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Die Verantwortung aus der Vergangenheit zu lernen (Teil 1)
Die Verantwortung aus der Vergangenheit zu lernen (Teil 1)

Die Verantwortung aus der Vergangenheit zu lernen (Teil 1)

Betr.: Stellungnahme des Gesprächskreises deutschsprachiger Namibier zur Debatte um den Genozid in Deutsch-Südwestafrika
Wiebke Schmidt
Manche historischen Ereignisse können erst mit großem zeitlichen Abstand angemessen aufgearbeitet werden. Im 31sten Jahr der Unabhängigkeit ist es an der Zeit, dass sich auch die deutschsprachigen Namibier mit dem schwierigen Thema des Genozids in den Kriegsjahren 1904 bis 1909 im damaligen Deutsch-Südwestafrika befassen und neu bewerten. Es erschließt uns die Möglichkeit, alte tradierte Pfade zu verlassen und einen Neuanfang der vorsichtigen und von Empathie getragenen Annäherung zwischen den Nachfahren der Opfer und der Täter der Kolonialzeit zu beginnen.

Dem Gesprächskreis deutschsprachiger Namibier ist das gelungen, was schon der Name beinhaltet: Gespräche über ein längst überfälliges Thema zu initiieren. Das belegen die zahlreichen Leserbriefe in den namibischen Zeitungen. In einigen sprechen die Autoren u.a. ihre Befürchtungen aus, der Gesprächskreis deutschsprachiger Namibier könnte sich instrumentalisieren lassen, die Vorfahren der deutschsprachigen Namibier als „Kriegsverbrecher“ und „Mörder“ zu diffamieren. Weiterhin unterstellen sie dem Gesprächskreis, er beabsichtige, sich im Genozid-Diskurs von nicht genauer definierten Institutionen einen Kuhhandel aufschwatzen zu lassen, in dem sie für einen Sold die Integrität ihrer Vorfahren verleugnen wollten. Der Gesprächskreis nimmt zu diesen Vorwürfen wie folgt Stellung und möchte seine Position zum Genozid-Diskurs unmissverständlich darstellen. Es liegt nun im Ermessen der LeserInnen, unsere Vorschläge zu unterstützen oder abzulehnen.

Wenn man die Vorfahren der deutschsprachigen Namibier pauschal als Kriegsverbrecher und Mörder bezeichnet, dann setzt das voraus, dass es Kollektivschuld gibt. Kollektivschuld bedeutet, dass die Schuld nicht dem einzelnen Täter angelastet wird, sondern einem Kollektiv, allen angehörigen seiner Gruppe, z.B. seiner Familie, seines Volkes oder seiner Organisation. Das Strafrecht moderner Demokratien geht grundsätzlich von einer individuellen Verantwortlichkeit aus, sodass Kollektivschuld juristisch nicht relevant ist. Artikel 33 Genfer Abkommen IV bestimmt, dass keine Person für ein Verbrechen verurteilt werden darf, das sie nicht begangen hat. Eine Kollektivstrafe setzt Kollektivschuld voraus. Nach Art. 87 Abs. 3 Genfer Abkommen III und Artikel 33 Genfer Abkommen IV zählen Kollektivstrafen zu den Kriegsverbrechen.

Noch im Februar 1951 macht Konrad Adenauer in einem Brief an die deutschen Bischöfe klar, das gesamte deutsche Volk, die Bischöfe und der Klerus trügen eine große Schuld an den Vorgängen in den Konzentrationslagern. Der Gesprächskreis deutschsprachiger Namibier jedoch vertritt uneingeschränkt die Meinung Richard von Weizsäckers. In seiner historischen Rede hatte er 1985 im Bundestag gesagt. „Schuld oder Unschuld eines Volkes gibt es nicht. Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich.“ Er fügte aber mahnend hinzu: „Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.“ Weizsäcker wusste und betonte, dass Schuld nicht kollektiv ist, sondern vielmehr die Verantwortung, aus der Vergangenheit zu lernen. Das heißt also: Wenn sich derartiges wiederholen sollte, dann wird in der Tat jeder von uns mitschuldig sein. Das nächste Mal wird man von Kollektivschuld nicht nur sprechen dürfen, sondern sogar müssen (Günther Anders, österreichischer Schriftsteller).

Der Gesprächskreis deutschsprachiger Namibier tritt nicht als Steigbügelhalter für irgendeine Institution oder Gruppierung in Namibia oder außerhalb Namibias auf, es fanden einige deutschsprachige Namibier in dem Wissen zusammen, dass Nachfahren der Opfer sowie Nachfahren der Täter gemeinsam Namibia als ihre Heimat verstehen. Sollte es gelingen, dass auch die deutschsprachigen Namibier ihr rechtmäßiges Zimmer im namibischen Haus (Präsident Hage Geingob) beziehen und bewohnen wollen, dann muss es über 100 Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit endlich zu versöhnlichen und versöhnenden Gesprächen zwischen Ovaherero, Nama und den deutschsprachigen Namibiern kommen, in denen nicht vorausgesetzt wird, die Nachfahren der Kolonisten trügen eine Kollektivschuld. Die wenigsten der deutschen Siedler waren direkt an den Massentötungen beteiligt, dennoch prägte sie ein tief sitzender Rassismus, gespeist aus einem kulturellen Überlegenheitsgefühl und einer unterschwelligen Angst um die eigene, möglicherweise gefährdete Identität. Unsere Schuld ergibt sich nicht aus der Tatsache, dass wir Nachfahren der Täter sind. Sie ergibt sich vielmehr aus der „stillen Komplizenschaft“ mit den Verbrechen der kaiserlichen Kolonialverwaltung. Die stille Rechtfertigung von imperialem Machtmissbrauch und kolonialer Herrschaft hat zum Tod tausender Angehöriger namibischer Volksgruppen geführt.

Durch die seit 1948 auch in Namibia praktizierte Apartheidspolitik der Mandatsmacht Südafrika, die die Rassentrennung legalisierte, wollten die burischen Machthaber ihre Position mit der Politik des „divide and rule“ zementieren, die namibischen Volksgruppen drifteten daher immer weiter auseinander und wurden sich immer fremder. An der Universität Namibia wird z.B. jedes Jahr ein Kulturfest veranstaltet, an dem die Ethnien die Gelegenheit erhalten, ihre kulturellen Eigenheiten darzustellen, somit zum besseren Verständnis beizutragen und dem Ziel der Regierungspolitik „Einheit in Vielfalt“ näher zu kommen. Die deutschsprachigen Namibier engagierten sich in der Apardheidsära fast ausschließlich für das Wohl und den Fortschritt ihrer kleinen Volksgruppe, die indigenen Namibier spielten höchsten peripher eine Rolle, sodass der Eindruck entstehen musste, sie seien unfähig, Empathie für ihre schwarzen und farbigen Mitnamibier aufzubringen. Deshalb bemerkten sie nichts von der tiefen Demütigung und dem Verlust des Selbstwertgefühls der Ovaherero und der Namas aufgrund der demographischen Entwicklung in der Kolonialzeit. Die hohen menschlichen Verluste in den Kolonialkriegen und den Konzentrationslagern hatten zur Folge, dass ihre Volksgruppen zahlenmäßig einen Aderlass verzeichneten, während andere dagegen ein starkes Wachstum aufwiesen, sodass die oshivambosprachigen Stämme heute noch ca. 50% der Gesamtbevölkerung Namibias stellen. Gemeinsam sollten in Gesprächen mit den Ovaherero und Nama Wege eruiert werden, wie man sich in einer modernen Demokratie auch als numerische Minderheit sinnvoll und verantwortungsvoll erfolgreich zum Wohle der Nation zu Wort melden und einbringen kann. Es gilt dabei: Landesinteressen vor Gruppeninteressen.

Hans-Volker Gretschel, Gesprächskreis deutschsprachiger Namibier

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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