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Die merkwürdige Biographie des mehrsprachigen Südwesters Hermann Deetlefs

Eberhard Hofmann
Der Untertitel des Buches „Boertjie“ besagt: „Ein Blick in sein Leben, seine Zeit in Südwestafrika/Namibia und ein tiefer Blick in seine zahlreichen Tagebücher.“ Boertjie war der Spitzname von Hermann Martin George Deetlefs, geb. in Namibia 1919. Er liegt in Swakopmund begraben. Das Sterbedatum ist in der vorliegenden Biographie, die sein Sohn Hannes Deetlefs in den drei Sprachen Afrikaans, Deutsch und Englisch jeweils in einem getrennten Band verfasst hat, mit 15. Mai 1982 angegeben. Anfang der siebziger Jahre haben sowohl Vater Hermann, die Mutter Elisabeth, als auch Sohn Hannes an Swakopmunder Schulen gewirkt. Deetlefs Senior war Schulleiter der Grundschule an der alten Landungsbrücke, heute Namib Primary School, sowie der angegliederten ehemaligen Kaserne, die von Eisenbahnern und Bauleuten der ersten Eisenbahnstrecken um 1900 gebaut und bewohnt war, deren Räume später als Klassenzimmer genutzt wurden.

Hannes Deetlefs, Autor der Familienbiographie, lehrte an der Swakopmunder Oberschule, Swakopmund High School (SHS), bei der lutherischen Kirche gelegen, auf deren Gemeindekirchenrat er diente.

Als Hermann Deetlefs sechs Jahre alt war, starben seine Eltern. Er wuchs als Vollwaise auf, legte an der Windhoek High School 1938 sein Matrik mit landesbester Auszeichnung ab und stieg zunächst als Heizer auf die Eisenbahn. Seine Ergebnisse riefen den Bildungsminister auf den Plan, ja buchstäblich auf den Windhoeker Bahnhof. Der Minister holte Hermann (Boertjie) vom einlaufenden Güterzug und ordnete an, dass er mit solch blendendem Matrikabschluss studieren müsse. Die damalige Administration von Südwestafrika vermittelte so das allererste Stipendium. Boertjie ging zum Studium an die Universität von Kapstadt und wurde Lehrer. Den Lehrberuf übte er unter anderem später auch als Leiter der Deutschen Schule von Johannesburg und danach als Schulleiter der Swakopmunder Grundschule aus. Über den Stadtrat von Swakopmund wurde Hermann Deetlefs Bürgermeister. Soweit sein ungewöhnlicher Werdegang, der allein schon einen Bildungsroman rechtfertigen könnte.

Was die drei gleichnamigen Bände in drei namibischen Landessprachen besonders macht, ist einmal, dass jedes Buch mit gleichem Verlauf der Familiengeschichte dennoch jeweils auf ein spezifisches Sprachpublikum zugeschnitten ist und zugleich gegenseitige kulturelle Gegensätze sowie Spannungen, Zerreißproben, aber auch wechselseitige Bereicherung schildert. Gegensätze sowie Bereicherung entfalten sich schon in der Ehe von Boertjie mit der deutschen, eingewanderten Lehrerin Elisabeth. Boertjie, übrigens ein leicht herablassender Spitzname für Afrikaner-Bur, war überzeugter reformierter Calvinist – „mein ach so afrikaanser, streng calvinistischer Vater“ – und Mutter Elisabeth war „ach so streng preußisch-lutherisch“, textet Sohn Hannes in der Einleitung. Zur Selbstdisziplin seiner Mutter liefert er ergänzend ein Zitat aus dem Französischen: „Preuße zu sein ist eine Ehre, aber kein Vergnügen.“ Überhaupt ist der durchlaufende Dialogstil mit vielen kennzeichnenden Zitaten gespickt, von Zeitgenossen und von historischen Größen wie Luther und Nietzsche, von letzterem das folgende: „Der Deutsche versteht sich auf Schleichwege zum Chaos!“ Dem Autoren geht es wiederholt darum, die unterschiedliche kulturelle Wesensart, wechselseitige Begegnung und Spannungsbereiche zu schildern sowie möglichen Einklang zu begrüßen.

Trotz der sehr unterschiedlichen Herkunft hatten die Deetlefs-Kinder ein intaktes mehrsprachiges Elternhaus, das sie nachhaltig geprägt, das streckenweise aber auch die Identitätsfrage aufgeworfen hat, wohin sie eigentlich gehören, als ob ihre Zugehörigkeit zu den zwei Welten ihrer Eltern die soziale Eingliederung erschweren könnte.

Der Biograph Hannes Deetlefs ordnet den Werdegang seines Vaters in Südwestafrika, Südafrika bis Namibia jeweils in die zeitbezogene politische Kulisse ein. Dabei kommt sein Vater in unzähligen Dialogen mit den Bezugspersonen, Kollegen, Partnern und Kontrahenten zu Wort. Die Alltagsgespräche über gerade anstehende Themen entfalten sich zumeist in in kaum redigierter Sprache der spontanen Plauderei. Der Autor hat sich Mühe gegeben, dass der gegebene gegenwärtige Rahmen faktisch stimmt. Das jeweilige Zeitgeschehen, aber auch historische Rückblenden, spielt immer wieder in den Alltagston der Dialoge hinein, prägt die Sprecher und veranschaulicht, wie Menschen den Verhältnissen, Krieg, Frieden, Apartheid, afrikanischem Nationalismus usw. ausgeliefert sind und wie sie dennoch auf ihre Art damit fertig werden. Der Plauderton, inzwischen durch die Zeitung DIE ZEIT als besonders menschlich-verbindliche Kommunikation angepriesen, kann manchen Leser über weite Strecken jedoch ermüden.

Namibier, vor allem Swakopmunder und Windhoeker, werden hier viele landesverbundene Wiedererkennungsmomente und bekannte Personen vorfinden, wobei im Plauderton nicht jedes Wort oder auch die sprachliche Genauigkeit auf die Goldwaage gelegt wird. Das Buch – vervielfältigt in drei Sprachbände – lädt zur Erkundung des gestrigen bürgerlichen Alltags ein und erhellt einen Teil der Gegenwart.



Eberhard Hofmann

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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