Ein moderner San besucht seine alte Kultur: Komisch, aber gut
Petres (30) und die anderen sind Buschleute, aufgewachsen auf einer Farm bei Otjiwarongo. Ziel ihrer Reise ist Grashoek, ein Dorf wo Ju/?Hoansi sprechende San ihre alten Traditionen wiederbelebt haben.
Wenige hundert Meter nach dem Seuchenkontrollpunkt auf der C44 Richtung Tsumkwe geht es links sechs Kilometer durch den Busch nach Grashoek. Historic Living Village steht auf dem Schild. Dort angekommen, umzingelt das halbe Dorf den VW Bus. Die Gastgeschenke werden verteilt: Maismehl, Zucker, Tabak. Petres steht schüchtern im Hintergrund, sein Blick verrät seine Unsicherheit, und Interesse.
Er bleibt auch während der Tanzaufführungen und Beschwörungsrituale der Medizinmänner im Hintergrund. Es ist alles neu für ihn. Nicht einmal aus Geschichten hat er bislang etwas über das traditionelle Leben seiner Volksgruppe erfahren. Die Kleidung, besonders den Tcaná - der Lendenschurz der Männer -, findet er "komisch".
Den jungen Dorfbewohnern in Grashoek ging es anfangs genauso. Selbstverständlich tragen sie Hose, Rock und T-Shirt. Auch wenn sie privat tanzen oder der Medizinmann in Trance die Krankheiten aus dem Körper lockt, sie dann symbolisch mit seinen Händen fängt und weit weg schleudert. Nun aber sollten sie plötzlich halb nackt auftreten - für Touristen.
Wie die traditionelle Kleidung aussieht, wie sie angefertigt und korrekt angezogen wird, lernten die Jungen von den Alten. Erst vor 20 bis 30 Jahren - genau kann sich keiner im Dorf erinnern - wurde der Lendenschurz durch Leinenhosen ersetzt.
Die Alten mussten nicht lange überzeugt werden. Stolz nehmen sie an den Vorführungen teil. Unter anderem wird den Besuchern gezeigt, wie eine traditionelle Hütte - die !óo Tcu - gebaut, ein Bogen hergestellt oder Essen zubereitet wird. Kxao sitzt in einer Hütte und schnitzt. Ab und zu zieht er an seiner Pfeife, hält den Rauch kurz in den aufgeblähten Backen und bläst ihn dann langsam aus. Heute ist nur Tabak in der Pfeife. Früher wurde auch das berauschende Harz des !O?oa-Baums geraucht.
Kxau ist der Stammesführer, erklärt Cwi "Henry" Nqani. Henry war einige Jahre in Tsumkwe an der Schule. Er brach sie ab und kehrte ins Dorf zurück. Er hatte nichts zu tun. Bis sie sich für das Historic Living Village-Projekt entschieden haben. Nun ist der 23-Jährige einer der Wichtigen im Dorf, der Englisch-Übersetzer. Er erklärt viel. Weiß er etwas nicht, wendet er sich an die Alten und lernt selbst dazu.
"Kxau ist das Oberhaupt des Dorfes", erzählt Henry. Zu erkennen ist er an seiner Schakalmütze. Die trägt er immer, auch zu Hose und Hemd. Seine Aufgaben? "Er lehrt uns die Traditionen und ist oberster Streitschlichter. Er mischt sich nur ein, wenn er darum gebeten wird". Und wann ist er geboren? Henry gibt die Frage weiter: "Am Tag, als der Regen beginnen wollte". Auf etwa 75 schätzen ihn einige. Vielleicht ist er zehn Jahre jünger, vielleicht zehn Jahre älter.
Nun steht Kxao auf, setzt sich in die Mitte, beginnt zu singen und auf einer Art Leier zu spielen. An diesem Tag ist auch ein Filmemacher aus Deutschland im Dorf, der im Auftrag von "Arte" und "3Sat" einige Sequenzen aus dem ursprünglichen Leben der San aufzeichnen soll. Bis auf wenige Zentimeter rückt der Kameramann dem Stammesführer auf den Leib, das Mikrofon baumelt direkt vor dessen Nase. Kxao lässt es mit Würde über sich ergehen.
Nun gilt die Aufmerksamkeit den Frauen, die laut singend und klatschend ein Ballspiel vorführen. Abseits, im Schatten unter einem Baum, sitzt Werner Pfeifer. Er lächelt zufrieden. Das Historic Living Village war seine Idee. "Mir geht es um zwei Dinge. Die Buschleute können so vom Tourismus profitieren und quasi nebenbei ihre Traditionen am Leben erhalten." Er selbst verdient nichts daran. Freilich will der Tourguide künftig Gruppen nach Grashoek führen. Aber genauso gut könnte er wo anders hinfahren.
Auch mischt sich Pfeifer nicht weiter in die Umsetzung des Projektes ein. Vor allem dafür hagelte es Kritik von San-Experten. Buschleute könnten nicht mit Geld umgehen, lautete eine der Warnungen. Nach zwei Monaten ist Pfeifer nun zurückgekommen, um zu sehen ob es noch läuft. Tut es.
"Es waren schon viele Besucher hier", freut sich Ghau "Visser" N!aic (27), Lehrer am Ort und gewählter "Museums-Manager". Er begrüßt die Gäste, organisiert die Gruppen und die Vorführungen, sorgt sich in Absprache mit den Dorfältesten darum, dass Kleidung, Schmuck und die Darbietungen den Traditionen entsprechen. Ghau kümmert sich auch um die Finanzen. Das Modell wurde von den Dorfbewohnern selbst entwickelt: Die Hälfte der Tageseinnahmen bekommen die Akteure. Momentan gibt es zwei Gruppen, die abwechselnd auftreten. Die zweite Hälfte der Einnahmen wiederum wird durch drei geteilt: Ein Drittel wird für das Dorf - beispielsweise die Schule - verwendet. So profitieren alle Bewohner vom Museumsprojekt. Ein Drittel wird in das Projekt reinvestiert: So soll unter anderem ein Telefon erspart werden, um künftig Buchungen entgegen nehmen zu können. Auch der Campingplatz soll ausgebaut werden. Noch ist es nur eine Lichtung im Busch, mit Plumpsklo und ohne fließend Wasser. Das letzte Drittel der Einnahmen wird für Notzeiten gespart.
Von Ghau erfährt Pfeifer, dass es im benachbarten Ort Rooidaghek eine San-Tanzgruppe gibt, die auch Interesse an Vorführungen hätte. Rooidaghek liegt direkt am Seuchenkontrollpunkt. Im Wellblechhüttendorf haben sich auch Herero und Kavango angesiedelt. Es gibt einen Bottlestore und eine kleine Bar. Und viele Alkoholleichen. Es ist 11 Uhr vormittags. Die Tänzer wissen, dass Werner Pfeifer rigoros die Arbeit mit Betrunkenen ablehnt und wollen deshalb einige hundert Meter entfernt vom Dorf auftreten. Die Abfahrt verzögert sich. Ein etwa 12-jähriger Junge mit trübem Blick und Fahne weigert sich, aus dem Bus auszusteigen. Nach einer Weile fügt er sich dem Druck der anderen und bleibt zurück.
Im Schatten eines Baumes klatschen, singen und tanzen die Jungen und Mädchen. Es ist bei weitem nicht perfekt, das wissen sie. Aber sie haben gerade erst damit angefangen. Bis zum nächsten Besuch Pfeifers im Dezember wollen sie weitere traditionelle Tänze und Gesänge einstudieren, nach alten Geschichten fragen und eigene Kleidung anfertigen, um sie nicht jedes Mal aus Grashoek ausleihen zu müssen.
Am nächsten morgen fährt Pfeifer weiter in den Norden nach Tsintsabis, wo ebenfalls ein Historic Living Village geplant ist. Petres Kauchab und seine Familie sollten ursprünglich mitfahren. Nun wollen sie aber noch bleiben, mehr über ihre Kultur erfahren. Den Lendenschurz findet Petres mittlerweile "gut". In einigen Tagen wird Pfeifer zurückkommen und sie abholen. Dann müssen sie mit. Immerhin können sie nun ihren Kindern und den anderen San in Otjiwarongo Geschichten erzählen: Von den Hütten, den Tänzen, den Spielen, der Jagd. Und von den Bergen östlich von Otavi.
Wenige hundert Meter nach dem Seuchenkontrollpunkt auf der C44 Richtung Tsumkwe geht es links sechs Kilometer durch den Busch nach Grashoek. Historic Living Village steht auf dem Schild. Dort angekommen, umzingelt das halbe Dorf den VW Bus. Die Gastgeschenke werden verteilt: Maismehl, Zucker, Tabak. Petres steht schüchtern im Hintergrund, sein Blick verrät seine Unsicherheit, und Interesse.
Er bleibt auch während der Tanzaufführungen und Beschwörungsrituale der Medizinmänner im Hintergrund. Es ist alles neu für ihn. Nicht einmal aus Geschichten hat er bislang etwas über das traditionelle Leben seiner Volksgruppe erfahren. Die Kleidung, besonders den Tcaná - der Lendenschurz der Männer -, findet er "komisch".
Den jungen Dorfbewohnern in Grashoek ging es anfangs genauso. Selbstverständlich tragen sie Hose, Rock und T-Shirt. Auch wenn sie privat tanzen oder der Medizinmann in Trance die Krankheiten aus dem Körper lockt, sie dann symbolisch mit seinen Händen fängt und weit weg schleudert. Nun aber sollten sie plötzlich halb nackt auftreten - für Touristen.
Wie die traditionelle Kleidung aussieht, wie sie angefertigt und korrekt angezogen wird, lernten die Jungen von den Alten. Erst vor 20 bis 30 Jahren - genau kann sich keiner im Dorf erinnern - wurde der Lendenschurz durch Leinenhosen ersetzt.
Die Alten mussten nicht lange überzeugt werden. Stolz nehmen sie an den Vorführungen teil. Unter anderem wird den Besuchern gezeigt, wie eine traditionelle Hütte - die !óo Tcu - gebaut, ein Bogen hergestellt oder Essen zubereitet wird. Kxao sitzt in einer Hütte und schnitzt. Ab und zu zieht er an seiner Pfeife, hält den Rauch kurz in den aufgeblähten Backen und bläst ihn dann langsam aus. Heute ist nur Tabak in der Pfeife. Früher wurde auch das berauschende Harz des !O?oa-Baums geraucht.
Kxau ist der Stammesführer, erklärt Cwi "Henry" Nqani. Henry war einige Jahre in Tsumkwe an der Schule. Er brach sie ab und kehrte ins Dorf zurück. Er hatte nichts zu tun. Bis sie sich für das Historic Living Village-Projekt entschieden haben. Nun ist der 23-Jährige einer der Wichtigen im Dorf, der Englisch-Übersetzer. Er erklärt viel. Weiß er etwas nicht, wendet er sich an die Alten und lernt selbst dazu.
"Kxau ist das Oberhaupt des Dorfes", erzählt Henry. Zu erkennen ist er an seiner Schakalmütze. Die trägt er immer, auch zu Hose und Hemd. Seine Aufgaben? "Er lehrt uns die Traditionen und ist oberster Streitschlichter. Er mischt sich nur ein, wenn er darum gebeten wird". Und wann ist er geboren? Henry gibt die Frage weiter: "Am Tag, als der Regen beginnen wollte". Auf etwa 75 schätzen ihn einige. Vielleicht ist er zehn Jahre jünger, vielleicht zehn Jahre älter.
Nun steht Kxao auf, setzt sich in die Mitte, beginnt zu singen und auf einer Art Leier zu spielen. An diesem Tag ist auch ein Filmemacher aus Deutschland im Dorf, der im Auftrag von "Arte" und "3Sat" einige Sequenzen aus dem ursprünglichen Leben der San aufzeichnen soll. Bis auf wenige Zentimeter rückt der Kameramann dem Stammesführer auf den Leib, das Mikrofon baumelt direkt vor dessen Nase. Kxao lässt es mit Würde über sich ergehen.
Nun gilt die Aufmerksamkeit den Frauen, die laut singend und klatschend ein Ballspiel vorführen. Abseits, im Schatten unter einem Baum, sitzt Werner Pfeifer. Er lächelt zufrieden. Das Historic Living Village war seine Idee. "Mir geht es um zwei Dinge. Die Buschleute können so vom Tourismus profitieren und quasi nebenbei ihre Traditionen am Leben erhalten." Er selbst verdient nichts daran. Freilich will der Tourguide künftig Gruppen nach Grashoek führen. Aber genauso gut könnte er wo anders hinfahren.
Auch mischt sich Pfeifer nicht weiter in die Umsetzung des Projektes ein. Vor allem dafür hagelte es Kritik von San-Experten. Buschleute könnten nicht mit Geld umgehen, lautete eine der Warnungen. Nach zwei Monaten ist Pfeifer nun zurückgekommen, um zu sehen ob es noch läuft. Tut es.
"Es waren schon viele Besucher hier", freut sich Ghau "Visser" N!aic (27), Lehrer am Ort und gewählter "Museums-Manager". Er begrüßt die Gäste, organisiert die Gruppen und die Vorführungen, sorgt sich in Absprache mit den Dorfältesten darum, dass Kleidung, Schmuck und die Darbietungen den Traditionen entsprechen. Ghau kümmert sich auch um die Finanzen. Das Modell wurde von den Dorfbewohnern selbst entwickelt: Die Hälfte der Tageseinnahmen bekommen die Akteure. Momentan gibt es zwei Gruppen, die abwechselnd auftreten. Die zweite Hälfte der Einnahmen wiederum wird durch drei geteilt: Ein Drittel wird für das Dorf - beispielsweise die Schule - verwendet. So profitieren alle Bewohner vom Museumsprojekt. Ein Drittel wird in das Projekt reinvestiert: So soll unter anderem ein Telefon erspart werden, um künftig Buchungen entgegen nehmen zu können. Auch der Campingplatz soll ausgebaut werden. Noch ist es nur eine Lichtung im Busch, mit Plumpsklo und ohne fließend Wasser. Das letzte Drittel der Einnahmen wird für Notzeiten gespart.
Von Ghau erfährt Pfeifer, dass es im benachbarten Ort Rooidaghek eine San-Tanzgruppe gibt, die auch Interesse an Vorführungen hätte. Rooidaghek liegt direkt am Seuchenkontrollpunkt. Im Wellblechhüttendorf haben sich auch Herero und Kavango angesiedelt. Es gibt einen Bottlestore und eine kleine Bar. Und viele Alkoholleichen. Es ist 11 Uhr vormittags. Die Tänzer wissen, dass Werner Pfeifer rigoros die Arbeit mit Betrunkenen ablehnt und wollen deshalb einige hundert Meter entfernt vom Dorf auftreten. Die Abfahrt verzögert sich. Ein etwa 12-jähriger Junge mit trübem Blick und Fahne weigert sich, aus dem Bus auszusteigen. Nach einer Weile fügt er sich dem Druck der anderen und bleibt zurück.
Im Schatten eines Baumes klatschen, singen und tanzen die Jungen und Mädchen. Es ist bei weitem nicht perfekt, das wissen sie. Aber sie haben gerade erst damit angefangen. Bis zum nächsten Besuch Pfeifers im Dezember wollen sie weitere traditionelle Tänze und Gesänge einstudieren, nach alten Geschichten fragen und eigene Kleidung anfertigen, um sie nicht jedes Mal aus Grashoek ausleihen zu müssen.
Am nächsten morgen fährt Pfeifer weiter in den Norden nach Tsintsabis, wo ebenfalls ein Historic Living Village geplant ist. Petres Kauchab und seine Familie sollten ursprünglich mitfahren. Nun wollen sie aber noch bleiben, mehr über ihre Kultur erfahren. Den Lendenschurz findet Petres mittlerweile "gut". In einigen Tagen wird Pfeifer zurückkommen und sie abholen. Dann müssen sie mit. Immerhin können sie nun ihren Kindern und den anderen San in Otjiwarongo Geschichten erzählen: Von den Hütten, den Tänzen, den Spielen, der Jagd. Und von den Bergen östlich von Otavi.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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