Khoi-San geben, die sich hauptsächlich auf Botswana, Namibia und Angola verteilen.



Vermischung mit Einwanderern

In der Darstellung Südafrikas bleibt leider immer wieder unberücksichtigt, dass es zunächst die Weißen waren, die am Kap auf die Ureinwohner trafen und sich zum Teil mit ihnen vermischten, während die Masse der Schwarzen erst ab 1770 von Norden her ins Land einwanderte. Die Forderung der Khoi-San nach Gleichberechtigung ihrer Kulturen ist daher durchaus verständlich. Trotzdem hatte man sie in der Verfassung von 1996 schlichtweg „vergessen”, denn unter „traditionellen Völkern” verstand man ausschließlich die Schwarzen, was auch darin zum Ausdruck kam, dass neben Englisch und Afrikaans nur neun Sprachen schwarzer Völker amtlich anerkannt wurden. Erst Präsident Mandela gründete 1999 den National Khoi-San Council (NKC) als Vertretung der autochthonen Bevölkerungsgruppen, dessen Vorsitzender Cecil le Fleur von der Griqua National Conference ist. Doch selbst im Traditional Leadership and Governance Framework Act aus dem Jahre 2003 fanden die Ureinwohner keine Berücksichtigung. So kämpften sie weiter um die – in der Verfassung garantierten – Rechte, und erst im September 2015 wurde ein entsprechendes Gesetz in die Nationalversammlung eingebracht (The Traditional and Khoi-San Leadership Bill), das den erwähnten Vorläufer von 2003 ersetzte. Danach sollen auf nationaler Ebene alle Volksgruppen der Schwarzen und der Khoi-San Repräsentanten ins National House of Traditional and Khoi-San Leaders entsenden, außerdem gibt es entsprechende Vertretungen in den Provinzen (Provincial House) sowie auf kommunaler Ebene (Local House). Es dauerte dann mehr als zwei Jahre, bis das Gesetz am 7. November 2017 endgültig verabschiedet wurde, doch steht noch die Zustimmung der zweiten Parlamentskammer, des Nationalrats der Provinzen aus.



Land- und Menschenrechte

Um darüber hinaus ihre Forderung nach Übergabe bzw. Rückgabe von Land zu unterstreichen, wandte man sich Anfang Dezember 2015 an die South African Human Rights Commission (SAHRC), die eine zweitägige Anhörung anberaumte, in der Chief Autshumao Francisco MacKenzie, Vorsitzender des Western Cape Khoisan Legislative Council, als Diskussionsgrundlage ein ausführliches Papier präsentierte. Die Initiative dazu war ausgegangen von König Khoebaha Calvin Cornelius III, dem Oberhaupt des „Royal House of the Khoisan Nation”, welcher der südafrikanischen Regierung in Bezug auf die indigene Bevölkerung des Landes Missachtung der Menschenrechte vorwarf. Unterstützung erhielt er dabei von Chief Tania Kleinhans-Cedras, dem Generalsekretär des Institute for the Restoration of the Aborigines of South Africa (IRISA). Zum selben Zeitpunkt fand eine Tagung mit Khoisan-Vertretern in Johannesburg statt, eine weitere für Gruppen aus der Provinz Nordkap folgte im Januar 2016. Schon am 3. Dezember 2015 hatte eine Gruppe von 100 Angehörigen der Khoi-San vor dem Parlamentsgebäude in Kapstadt demonstriert. Einem Verwaltungsangestellten übergaben sie eine Petition, in der sie Land für ihre Volksgruppen forderten. Für Ärger sorgte dabei, dass der Mann die Bittschrift nicht lesen konnte, weil sie auf Afrikaans abgefasst war. Prince Stanley Peterson vom National Khoisan Council und Vertreter des Khoisan Royal House, appellierte an Präsident Zuma, sich endlich mit der indigenen Bevölkerung des Landes an einen Tisch zu setzen und über deren Rechte zu verhandeln.



Zunehmendes Selbsbewusstsein

Tatsächlich haben die Ureinwohner Südafrikas in der Öffentlichkeit bisher kaum Beachtung, geschweige Anerkennung gefunden, gleichzeitig zeigen sie aber seit Jahren ein gestiegenes Selbstbewusstsein. Umso erfreulicher war deshalb, als schon im Dezember 2011 in Kapstadt das „Africa's First Peoples Museum” eröffnet wurde, das die Geschichte der eingeborenen Bevölkerung am Kap darstellt. Ihre Nachkommen wurden aufgerufen, sich dieses Erbes zu erinnern, es wachzuhalten und zu pflegen. Ein Jahr zuvor hatte man im Zentrum von Kapstadt einen Teil der bisherigen „Castle Street” in „Krotoa Street” umbenannt. Damit wurde jene Angehörige der Khoikhoi geehrt, die als erste ihres Volkes in die junge niederländische Kolonie eingeheiratet hatte. Krotoa diente dem Gründer der Siedlung und ersten Kommandeur, Jan van Riebeeck, als Hausangestellte und Übersetzerin. 1662 wurde sie als erste Eingeborene getauft und erhielt deshalb den christlichen Namen Eva. Am 26. April 1664 verlobte sie sich mit dem in Diensten der Niederländisch-Ostindischen Kompagnie stehenden Offizier und Arzt Pieter van Meerhof, einem Dänen, der eigentlich Peter Havgard hieß, und am 2. Juni des Jahres fand die Hochzeit statt.

Petition an SA-Präsidenten

Um den Anliegen der Khoi-San einmal mehr Nachdruck zu verleihen, entschlossen sich Chief Khoisan SA (laut Eintrag in seinem Pass trägt er tatsächlich diesen Namen) und drei Mitstreiter Ende 2017 zu einer öffentlichkeitswirksamen Aktion: Am 13. November starteten sie von Port Elizabeth aus zu dem rund 1.200 Kilometer langen Fußmarsch bis nach Pretoria, wo sie Präsident Jacob Zuma eine Petition zu übergeben beabsichtigten. Am 30. des Monats erreichten sie die Union Buildings, wurden aber wegen ihres „unzivilisierten” Aussehens – sie trugen traditionelle Kleidungsstücke – nicht eingelassen. Doch sie gaben nicht auf und kampierten auf dem Rasen vor dem Regierungsgebäude. Mitte Dezember nahm der Minister im Präsidentenamt, Jeff Radebe, schließlich die Petition entgegen und versprach, sie dem Staatsoberhaupt zu überreichen. Doch den vier Aktivisten reichte dies nicht, sondern sie forderten eine persönliche Unterredung mit dem Präsidenten oder dem Vizepräsidenten, zudem traten sie in einen Hungerstreik. Am 24. Dezember 2017 erklärte sich schließlich der damalige südafrikanische Vizepräsident und heutige Präsident Cyril Ramaphosa zu einem Gespräch bereit, begab sich zu ihnen und hörte sich ihre Begehren an. So forderten sie in ihrem Memorandum die Anerkennung als Urbevölkerung Südafrikas und somit den Status als „first Nation” oder „first Citizens”, wie ihn die „UNO-Deklaration über die Rechte indigener Völker” aus dem Jahre 2007 beschreibt, in der vom „Recht auf Eigentum ihres Landes und auf Selbstbestimmung ihres Lebens” die Rede ist. Außerdem verlangten sie, künftig nicht mehr als „Farbige” eingestuft zu werden, sowie die Gleichstellung der am meisten verbreiteten Khoisan-Sprache Khoekhoegowab mit den übrigen elf offiziellen Amtssprachen des Landes. Zuletzt erhoben sie die Forderung, bei der geplanten Landreform angemessen berücksichtigt zu werden. Zwar erklärte Ramaphosa nach dem Treffen, dass mit dem in der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetz das Recht der Khoi-San auf ihr Erbe respektiert werde, doch geben diese sich damit allein nicht mehr zufrieden, sondern erwarten inzwischen wesentlich mehr bei der Umsetzung der Regelungen.



Geraubtes Land

Was die vorgesehene Landreform angeht, so war bisher immer nur die Rede davon gewesen, Land an Schwarze zurückzugeben, das ihnen in der Vergangenheit von Weißen genommen wurde – ein Thema, das in fünf Provinzen akut ist. Der frühere Präsident Kgalema Motlanthe betonte hingegen, im West-Kap werde die Frage nach einer Entschädigung und Neuverteilung von Land zu Recht auch von den Repräsentanten der Khoi-San reklamiert, was dazu führen könne, dass Land, welches Schwarzen infolge der Reform zugesprochen würde, letztlich an die Khoi-San zurückgegeben werden müsste. Zwar sei deren Land nach 1652 zu einem großen Teil an die Niederländer verloren gegangen, doch später hätten auch die von Norden einwandernden Bantu-Nationen den Khoi-San Land geraubt. Motlanthe sagte, Landrechte seien schließlich eine Frage der Identität und der Sprache, die in einem Gebiet vorherrsche. Wenn das im Fall der Khoi-San nicht ausreichend berücksichtigt werde, so deshalb, weil die Regierung deren Sprache und Kultur nicht wirklich anerkenne. Chief Cornelius Kok vom Griqua Traditional House forderte deshalb, unabhängige Gutachter einzusetzen, die überprüfen sollten, wer die ursprünglichen Landeigentümer seien.



Unabhängiger Staat

Weil ihm der Gesetzgebungsprozess zu lange dauerte und die Regierung in Pretoria weitere Zugeständnisse nach wie vor ablehnt, entschloss sich König Khoebaha Calvin Cornelius III, Oberhaupt des „Royal House of the Khoisan Nation”, am 24. September 2017 zu einem außergewöhnlichen Schritt, als er im Kapstädter Kastell feierlich den „United State of Good Hope” ausrief und damit eine Abspaltung (Sezession) von der Republik Südafrika deklarierte. Das Territorium dieses Gebildes soll die heutigen Provinzen West-Kap, Nordkap und Teile der Provinz Ost-Kap (bis zum Fischfluss) umfassen, also die ursprünglichen Siedlungsgebiete der Khoi-San bis zur Ankunft der Weißen und der Schwarzen. Sogar eine eigene Flagge für das Königreich existiert schon. In diesem Zusammenhang sei übrigens daran erinnert, dass das Motto des Staatswappens der Republik Südafrika aus dem Jahre 2000, bereits in einer der San-Sprachen, nämlich der /Xam-Buschleute, formuliert wurde. Es lautet: „!ke e: /xarra //ke”, was in der englischen Übersetzung „Diverse People Unite” bedeutet.



Wolfgang Reith, Kapstadt

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-24

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