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Die Schönheitskönigin, die keine sein will

WAZon begleitete Nadja Breytenbach, die amtierende „Miss Namibia“. Doch ist es überhaupt noch zeitgemäß, eine Frau für ihr Aussehen auszuzeichnen? Oder sind Breytenbach und die in Namibia aufgewachsene „Miss Germany“ Leonie von Hase vielleicht mehr als nur hübsch und ändern gerade das Frauenbild?
WAZon-Redakteur
Von Evelyn Rosar, Windhoek

Wetten, heute ist wieder einer dieser Tage? Heute Abend wird Nadja Breytenbach nach Hause fahren. Statt direkt auszusteigen, bleibt sie in der Garage vor ihrem Haus in Windhoek-Finkenstein sitzen. Sie wird sich bestimmt ein Backvideo auf Youtube anschauen. Vielleicht eines von „Sallys Welt“. Und dann wird sie 22 Minuten und 34 Sekunden lang die Welt um sich herum vergessen. In ihrem fünf Quadratmeter kleinen Kokon, ihrem weißen Toyota Corolla. „Ich fühle mich darin wie in einem abgeschirmten Raum, in dem ich kurz für mich alleine sein kann“, sagt die amtierende „Miss Namibia“.

Doch noch ist es nicht Abend. Es ist Mittwochmorgen, elf Uhr in Katutura. Die 24-Jährige hat gerade ihren ersten Termin an diesem Tag absolviert. Zwei weitere hat sie noch vor sich. Doch erst einmal muss Breytenbach es schaffen, von dem Schulgelände der Havana Primary School zu kommen. Hier hat sie den Erst- und Zweitklässlern gerade 90 Rechenschieber und 200 Stifte überreicht, bezahlt durch selbstorganisierte Spenden. Sie sitzt in ihrem Toyota, der derzeit eher dem Papamobil als einem Kokon gleicht.

Etwa hundert Kinder stehen um das Fahrzeug, schauen zunächst vorsichtig durch die Scheiben, versuchen, einen Blick auf die Miss zu erhaschen. Die Gewinnerin des Schönheitswettbewerbes legt mit der linken Hand den Rückwärtsgang ein, mit der rechten winkt sie ihren Zuschauern zum Abschied. Die verstehen die Geste offensichtlich als Willkommensgruß, denn immer mehr Schülerinnen und Schüler kommen, klopfen nun an die Scheiben, versuchen durch den schmalen Fensterspalt Breytenbach die Hand zu geben. „Du bist so schön, Nadja“, ruft ein Mädchen.

Breytenbach bedankt sich. Dabei will gar nicht unbedingt schön sein. Sie wollte auch gar nicht unbedingt eine Miss sein. Na eigentlich schon, nur nicht aus dem Grund, aus dem viele eine solche Wahl gewinnen wollen. „Viele Mädchen fragen mich auf Instagram, ob ich ihnen Tipps fürs Modeln geben kann, dabei bin ich gar kein Model“, sagt Breytenbach, als sie es aus der Menge ihrer Fans heraus Richtung Gatter geschafft hat. Sie sieht sich nicht als Schönheitskönigin. Sich schminken, feminine Kleider anziehen, klar, das habe sie schon immer gerne gemacht. Das schon.

Doch viel mehr sieht sie in ihrem Titel ein Privileg, um an Sponsoren für gemeinnützige Zwecke zu kommen. Eine Miss ist vielleicht hübsch, viel mehr käme es aber darauf an, welche Ziele man sich nach dem Sieg setze. Die Deutschsprachige mit abgeschlossenem Psychologiestudium hat sich auf das Wohlergehen von Kindern fokussiert. Sie will einen Unterschied machen, auch wenn der noch so klein ist. Sie setzt sich für Chancengleichheit ein, möchte, dass alle Kinder in Namibia Zugang zu Bildung haben. 90 Rechenschieber sind ein Anfang.

Um neun Uhr an diesem Mittwochmorgen hat Breytenbach bereits ihren kleinen Unterschied gemacht. Und hat man in die immer größer werdenden Augen der Schülerinnen und Schüler geschaut, als sie erst die schöne Miss, dann ihre Geschenke gesehen haben, bezweifelt man, dass der Unterschied bloß ein kleiner ist. Breytenbachs Botschaft an die Grundschüler: „Sagt öfter mal etwas Nettes zu eurem Banknachbarn. Zum Beispiel, dass er oder sie etwas Schönes trägt oder dass man ihn oder sie mag. Kleinigkeiten machen einen großen Unterschied.“

Für diese Worte gibt es eine Dankesrede von der „Miss Havana Primary School“, zwei Lieder des Chores und ein Gedicht. Nach der Übergabe der Rechenhilfen werden ungefähr genauso viele Fotos gemacht. Jeder will ein Bild mit „Miss Namibia“. Nicht nur die Kinder stehen Schlange. Auch immer mehr Lehrerinnen kommen aus ihren Klassenräumen, bitten um eine Erinnerung, zeigen den Schnappschuss danach ihren Kolleginnen, kichern. Nach dem Fototermin kommt ein Fernsehtermin, eine Journalistin wartet auf ein Interview.

Breytenbach behauptet von sich, sie sei introvertiert. Vor Kameras agieren, das hat sie allerdings „mittlerweile“ drauf, meint die Hobby-Ballerina. 2013 nahm sie bereits an der „Miss Teen Namibia“-Wahl teil, wurde Dritte. Danach wollte die damalige Schülerin nie wieder bei solch einem Wettbewerb mitmachen. Sich im Bikini zeigen, posieren, warum? Dann kam sie zum Schluss: „Es ist weniger ein ‚Sich-zur-Schau-Stellen‘ als ein ‚Mit-sich-im-Reinen-sein‘.“ Und das sei sie jetzt, sagt sie. Sie vertrat Namibia sogar bei der Wahl zur Miss Universe im Dezember in Atlanta, Georgia.

Das Model, das sich selbst nicht als solches bezeichnet, hat nicht nur gelernt, wie man vor Kameras posiert. Von der Introvertiertheit der 24-Jährigen merkt man ebenso wenig, wenn sie in T-Shirt und Jeans vor zwei Schulklassen, Lehrern und dem Direktor eigenmächtig das Wort ergreift, als die Veranstaltung um 9.20 Uhr immer noch nicht so richtig starten wollte. „Ich fang‘ jetzt einfach mal an“, beschloss sie. Davor hatte sie auf ihren Absätzen halb in der Hocke gehend den offensichtlich schweren Karton mit den Schulsachen selbst aufs Gelände geschleppt.

Wenn Breytenbach im Juli Krone und Scherpe an ihre Nachfolgerin abgeben muss, werden die Bikini-Shootings vielleicht wenigere werden, auf ihre wohltätige Arbeit will „Miss Namibia 2019“ aber nicht verzichten. Statt wie heute von einem Schultermin zu zwei Interviews fährt sie dann täglich zur psychiatrischen Klinik „Bel Esprit“ in Windhoek, absolviert dort ihr praktisches Jahr als angehende Psychologin. Ihre jetzigen Sozialprojekte will sie nebenher weiterführen.

„Eine Frau sollte hübsch sein und Schminke mögen dürfen, und dennoch Ernst genommen werden“, sagt Breytenbach. Sie selbst sagt, dass viele kleine Schritte zu einem großen werden. Breytenbach macht ihre Schritte in Namibia, ihre Kollegin Leonie von Hase geht ihre als gerade gekürte „Miss Germany“ in Deutschland. Beide sind auf dem Weg zu mehr Emanzipation, sagen sie.

Von Hase ist gebürtige Namibierin, zog vor wenigen Jahren nach Kiel. Mit nur 35 Jahren ist die Unternehmerin die älteste Gewinnerin und erste Mutter seit 93 Jahren. Damit macht von Hase einen gewaltigen Unterschied bei der Wahrnehmung von Frauen. Alter, Qualifikation und Attraktivität schließen sich nicht aus. „Eine Frau kann hübsch sein, Schminke mögen, Mama sein, einen Job haben, und ist mit 35 Jahren definitiv nicht alt“, sagt Breytenbach über ihre Kollegin. „Die Miss Germany beweist genau das. Ich finde es toll, dass sie gewonnen hat. Mit 35 Jahren steht man mitten im Leben, weiß, wer man ist“, ergänzt sie.

Mit Hasskommentaren geht man in einem gefestigten Alter umso besser um. „Warum vertritt sie Deutschland, wenn sie aus Namibia kommt?“ steht über von Hase im Netz. „Warum vertritt eine Weiße Namibia?“ muss Breytenbach über sich lesen. „Die Verfasser solcher Nachrichten sind mit sich selbst unzufrieden, nicht mit Leonie oder mir“, analysiert die studierte Psychologin. Sie ignoriert die Boshaftigkeiten weitesgehend, konzentriert sich lieber weiterhin darauf, Gutes zu tun.

Als sich Nadja Breytenbach an diesem Mittwochmorgen um kurz nach elf Uhr ihren Weg durch all die Kinder bis zum geschlossenen Schultor erkämpft hat, kommt sie immer noch nicht raus. Statt das Gatter zu öffnen, kommt der Pförtner zunächst auf ihr Auto zu. Sie fährt die Scheibe runter, er gibt ihr die Hand und strahlt. Erst dann öffnet er das Tor, winkt zum Abschied.

Bis um 17 Uhr wird Nadja Breytenbach vier Interviews gegeben, eine Rede gehalten, 90 Rechenschieber und 200 Stifte verteilt, mindestens genauso oft in Kameras gegrinst, etwa 50 Hände geschüttelt und etwa 250 Lächeln in Gesichter gezaubert haben. Ein ganz normaler Tag als eine Miss.

In ihrem Fünf-Quadratmeter-Kokon in der Garage vor ihrem Haus in Finkenstein schaut sich die Namibierin am liebsten die Youtube-Videos an, in denen gezeigt wird, wie man Biscotti, Brownies oder Bienenstich macht. Später backt sie die dann oft nach. Für ihre Freunde und Familie, dieses Umfeld ist Breytenbachs erweiterter Kokon. Aber das wird erst später passieren, nachdem sie aus ihrem weißen Toyota gestiegen ist. In 22 Minuten und 34 Sekunden. So lange ist jetzt erstmal Ruhe.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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