Die Rolle der Frauen im namibischen Befreiungskampf
Martha Akawa: The Gender Politics of the Namibian Liberation Struggle
Eine Publikation der Basel Namibia Studies Series, 2014
Eine Doktorarbeit als Buch – meist keine Verlockung, es zu lesen, auch wenn der Titel Aufmerksamkeit erregt. Martha Akawas Publikation, The Gender Politics of the Namibian Liberation Struggle, ist eine Ausnahme. 2009 als Dissertation an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel eingereicht, kam es im August 2014 als lesbares und lesenswertes Buch auf den Markt, nicht zuletzt wegen seiner provozierenden Fragestellung und seiner Antworten auf der Grundlage zahlreicher, zum Teil wörtlich zitierten Interviews.
Martha Akawa geht Fragen nach wie: Inwiefern wurden die Versprechungen, die man Frauen zur Zeit des Unabhängigkeitskampfes gemacht hatte, nach 1990 eingehalten? Wie wurden eigentlich die Ziele für die Emanzipation der Frau im Rahmen des allgemeinen Freiheitskampfes formuliert – für Frauen, die dreifach unterdrückt waren aufgrund von Rassismus, Klasse und Patriarchat? Und was stimmt an den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs oder sogar der Vergewaltigung in den SWAPO-Camps, wo sich Tausende von Frauen und Kindern aufhielten? Kritische Fragen, die an der glorifizierten offiziellen Version des namibischen Freiheitskampfes kratzen – nach dieser wurde die Unabhängigkeit durch den bewaffneten Kampfes der SWAPO-Soldaten erreicht, und diese waren fast ausschließlich Männer.
Und wie war es wirklich? Akawa berichtet, wie Anfang der 60er Jahre , als mehr und mehr Männer ihre Familien verließen, um sich außerhalb Namibias militärisch ausbilden zu lassen und als Guerillakämpfer in den Norden des Landes zurückzukehren, die Frauen zunächst innerhalb des Landes die Stellung hielten. Sie übernahmen sämtliche Aufgaben in Haus und Landwirtschaf, versteckten und versorgten die Guerillakämpfer, wurden von Soldaten der südafrikanischen Armee eingeschüchtert, gefoltert und gefangen genommen und einige wurden sogar bis in Gefängnisse in Südafrika gebracht und monatelang dort festgehalten.
Erst nach 1970 verließen auch zahlreiche Frauen Namibia, und in den zivilen Camps in Angola und Sambia waren schon bald Frauen in der Überzahl. Viele waren jung, unerfahren, zum ersten Mal von zu Hause fort und hatten kaum eine Vorstelllung, wie sich ihre Zukunft gestalten würde. Akawa hinterfragt dabei die Rolle des 1970 gegründeten SWAPO Women’s Council, der sich eindeutig die Emanzipation der Frauen aufs Programm geschrieben hatte, aber durch seinen Mangel an Autonomie - er unterstand dem männlich dominierten SWAPO-Zentralkomitee – weniger ausrichten konnte als geplant.
Dennoch wurde Vieles erreicht: alle Frauen bekamen eine militärische Grundausbildung, ein Teil wurde Soldatinnen, auch wenn kaum Frauen an die Front geschickt wurden. In allen Camps wurden Kindergärten eingerichtet, um Müttern den Freiraum zu schaffen, zu arbeiten oder sich fortzubilden. Tausende Frauen nahmen an Alphabetisierungskursen teil, konnten die Grundschulen in den Camps besuchen und High Schools in afrikanischen Ländern oder in Kuba. Bildung und besonders die Bildung von Frauen war Priorität. Mit der Zeit waren es sogar zu 60% Frauen, die am United Nations Institute for Namibia (UNIN) in Lusaka in Verwaltung und Management fortgebildet wurden, während die Mehrzahl der Männer eine militärische Ausbildung absolvierte.
Im Licht dieses Fortschritts für namibische Frauen erfahren wir über den Schatten des Alltags in den Camps. Im Angesicht von Hunger, Mangel an Hygiene und psychischen Belastungen wie Heimweh, Entfremdung und Unsicherheit geschah, so beschreibt Akawa es aufgrund ihrer Interviews, was man heute sexuellen Missbrauch, Nötigung und Vergewaltigung nennt, aber damals stillschweigend rechtfertigte mit Sätzen wie „no comrade says no to another“. Akawa kommt zu dem Schluss, dass sexuelle Gewalt oder Missbrauch von der SWAPO-Führung weder offiziell erlaubt noch ermutigt, aber auch nicht gefahndet wurde. Eine Verbindung verschiedener Faktoren kam zusammen: Militärische Macht- und Gehorsamsstrukturen, in die sich auch die Frauen eingliedern mussten, vorwiegend in niederen Rängen, traditionelle Vorstellungen von der afrikanischen Familie mit ihren patriarchalisch bestimmten Hierarchien, eine schlechte materielle und hygienische Versorgung, die Trennung von Familie und Heimat und die Aushebelung von Werten führten dazu, dass die sexuelle Unterwerfung von Frauen durch Männer in Machtpositionen akzeptiert und als „normal“ internalisiert wurde. Männer in höheren Positionen konnten jungen Neuankömmlingen zu besseren Nahrungsmitteln und Unterkünften verhelfen sowie Vorteile wie Studienplätze und Stipendien ermöglichen und unwillige oder aufsässige Frauen entsprechend bestrafen. Der Begriff Vergewaltigung fand weder damals noch heute Erwähnung, Missbrauch wurde zur Normalität. Es gab auch kaum die Möglichkeit, Anzeige zu erstatten, da innerhalb der Autoritätsstrukturen im Camp der Angeklagte oft identisch mit dem Richter war.
Wichtig ist, und das erklärt zum Teil auch das politische Verhalten heute, wie im Ausland die SWAPO zunehmend und bewusst zur Ersatzfamilie stilisiert wurde, die sich auf ein afrikanisches Familienverständnis stützte – für die Familie tut man alles, man hinterfragt nicht und man respektiert männliche sowie ältere Personen.
Akawa beschreibt ohne anzuklagen, benennt ohne zu verurteilen. Es gibt Wiederholungen, manche Dinge werden nur oberflächlich analysiert. Wichtig ist das Buch, weil es die offizielle Geschichtschreibung der SWAPO ohne Polemik in Frage stellt, und zwar von innen heraus, indem sie die Betroffenen zu Wort kommen lässt. Damit rückt sie die Aufarbeitung der Vergangenheit ein Stück näher an die Wahrheit.
Erika von Wietersheim, August 2014
Eine Publikation der Basel Namibia Studies Series, 2014
Eine Doktorarbeit als Buch – meist keine Verlockung, es zu lesen, auch wenn der Titel Aufmerksamkeit erregt. Martha Akawas Publikation, The Gender Politics of the Namibian Liberation Struggle, ist eine Ausnahme. 2009 als Dissertation an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel eingereicht, kam es im August 2014 als lesbares und lesenswertes Buch auf den Markt, nicht zuletzt wegen seiner provozierenden Fragestellung und seiner Antworten auf der Grundlage zahlreicher, zum Teil wörtlich zitierten Interviews.
Martha Akawa geht Fragen nach wie: Inwiefern wurden die Versprechungen, die man Frauen zur Zeit des Unabhängigkeitskampfes gemacht hatte, nach 1990 eingehalten? Wie wurden eigentlich die Ziele für die Emanzipation der Frau im Rahmen des allgemeinen Freiheitskampfes formuliert – für Frauen, die dreifach unterdrückt waren aufgrund von Rassismus, Klasse und Patriarchat? Und was stimmt an den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs oder sogar der Vergewaltigung in den SWAPO-Camps, wo sich Tausende von Frauen und Kindern aufhielten? Kritische Fragen, die an der glorifizierten offiziellen Version des namibischen Freiheitskampfes kratzen – nach dieser wurde die Unabhängigkeit durch den bewaffneten Kampfes der SWAPO-Soldaten erreicht, und diese waren fast ausschließlich Männer.
Und wie war es wirklich? Akawa berichtet, wie Anfang der 60er Jahre , als mehr und mehr Männer ihre Familien verließen, um sich außerhalb Namibias militärisch ausbilden zu lassen und als Guerillakämpfer in den Norden des Landes zurückzukehren, die Frauen zunächst innerhalb des Landes die Stellung hielten. Sie übernahmen sämtliche Aufgaben in Haus und Landwirtschaf, versteckten und versorgten die Guerillakämpfer, wurden von Soldaten der südafrikanischen Armee eingeschüchtert, gefoltert und gefangen genommen und einige wurden sogar bis in Gefängnisse in Südafrika gebracht und monatelang dort festgehalten.
Erst nach 1970 verließen auch zahlreiche Frauen Namibia, und in den zivilen Camps in Angola und Sambia waren schon bald Frauen in der Überzahl. Viele waren jung, unerfahren, zum ersten Mal von zu Hause fort und hatten kaum eine Vorstelllung, wie sich ihre Zukunft gestalten würde. Akawa hinterfragt dabei die Rolle des 1970 gegründeten SWAPO Women’s Council, der sich eindeutig die Emanzipation der Frauen aufs Programm geschrieben hatte, aber durch seinen Mangel an Autonomie - er unterstand dem männlich dominierten SWAPO-Zentralkomitee – weniger ausrichten konnte als geplant.
Dennoch wurde Vieles erreicht: alle Frauen bekamen eine militärische Grundausbildung, ein Teil wurde Soldatinnen, auch wenn kaum Frauen an die Front geschickt wurden. In allen Camps wurden Kindergärten eingerichtet, um Müttern den Freiraum zu schaffen, zu arbeiten oder sich fortzubilden. Tausende Frauen nahmen an Alphabetisierungskursen teil, konnten die Grundschulen in den Camps besuchen und High Schools in afrikanischen Ländern oder in Kuba. Bildung und besonders die Bildung von Frauen war Priorität. Mit der Zeit waren es sogar zu 60% Frauen, die am United Nations Institute for Namibia (UNIN) in Lusaka in Verwaltung und Management fortgebildet wurden, während die Mehrzahl der Männer eine militärische Ausbildung absolvierte.
Im Licht dieses Fortschritts für namibische Frauen erfahren wir über den Schatten des Alltags in den Camps. Im Angesicht von Hunger, Mangel an Hygiene und psychischen Belastungen wie Heimweh, Entfremdung und Unsicherheit geschah, so beschreibt Akawa es aufgrund ihrer Interviews, was man heute sexuellen Missbrauch, Nötigung und Vergewaltigung nennt, aber damals stillschweigend rechtfertigte mit Sätzen wie „no comrade says no to another“. Akawa kommt zu dem Schluss, dass sexuelle Gewalt oder Missbrauch von der SWAPO-Führung weder offiziell erlaubt noch ermutigt, aber auch nicht gefahndet wurde. Eine Verbindung verschiedener Faktoren kam zusammen: Militärische Macht- und Gehorsamsstrukturen, in die sich auch die Frauen eingliedern mussten, vorwiegend in niederen Rängen, traditionelle Vorstellungen von der afrikanischen Familie mit ihren patriarchalisch bestimmten Hierarchien, eine schlechte materielle und hygienische Versorgung, die Trennung von Familie und Heimat und die Aushebelung von Werten führten dazu, dass die sexuelle Unterwerfung von Frauen durch Männer in Machtpositionen akzeptiert und als „normal“ internalisiert wurde. Männer in höheren Positionen konnten jungen Neuankömmlingen zu besseren Nahrungsmitteln und Unterkünften verhelfen sowie Vorteile wie Studienplätze und Stipendien ermöglichen und unwillige oder aufsässige Frauen entsprechend bestrafen. Der Begriff Vergewaltigung fand weder damals noch heute Erwähnung, Missbrauch wurde zur Normalität. Es gab auch kaum die Möglichkeit, Anzeige zu erstatten, da innerhalb der Autoritätsstrukturen im Camp der Angeklagte oft identisch mit dem Richter war.
Wichtig ist, und das erklärt zum Teil auch das politische Verhalten heute, wie im Ausland die SWAPO zunehmend und bewusst zur Ersatzfamilie stilisiert wurde, die sich auf ein afrikanisches Familienverständnis stützte – für die Familie tut man alles, man hinterfragt nicht und man respektiert männliche sowie ältere Personen.
Akawa beschreibt ohne anzuklagen, benennt ohne zu verurteilen. Es gibt Wiederholungen, manche Dinge werden nur oberflächlich analysiert. Wichtig ist das Buch, weil es die offizielle Geschichtschreibung der SWAPO ohne Polemik in Frage stellt, und zwar von innen heraus, indem sie die Betroffenen zu Wort kommen lässt. Damit rückt sie die Aufarbeitung der Vergangenheit ein Stück näher an die Wahrheit.
Erika von Wietersheim, August 2014
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen