Die großen Zusammenhänge beachten
Betr.: „Zwei Sonderbeauftragte / Deutsch-namibischer Kolonialdialog formalisiert“ (AZ, 5. Novemer 2015)
Berlin hat nun einen Verhandlungsführer für die Aufarbeitung der brutalen deutschen Kolonialgeschichte in Namibia ernannt. CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz soll die Gespräche über den Völkermord an den Herero leiten. Ich würde mich darüber freuen, wenn die Verhandlungspartner den Blick auf die großen Zusammenhänge würdigen und nicht nur den (verständlichen, aber kurzsichtigen) Reflex auf rein monetäre Wiedergutmachung sähen.
Wer den sozialen Sprengstoff in einer zu einseitigen Vereinbarung erkennt, wird einerseits einsehen, dass die ehemalige Maximalforderung von vier Milliarden US-Dollar für eine derart kleine Volksgruppe im Land zu einer erheblichen sozialen Verwerfung durch die immense Macht dieser Kaufkraft führen würde, deren Auswirkungen die ganze namibische Gesellschaft gefährden könnte. Die Herero einfach mit einer unermesslichen Menge an Geld plötzlich zu der dominanten Volksgruppe im Land zu machen, würde bedeuten, dass auch alte, noch vor der Kolonialisierung entstandene Ängste vor den Herero selbst wieder aufkeimen könnten, haben doch die Herero vor der Besetzung durch das Deutsche Kaiserreich die Nama und die San bekanntlich als Arbeits-Untertanen gehalten bzw. zur Arbeit auf ihren Farmen gezwungen. Wie sollte da eine gerechte Wiedergutmachung aussehen, wenn dies innernamibisch nicht zu klären wäre? Wie würde eine post-koloniale Gesellschaft an der Schwelle zum Informationszeitalter mit solchen Spannungen dann umgehen?
Wer die andere Seite, die völlige Ablehnung jeder materiellen Wiedergutmachung, von sich weist, wird hingegen nicht der historischen Tatsache gerecht, dass die Herero bereits eine sehr erfolgreiche Volksgruppe gewesen sind (unter Berücksichtigung ihrer Vertreibung bzw. Unterwerfung schwächerer Ethnien im Land), so dass ihrem Selbstwertgefühl und dem erlittenen Verlust an Menschenleben natürlich weiterer Schaden zugefügt würde, käme man in den Verhandlungen letztlich nur auf eine symbolische Wiedergutmachung in der Art der Errichtung eines Museums oder einer Gedenkstätte zur Völkerverständigung, ohne die Möglichkeit, Land zurück zu erhalten, das ihnen geraubt wurde.
Allerdings, und so komme ich auf eine dialektische Apologie der Ablehnung jeder einseitigen, auf Leugnung deutscher Verantwortung für den letztlichen Todesmarsch der Herero in die Wüste auf der Flucht vor der Schutztruppe oder einer auf völkische Überforderung deutscher Streuzahler abzielenden Betrachtung, ist es doch unübersehbar, dass Namibia immer noch, auch 25 Jahre nach seiner Unabhängigkeit, vor immensen Herausforderungen steht.
Neben der immer noch hohen Trockenheit, die ohne Meerwasserentsalzungsanlagen auf Dauer nicht zu ändern sein wird, und einem immer noch unterentwickelten Bildungssystem fehlt der namibischen Wirtschaft vor allem bodenständiges, nicht akademisches Know-how im Bereich Landwirtschaft und Bildung sowie den Menschen auf dem Land und in den informellen Wohnvierteln der Städte die Möglichkeit, sich selbst zu ernähren und mit Kleinunternehmen Wertschöpfung zu erwirtschaften. Die Bemühungen der SWAPO-Regierung, den akademischen Überbau zu fördern, haben in den Jahren nach der Unabhängigkeit nicht zur gewünschten Beseitigung der Verarmung geführt, sondern eher zur Bereicherung einer neuen schwarzen Elite. Die immer noch hohe Aids-Rate führt außerdem zu enorm vielen Problemen, auch wenn die Medikamente frei verfügbar sind, schon weil viele Patienten nicht genug zu essen haben, um eine Behandlung zu verkraften. Fehlende Infrastruktur tut ihr Übriges und hier finden wir angemessene Ansatzpunkte, um sowohl den Herero, als auch dem ganzen Land zu helfen. Und zwar ohne eine Volksgruppe nun massiv und nur finanziell zu stärken und somit neue Unruhen im Land zu provozieren.
Wer die bisher 800 Millionen Euro Entwicklungshilfe allerdings bereits als sehr großzügig bemisst, möge sich bitte kurz verdeutlichen, wie sich diese Summe auf 25 Jahre und zwei Millionen Menschen verteilt (es sind genau 16 Euro pro Kopf und Jahr).
Eine Lösung könnte also im Sinne aller Beteiligten in der Förderung der Herero, der Nama und der San auf mikroökonomischer Ebene liegen, und zwar mit der Neuausrichtung einer dringend nötigen Lehrerfortbildung bzw. Berufsausbildung für diese Volksgruppen, zusammen mit bevorzugtem Resettlement für die dann gut ausgebildeten, zur Selbstversorgung in der modernen Land- und Viehwirtschaft fähigen Herero, gerne auch mit Anschubfinanzierung durch Viehzukauf, aber eben auch für die San und die Nama in Kombination mit staatlicher, allgemein wirkender Hilfe für eine große Meerwasser-Entsalzungsanlage und mehreren Solarkraftwerken für das ganze Land.
Nur eine Lösung, die sowohl die berechtigen Ohnmachtsgefühle der Herero mit ihrer Wahrnehmung als Verlierer der Geschichte, und ihrer einstigen Vormachtstellung beraubt zu sein, gerecht wird, und die erkennt, dass die Herero nach ihrer weitgehenden Ausrottung durch die Deutschen (ob nun doch Freitod oder Waffengewalt spielt heute keine Rolle mehr) heute im gesellschaftlichen Gefüge Namibias „unter“ der Dominanz des Ovambo-Volkes leben, anstatt diesen mit entsprechender Dominanz zumindest auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene gleichauf begegnen zu können, und nur eine Lösung, die auch der Völker gerecht wird, mit denen die Herero wiederum selbst in einer, wenn auch lange nicht so leidvollen Geschichte wie mit Deutschland verbunden sind, kann die Narben der Vergangenheit heilen lassen und die Zukunft für ganz Namibia fördern, anstatt neue Saat für Unruhen und weiteren Hass zu säen.
Wie eine weitere Umverteilung von ehemals besetztem Land zugunsten der Herero aussehen könnte, kann letztlich nur die namibische Regierung entscheiden. Wir müssen jedoch auch anerkennen, dass diese Regierungsmehrheit eben auch nicht die Population der Herero abbildet, wie sie sich ohne den Genozid natürlich entwickelt hätte. Und wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass hier weitere Abwägungen, zumindest für informelle Gespräche durch die Verhandlungsführung, mit den Herero geboten erscheinen. Dass diese Forderungen nach Land für ein Hirtenvolk nur natürlich erscheinen, liegt jedoch ebenso auf der Hand wie die Erkenntnis, dass eine moderne Gesellschaft eben nicht nur von Weideland lebt und das sehr viel fruchtbares Land bereits nicht mehr im Besitz deutscher Farmer, sondern in staatlicher, in der Hand der SWAPO-Regierung liegt.
Kurz gesagt: Wer den Herero das fruchtbare Ovamboland der SWAPO-Elite übereignen wollte und dazu eine paar tausend Geländewagen und ein paar Millionen Ziegen und Rinder, der könnte auch gleich Waffen liefern. Und wer nur ein paar neue Schulgebäude bauen mag und Symbolpolitik mit Gedenkstätten und Schulbuch-Lieferungen im Auge hat, der wird den Zorn der Herero noch ewig als Stachel im Fleisch einer aufstrebenden, im Grund so friedfertigen Nation wie Namibia erfahren.
Atman Wiska, Berlin
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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