Ein eigener Michelangelo? Gipsfiguren bewahren Kunstgeschichte
Von Sven Braun, dpa
Brüssel (dpa) - Vorsichtig nimmt Nele Strobbe einen Gegenstand in der Größe eines Pflastersteins aus dem Regal eines Lagers im Kunsthistorischen Museum in Brüssel. Sie öffnet ihn, und die betenden Hände einer Miniatur-Figur kommen zum Vorschein. Was Strobbe da aus dem Regal holt, ist eine der mehr als 4000 Formen der Gipsformerei in der belgischen Hauptstadt. Die Auswahl reicht von der Figur der Venus von Willendorf aus der Steinzeit bis zu einer Büste des Komponisten Georg Friedrich Händel aus dem 18. Jahrhundert.
Groß sei das Handwerk in Brüssel durch eine Entscheidung bei der Weltausstellung 1862 in London geworden, erklärt Strobbe, die Kuratorin der Gipsformerei. Ihr zufolge beschlossen die europäischen Staaten damals, sich unter anderem in den Bereichen Kunst und Kultur besser auszutauschen - dazu zählten auch Abgüsse aus Gips.
In einer Zeit vor der Fotografie und erschwinglichen Reisen für die breite Öffentlichkeit waren sie die einfachste Möglichkeit, ausländische Kunst im eigenen Land zu zeigen. „Die Gipsfiguren waren ein Medium, um zu zeigen, was alles existierte“, sagt Strobbe.
In Brüssel entstand für die Figuren sogar ein eigenes Museum. Damit verbunden nahm auch die Gipsformerei in einem Nebengebäude ihren Betrieb auf. In Detailarbeit fertigten die Arbeiter damals Formen, die auch rund 150 Jahre später noch im Einsatz sind. Heute existierten in Europa nur noch an drei Museen angebundene Werkstätten - neben Brüssel noch in Paris und Berlin.
Die Verfahren, um einen Gipsabguss zu erstellen, sind unterschiedlich. Die meist aus mehreren Teilen bestehenden Formen der Brüsseler Sammlung dienen als Negative der Kunstwerke. Sprich, sie bilden die Außenseite ab. In die Formen wird Gips in mehreren Schichten aufgetragen - anschließend trocknet der Rohling. Ein Arbeiter schabt zum Schluss noch abstehende Überreste ab. Auf Wunsch können Kunden die Abgüsse auch noch bemalen lassen.
Mit Verbreitung der Fotografie habe die Bedeutung der Abgüsse in den 1920er- und 30er-Jahren abgenommen, erklärt Strobbe. Die Kopien hätten an Wert verloren, weil die Leute das Original sehen wollten. Das Museum in Brüssel sei schließlich geräumt worden, weil dort eine neue Ausstellung ihren Platz finden sollte. Viele Stücke der damaligen Ausstellung seien bei der Räumung gebrochen oder verloren gegangen. Von den ehemals etwa 20 Mitarbeitern in der Gipsformerei sind es heute noch drei - inklusive Kuratorin.
Seit den 90ern nimmt das Interesse allerdings wieder zu. Die Gipsfiguren hätten ihr Image als billige Kopie verloren und würden als historischer Gegenstand angesehen. Die Kuratorin betont auch den dokumentarischen Wert ihrer Sammlung. So könnten der Welt längst verloren gegangene Kunstwerke zugänglich gemacht werden.
Auch ein deutsches Wahrzeichen habe davon bereits profitiert, sagt Miguel Helfrich, Leiter der Berliner Gipsformerei. Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört. In den letzten Kriegsjahren habe die Gipsformerei allerdings eine Form vom Original erstellt. In einer gemeinsamen Aktion von DDR und Bundesrepublik wurde 1957 mithilfe eines Abgusses aus der Werkstatt eine neue Figur angefertigt, sagt Helfrich. „Wir reproduzieren Objekte, die es so heutzutage nicht mehr gibt.“ Auch darin liege der Wert der Abgüsse.
Die Gipsfiguren gehen laut Strobbe zum Beispiel an Kunstakademien. Dort würden sie für Zeichenkurse gebraucht. Aber auch Privatpersonen können in der Gipsformerei Kunstwerke bestellen und ihr Haus so etwa mit einem eigenen Michelangelo schmücken. Die Nachbildungen sind deutlich erschwinglicher als die Originale. Je nach Größe und Komplexität zahlt man für eine Figur von ein paar Hundert bis zu mehreren Tausend Euro. Für den Garten rät die Kuratorin allerdings von Gipsstatuen ab. Diese sind anfällig für Feuchtigkeit und gingen nach einigen Jahren kaputt.
Brüssel (dpa) - Vorsichtig nimmt Nele Strobbe einen Gegenstand in der Größe eines Pflastersteins aus dem Regal eines Lagers im Kunsthistorischen Museum in Brüssel. Sie öffnet ihn, und die betenden Hände einer Miniatur-Figur kommen zum Vorschein. Was Strobbe da aus dem Regal holt, ist eine der mehr als 4000 Formen der Gipsformerei in der belgischen Hauptstadt. Die Auswahl reicht von der Figur der Venus von Willendorf aus der Steinzeit bis zu einer Büste des Komponisten Georg Friedrich Händel aus dem 18. Jahrhundert.
Groß sei das Handwerk in Brüssel durch eine Entscheidung bei der Weltausstellung 1862 in London geworden, erklärt Strobbe, die Kuratorin der Gipsformerei. Ihr zufolge beschlossen die europäischen Staaten damals, sich unter anderem in den Bereichen Kunst und Kultur besser auszutauschen - dazu zählten auch Abgüsse aus Gips.
In einer Zeit vor der Fotografie und erschwinglichen Reisen für die breite Öffentlichkeit waren sie die einfachste Möglichkeit, ausländische Kunst im eigenen Land zu zeigen. „Die Gipsfiguren waren ein Medium, um zu zeigen, was alles existierte“, sagt Strobbe.
In Brüssel entstand für die Figuren sogar ein eigenes Museum. Damit verbunden nahm auch die Gipsformerei in einem Nebengebäude ihren Betrieb auf. In Detailarbeit fertigten die Arbeiter damals Formen, die auch rund 150 Jahre später noch im Einsatz sind. Heute existierten in Europa nur noch an drei Museen angebundene Werkstätten - neben Brüssel noch in Paris und Berlin.
Die Verfahren, um einen Gipsabguss zu erstellen, sind unterschiedlich. Die meist aus mehreren Teilen bestehenden Formen der Brüsseler Sammlung dienen als Negative der Kunstwerke. Sprich, sie bilden die Außenseite ab. In die Formen wird Gips in mehreren Schichten aufgetragen - anschließend trocknet der Rohling. Ein Arbeiter schabt zum Schluss noch abstehende Überreste ab. Auf Wunsch können Kunden die Abgüsse auch noch bemalen lassen.
Mit Verbreitung der Fotografie habe die Bedeutung der Abgüsse in den 1920er- und 30er-Jahren abgenommen, erklärt Strobbe. Die Kopien hätten an Wert verloren, weil die Leute das Original sehen wollten. Das Museum in Brüssel sei schließlich geräumt worden, weil dort eine neue Ausstellung ihren Platz finden sollte. Viele Stücke der damaligen Ausstellung seien bei der Räumung gebrochen oder verloren gegangen. Von den ehemals etwa 20 Mitarbeitern in der Gipsformerei sind es heute noch drei - inklusive Kuratorin.
Seit den 90ern nimmt das Interesse allerdings wieder zu. Die Gipsfiguren hätten ihr Image als billige Kopie verloren und würden als historischer Gegenstand angesehen. Die Kuratorin betont auch den dokumentarischen Wert ihrer Sammlung. So könnten der Welt längst verloren gegangene Kunstwerke zugänglich gemacht werden.
Auch ein deutsches Wahrzeichen habe davon bereits profitiert, sagt Miguel Helfrich, Leiter der Berliner Gipsformerei. Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört. In den letzten Kriegsjahren habe die Gipsformerei allerdings eine Form vom Original erstellt. In einer gemeinsamen Aktion von DDR und Bundesrepublik wurde 1957 mithilfe eines Abgusses aus der Werkstatt eine neue Figur angefertigt, sagt Helfrich. „Wir reproduzieren Objekte, die es so heutzutage nicht mehr gibt.“ Auch darin liege der Wert der Abgüsse.
Die Gipsfiguren gehen laut Strobbe zum Beispiel an Kunstakademien. Dort würden sie für Zeichenkurse gebraucht. Aber auch Privatpersonen können in der Gipsformerei Kunstwerke bestellen und ihr Haus so etwa mit einem eigenen Michelangelo schmücken. Die Nachbildungen sind deutlich erschwinglicher als die Originale. Je nach Größe und Komplexität zahlt man für eine Figur von ein paar Hundert bis zu mehreren Tausend Euro. Für den Garten rät die Kuratorin allerdings von Gipsstatuen ab. Diese sind anfällig für Feuchtigkeit und gingen nach einigen Jahren kaputt.
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Allgemeine Zeitung
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