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Die Landfrage in Namibia: Ein Vulkan vor dem Ausbruch?

Ein Gespenst geht um: Deutschen Familien droht die Vertreibung von ihrer Scholle. Nein, nicht im Osten der Republik. Die Rede ist vom Süden Afrikas. Über "Kriegstrommeln in Südwest" berichtete das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" (Nr. 28/2004) zur Jahresmitte in einem alarmierenden mehrseitigen Artikel. Dessen Inhalt war ebenso tendenziös entstellend wie es der marktschreierische, latent rassistische, Titel bereits signalisiert. Er weckt Assoziationen an die "Eingeborenen auf dem Kriegspfad" zu Zeiten "Deutsch-Südwestafrikas", die sich vor einhundert Jahren gegen die Landnahme mit Waffengewalt zu wehren versuchten. Dieser antikoloniale Widerstand der Herero, dem sich kurz danach die Nama (im Kolonialjargon "Hottentotten") anschlossen, resultierte zwischen 1904 und 1907 in deren systematischer Unterwerfung. Sie nahm eine physische Vernichtung durch die deutschen "Schutztruppen" billigend (wenn nicht gar gezielt) in Kauf. Die Kriegsführung machte auch nicht vor den Damara ("Klippkaffern") und San ("Buschmännern") Halt.



Wieczorek-Zeuls Bekenntnis



Nach heutigen Maßstäben kann dies ohne Polemik als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts qualifiziert werden. Die Landfrage, um die es derzeit noch immer geht, ist insbesondere auch ein direktes Ergebnis dieser Phase und der darauffolgenden Ära unter der südafrikanischen Apartheid. Sie vermochte nahtlos an die rassistische Fremdherrschaft durch das deutsche Kaiserreich anzuknüpfen und die "getrennte Entwicklung" (wie die Apartheid euphemistisch umschrieben wurde) noch tiefer zu verfestigen. Als Folge müssen nun die Farmbesitzer europäischer Herkunft um ihr Eigentum bangen, das sie auch dem begangenen historischen Unrecht - und sei es auch in vielen Fällen nur noch indirekt - verdanken.

Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul stellte sich dem Vermächtnis des Völkermords, das die deutsch-namibischen Beziehungen mit prägt. Anlass war eine Gedenkfeier am Waterberg im Landeszentrum Namibias am 14. August. (vgl. auch Bericht in Zeitschrift Entwicklungspolitik 17-04) Sie erinnerte an die hundertjährige Wiederkehr einer militärischen Schlacht, in deren Folge der damalige Oberbefehlshaber der deutschen Truppen am 2. Oktober 1904 einen Vernichtungsbefehl erließ. "Vor hundert Jahren wurden die Unterdrücker - verblendet vom kolonialen Wahn - in deutschem Namen zu Sendboten von Gewalt, Diskriminierung, Rassismus und Vernichtung", resümierte die BMZ-Ministerin in ihrer eindringlichen Rede. "Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben." Eine Schuld, die ohne eine Umverteilung ererbter Besitzstände keinesfalls so ohne weiteres getilgt werden kann.

Mit dem kontrollierten Wandel zur staatlichen Souveränität der Republik Namibia 1989/90, die der Unabhängigkeitserklärung am 21. März 1990 unter der demokratisch gewählten Regierung der ehemaligen Befreiungsbewegung SWAPO of Namibia voraus ging, wurde der Status Quo verfassungsrechtlich verankert. Nicht nur wurden vom unabhängigen Staat die Beamten der (keinesfalls guten) alten Zeit übernommen, auch die Besitzverhältnisse blieben unangetastet. Eine entschädigungslose Enteignung schließt die Verfassung in einer parlamentarisch nicht abänderbaren Klausel ausdrücklich aus. Allerdings wird der Transfer an Land bei entsprechender Kompensation ausdrücklich als verfassungskonformes und legitimes Mittel für die Neugestaltung der gesellschaftlichen (Besitz-)Verhältnisse durch den Staat gebilligt. Dass davon in den ersten zwölf Jahren nachkolonialer Elitenbildung keinesfalls gezielt im Interesse der Bevölkerungsmehrheit Gebrauch gemacht wurde, ist eine andere Geschichte. Sie begründet sich wohl in erster Linie aus den Klasseninteressen der neuen politischen Elite und deren Klientel.



Versäumnisse der Regierung



Zyniker frotzelten bereits zu Mitte der 1990er Jahre, dass die Landreform bereits vollzogen sei, da sich die meisten Kabinettsangehörigen schon die Privatfarm gesichert hätten. Für die überwältigende Mehrheit der einstmals Kolonisierten änderte sich dadurch herzlich wenig an ihren armseligen Lebensbedingungen. Schon gar nicht was den Zugang zu Land betrifft. Im Gegenteil: Rasanter als zuvor entwickeln sich seit der Unabhängigkeit in den kommunalen Gebieten (ehemalige "Reservate", in denen die schwarze Bevölkerung nach der kolonialen Landbesitznahme siedeln musste) die Tendenzen privilegierter lokaler Minderheiten, sich auf Kosten des Gemeinwohls am eigentlichen Kollektivbesitz zu bereichern. Da wird Weideland eingezäunt und der Zugang zu Bohrlöchern mit dem kostbaren Wasser reguliert. Dies kommt nicht nur Privatisierungstendenzen zugute, sondern fördert auch die Herausbildung einer kleinen aber mächtigen Gruppe wohlhabender Farmer in diesen bisher kleinbäuerlichen Gebieten, die durchaus nach höchst kommerziellen Gesichtspunkten wirtschaften. Diese Nutznießer sind oft mit der Clique traditioneller Führer und Repräsentanten des politischen Systems der Zentralregierung identisch oder zumindest eng verbandelt und ziehen den individuellen Vorteil aus der neuen Freiheit.

Dabei hatte bereits 1991 eine vom Büro des Premierministers durchgeführte nationale Landkonferenz unter Beteiligung zahlreicher Vertreter unterschiedlichster Gruppeninteressen das brisante Thema der Landreform gerade auch im Sinne der umfassenderen Landnutzung unter Einschluss der Kommunalgebiete in sehr differenzierter Weise diskutiert. Patentlösungen kamen dabei nicht heraus, aber zahlreiche handlungsweisende Empfehlungen, die so gut wie nicht umgesetzt wurden. Sie schlossen u.a. das Verbot der tendenziellen Privatisierung von Weide und Wasser in den Kommunalgebieten ausdrücklich mit ein. Dessen ungeachtet verschloss die Regierung beide Augen vor diesem Prozess, dessen (Selbst-)Bereicherung einer Minderheit gleichzeitig die weitere Verarmung und Marginalisierung der Mehrheit in den ländlichen Gebieten förderte und damit letztlich weitere Forderungen nach Umverteilung kommerziellen genutzten Landes im Privatbesitz provozierte.

Bis Mitte der 1990er Jahre hatte die Regierung durch das eigens geschaffene Ministerium für Land, Umsiedlung und Rehabilitierung erst etwa 100000 Hektar Farmland erworben. Angesichts der - je nach Lage - durchschnittlichen Betriebsgröße von mehreren tausend bis mehreren zehntausend Hektar entspricht dies gerade Mal einer Handvoll landwirtschaftlich halbwegs tragfähiger Betriebe. Nach einem Jahrzehnt Unabhängigkeit waren es 54 Farmen mit einer Gesamtfläche von 341000 Hektar. Über Jahre hinweg verwendete das Ministerium nur einen Bruchteil des Budgets, das aus dem Staatshaushalt für den Ankauf privaten Farmlands bereit gestellt wurde. Dies erklärte sich keinesfalls aus einem mangelnden Angebot. Bis zum Jahre 2001 machte die Regierung bei 13 Prozent, also 97 der 759 kommerziellen Landwirtschaftsbetriebe, die zum Kauf auf dem freien Markt angeboten waren, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass sich der Nicht-Erwerb der anderen Farmen daraus begründet, dass sie wirtschaftlich ungeeignet waren, lässt sich dies doch nur als eine Bestätigung der These werten, dass eine Landreform in Namibia unter Gesichtspunkten der ökonomischen Rentabilität keinesfalls sinnvoll scheint.



Begrenztes Potenzial



Tatsächlich eignen sich nur etwa acht Prozent der Gesamtfläche Namibias zum Anbau landwirtschaftlicher Produkte dank eines jährlichen durchschnittlichen Niederschlags von über 500 mm. Zwei Drittel des Landes gelten als semi-arid und etwa ein Viertel als arid. 43 Prozent der Landfläche entfallen auf kommunales Land, das wie schon erwähnt der Schauplatz rasanter Klassenbildungsprozesse ist. Dieses liegt zu großen Teilen auch in den regenreicheren nördlichen Gebieten, die in klimatischen Durchschnittsjahren den Anbau von Feldfrüchten (insbesondere Hirse) erlauben. Weite Randbereiche der kommunalen Ländereien sind bislang infrastrukturell noch nicht erschlossen. Bohrlöcher und Wegebau würden die Nutzung dieser Gebiete und damit die Existenzsicherung von Menschen erlauben, die sich derzeit keinesfalls immer erfolgreich ums tägliche Brot mühen.

Das kommerzielle Farmland im Privatbesitz von weniger als 5000 (überwiegend noch immer weißen und häufig deutschstämmigen) Eignern umfasst etwa 44 Prozent der Landfläche in den zentralen und südlichen Landesteilen der ehemaligen "Polizeizone" (die unter der deutschen Kolonialherrschaft die Sphäre direkter Kolonialherrschaft umgrenzte, innerhalb derer sich die Landvertreibung vollzog). Etwa 60 Prozent davon erhält eine durchschnittliche Niederschlagsmenge von weniger als 300 mm jährlich. Dementsprechend gering sind die Erträge, umso extensiver die Nutzung. Haupteinnahmequellen sind die Groß- und Kleinviehhaltung, in jüngerer Zeit auch die Diversifizierung durch Jagdfarmen und andere Formen des (Fernreise-)Tourismus. In solch trockener Umgebung, schlussfolgerte der Bericht menschlicher Entwicklung für Namibia des örtlichen Büros des United Nations Development Programme (UNDP) für 1998, spielt in wirtschaftlicher Hinsicht die Besitzfrage eine weit geringere Rolle als in anderen Ländern. Der Beitrag der kommerziellen Landwirtschaft zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) wurde von demselben Bericht so auch nur auf etwa acht Prozent veranschlagt.

Dieser nüchterne aber irreführend einseitige volkswirtschaftliche Indikator täuscht darüber hinweg, dass die Mehrheit der Bevölkerung direkt von der Landnutzung betroffen ist. Zwei Drittel der Einwohner Namibias werden durch Farmarbeit oder die Existenz in den kommunalen Gebieten hauptsächlich vom Land ernährt. Drei Viertel sind nach Schätzung von UNDP zumindest teilweise davon abhängig. Trotzdem gibt sich die vom Kabinett 1998 verabschiedete offizielle Strategie zur Verminderung von Armut als amtliches programmatisches Dokument keiner Illusion hin: In ihr kommt ebenso wie im offiziellen Programm zur Armutsverringerung für die Periode 2001 bis 2005 die Landreform als Mittel zur Armutsreduzierung nicht vor.

Privater Landbesitz wird in der Vorstellung der Menschen in Namibia mit Reichtum assoziiert. Auch wenn dies in vielen Fällen einer reellen Grundlage entbehrt, kommt einer solchen (Fehl-)Wahrnehmung die Macht des Faktischen zu. Natürlich gibt es (relativ wenige) stinkreiche Großgrundbesitzer, die nach wie vor die Hautfarbe der einstigen Unterdrücker haben (und einige davon benehmen sich noch ebenso sozial unverträglich wie zu Apartheid-Zeiten). Die Mehrheit der kommerziellen Farmer hingegen erwirtschaftet für den Betrieb gerade mal das Minimum, um sich über Wasser zu halten bzw. (eigentlich) um sich über die nächste Trockenzeit zu retten (was auch nicht immer gelingt). Da es den meisten Kleinfarmern in den Kommunalgebieten trotzdem erheblich schlechter geht, macht das den Status der kommerziellen Farmer aus deren Perspektive nicht weniger attraktiv.

Die Landumverteilung und -nutzung der vergangenen Jahre lässt jedoch erkennen, dass die bisherige Reform keinesfalls wirtschaftlich tragfähige neue Grundlagen zur Existenzgründung befördert hat. Statt dessen betitelte unlängst die empirisch fundierte Studie des lokalen "Institute for Public Policy Research" (IPPR) die Farmerei als Hobby reicher Leute. Die Farm fürs Wochenende ist eher als Wahl des "life style" in Hinsicht auf den Sozialstatus der Angehörigen einer neuen Elite von Bedeutung denn als einkommensschaffende Erwerbsmöglichkeit. Sie ist kein Zubrot, sondern ein Zuschussbetrieb.



Eine Verletzung der Seele



Ungeachtet der ökonomischen Realität geht es aber in (tiefen-)psychologischer Hinsicht bei der Politik mit Land (die keinesfalls identisch ist mit einer systematischen Landpolitik) noch um etwas gänzlich anderes. Denn so lange große Teile Namibias nach wie vor von überwiegend weißen Grundbesitzern besiedelt bleiben, ist die koloniale Hypothek lebendig, und bleibt die Erinnerung an unerledigte Geschichte virulent.

Der frühere stellvertretende Parlamentspräsident Zephania Kameeta, der aus der (SWAPO-)Politik in sein Pfarramt zurück kehrte und 2001 zum Bischof der Evangelisch Lutherischen Rheinischen Kirche Namibias gewählt wurde, zeugt in seinen emotionalen Appellen von dieser Sichtweise. Auf einem Seminar der Rheinischen Mission in Wuppertal stellte er 2001 fest, dass die Vertreibung seiner Vorfahren vom Land deren physische wie psychische Zerstörung bedeutete. Die Verletzung der Landrechte, so Kameeta, verletzt die Seele der Menschen. Die Wiederherstellung des Landbesitzes dagegen ist die Wiederauferstehung der Seele des Volkes. - Ungeachtet der zwiespältigen Konnotationen, die diese symbol- und bildhafte Sprache in Analogie zum Bild des "edlen Wilden" unter Berufung auf vergangene Zeiten wecken mag, appelliert sie an das Innerste. Sie weckt nachvollziehbare Bedürfnisse und Begehrlichkeiten, die mit Würde und Stolz, Selbstrespekt, Wiederherstellung von eigener Geschichte und Wiedergutmachung begangenen Unrechts zu tun haben.

Dagegen hilft keinerlei sozialökonomisch argumentierende Rationalität. Auch nicht die durchaus zutreffende Analyse in punkto neuer, mehr oder weniger offener Klassenbildungsprozesse in den ländlichen Gebieten sowie der damit einhergehenden missbräuchlichen Verwendung des Topos Land für die politische Manipulierung öffentlicher Meinung und die Verkleisterung der sozialen Widersprüche nachkolonialer Elitenbildung, die sich weiterhin auf Kosten der Deklassierten vollzieht. Dass es diese relativ gezielte Instrumentalisierung gibt, ist auch deren Wirkung zu verdanken - sie funktioniert. So hilft es nicht, die zweifelhafte Handlungsmaxime der politisch Verantwortlichen zu hinterfragen, solange dies als Versuch der Besitzstandwahrung einer bestehende Ungleichverteilung des Eigentums an Land ausgelegt werden kann.

Einer der pseudo-radikalen Wortführer, die sich der Landfrage als dankbarer Projektionsfläche zur Durchsetzung eigener Profilierung zum Zwecke der persönlichen Machtinteressen bedienen, ist Uazuva Kaumbi vom örtlichen Panafrikanischen Zentrum (zugleich Vorsitzender des Aufsichtsrats der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt NBC). Er erklärte unlängst an die Adresse der weißen Namibier und deren Sympathisanten gerichtet, dass die Versicherungspolice für Frieden und Stabilität teuer sei und Opfer erbracht werden müssten: Sie hätten zwar die Wahl, aber "das Land ist unser".



Komplizierte Rechtsansprüche



Allerdings bedarf dieser Anspruch der genaueren Prüfung. Letztlich waren es nämlich die in der von den deutschen Kolonisatoren proklamierten "Polizeizone" lebenden Bevölkerungsgruppen, die vom Land vertrieben wurden. Die heutige Mehrheit Namibias hingegen stammt aus den nördlichen und nordöstlichen Gebieten jenseits dieser räumlich eingegrenzten und strikt kontrollierten Sphäre direkter Kolonialherrschaft. Die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus dem früheren Ovamboland war von einer Landnahme nie direkt betroffen. Ihren Angehörigen wurde einzig die Konkurrenz um das Land versagt. Bei den dort Sesshaften wurde zwar das Kolonialsystem keinesfalls weniger drastisch spürbar.

Ansprüche auf die Rückführung von Land können hingegen allenfalls die Herero und Nama, Damara und San als Folge der deutschen Vertreibung geltend machen. - Wobei in einem weiteren Schritt eingeräumt werden muss, dass sich auch die Herero und Nama als frühkoloniale Eindringlinge gegenüber den anderen beiden Gruppen gebärdeten und letztlich von diesen zur historischen Verantwortung gezogen werden könnten. - Der Aphorismus, wonach Hochverrat eine Frage des Datums sei, lässt sich im Falle Namibias auch auf das Heimatrecht anwenden.

Dies war ein entscheidender Grund, weshalb die Landkonferenz 1991 von einer Anerkennung von offiziellen Ansprüchen auf Rückgabe von Land absah. Damit ist jedoch der relativ willkürlichen Landzuteilung unbenommen historischer Ungerechtigkeiten letztlich Tür und Tor geöffnet. So werden die aus den nördlichen Landesteilen stammenden Nutznießer der gegenwärtigen Umsiedlungs- und Transfermaßnahmen nicht nur von den sich unmittelbar bedroht fühlenden weißen Farmern mit Misstrauen beäugt. Auch unter denjenigen, die sich als Nachkommen der unmittelbar Betroffenen definieren können, stößt dies auf wenig Zustimmung.



Deutscher Beitrag zur Landreform



So missplatziert das Gleichnis von den "Kriegstrommeln in Südwest" ist, entbehrt es angesichts der einseitig populistischen Polemik mit zweifelhafter Orientierung der Interessen auf eine Stärkung der neuen Elite als Rückgrat der Befreiungsbewegung an der Macht doch zugleich nicht einer gewissen Grundlage. Nur wird mit dieser ähnlich demagogischen (Gegen-)Ideologie der Lösung des Problems kein Deut näher gekommen. Die Einschätzung der Ministerin des BMZ ist da erheblich konstruktiver, zumal sie über die eher blamable Vagheit der Entschließung des deutschen Bundestags im Juni weit hinaus geht (vgl. Zeitschrift Entwicklungspolitik 13-04). So erklärte die Ministerin im August am Waterberg: "Nach vorne schauend will und wird Deutschland Namibia weiter dabei unterstützen, die Entwicklungsherausforderungen anzugehen, das gilt vor allem für die Unterstützung bei der notwendigen Landreform." Dazu ist es auch allerhöchste Zeit, denn allzu viel davon dürfte nicht mehr bleiben.

Die im kommenden Jahr bevorstehenden neuerlichen bilateralen Verhandlungen zwischen dem deutschen Geber- und dem namibischen Empfängerland könnten eine passende Gelegenheit bieten, den Worten die Taten folgen zu lassen. Teile der durchaus beträchtlichen entwicklungspolitischen Zuwendungen, die ausdrücklich auch als Form indirektrer Kompensationsleistung für die "besondere historische Verantwortung" Deutschlands gegenüber Namibias verstanden werden (denn ein Schuldeingeständnis hat sich die deutsche Regierung bislang versagt), sollten gezielt zur Lösung der Herausforderung des ungleichen Landbesitzes beitragen - ohne zugleich die neuen nachkolonialen Eliten zu begünstigen.

Das ließe sich dadurch bewerkstelligen, dass ein erheblicher Teil deutscher Zuwendungen von einer technischen Kommission für den Ankauf von Farmland, die Ansiedlung landloser Familien und den Transfer von Nutzungsrechten auch auf Farmarbeiterfamilien sowie für gezielte Ausbildungs- und Fördermaßnahmen der neuen Nutznießer verwendet würde. Dabei sollte es - ganz im Sinne der offiziellen Politik einer "affirmative action" (also gezielten Maßnahmen zur Wiedergutmachung für die Konsequenzen früherer Benachteiligung) - eine besondere Zielgruppe in Form der Nachkommen der damals zuvorderst betroffenen Bevölkerungsgruppen der Herero, Nama, Damara und San geben. Wenn dies in beiderseitigem Einverständnis der Regierungen Namibias und Deutschlands als substantieller Bestandteil entwicklungspolitischer Zusammenarbeit praktiziert werden könnte, trüge dies zur Glaubwürdigkeit der Partner und zu einem aufrichtigen Prozess des "nation building" bei, anstatt innernamibische Rivalitäten und Konkurrenz zu schüren.

Letztlich ist Ben Cousins zuzustimmen, der als langjähriger Leiter des Programms für Land- und Agrarstudien (PLAAS) der Universität des westlichen Kaplands fundierte Kenntnisse und sensible Einsichten besitzt. In einem Aufsatz über die Lehren der verheerenden Krise in Zimbabwe wies er darauf hin, dass sich die krassen gesellschaftlichen Ungleichheiten in den Agrarökonomien der Gesellschaften des Südlichen Afrika nicht ignorieren lassen. Sie bleiben eine eiternde Wunde im Körper der nachkolonialen Befreiungspolitik. Dies gilt, obgleich in wirtschaftspolitischer und sozialökonomischer Hinsicht die Zukunft letztlich nicht auf dem Lande liegt. Nachkoloniale Eliten sollten sich auch deshalb nicht dazu verführen lassen, sich die Landfrage aufgrund kurzfristiger Eigeninteressen manipulativ zueigen zu machen. Eine radikale Operation mag zwar nötig sein, so Cousins, aber - wie Simbabwe so abschreckend dramatisch vor Augen führt - das Leben des Patienten sollte dabei nicht auf der Strecke bleiben.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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