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Ein namibischer Farmer bringt Rat nach Usbekistan (I)

Anlass dieser Reise war ein kurzzeitiger Beratervertrag mit der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), die von mir untersucht und geprüft haben wollte, ob und wie die Karakulwirtschaft in der Region "Navoij" umstrukturiert und modernisiert werden kann. Spezifisch ging es um zwei Hauptthemen, nämlich Zucht und Vermarktung.

Ich flog also am 18. Januar von Windhoek aus mit der Air Namibia sehr bequem in der Business Klasse und gut ausgerüstet mit reichlich warmer Kleidung und allerhand Informationsmaterial über unsere Karakulwirtschaft zunächst nach Frankfurt. Dort holte ich mir dann im usbekischen Generalkonsulat mein Visum ab und suchte die GTZ Zentrale in Eschborn auf, um noch verschiedene Detailfragen betreffs meines Vertrages zu klären. Außerdem machte ich Termine mit einigen Frankfurter Pelzfirmen, die ich nach meiner Rückkehr aufsuchen wollte.

Am 20. sollte die Boeing 767 der "Usbekistan Airways" um 20.35 Uhr Richtung Taschkent abfliegen, tatsächlich hoben wir erst um 00.30h Uhr ab, da die Maschine mit großer Verspätung aus Taschkent in Frankfurt am Main ankam. Aber ich war an Bord, wieder in der Business Klasse und mit freundlicher Crew, bestens aufgehoben auch wenn die Mahlzeiten im Vergleich zur Air Namibia eher bescheiden ausfielen und Rot- sowie Weißwein lieber als Dessertweine eingestuft werden sollten. Unterwegs mussten wir die Uhren 4 Stunden vorstellen, sahen leider zunächst wegen Dunkelheit und dann wegen dichter Wolkendecke, die erst ganz kurz vor Taschkent aufriss, gar nichts und landeten nach sechsstündigem Flug mit wenigstens etwas Schlaf um 10.30 Uhr Ortszeit.

Ausgemusterte Flugzeuge

Schon am Flughafen sah ich dann das mir noch von meiner Kasachstanreise 1992 in Erinnerung gebliebene Bild auch hier: dringenden Reparaturbedürftigkeit an vielen Ecken. Außerdem auch auf dem Taschkenter Flughafen viele ausgemusterte alte Flugzeuge. Aber die Formalitäten gingen flott voran, und so wurde ich dann bald sehr freundlich von "meiner GTZ Crew" bestehend aus Muchtar Guljamow, Muzaffer Karimov, und Leonid empfangen. Muchtar (52) ist gebürtiger Usbeke, hat in Moskau studiert, ging dann nach Ostberlin, hat dort geheiratet und spricht perfekt Usbekisch, Russisch und Deutsch. Er ist beim GTZ-Team in Taschkent als Betreuer der Wirtschaftsförderungsprogramme tätig und war sozusagen meine Graue Eminenz. Muzaffer (23), hat Sprachen studiert, ist für eine deutsche Baufirma in Taschkent tätig und war mir als Dolmetscher zugeteilt, und Leonid war unser Fahrer. In den folgenden Tagen wurden wir zu einer sehr netten Gruppe mit viel Spaß. Wir bestiegen einen dieselgetriebenen Hyundai Kombi mit etwas wenig Fußraum, aber sonst bequem und ab ging es Richtung Navoij, da durch die Verspätung schon sechs wertvolle Stunden verlorengegangen waren. Nur einen kurzen Stop bei einer Bank zum Geldwechsel legten wir noch ein. Ich tauschte zunächst U$100 in 100 000 Sum, die usbekische Währung, ein und erhielt einen gewaltigen Packen Scheine, weil die größte Banknote der Tausend Sumschein ist! Sie wurden mit einem roten Gummiband zusammengehalten und jedermann zog bei der Bezahlung solche Notenbündel mit roten Gummibändern heraus. Später entdeckte ich, dass man fast überall auch direkt mit Dollar bezahlen kann, immer im Verhältnis eins zu tausend, und habe deshalb keine weiteren Umtausche mehr vorgenommen. Es empfiehlt sich Dollarnoten in kleinen Denominierungen mitzuhaben.

Große Bewässerung

Wir fuhren nun auf einer breiten Autobahn in deren Mitte Betonbegrenzungen die Gegenspur abtrennen gen Süden, selten schneller als 90 kmh, weil die Straße zwar geteert, aber ziemlich holprig war, und Leonid außerdem insgesamt sehr vorsichtig fuhr. Taschkent hat zwei Millionen Einwohner, und man fährt einige Zeit bis man die Stadt hinter sich lässt. Kaum waren wir aus der Stadt, sah ich die ersten kleineren Karakulherden, die von Hirten bewacht, am Wegesrand weideten. Das, so erfuhr ich denn, seien Privatherden. Neben der Straße begleiteten uns endlos erscheinende Äcker, die wohl anfangs noch vom Regen benässt werden, aber sehr bald sah ich immer wieder lange, teils sehr breite Bewässerungskanäle. Und diese Äcker, auch mal kleiner und gelegentlich mit Obst- und Maulbeerbäumen bepflanzt, begleiteten uns fast die ganzen ca. 500 km bis nach Navoi.

Die Zucht von Seidenraupen wird hier recht intensiv betrieben. Die Böden hatten praktisch überall die gleiche dunkelgraue Farbe. Ich hatte über die viele Bewässerung schon gelesen, aber doch nicht erwartet, dass sie solche Dimensionen haben würde. In Usbekistan werden etwa 8 Mio ha bewässert und dabei ein ganz großer Teil des Wassers verbraucht, das eigentlich über den Amurdarja im Süden und den Syrdarja im Norden den Aralsee erreichen sollte. Der Amurdarja entspringt am Hindukush und bildet die südliche Grenze Usbekistans zu Afghanistan, und Turkmenistan, den Syrdarja der aus Kirgisistan kommt, überfuhren wir auf einer großen Brücke südlich Taschkents. Er fließt nach Norden dann auf langen Wegen durch Kasachstan, wo auch intensive Bewässerung betrieben wird, und erreicht inzwischen auch nur noch als Rinnsal den Aralsee.

Usbekistan hatte innerhalb der Sowjetunion die Aufgabe Baumwolle zu produzieren und ist dadurch zum fünftgrößten Baumwollproduzenten der Erde geworden. Auch heute noch werden zur Erntezeit aus Büros und Fabriken die Menschen zur Baumwollernte aufs Land befohlen. Am südlichen Ufer des Aralsees hatte Usbekistan die einst bedeutende Hafenstadt Muynak, und die Fischfangindustrie spielte dort eine große Rolle. Heute liegt Muynak etwa 160 km vom Wasser entfernt! Das allmähliche durch menschlichen Einfluss bedingte Austrocknen des Aralsees wird allgemein als eine der größten Umweltkatastrophen der Erde überhaupt angesehen!

Funktioniert irgendwie

Wir fuhren also in gut sieben Stunden bei bedecktem Himmel und etwa Null Grad zu unserem Ziel Navoi, vorbei an Samarkand, ungefähr der Route der alten Seidenstrasse folgend und nur einmal durch eine Essenspause unterbrochen. Unterwegs reihte sich beinahe ein Dorf an das andere, die Gegend sehr dicht besiedelt und von Landwirtschaft dominiert. Die Häuser sind schlicht, weiß gekalkt, (sowie ja auch jeder Baumstamm im unteren Bereich, angeblich gegen Ameisen), relativ ungepflegt und wie fast alles dort, nach unserem Empfinden reparaturbedürftig, oft aus verputztem Lehm und meist mit Asbest gedeckt. Zwischen den Häusern immer irgendwelche Kabel, Leitungen und Rohre kunterbunt im Gelände dazu jede Menge kleine wassergefüllte Kanäle, die alle fließen. Jedes Haus auch mit eigenem Gemüsegarten und Obstbäumen.

Immer wieder sah ich auch Stallungen, deren Dächer aus bemoostem Lehm bestehen. Diese Dächer waren teilweise als Veranden konstruiert und darunter standen gelegentlich angepflockte Ziegen oder Rinder vor kleinen Heuhaufen. Die Rinder waren klein und wirkten ungepflegt. Immer wieder auf der Strasse kleine Einmann- Donkeykarren manchmal hochbeladen. Eine Pferdekarre entdeckte ich in deren Box ein Friesenbulle transportiert wurde! Strom und Telefonmasten überall, unten mit Betonteil in der Erde, oberhalb dann der Holzmast angeschellt aber nicht unbedingt von Preußen ausgerichtet.

Strom gibt es getreu der Leninschen Weisung von Anno dazumal überall! Wie gesagt: Alles hätte meinem Empfinden nach einer gründlichen Renovierung bedurft, aber man bekommt das Gefühl, dass das äußere Erscheinungsbild von Häusern und Anlagen den Menschen nicht wichtig ist, es muss nur irgendwie funktionieren. Später lernte ich dann aber, dass die Usbeken innerhalb ihrer Häuser sehr wohl Liebe zum Detail entwickeln und stolz auf das hübsche Heim sind. Tankstellen sah ich viele, aber kaum eine wirkte in Betrieb. Mein Fahrer Leonid brauchte auf unserer Rückfahrt von Buchara nach Navoi einige Tage später Diesel und hatte an keiner Tankstelle in Buchara etwas finden können. Plötzlich hielt er an der großen Strasse neben einem winkenden Knaben, fuhr in einen Hinterhof und kaufte zweimal 20 Liter Diesel. Auf meine neugierigen Fragen, erfuhr ich dass die Kleinbauern das Diesel praktisch umsonst bekommen, gar nicht alles verbrauchen können und dann eben, am Wegesrand stehend, es verhökern. Systemski Usbekski!

Die Menschen waren meist in lange zum Teil sehr bunte Mäntel gekleidet und man sieht sowohl mongolische wie arische Gesichtszüge. Usbekistan ist ein ausgesprochener Vielvölkerstaat mit Usbeken, Kasachen, Turkmenen, Tadschiken, Iranern,Russen und vielen mehr. Umgangssprachen sind Russisch und Usbekisch etwa gleichermaßen und lateinische und kyrillische Buchstaben tauchen beide im öffentlichen Schriftbild auf.

Besondere Fleischspieße

Vor einem für mich gar nicht mal als solchem erkenntlichen sehr einfachen "Restaurant" hingen einige frischgefangene Süßwasserfische an Drähten aufgehängt und der Wirt, ein junger Bursche in langem Mantel, wurde von meinen Kollegen nach seiner Speisekarte befragt. Daraufhin verschwand er und kam mit einer Handvoll Fleischspieße (Schaschlik) zurück: immer ein Fleischwürfel, ein Würfel reines Hammelfett, ein Fleischwürfel usw. Er legte die Spieße nach unserer Zustimmung auf eine eckige Rinne in einem etwa ein Meter hohen Gestell, stocherte in der Asche und siehe da, es kam etwas Glut hervor. Wir gingen solange in die mit großen Wandgemälden von hüpfenden Delfinen dekorierte Stube, an unseren Tisch mit Plastikdecke und Plastik-Stapelstühlen und genossen schon mal Kartoffelsuppe mit Hammelfleisch, selbstverständlich immer Karakul, Fladenbrot, sauer eingelegte verschiedene Gemüsesorten dazu grünen Tee und schließlich unsere Schaschliks. Alles schmeckte nicht schlecht und nur an die Hygiene durfte ich nicht allzu hohe Ansprüche stellen.

Als Serviette legte er uns ein speckiges Tuch für alle auf den Tisch. Das ganze für vier Personen kostete dann US$ 4.- ! Um nach meiner noch lebhaften Kasachstan Erfahrung meinen Magendarmtrakt nicht unnötig zu gefährden, hatte ich schon in Frankfurt begonnen prophylaktisch morgens und abends eine Kapsel Interflora (Perenterol) zu nehmen, und diese Behandlung hat mir sichtlich gut getan. Ein oder zweimal während der Reise hatte ich das leise Gefühle das unterwärts die Bakterien am kämpfen wären, aber es ist zu keinerlei Verstimmung gekommen. Nach Kasachstan mussten wir drei Reiseteilnehmer unsere Hausärzte aufsuchen! Die Stube hätte übrigens deutlich sauberer sein können, aber sie war warm Dank Gasheizung. In Usbekistan hat fast jedes Haus, auch in den entlegenen Gebieten, einen Gasanschluss und Strom natürlich sowieso!

Plattenbauten und Industrie

Wir erreichten Navoi nach Einbruch der Dunkelheit und wurden schon vom Gouverneur, dem "Hokkim" der Region, und verschiedenen Beamten ungeduldig erwartet. Von unterwegs waren Sie allerdings per Handy über unsere Verspätung informiert worden. Ich war inzwischen nicht mehr so ganz frisch, musste aber sofort vollste Aufmerksamkeit entwickeln für den Vortrag des Hokkims über die Region Navoi und ihre Sonderheiten: die Stadt Navoi mit etwa 130 000 Einwohnern entstand zu sowjetischen Zeiten auf dem Reißbrett mit großen breiten Strassen, Plätzen und Parks, Plattenbauten und Industrieanlagen. Der Goldbergbau spielt in der Region eine große Rolle und auch die Südafrikaner sind schon dort. Auch die Herstellung von Düngemitteln ist eine wichtige Industrie. Aber es ging ja hauptsächlich um die Karakuls. Die Navoiregion von etwa 130 000 km_ hat angeblich etwa 50% aller Karakuls von Usbekistan nämlich 1,6 Mio Schafe, 1,1 Mio auf den ehemaligen Kolchosen, die jetzt Produktionsgenossenschaften genannt werden, und den Rest als Besitz von privaten Eigentümern. In den letzten Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind viele zentralistisch gelenkte Strukturen zusammengebrochen und damit auch die etablierten Vermarktungswege für die Karakulfelle. Außerdem ist die Zucht verwahrlost und nicht mehr konsequent durchgeführt worden. Inzwischen sei die Produktion von Fleisch aus Karakul fast wichtiger als die Felle geworden, aber man wolle das Exportprodukt Karakulfell wieder in Gang bringen und habe sich deshalb um Hilfe an die GTZ gewandt. Ich möchte mir doch bitte alles genau ansehen und am Ende meiner Zeit nocheinmal bei ihm vorbeischauen und meine Eindrücke mit ihm teilen. Das nette Gespräch mit dem freundlichen etwas grobschlächtigen Russen, es sind ja nach wie vor sehr viele Russen dort, verlief über meinen Dolmetscher Muzaffer, der mit der Fachterminologie am Anfang so seine Probleme hatte, aber durchaus lernfähig war.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-15

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