Die Popstars der Lyrik
Von Lucas Kesselhut, Windhoek
„Du bist dein, ich bin mein, nichts könnt gewisser sein.“ So fängt das älteste deutsche Liebesgedicht an, das Teil eines Briefes war, der 1200 geschrieben wurde. 800 Jahre sind mittlerweile vergangen und Gedichte immer noch fest verwurzelt in jeder Kultur. Wie verwurzelt sie sind, zeigt ein Trend, der sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Selber geschriebene Gedichte werden auf öffentlichen Veranstaltungen vorgetragen – als Sprachrohr der eigenen Gefühle und Seele. „Poetry Movements“ werden diese Veranstaltungen genannt, zu denen sich viele Leute auf der ganzen Welt zusammenschließen.
Auch in Namibia sind sie längst angekommen. Genauer genommen seit 2004. Denn da schlug die Geburtsstunde von „SpokenWord Namibia“. Seit den Anfängen hat sich das Event zu einer professionell organisierten und beliebten Szene-Veranstaltung entwickelt. Bei jeder Veranstaltung sind Tanya Stroh und Don Stevenson mit dabei. „Für mich ist es wie eine zweite Familie“, sagt Stroh, die als Designerin arbeitet. Sie wurde 2010 zufällig Teil von „SpokenWord“. „Für mich ist das Zusammentreffen der Dichter besonders wertvoll. Und das passiert besonders hinter der Bühne“, sagt sie. Was die Künstler beschäftigt, deprimiert, emotionalisiert – das alles finde natürlich auch auf der Bühne statt, aber eben auch nach dem Auftritt, wenn die Künstler alles Revue passieren lassen.
„Die Leute haben den Drang, sich auszudrücken, sich auszulassen. Das Schöne an der Veranstaltung ist, dass wir den Menschen genau dafür eine Plattform geben“, sagt Don Stevenson, der seit 2012 Teil von „Spokenword Namibia“ ist. Er selbst erinnere sich noch gut an seinen ersten Auftritt auf der Bühne. „Ich hatte schreckliche Angst“, so Stevenson. Für ihn sei es besonders faszinierend, wie er monatelang an einem Gedicht arbeite und der Auftritt dann innerhalb von vier Minuten vorüber sei. „Wie weggeblasen“, sagt er lachend. Doch die Mühe werde belohnt. Und zwar vom „Applaus of Silence“, dem stillen Applaus, wie der 69-jährige Designer erklärt. „Dann merkt man, dass die Leute das Gedicht wirklich aufnehmen.“
In den vergangenen Monaten habe sich ein Trend gezeigt: Immer mehr Dichter setzen auf dramatische, gar theatralische Auftritte. „Neben dem eigentlichen Stück zählt nämlich auch, wie man dieses vorträgt“, so Tanya Stroh. Das Publikum reagiere dabei ganz gemischt. Entweder durch Klatschen, Schnipsen, Lachen oder eben durch die Stille. „Ich erinnere mich an eine Frau, die sagte, dass wir Worten eine bisher unbekannte Bedeutung gegeben haben“, so Don Stevenson. Und das sei der Beweis dafür, dass die Veranstaltung ihren Erfolg hat.
In der ganzen Welt sind „Poetry Movements“ auf dem Vormarsch. Ende der 1980er Jahre, als die digitalisierte Medienwelt die Menschen vor den Fernsehern und Computermonitoren zu fesseln begann, fanden sich junge Leute in amerikanischen Großstädten an Orten ein, die man normalerweise nicht mit Literatur in Verbindung bringt, um gemeinsam Poesie zu hören oder sich gegenseitig ihre Texte vorzutragen. Heute lassen sich solche Veranstaltungen überall finden. Auch in Deutschland, wo vor allem die „Poetry Slams“, also Gedichtswettbewerbe, besonders populär geworden sind.
Dr. Martina Pfeiler, die im Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum lehrt, untersucht das Phänomen schon lange. Während eines Auslandssemesters in London 1999 wurde sie auf den Begriff „Performance-Poetry“ aufmerksam und er ließ sie nicht mehr los. „Slammer haben sich zum einen ganz von selbst immer professioneller aufgestellt, sie wurden einfach immer besser, selbstbewusster und haben sich immer stärker innerhalb einer wachsenden Community vernetzt“, antwortet Pfeiler auf die Frage, warum die Veranstaltungen vor allem heute so gut ankommen. Zum anderen liege Menschen im digitalen 21. Jahrhundert offensichtlich wieder etwas daran, Texte nicht nur über Online-Plattformen zu rezipieren. „Das Gedicht erfährt durch ‚Poetry Slam‘ derzeit einen enormen kulturellen Wandel in Deutschland, da es wieder näher an die Lebenswirklichkeit junger Leute herankommt“, so Pfeiler. So wie in Windhoek füllen die Veranstaltungen auch in Deutschland die Säle. In Bochum können gut und gerne schon einmal 1000 Zuhörer zusammenkommen. „Ich denke, es ist für viele ein Reiz, sich genau das anzuschauen, was man sich selbst nicht zutraut: Vor einem Riesen-Publikum minutenlange Zeilen eines einstudierten Gedichtes oder einer Kurzgeschichte auf Punktladung hin zu präsentieren“, erklärt die 39-Jährige. Es seien eben die „Popstars der Lyrik“.
1000 Leute sind für Windhoeker Verhältnisse (noch) Zukunftsmusik. Doch das Interesse der Leute, andere an ihren Problemen, Freuden oder Traurigkeit teilhaben zu lassen, werde immer größer. „Oft wird beispielsweise über Feminismus, Gewalt an Frauen und Geschlechtergleichheit gesprochen. Es stehen Frauen auf der Bühne, die ihrer Wut freien Lauf lassen“, so Don Stevenson von „SpokenWord Namibia“. Natürlich sei einiges sehr klischeehaft, doch es gebe durchaus sehr talentierte Dichter, die mit ihren Werken an ihre Grenzen gehen und das Publikum fesseln.
Vor allem junge Leute könnten viel durch die Kunst des Dichtens lernen. Stevenson arbeitete mit Kindern in Katutura zusammen und merkte, welche Fortschritte sie in ihrem Umgang mit Sprache und Ausdruck machten. „Sie stärken sich selbst, nur durch das Schreiben und Vortragen von Gedichten“, sagt Stevenson lächelnd.
Sowohl Stevensons als auch Tanya Stroh sind der Meinung, dass das „Poetry Movement“ kein kurzer Trend bleiben wird. Sie sehen, wie die Szene hier in Windhoek wächst und wächst. Dichter würden sich nun zusammenschließen und eigene Veranstaltungen auf die Beine stellen. Etwas, das es vorher noch nie gegeben hätte. „Wir brauchen genau das heute mehr denn je“, so Tanya Stroh abschließend.
„Du bist dein, ich bin mein, nichts könnt gewisser sein.“ So fängt das älteste deutsche Liebesgedicht an, das Teil eines Briefes war, der 1200 geschrieben wurde. 800 Jahre sind mittlerweile vergangen und Gedichte immer noch fest verwurzelt in jeder Kultur. Wie verwurzelt sie sind, zeigt ein Trend, der sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Selber geschriebene Gedichte werden auf öffentlichen Veranstaltungen vorgetragen – als Sprachrohr der eigenen Gefühle und Seele. „Poetry Movements“ werden diese Veranstaltungen genannt, zu denen sich viele Leute auf der ganzen Welt zusammenschließen.
Auch in Namibia sind sie längst angekommen. Genauer genommen seit 2004. Denn da schlug die Geburtsstunde von „SpokenWord Namibia“. Seit den Anfängen hat sich das Event zu einer professionell organisierten und beliebten Szene-Veranstaltung entwickelt. Bei jeder Veranstaltung sind Tanya Stroh und Don Stevenson mit dabei. „Für mich ist es wie eine zweite Familie“, sagt Stroh, die als Designerin arbeitet. Sie wurde 2010 zufällig Teil von „SpokenWord“. „Für mich ist das Zusammentreffen der Dichter besonders wertvoll. Und das passiert besonders hinter der Bühne“, sagt sie. Was die Künstler beschäftigt, deprimiert, emotionalisiert – das alles finde natürlich auch auf der Bühne statt, aber eben auch nach dem Auftritt, wenn die Künstler alles Revue passieren lassen.
„Die Leute haben den Drang, sich auszudrücken, sich auszulassen. Das Schöne an der Veranstaltung ist, dass wir den Menschen genau dafür eine Plattform geben“, sagt Don Stevenson, der seit 2012 Teil von „Spokenword Namibia“ ist. Er selbst erinnere sich noch gut an seinen ersten Auftritt auf der Bühne. „Ich hatte schreckliche Angst“, so Stevenson. Für ihn sei es besonders faszinierend, wie er monatelang an einem Gedicht arbeite und der Auftritt dann innerhalb von vier Minuten vorüber sei. „Wie weggeblasen“, sagt er lachend. Doch die Mühe werde belohnt. Und zwar vom „Applaus of Silence“, dem stillen Applaus, wie der 69-jährige Designer erklärt. „Dann merkt man, dass die Leute das Gedicht wirklich aufnehmen.“
In den vergangenen Monaten habe sich ein Trend gezeigt: Immer mehr Dichter setzen auf dramatische, gar theatralische Auftritte. „Neben dem eigentlichen Stück zählt nämlich auch, wie man dieses vorträgt“, so Tanya Stroh. Das Publikum reagiere dabei ganz gemischt. Entweder durch Klatschen, Schnipsen, Lachen oder eben durch die Stille. „Ich erinnere mich an eine Frau, die sagte, dass wir Worten eine bisher unbekannte Bedeutung gegeben haben“, so Don Stevenson. Und das sei der Beweis dafür, dass die Veranstaltung ihren Erfolg hat.
In der ganzen Welt sind „Poetry Movements“ auf dem Vormarsch. Ende der 1980er Jahre, als die digitalisierte Medienwelt die Menschen vor den Fernsehern und Computermonitoren zu fesseln begann, fanden sich junge Leute in amerikanischen Großstädten an Orten ein, die man normalerweise nicht mit Literatur in Verbindung bringt, um gemeinsam Poesie zu hören oder sich gegenseitig ihre Texte vorzutragen. Heute lassen sich solche Veranstaltungen überall finden. Auch in Deutschland, wo vor allem die „Poetry Slams“, also Gedichtswettbewerbe, besonders populär geworden sind.
Dr. Martina Pfeiler, die im Bereich der Literatur- und Kulturwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum lehrt, untersucht das Phänomen schon lange. Während eines Auslandssemesters in London 1999 wurde sie auf den Begriff „Performance-Poetry“ aufmerksam und er ließ sie nicht mehr los. „Slammer haben sich zum einen ganz von selbst immer professioneller aufgestellt, sie wurden einfach immer besser, selbstbewusster und haben sich immer stärker innerhalb einer wachsenden Community vernetzt“, antwortet Pfeiler auf die Frage, warum die Veranstaltungen vor allem heute so gut ankommen. Zum anderen liege Menschen im digitalen 21. Jahrhundert offensichtlich wieder etwas daran, Texte nicht nur über Online-Plattformen zu rezipieren. „Das Gedicht erfährt durch ‚Poetry Slam‘ derzeit einen enormen kulturellen Wandel in Deutschland, da es wieder näher an die Lebenswirklichkeit junger Leute herankommt“, so Pfeiler. So wie in Windhoek füllen die Veranstaltungen auch in Deutschland die Säle. In Bochum können gut und gerne schon einmal 1000 Zuhörer zusammenkommen. „Ich denke, es ist für viele ein Reiz, sich genau das anzuschauen, was man sich selbst nicht zutraut: Vor einem Riesen-Publikum minutenlange Zeilen eines einstudierten Gedichtes oder einer Kurzgeschichte auf Punktladung hin zu präsentieren“, erklärt die 39-Jährige. Es seien eben die „Popstars der Lyrik“.
1000 Leute sind für Windhoeker Verhältnisse (noch) Zukunftsmusik. Doch das Interesse der Leute, andere an ihren Problemen, Freuden oder Traurigkeit teilhaben zu lassen, werde immer größer. „Oft wird beispielsweise über Feminismus, Gewalt an Frauen und Geschlechtergleichheit gesprochen. Es stehen Frauen auf der Bühne, die ihrer Wut freien Lauf lassen“, so Don Stevenson von „SpokenWord Namibia“. Natürlich sei einiges sehr klischeehaft, doch es gebe durchaus sehr talentierte Dichter, die mit ihren Werken an ihre Grenzen gehen und das Publikum fesseln.
Vor allem junge Leute könnten viel durch die Kunst des Dichtens lernen. Stevenson arbeitete mit Kindern in Katutura zusammen und merkte, welche Fortschritte sie in ihrem Umgang mit Sprache und Ausdruck machten. „Sie stärken sich selbst, nur durch das Schreiben und Vortragen von Gedichten“, sagt Stevenson lächelnd.
Sowohl Stevensons als auch Tanya Stroh sind der Meinung, dass das „Poetry Movement“ kein kurzer Trend bleiben wird. Sie sehen, wie die Szene hier in Windhoek wächst und wächst. Dichter würden sich nun zusammenschließen und eigene Veranstaltungen auf die Beine stellen. Etwas, das es vorher noch nie gegeben hätte. „Wir brauchen genau das heute mehr denn je“, so Tanya Stroh abschließend.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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