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Die Mitschuld der Gesellschaft

Gestern stand eine junge Frau vor dem Gericht in Walvis Bay, die "Rabenmutter", wie sie von der Gesellschaft verachtend genannt wird. Eine Mutter, die ihr wenige Stunden altes Baby in einem Hausflur aussetzt - ein unschuldiger Säugling, welcher die ganze Kälte und Lieblosigkeit der Welt auf einmal erleben muss. Wimmernd liegt er im kalten Hausflur, verstört und verängstigt, nackt, nur in ein Handtuch gewickelt und in eine Plastiktüte gesteckt. Wut, Empörung und Unverständnis machen sich breit. "Wie kann eine Mutter ihr eigenes Kind aussetzen?" Aber auch für andere Auswege hätte die Gesellschaft nur wenig Verständnis, Abtreibungen und Adoptionen gelten auch heute noch als ein moralisches Tabu. Nur Wenige fragen wirklich nach dem Warum und stempeln die Frauen unmittelbar als herzlos und gefühllos ab. Oft wird dabei vergessen, dass auch diese Mütter leiden und für ihre Kurzschlusshandlungen meist ein Leben lang mit dem Schmerz, der Reue und der Abscheu gegen sich selbst bezahlen.

Mütter, die ihr wenige Stunden altes Kind aussetzen, es, wenn vorhanden, sogar in eine Babyklappe legen oder zur Adoption freigeben - auch diese Frauen bleiben letztlich Mütter. Das eigene Kind neun Monate unter dem Herzen getragen, es einmal in den Armen gehalten, ihm für einen Moment in die Augen geschaut, bevor es aus Angst und Verzweiflung weggeschafft werden muss - das kann schnell zur Basis für ein lebenslanges Trauma werden.

Nun sollen hiermit keinesfalls die Taten der so genannten "Rabenmütter" gerechtfertigt werden, auch sollte das Gesetz Kindesverstoß beileibe nicht entschuldigen, aber ist das Fingerzeigen der Gesellschaft, das heimliche Tuscheln, die Verachtung, die Wut und die Hoffnung auf Vergeltung hier wirklich angebracht? Schließlich sind es auch wir, die Gesellschaft, die unsere Verachtung über Abtreibung, uneheliche Kinder, Adoption oder allein erziehende Mütter zum Ausdruck bringen. Wir sind es, die hinter vorgehaltener Hand zischeln, wenn eine Frau viele Kinder bekommt oder ihr der Mann abgehauen ist. Es ist die Moral der Gesellschaft, die jeglichen Ausweg für eine ungewollte Schwangerschaft verachtet, gleichzeitig jedoch die verspottet und erniedrigt, die ein gewolltes Baby austrägt ohne den von der Ethik vorgeschriebenen Ehemann oder ohne finanzielle Absicherung. Vielleicht ist es genau diese Moral der Gesellschaft, die eine Mutter dazu treibt, ihr wenige Stunden altes Baby wie ein ungewolltes Paar Schuhe in den Hausflur zu stellen, aus Panik und Angst, verachtet und verstoßen zu werden. In dem Moment der Handlung war der Mutter bestimmt kein anderer Ausweg bekannt oder hätte sie sich sonst freiwillig strafbar gemacht? Immer wieder gibt es Kampagnen, die zum geschützten Geschlechtsverkehr aufrufen, aber nur sehr wenige erklären, was eine junge Frau tun sollte, für die es bereits für die Vorbeugungsmaßnahmen zu spät ist.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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