Die Bucht der namenlosen Toten
Von Simon Kremer, dpa
Tunis (dpa) - Worüber redet man, wenn man drei Tage an einer Holzplanke im Mittelmeer treibt? „Jedenfalls nicht über die Fußballkarriere“, sagt Mamadou und grinst zum ersten Mal seit einer Stunde. „Du sprichst über alles mögliche, versuchst, dich gegenseitig wach zu halten, denn wenn du loslässt, dann bist du tot.“ Dann versinkt der 16-Jährige wieder in seiner Gedankenwelt, blickt zu Boden, knibbelt nervös an den zitternden Fingern. Vielleicht denkt er an sein Idol, Lionel Messi. Vielleicht an das, was er in der vergangenen Woche erlebt hat.
Zusammen mit 85 Anderen setzt sich Mamadou, der schüchterne Junge aus Mali, an einem Strand der libyschen Hafenstadt Suara morgens um fünf Uhr in ein Gummiboot und macht sich auf in Richtung Europa. Er will Fußballprofi werden. Sieben Stunden später ist das Boot in Richtung Tunesien abgetrieben, befindet sich ein paar Seemeilen vor der Küste. Wellen schlagen ins Boot, Panik bricht aus, das Boot kippt um.
Mamadou hockt auf dem Boden des Gummibootes, der mit einer Holzplanke verstärkt ist. Er hält sich daran fest als er ins Wasser fällt, zusammen mit sechs anderen. Während um ihn herum mit jeder neuen Welle jemand der 86 Migranten verschwindet, hält er sich fest, drei Tage lang, bis sie von einem tunesischen Fischerboot gefunden werden. Da sind sie nur noch zu viert und einer von ihnen wird noch im Krankenhaus sterben.
Ein paar Tage nach dem Unglück werden die ersten Leichen an den Strand gespült. 16 Tote finden die Helfer auf Djerba, der beliebten Ferieninsel, wo in dieser Sommersaison der Tourismus endlich wieder anzieht. „Dass die Leichen bis nach Djerba kommen ist selten“, sagt Mongi Slim. „Normalerweise werden sie hier angespült.“ Seit 25 Jahren arbeitet der Arzt als Freiwilliger beim Roten Halbmond. Von der Terrasse eines Cafés blickt er auf den Strand, wo Familien ihre Sonnenschirme mit Tüchern zu kleinen Burgen ausgebaut haben und die Kinder mit aufblasbaren Gummikrokodilen im Wasser jauchzen. „Der Wind und die Strömung bringen die Toten hierher.“
Der kleine Ort Zarzis liegt im Süden Tunesiens, zwischen der libyschen Grenze, wo ein Bürgerkrieg herrscht, und Djerba, wo die Touristen aus aller Welt in den Strandhotels chillen und zu schlechtem russischem Techno tanzen. Djerba, die Insel, auf die schon Odysseus bei seiner Irrfahrt durchs Mittelmeer getrieben wurde. Ein fünf Kilometer langer Damm verbindet die Insel mit dem Festland. In diesem Sommer kommen die Toten verstärkt zurück. „Seit im April in Libyen wieder heftig gekämpft wird, machen sich immer mehr Leute auf den Weg“, sagt Mongi Slim. „Diese 83 hätten gerettet werden können, wenn nur Rettungsboote unterwegs gewesen wären.“
Aber seit Italien und viele andere europäische Staaten ihre Häfen für Helfer dicht gemacht haben, sind kaum noch zivile Rettungsboote vor der libyschen Küste unterwegs. Zwar gehen die Gesamtzahlen der Flüchtlinge zurück, aber für die, die die illegale Überfahrt auf sich nehmen, wird sie immer gefährlicher. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr schon 682 Menschen im Mittelmeer ertrunken. „Und das sind nur die offiziellen Zahlen,“ sagt Slim.
Während in Europa über die Verteilung der Migranten und die Abschottung der Grenzen diskutiert wird, streiten die Kommunen in Tunesien darüber, wer die Toten beerdigen muss. Am Wochenende gaben mehrere südtunesische Kommunen bekannt, die Leichen nicht annehmen zu wollen. „Einige Orte sagen, dass die Gräber nur für Muslime sind“, erklärt Slim, der mit den Kommunen verhandelt, denn derzeit ist es der Rote Halbmond, der sich vor allem um die Toten kümmert. Und wer weiß schon, ob es sich um einen angespülten Muslim handelt?
Ein Helfer des Roten Halbmondes zeigt Fotos der Bergungen auf seinem Handy. Aufgedunsene Körper, verwaschene Tattoos. Bei dem einen fehlen mehrere Finger, bei dem anderen der Kopf und ein Bein. Der Tod, der hier an den Strand gespült wird, ist nicht still und friedlich, sondern abscheulich.
Vor zwei Monaten hat der Rote Halbmond ein eigenes Stück Land südlich von Zarzis gekauft, wo die Toten begraben werden sollen. Momentan begraben sie die meisten Ertrunkenen noch auf einem Stück Acker, den sie von der Kommune bekommen haben. Der Ort sieht mehr aus wie eine Müllkippe.
Der hart getrocknete Sand knirscht unter den Sandalen von Mamadou und seinem Kumpel Ousmane Koulibali. Auch der 20-Jährige hat das Unglück überlebt. Sie gehen zum „Friedhof der Unbekannten“, der nur ein paar Hundert Meter vom Flüchtlingszentrum des Roten Halbmonds entfernt liegt. Im Hintergrund erhebt sich das Fußballstadion von Zarzis. Die Stadt selbst ist weit entfernt. Hier wollen sie weder mit den Lebenden, noch mit den Toten zu tun haben.
Verrostete Kühlschränke ragen aus dem Sand, unzählige Plastiktüten und -flaschen. Dazwischen ein paar Olivenbäume. Hier wird alles abgeladen, was nicht mehr benötigt wird. Neben einem kleinen Sandwall stecken niedrige Pappschilder im Boden. 18 Gräber, frisch ausgehoben, zwei Meter tief, damit die Hunde die Kadaver nicht ausgraben, Baggerspuren über den platt gewalzten Gräbern. Dahinter deuten Hügel weitere Gräber an. Abgebrochene Ziegelsteine oder kleine Felsbrocken dienen als eine Art Grabstein. Vertrocknete Blumen versuchen, ein wenig Würde zu verleihen.
Mamadou und Ousmane werden noch stiller, als ohnehin schon. Hier liegt ein Teil der Menschen, die vor einer Woche mit ihnen in das wackelige Gummiboot Richtung Europa gestiegen ist. Ousmane schlägt sich die Fliegen von den Waden. Dutzende haben sich dort auf die verheilenden Wunden gesetzt. Die Haut ist verbrannt von der Sonne und vom Benzin, das im Boot umgekippt ist. Die letzte Ruhestätte ertrunkener Träume. Ousmane will etwas sagen, bricht ab, stottert plötzlich. Dann dreht er ab und geht.
Tunis (dpa) - Worüber redet man, wenn man drei Tage an einer Holzplanke im Mittelmeer treibt? „Jedenfalls nicht über die Fußballkarriere“, sagt Mamadou und grinst zum ersten Mal seit einer Stunde. „Du sprichst über alles mögliche, versuchst, dich gegenseitig wach zu halten, denn wenn du loslässt, dann bist du tot.“ Dann versinkt der 16-Jährige wieder in seiner Gedankenwelt, blickt zu Boden, knibbelt nervös an den zitternden Fingern. Vielleicht denkt er an sein Idol, Lionel Messi. Vielleicht an das, was er in der vergangenen Woche erlebt hat.
Zusammen mit 85 Anderen setzt sich Mamadou, der schüchterne Junge aus Mali, an einem Strand der libyschen Hafenstadt Suara morgens um fünf Uhr in ein Gummiboot und macht sich auf in Richtung Europa. Er will Fußballprofi werden. Sieben Stunden später ist das Boot in Richtung Tunesien abgetrieben, befindet sich ein paar Seemeilen vor der Küste. Wellen schlagen ins Boot, Panik bricht aus, das Boot kippt um.
Mamadou hockt auf dem Boden des Gummibootes, der mit einer Holzplanke verstärkt ist. Er hält sich daran fest als er ins Wasser fällt, zusammen mit sechs anderen. Während um ihn herum mit jeder neuen Welle jemand der 86 Migranten verschwindet, hält er sich fest, drei Tage lang, bis sie von einem tunesischen Fischerboot gefunden werden. Da sind sie nur noch zu viert und einer von ihnen wird noch im Krankenhaus sterben.
Ein paar Tage nach dem Unglück werden die ersten Leichen an den Strand gespült. 16 Tote finden die Helfer auf Djerba, der beliebten Ferieninsel, wo in dieser Sommersaison der Tourismus endlich wieder anzieht. „Dass die Leichen bis nach Djerba kommen ist selten“, sagt Mongi Slim. „Normalerweise werden sie hier angespült.“ Seit 25 Jahren arbeitet der Arzt als Freiwilliger beim Roten Halbmond. Von der Terrasse eines Cafés blickt er auf den Strand, wo Familien ihre Sonnenschirme mit Tüchern zu kleinen Burgen ausgebaut haben und die Kinder mit aufblasbaren Gummikrokodilen im Wasser jauchzen. „Der Wind und die Strömung bringen die Toten hierher.“
Der kleine Ort Zarzis liegt im Süden Tunesiens, zwischen der libyschen Grenze, wo ein Bürgerkrieg herrscht, und Djerba, wo die Touristen aus aller Welt in den Strandhotels chillen und zu schlechtem russischem Techno tanzen. Djerba, die Insel, auf die schon Odysseus bei seiner Irrfahrt durchs Mittelmeer getrieben wurde. Ein fünf Kilometer langer Damm verbindet die Insel mit dem Festland. In diesem Sommer kommen die Toten verstärkt zurück. „Seit im April in Libyen wieder heftig gekämpft wird, machen sich immer mehr Leute auf den Weg“, sagt Mongi Slim. „Diese 83 hätten gerettet werden können, wenn nur Rettungsboote unterwegs gewesen wären.“
Aber seit Italien und viele andere europäische Staaten ihre Häfen für Helfer dicht gemacht haben, sind kaum noch zivile Rettungsboote vor der libyschen Küste unterwegs. Zwar gehen die Gesamtzahlen der Flüchtlinge zurück, aber für die, die die illegale Überfahrt auf sich nehmen, wird sie immer gefährlicher. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr schon 682 Menschen im Mittelmeer ertrunken. „Und das sind nur die offiziellen Zahlen,“ sagt Slim.
Während in Europa über die Verteilung der Migranten und die Abschottung der Grenzen diskutiert wird, streiten die Kommunen in Tunesien darüber, wer die Toten beerdigen muss. Am Wochenende gaben mehrere südtunesische Kommunen bekannt, die Leichen nicht annehmen zu wollen. „Einige Orte sagen, dass die Gräber nur für Muslime sind“, erklärt Slim, der mit den Kommunen verhandelt, denn derzeit ist es der Rote Halbmond, der sich vor allem um die Toten kümmert. Und wer weiß schon, ob es sich um einen angespülten Muslim handelt?
Ein Helfer des Roten Halbmondes zeigt Fotos der Bergungen auf seinem Handy. Aufgedunsene Körper, verwaschene Tattoos. Bei dem einen fehlen mehrere Finger, bei dem anderen der Kopf und ein Bein. Der Tod, der hier an den Strand gespült wird, ist nicht still und friedlich, sondern abscheulich.
Vor zwei Monaten hat der Rote Halbmond ein eigenes Stück Land südlich von Zarzis gekauft, wo die Toten begraben werden sollen. Momentan begraben sie die meisten Ertrunkenen noch auf einem Stück Acker, den sie von der Kommune bekommen haben. Der Ort sieht mehr aus wie eine Müllkippe.
Der hart getrocknete Sand knirscht unter den Sandalen von Mamadou und seinem Kumpel Ousmane Koulibali. Auch der 20-Jährige hat das Unglück überlebt. Sie gehen zum „Friedhof der Unbekannten“, der nur ein paar Hundert Meter vom Flüchtlingszentrum des Roten Halbmonds entfernt liegt. Im Hintergrund erhebt sich das Fußballstadion von Zarzis. Die Stadt selbst ist weit entfernt. Hier wollen sie weder mit den Lebenden, noch mit den Toten zu tun haben.
Verrostete Kühlschränke ragen aus dem Sand, unzählige Plastiktüten und -flaschen. Dazwischen ein paar Olivenbäume. Hier wird alles abgeladen, was nicht mehr benötigt wird. Neben einem kleinen Sandwall stecken niedrige Pappschilder im Boden. 18 Gräber, frisch ausgehoben, zwei Meter tief, damit die Hunde die Kadaver nicht ausgraben, Baggerspuren über den platt gewalzten Gräbern. Dahinter deuten Hügel weitere Gräber an. Abgebrochene Ziegelsteine oder kleine Felsbrocken dienen als eine Art Grabstein. Vertrocknete Blumen versuchen, ein wenig Würde zu verleihen.
Mamadou und Ousmane werden noch stiller, als ohnehin schon. Hier liegt ein Teil der Menschen, die vor einer Woche mit ihnen in das wackelige Gummiboot Richtung Europa gestiegen ist. Ousmane schlägt sich die Fliegen von den Waden. Dutzende haben sich dort auf die verheilenden Wunden gesetzt. Die Haut ist verbrannt von der Sonne und vom Benzin, das im Boot umgekippt ist. Die letzte Ruhestätte ertrunkener Träume. Ousmane will etwas sagen, bricht ab, stottert plötzlich. Dann dreht er ab und geht.
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Allgemeine Zeitung
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