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Ein Besuch in Andalusia weckt Erinnerungen und Fragen

Hochinteressant, aufschlussreich, aber auch etwas wehmütig: das war der allgemeine Eindruck eines sonntäglichen Rundganges zur Besichtigung des historischen Geländes bei der Ortschaft Jan Kempdorp in der nordöstlichen Ecke der nördlichen Kapprovinz, wo sich während des Zweiten Weltkrieges das Interniertenlager Andalusia befand.

Ein gemütlicher Spaziergang an jenem friedlichen Wintermorgen war es zwar nicht, schon wegen der Farmzäune, die sich kreuz und quer durch das Gelände ziehen und durch dessen straffgezogenen, mit Stahlstacheln versehenen Stränge wir uns dauernd bücken mussten (während der Andere die nötige Hilfestellung leistete), um von einer Ruine zur anderen zu gelangen. Und auch wegen der vielen Dornbüsche, die diese wilde Landschaft hier, 96 km nördlich von Kimberley, prägen. Andalusia mit seiner feinsandigen, roten Erde liegt am südlichsten Zipfel der Kalahari. Es könnte sich ebensogut um eine typische namibische Landschaft handeln.

An diesem jetzt verlassenen Ort wurden von der südafrikanische Interierungsbehörde (Directorate of Internment, dem Justiz- und später dem Innenminister unterstellt) deutsche Männer aller Altersgruppen und Berufsstände, verheiratete und unverheiratete und vorwiegend aus dem damaligen Mandatsgebiet Südwestafrika stammend, von Anfang 1940 bis zum 12. August 1945 interniert.
Kriegsausbruch 1939
Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 4. September 1939, als sich die neugebildete Smuts-Regierung entschloss, sich auf die Seite Englands zu stellen und am 6. September den Krieg gegen das Deutsche Reich zu erklären, wurde in aller Eile binnen ein paar Tage nach der Kriegserklärung das erste Internierungslager bei Baviaanspoort (Pretoria) mit Platz für 600 Internierte bereitgestellt. Dann folgte am 21. September Leeukop (Johannesburg) für 150 Internierte. An dritter Stelle, im Oktober, hat man sich die Farm Andalusia als zusätzliches Internierungslager ausgesucht. Dieses geräumige Gelände war von Anfang an für bis zu 2000 Mann vorgesehen.

Hier allerdings herrschte bereits schon seit einigen Jahren reges Treiben, denn es war das Zentrum der noch im Bau befindlichen Vaalharts-Bewässerungsanlage - damals wie heute die zweigrößte Anlage ihrer Art in der Welt. Es bestanden schon Wellblech-Bungalows, die vorübergehend als Unterkunft der ausschließlich weißen Arbeiterschaft dienten; daneben auch das Vaalharts-Hauptbüro, der mit Betonwänden ausgestattete Hauptkanal, eine Werkstatt, ein kleines E-Werk, die Wasserversorgung, ein Gemeinschaftssaal, ein Einkaufsladen (Store) in dem die Leute sich die allernötigsten Lebensmittel kaufen konnten, und vielleicht schon einer der beiden Tennisplätze.

Wegen des Krieges wurde bis 1946 alle Arbeit an der Vaalharts-Anlage eingestellt. Viele der entlassenen Arbeiter, für die andere Jobmöglichkeiten in der Kriegswirtschaft ziemlich aussichtslos waren, meldeten sich freiwillig zum Militär und wurden in die südafrikanischen Streitkräfte eingezogen.

Laut Angaben des Südafrikansichen Roten Kreuzes (das für das Wohlergehen aller Internierten zuständig war) waren in Andalusia maximal 1966 deutsche Staatsbürger interniert, die meisten davon (ungefähr 1500) "Südwester". Als das Lager am Sonntag, 12. August 1945, aufgelöst wurde - also vor über 65 Jahren - wurden die noch 1341 vorhandenen Internierten in die Lager Baviaanspoort und Koffiefontein abgeschoben. Die "feindlichen Südwester" durften erst 1946 oder 1947 wieder nach Hause heimkehren. Allerdings standen immer noch 220 Namen auf der berüchtigten Deportationsliste. Dieser grobe und allzu lange andauernde Unfug der Smuts-Regierung wurde erst im Mai 1948 gänzlich abgeschafft, dank des unverhofften Wahlsieges der deutschfreundlichen Nationalen Partei in der Union von Südafrika unter Dr Danie Malan.
Ein Rundgang
Zurück zum Andalusia-Rundgang: Ich wurde freundlicherweise von einem ortskundigen Begleiter, Heiner Knoke aus Kimberley, sachkundig und an Hand einer von ihm angefertigten Vergrößerung der Andalusia-Karte aus dem Buch Erinnerungen an die Internierungszeit von Rolf Kock herumgeführt. Hier und dort hielten wir an. Knoke tippte dann mit dem Finger auf seine Karte und versuchte festzulegen, um welches Gebäude bez. Struktur die deutlich sichtbaren, gradlinigen Fundamente und andere oft verwitterte bauliche Überreste es gehandelt haben könnte. Oft jedoch kann man nur raten, was dieses oder jenes Gemäuer wohl dargestellt hat. Das Lager Andalusia wurde zur Kriegszeit nicht nur dauernd vergrößert; Veränderungen im Gelände wurden ebenfalls von Zeit zu Zeit vorgenommen. Wie gern hätten wir einen Alt-Internierten mit uns gehabt, der uns gewiss genauere Angaben an Ort und Stelle gegeben hätte!

Knoke und ich hatten nahe Verwanddte im Lager: im Falle Knoke war es der Vater Richard Georg August Knoke (1914-1983) aus Grootfontein; bei mir war es der Onkel, Wolfram Spiegel (1919-1979) aus Windhoek, in dessen Hause ich meine Jugendjahre verbracht habe. Beide Männer saßen fünf Jahre lang hier hinterm Stacheldraht.

Wir beide befanden uns aus Unwissenheit auf Privateigentum ohne vorherige Erlaubnis beim Farmer bez. Eigentümer eingeholt zu haben (eine Tatsache, die uns erst hinterher klar wurde, bitte nicht weitersagen). Zum Glück hat uns niemand ertappt und so konnten wir ungehindert ein paar ungestörte Stunden hier verbringen.

Knoke hat sich seit Jahren eigenhändig um die Erhaltung von wenigsten eines wichtigen Teils des ehemaligen Internierten-Lagers bemüht, bisher allerdings ohne viel Erfolg. Das heißt, er konnte noch gerade rechtzeitig eingreifen und verhindern, dass der angrenzende Jan Kempdorp-Golf Club sich nicht weiter über das historische Gelände ausgedehnt hat. Es hätte die restlose Zerstörung der noch vorhandenen Ruinen von Alt-Andalusia bedeutet. Aber wie lange noch, bevor im Sinne irgendeiner profitablen "new development" die stummen Zeitzeugen im Veld auf immer verschwinden?

Insgesamt bestand das Lager aus zwei großen aneinander grenzenden Arealen: ein Wohnbereich und der Auslauf. Letzteres Gelände war für die Internierten lediglich von 8 Uhr morgens bis 3 Uhr nachmittags geöffnet.
Wohnbereich
Im sog. Wohnbereich, dort wo die zirka 160 "Wellblechbuden" der Männer in elf graden Reihen von A bis L (die Zahl elf stimmt, denn es gab keine Reihe mit "I") gestanden haben, ist nichts mehr zu sehen. Der Platz ist mit hohem Gras bedeckt und man könnte leicht über die im Gras versteckten vierkantigen Betonsockel (sofern sie noch bestehen), auf denen die Buden gebaut waren, gefährlich stolpern. Gewagt haben wir es nicht. Wer weiß, was da noch alles zu finden wäre.

Das Gleiche gilt für den östlich angrenzenden, einst abgezäunten Auslauf. Es ist jetzt ein riesiges, wogendes Grasfeld - von unkundigen am besten Besuchern als "no-go land" anzusehen. Hier befand sich der Sportkamp mit allerhand Sportanlagen: eine 400m ovale Laufbahn, ein Fußballfeld, ein Handballplatz, eine Sprunggrube, das Schwimmbad und gleich neben dem Schwimmbad der von den Internierten liebevoll und eifrig gepflegte Gemüsegarten.

Was wäre zu machen, sollte ein Teil dieses Platzes durch Menschenhand planmäßig zerstört oder von unkundigen durch den Gang der Natur (Erosion und Wurzelschaden an alten Zementplatten und Fundamenten) der totalen Verwüstung anheim fallen? Zugegeben, dieser Ort ist einsam und abgelegen und wirkt vergessen und verwahrlost. Was sollte hier den Besucher anlocken?

Interesse an der Geschichte des einstigen Lagers für "feindliche Deutsche" und seine mögliche Sanierung und Erhaltung (vielleicht als Touristenattraktion?) besteht unter den jetzigen Einwohnern von Jan Kempdorp kaum. Diese kleine aber sehr ausgedehnte Ortschaft wird vor allem von verarmten Familien bewohnt, vorwiegend Tswana und Farbige. Wenige Weiße sind ansässig. Und von den neuen Behörden (seit 1994) ist gegenwärtige weder Verständnis noch Bereitwilligkeit zu erhoffen, wenigstens einen Teil des Geländes zu bewahren. Allerdings wird erfahrungsgemäß bei solchen Anliegen Geldmangel stets als Grund für das Desinteresse angegeben.

Als erster Schritt müsste das noch in Frage kommen Teilgelände des einst grossen Lagers vermessen und umzäunt werden und wahrscheinlich käuflich erworben oder gepachtet werden. Zu diesem Teilgelände müsste zugerechnet werden: das leere aber doch recht schmuckes Gebäude im Kap-Baustil (Baujahr 1939) der einstigen "Kommandantur" (als Restaurant, Touristenbüro und Curio-Laden vorzüglich geeignet!), sowie die Überreste von vielen Fundamenten von Gebäuden bez. Strukturen, z.B. die der Deutschen Schule (die zirka 1942 nicht aus Wellblech, sondern von den Internierten mit Backsteinen gebaut wurde ), die des Ess-Saales, die Mauerreste der vermeintlichen Küche, und vor allem das arg vernachlässigte Prachtstück des ehemaligen Lagers, nämlich das imposante Riesenschwimmbad mit seinen schräg abfallenden Betonwänden.

Das Haupteingangstor muss hier irgendwo gewesen sein sowie die Besucherbaracke mit ihren zwei dicken Maschendraht-Wänden, die im Abstand von etwa einem Meter in der Raummitte standen um zu verhindern, dass sich Besucher (meist die Ehefrauen aus Südwest) und Internierte ja nicht berühren konnten. Man musste zu viert oder zu fünft stehen und sich mit seinem Gegenüber durch den dicken Maschendraht unterhalten so gut es ging. Nur 30 Minuten pro Besuch pro Monat waren den Frauen erlaubt bevor die mit geschulternden Gewehren allgegenwärtige Soldatenwache rief: "Time's up!"
Rinder grasen hier
Knoke meinte beim Rundgang, dass am dringlichsten wenigstens das alte Schwimmbad eingezäunt werden sollte. Rinder pflegen hier ungestört zu grasen. Es bedarf eines einzigen Unfalls (vielleicht mit tödlichem Ausgang), wenn und falls ein unachtsames Farmtier in das einstige, jetzt leere Schwimmbad hineinfallen würde. Es wäre in solch einem Fall verständlich, wenn der entrüstete Eigentümer bez. Farmer kurzentschlossen dieses "unnütze und gefährliche Betonloch" im Gelände ein für allemal zuschütten und somit dem Erdboden gleichmachen würde. Das würde fast buchstäblich den Untergang dieses imposanten, historischen Überbleibsel aus der Kriegszeit bedeuten.

Es würde wohl einen gewissen Kostenaufwand erfordern, um die noch vorhandenen Ruinen des ehemaligen Lagers zu bewahren. Es müssten u.a. Gehwege geschaffen und dauerhafte (wahrscheinliche dreisprachige) Beschriftungen angebracht werden, um Besuchen und Touristen die Bedeutung der verschiedenen Mauerreste zu erklären. Eine Art Aufsichts- und Auskunftstelle müsste ebenfalls dargestellt werden, die wohl durchgehend besetzt werden müsste.
Naturstudien

Was beim Lesen des Kock'schen Buches auffällt, ist, dass sich der eine oder andere Internierte für die reichhaltige Vögel-, Pflanzen-, Insekten- Tier- und Mineralienvorkommnisse an diesem Flecken Südafrikas intensiv zu interessieren begann. Es wurden sogar hochwertige Studien von anerkannten, ebenfalls internierten, deutschen Naturwissenschaftlern über diese erstaunliche Naturvielfalt betrieben und beaufsichtigt. Dafür stand den "Dozenten" und ihren "Studenten" im Auslauf ausreichend viel wildwachsendes Veld zu Verfügung. Zeit für Naturbeobachtungen jeder Art gab es ja im Übermaß! Die Studierenden musste nur die erforderliche Geduld, Hingabe und Ausdauer dazu aufbringen.

Dieses rege Interesse hatte seinen guten Grund: Andalusia liegt zwar geographisch in der offenen Kalahari Dornbusch-Savanne, grenzt aber direkt an die zentral gelegene, mit üppigem Gras bewachsene südafrikanische Hochebene (Highveld) sowie an die im Süden gelegene Karoozone an. Die in den drei Zonen vertretenen Lebewesen aller Art treffen sich hier günstig.

Anschließend fuhren wir zum etwa 15 Minuten entfernten städtischen Friedhof von Jan Kempdorp. Das im November 1965 errichtete Holzkreuz zum Gedenken an die 17 im Lager verstorbenen Internierten ist sofort erkennbar, denn es tront über alle alten und neuen Gräber des stets benutzen Friedhofs hinweg. Die Gräber der Internierten reihen sich links und rechts vom Kreuz an dem Grenzzaun entlang. Man vermutet, dass es die ersten Gräber des Friedhofs gewesen sein können.

So manche Erinnerungen wurden an diesem Junisonntag wachgerufen. Vor allem die Erinnerungen an einen treusorgenden Vater und an einen geliebten Onkel. Nimmt man sich Zeit und Muße und hält inne und lauscht, so könnte man schwören, dass leise deutsche Männerstimmen über die einsame Gras- und Buschlandschaft aufkommen. Das wären die Geisterstimmen der Internierten, die hier damals tagtäglich ihrer Wege gingen. Sie trabten überall hin: zum zweimal am Tag stattfindenen Appell (roll call), zum Baden, zum Studium in der Schule, zum Werkunterricht in der Werkstatt, zur Gartenanlage, oder zu Turnübungen, Wettläufen, Fußballspielen u.a.m. im Sportkamp. Oder sie drehten tief plaudernd ihre Runden Stunde um Stunde am Stacheldraht entlang. Man könnte sich täuschen, aber ist da nicht die eine oder andere Weise von der vielfältige Musik des Internierten-Orchesters unter der Leitung von Willi Frewer oder Dr Silbernagl wahrzunehmen? Oder auch die flotten Klänge des Blasorchesters? Man könnte meinen, leise ans Ohr schwebende Stücke von Frewers meisterhaften Klavierkonzerten mitzuhören. Ebenso könnte man meinen, den Männerchor beim Singen ihrer alten Volkslieder in der friedlichen Stille dieser afrikanischen Einsamkeit zu belauschen.

Ob sich des Sängers Fluch, versunken und vergessen, eventuell auch für das alte Andalusia bewahrheiten wird? Oder kann das ehemalige Interniertenlager wieder aufleben, wenn auch in einer bescheidenen Form?

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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