Die DDR-Kinder: Ein Stück reale Geschichte als Doku-Theater
Kunst als seelischer Heilungsprozess für Zeitzeugen und Angehörige
Von Andrea Lindner, Windhoek
Die Geschichte der DDR-Kinder ist vor allem eine Geschichte von Entwurzelung und erzählt vom Spagat zwischen zwei Kulturen und Lebensformen. Dabei ist man als Zuschauer ganz nah dran. Durch die Form des Theaters als Doku-Drama kann man sich gut vorstellen, wie das Leben im Schloss in Bellin gewesen sein muss: Morgenapelle, strenge sozialistische Erzieherinnen, Ertüchtigung, Musikerziehung und Ausbildung an der Waffe. Aber auch ein deutsches Weihnachtsfest, viele Freunde fürs Leben und jede Menge Spaß. Alle wichtigen Themen – die Sehnsucht nach den Eltern, Gewalt im Heim, latenter Rassismus der Ausbilder, aber auch glückliche Momente – werden dargestellt. Das Leben im Schloss in Deutschland war schön und hässlich. Lustig und traurig. 400 Kinder isoliert in einer sozialistischen Seifenblase.
Das Stück als Doku-Theater
Das Stück versucht dabei nicht zu werten oder zu interpretieren. Keine Emotionen zwanghaft zu spielen. Die Macher arbeiten vor allem mit Original-Zeitungsartikeln und Interviews mit DDR-Kindern und Erziehern, die der Zuschauer hören kann, oder die mit Hilfe von Kopfhörern durch die Schauspieler nachgesprochen werden. Die Schauspieler wollen sich nicht um jeden Preis in die DDR-Kinder einfühlen, weil es eben nicht ihre Geschichte ist, die sie hier erzählen. Sondern die Geschichte der „Kinder“, die jetzt gerade im Publikum sitzen.
So ist das Doku-Theater eher distanziert und versucht nur zu berichten. Nicht zu werten. „Das musste ich am Anfang noch lernen. Ich war zunächst zu sentimental“, sagt Sandy Rudd, die das Stück gemeinsam mit Gernot Grünwald aus Deutschland geschrieben und inszeniert hat. Für sie war es das erste Mal, ein Stück so dokumentarisch aufzuziehen. Diese Art von Theater ist noch relativ jung. „Aber ich wollte diese Form mal ausprobieren. Ich hatte davor noch nie eine historische Geschichte im Theater erzählt“, so Rudd. „Es war eine neue Herausforderung.“
An das Thema hat sich die Regisseurin, die sich in Namibia einen Namen als Theaterproduzentin gemacht hat, viele Jahre nicht rangetraut. „Die Geschichte der DDR-Kinder ist für viele eine traurige. Ohne Happy End“, sagt Rudd. „Das möchte ich eigentlich nicht im Theater zeigen. Die Menschen sollen glücklich sein, wenn sie aus dem Theater kommen. Ich will kein Opfer-Theater machen. Das Leben ist doch schön.“
Und obwohl die Geschichte an sich so traurig ist, und so gar nicht glücklich, schaffen die Macher und die Schauspieler es immer wieder, schöne und glückliche Gefühle in den Zuschauern auszulösen. Wenn die Kinder durch den Schnee springen. Oder von der vielen Schokolade an Weihnachten erzählen. Oder von ihrem Bach direkt am Schloss, den Kaninchen und den tollen Kronleuchtern.
Verblüffend ist in jeder Szene die perfekte Symbiose aus namibischen und deutschen Schauspielern. Aus Laien und Profis. Aus Kindern und Erwachsenen. Das Theaterstück ist nämlich eine namibisch-deutsche Co-Produktion des College of Arts Windhoek und des Emma-Theaters Osnabrück, wo es bereits erfolgreich aufgeführt wurde.
Wie alles begann
Anja Deu, die deutsche Projektleitung, sendet aus Deutschland eine E-Mail an Sandy Rudd. Deu war vor zwölf Jahren in Namibia und hatte sich in das Land verliebt. Hier entdeckte sie auch das Buch „Homecoming“ und war sofort gefesselt von der Geschichte und den Schicksalen der DDR-Kinder. Auch Rudd dachte schon länger über diese Geschichte nach: „Es hat mich schon immer interessiert. Aber so richtig habe ich mich nie rangetraut.“ Dazu brauchte es erst Anja Deu vom Theater in Osnabrück. „Anja kam 2012 nach Windhoek. Und schnell war die Idee geboren.“
Bis zur ersten Aufführung in Deutschland vergingen weitere vier Jahre. Das Team ließ sich viel Zeit für die Recherche. Monica Nambelela, selbst DDR-Kind, hilft, andere DDR-Kinder ausfindig zu machen und organisiert Interviews für die Recherche. „Für sie war das kein leichter Prozess“, erzählt Rudd. „Deshalb hat es auch ein paar Jahre gebraucht, bis wir dieses Projekt verwirklichen konnten. Die Erlebnisse sind einfach noch zu nah.“ So ist das Stück nicht nur Kunst, nicht nur Aufarbeitung, sondern auch ein seelischer Heilungsprozess für Zeitzeugen und Angehörige. Auf Augenhöhe.
400 einzelne Schicksale
Der Hauptteil des Stückes spielt in Deutschland und zeigt den Alltag der Kinder: Waffenübungen. Morgenapelle. Vorbereitung auf die alte Heimat Namibia. Drill und SWAPO-Rufe. Auch deutsche Lieder gehörten zum Tagesablauf. Die Ankunft und die Zeit in Namibia werden jedoch viel kürzer gezeigt. Warum? „Ich hätte nicht gewusst, welche Geschichte ich hier hätte erzählen sollen. Welches der 400 Schicksale“, so Rudd. „Es lief für alle so unterschiedlich nach der Zeit in der DDR. Ich hätte nicht ein Schicksal rausgreifen wollen.“ Im Programmheft heißt es dazu: „Es ist mehr als eine Geschichte, und diese können nicht erzählt werden, nicht alle. Nicht 400 unterschiedliche Lebenswege, Wahrnehmungen, Erfahrungen. Nicht ohne zu selektieren und damit den einen eine Stimme zu geben und den anderen nicht, nicht ohne zu verallgemeinern und damit dem Einzelnen nicht gerecht zu werden. Nicht ohne aus Individuen erneut ein Kollektiv zu machen, das sie nicht mehr sind.“
Die Geschichte hört also auf, als die Kinder in Namibia ankommen. Einige werden von ihren Eltern abgeholt, viele haben gar keine Eltern mehr und wiederum andere finden ihre Eltern nicht. Und die Gefühle und Fragen der Kinder kommen beim Zuschauer an. Auch ohne Einzelschicksale. Auch ohne emotionale Dialoge. Da reicht es, wenn Sabrina, Shakira und Gia am Ende auf der Bühne stehen, als Kinder der DDR-Kinder, ihre Eltern teilweise im Publikum, und sie die Geschichte nicht spielen müssen. Sie sind Teil der Geschichte. Sie erleben die Kindheit ihrer Eltern nach. Am Ende wird dem Zuschauer klar: Die DDR-Kinder kamen als kleine Kinder aus einem Land, dass es so heute nicht mehr gibt. Sie wuchsen in einem Land auf, dass es heute nicht mehr gibt. Sie sollen zu sozialistischen Pionieren ausgebildet werden. Mit einer Ideologie also, die ihnen hier nichts gebracht hat. Sie wurden als Funktionäre auf eine Zukunft vorbereitet, die nie eintrat. Das Stück zeigt, wie gnadenlos brutal das Leben sein kann und wie machtlos wir in dieser großen Welt sein können.
Das Stück ist wie ein Disney Film. Nur umgekehrt. Es beginnt im schönen Schloss und der heilen Welt in der DDR. Und endet in Namibia, einem Land, das noch gar nicht so richtig existiert. In einer Heimat, in der sie fremd sind. Ein kleines Happy End gibt es aber doch noch: Die drei Mädchen, die drei Töchter, wenden sich an ihre Eltern: „Danke Mama, ich bin so stolz auf dich. Du bist so eine starke Frau.“
Das Ensemble tritt nochmals Samstag (10.9.) um 19 Uhr im Nationaltheater auf. Der Eintritt beträgt 50 N$. Karten sind im Nationaltheater, Warehouse Theatre, dem Biltong Shop in der Maerua Mall sowie im Internet (eventstoday.com.na) erhältlich.
Die Geschichte der DDR-Kinder ist vor allem eine Geschichte von Entwurzelung und erzählt vom Spagat zwischen zwei Kulturen und Lebensformen. Dabei ist man als Zuschauer ganz nah dran. Durch die Form des Theaters als Doku-Drama kann man sich gut vorstellen, wie das Leben im Schloss in Bellin gewesen sein muss: Morgenapelle, strenge sozialistische Erzieherinnen, Ertüchtigung, Musikerziehung und Ausbildung an der Waffe. Aber auch ein deutsches Weihnachtsfest, viele Freunde fürs Leben und jede Menge Spaß. Alle wichtigen Themen – die Sehnsucht nach den Eltern, Gewalt im Heim, latenter Rassismus der Ausbilder, aber auch glückliche Momente – werden dargestellt. Das Leben im Schloss in Deutschland war schön und hässlich. Lustig und traurig. 400 Kinder isoliert in einer sozialistischen Seifenblase.
Das Stück als Doku-Theater
Das Stück versucht dabei nicht zu werten oder zu interpretieren. Keine Emotionen zwanghaft zu spielen. Die Macher arbeiten vor allem mit Original-Zeitungsartikeln und Interviews mit DDR-Kindern und Erziehern, die der Zuschauer hören kann, oder die mit Hilfe von Kopfhörern durch die Schauspieler nachgesprochen werden. Die Schauspieler wollen sich nicht um jeden Preis in die DDR-Kinder einfühlen, weil es eben nicht ihre Geschichte ist, die sie hier erzählen. Sondern die Geschichte der „Kinder“, die jetzt gerade im Publikum sitzen.
So ist das Doku-Theater eher distanziert und versucht nur zu berichten. Nicht zu werten. „Das musste ich am Anfang noch lernen. Ich war zunächst zu sentimental“, sagt Sandy Rudd, die das Stück gemeinsam mit Gernot Grünwald aus Deutschland geschrieben und inszeniert hat. Für sie war es das erste Mal, ein Stück so dokumentarisch aufzuziehen. Diese Art von Theater ist noch relativ jung. „Aber ich wollte diese Form mal ausprobieren. Ich hatte davor noch nie eine historische Geschichte im Theater erzählt“, so Rudd. „Es war eine neue Herausforderung.“
An das Thema hat sich die Regisseurin, die sich in Namibia einen Namen als Theaterproduzentin gemacht hat, viele Jahre nicht rangetraut. „Die Geschichte der DDR-Kinder ist für viele eine traurige. Ohne Happy End“, sagt Rudd. „Das möchte ich eigentlich nicht im Theater zeigen. Die Menschen sollen glücklich sein, wenn sie aus dem Theater kommen. Ich will kein Opfer-Theater machen. Das Leben ist doch schön.“
Und obwohl die Geschichte an sich so traurig ist, und so gar nicht glücklich, schaffen die Macher und die Schauspieler es immer wieder, schöne und glückliche Gefühle in den Zuschauern auszulösen. Wenn die Kinder durch den Schnee springen. Oder von der vielen Schokolade an Weihnachten erzählen. Oder von ihrem Bach direkt am Schloss, den Kaninchen und den tollen Kronleuchtern.
Verblüffend ist in jeder Szene die perfekte Symbiose aus namibischen und deutschen Schauspielern. Aus Laien und Profis. Aus Kindern und Erwachsenen. Das Theaterstück ist nämlich eine namibisch-deutsche Co-Produktion des College of Arts Windhoek und des Emma-Theaters Osnabrück, wo es bereits erfolgreich aufgeführt wurde.
Wie alles begann
Anja Deu, die deutsche Projektleitung, sendet aus Deutschland eine E-Mail an Sandy Rudd. Deu war vor zwölf Jahren in Namibia und hatte sich in das Land verliebt. Hier entdeckte sie auch das Buch „Homecoming“ und war sofort gefesselt von der Geschichte und den Schicksalen der DDR-Kinder. Auch Rudd dachte schon länger über diese Geschichte nach: „Es hat mich schon immer interessiert. Aber so richtig habe ich mich nie rangetraut.“ Dazu brauchte es erst Anja Deu vom Theater in Osnabrück. „Anja kam 2012 nach Windhoek. Und schnell war die Idee geboren.“
Bis zur ersten Aufführung in Deutschland vergingen weitere vier Jahre. Das Team ließ sich viel Zeit für die Recherche. Monica Nambelela, selbst DDR-Kind, hilft, andere DDR-Kinder ausfindig zu machen und organisiert Interviews für die Recherche. „Für sie war das kein leichter Prozess“, erzählt Rudd. „Deshalb hat es auch ein paar Jahre gebraucht, bis wir dieses Projekt verwirklichen konnten. Die Erlebnisse sind einfach noch zu nah.“ So ist das Stück nicht nur Kunst, nicht nur Aufarbeitung, sondern auch ein seelischer Heilungsprozess für Zeitzeugen und Angehörige. Auf Augenhöhe.
400 einzelne Schicksale
Der Hauptteil des Stückes spielt in Deutschland und zeigt den Alltag der Kinder: Waffenübungen. Morgenapelle. Vorbereitung auf die alte Heimat Namibia. Drill und SWAPO-Rufe. Auch deutsche Lieder gehörten zum Tagesablauf. Die Ankunft und die Zeit in Namibia werden jedoch viel kürzer gezeigt. Warum? „Ich hätte nicht gewusst, welche Geschichte ich hier hätte erzählen sollen. Welches der 400 Schicksale“, so Rudd. „Es lief für alle so unterschiedlich nach der Zeit in der DDR. Ich hätte nicht ein Schicksal rausgreifen wollen.“ Im Programmheft heißt es dazu: „Es ist mehr als eine Geschichte, und diese können nicht erzählt werden, nicht alle. Nicht 400 unterschiedliche Lebenswege, Wahrnehmungen, Erfahrungen. Nicht ohne zu selektieren und damit den einen eine Stimme zu geben und den anderen nicht, nicht ohne zu verallgemeinern und damit dem Einzelnen nicht gerecht zu werden. Nicht ohne aus Individuen erneut ein Kollektiv zu machen, das sie nicht mehr sind.“
Die Geschichte hört also auf, als die Kinder in Namibia ankommen. Einige werden von ihren Eltern abgeholt, viele haben gar keine Eltern mehr und wiederum andere finden ihre Eltern nicht. Und die Gefühle und Fragen der Kinder kommen beim Zuschauer an. Auch ohne Einzelschicksale. Auch ohne emotionale Dialoge. Da reicht es, wenn Sabrina, Shakira und Gia am Ende auf der Bühne stehen, als Kinder der DDR-Kinder, ihre Eltern teilweise im Publikum, und sie die Geschichte nicht spielen müssen. Sie sind Teil der Geschichte. Sie erleben die Kindheit ihrer Eltern nach. Am Ende wird dem Zuschauer klar: Die DDR-Kinder kamen als kleine Kinder aus einem Land, dass es so heute nicht mehr gibt. Sie wuchsen in einem Land auf, dass es heute nicht mehr gibt. Sie sollen zu sozialistischen Pionieren ausgebildet werden. Mit einer Ideologie also, die ihnen hier nichts gebracht hat. Sie wurden als Funktionäre auf eine Zukunft vorbereitet, die nie eintrat. Das Stück zeigt, wie gnadenlos brutal das Leben sein kann und wie machtlos wir in dieser großen Welt sein können.
Das Stück ist wie ein Disney Film. Nur umgekehrt. Es beginnt im schönen Schloss und der heilen Welt in der DDR. Und endet in Namibia, einem Land, das noch gar nicht so richtig existiert. In einer Heimat, in der sie fremd sind. Ein kleines Happy End gibt es aber doch noch: Die drei Mädchen, die drei Töchter, wenden sich an ihre Eltern: „Danke Mama, ich bin so stolz auf dich. Du bist so eine starke Frau.“
Das Ensemble tritt nochmals Samstag (10.9.) um 19 Uhr im Nationaltheater auf. Der Eintritt beträgt 50 N$. Karten sind im Nationaltheater, Warehouse Theatre, dem Biltong Shop in der Maerua Mall sowie im Internet (eventstoday.com.na) erhältlich.
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Allgemeine Zeitung
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