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Ein schwarzer Freitag: Roy Bennett verschleppt - AZ dabei

Dass dieser Tag in einem Alptraum enden würde, hätte wohl keiner von uns gedacht, als wir am Freitagmorgen von einer Farm im simbabwischen Distrikt Beatrice gen Harare aufbrechen. Gerade einmal 48 Stunden war unsere Gruppe in Simbabwe, hatte dort die Vereidigung von MDC-Chef Morgan Tsvangirai und dessen umjubelte Rede im Glamis-Stadion miterlebt, hatte sich den Hauch des Neuanfangs um die Nase wehen lassen, Pläne gemacht.
Heute soll es also zurückgehen. 14 Uhr, vom Charles-Prince-Flughafen am Rande von Harare, auf dem wir zwei Tage zuvor aus Sicherheitsgründen gelandet waren. Wir, das sind fünf prominente MDC-Unterstützer und -Berater aus Südafrika, größtenteils Exil-Simbabwer, sowie ein in Dubai lebender simbabwischer Jungautor, der unseren Privatjet, eine Pilatus samt Pilotin Griselde, gesponsert hat, und ich. Aus Gründen der Sicherheit kann ich nur die Vornamen meiner Mitstreiter nennen
Ein Anruf reißt uns auf der Rückfahrt aus unserer Hochstimmung. Wir müssen sofort zum Flughafen, heißt es. Abflug um 12 Uhr. Der Geheimdienst hat offensichtlich mal wieder unsere Spur aufgenommen, wie schon seit unserer Landung am Mittwoch - und das, obwohl wir vorgetäuscht hatten, zu einer anderen Zeit und auf einem anderen Flughafen, nämlich dem internationalen, anzukommen.
Wir haben keine Wahl, hetzen also zum Charles-Prince-Flughafen - um feststellen zu müssen, dass zwar unser eigens hergerufener Grenzbeamter einsatzbereit ist, nicht aber unser Flugzeug. Ein technisches Problem müsse erst noch behoben werden, der Abflug verzögere sich. "Freitag, der 13.", schmunzeln wir alle - nicht ahnend, dass es schlimmer kommen sollte.

Vizeminister in Shorts und Flip-Flops

Wir versammeln uns also wieder an der Bar des Mashonaland-Fliegerclubs und warten bei schlechtem Bier namens Bohlinger und Cola, die schmeckt, als wäre sie noch zur Zeit vor der simbabwischen Unabhängigkeit abgefüllt worden. Auch der Preis ist nicht ersichtlich. 1 Unit, eine Einheit - was auch immer das ist. Gezahlt werden kann in US-Dollar oder Rand, für letzteres gibt es aber kein Wechselgeld. Der Fliegerclub hatte einst sechshundert Mitglieder, heute sind es nicht mal mehr 100. Sein britisch-angehauchtes Flair haben allerdings sowohl er als auch die gelegentlich hereinschauenden Mitarbeiter trotzdem nicht verloren.
Plötzlich schwingt die Tür auf und ein untersetzter Mittfünfziger in Shorts, Flip-Flops und T-Shirt kommt herein. Roy Bennett. Keiner von uns wusste, dass der designierte Vize-Landwirtschaftsminister und berühmte MDC-Politiker hier sein, gar mit uns fliegen würde. Nur Lance wusste es; der Flugzeuggönner, der ihm am Tag zuvor einen Sitz in der Pilatus versprochen hatte.
Roy Bennett ist eine der schillerndsten und gleichzeitig meistverfolgten Personen in der MDC. Der Kaffeefarmer wurde 2003 enteignet, Dutzende Male angegriffen, belästigt, verhaftet und sogar nach einer Auseinandersetzung im Parlament mit dem damaligen ZANU(PF)-Justizminister Patrick Chinamasa von den Abgeordneten zu einem Jahr Haft verurteilt. Seit 2007 lebt er als Asylant in Südafrika und war erst vor wenigen Wochen nach Simbabwe zurückgekehrt, wo er überraschend zum Vizelandwirtschaftsminister ernannt worden ist. Seit wenigen Tagen wird er per Haftbefehl gesucht, am Freitag hat Südafrikas Präsident Kgalema Motlanthe allerdings die Direktive herausgegeben: "Finger weg von Roy Bennett" - und jetzt ist er mit uns am Flugplatz, um vor seinem Amtsantritt nochmals zu seiner Familie zu fliegen. Er kennt mich, kennt meinen Namen, weiß, was ich mache. Wir unterhalten uns ein bisschen. Natürlich können wir im Flugzeug ein Interview machen, kein Problem, sagt er.

"Gebe Dir gerne ein Interview"

Anstandslos stempelt unser Einwanderungsbeamte Danny unsere Pässe und die Passagierliste des Flugzeugs. Wir sind offiziell raus aus Simbabwe. Es ist kurz vor 14 Uhr, als wir die provisorisch reparierte Pilatus besteigen, die Türen schließen und winkend gen Startbahn rollen. Goodbye Simbabwe.
Plötzlich, mein Uhr zeigt 14.02 Uhr, rauschen ein schwarzer BWM und weitere Fahrzeuge auf den staubigen Vorplatz von Charles Prince. "Maschine sofort stoppen", dröhnt es durch Pilotin Griseldes Kopfhörer. Jeder im Flieger weiß: Hier kommt ein ernsthaftes Problem. "Zieh durch, heb ab, nichts wie weg", ist die einhellige Meinung. Doch Griselde kann und darf nicht - und angeblich hätte uns sogar der Abschuss gedroht. Die Motoren werden gedrosselt, der Propeller gestoppt, wir drehen um und parken wieder ein. Warten. "Die wollen mich", sagt Roy Bennett. "Also gehe ich da jetzt raus." Was sollen wir daraufhin antworten? Er wirkt gefasst.


"Die wollen mich"

Schließlich kennt er die Staatswillkür. Allein zwischen 2000, als er einer von drei weißen Parlamentariern für die MDC wurde, und 2004, kurz vor Enteignung seiner Farm bei Chimanimani, wurde sein Grund und Boden knapp 90 Mal überfallen, zahllose Mal geplündert, zwei Mal wurde er verhaftet, drei Mal angegriffen; auch vor seiner Familie und seinen Angestellten machten Mugabes Schergen nicht Halt.
Jetzt übergibt Bennett schnell seinen Laptop und sein Handy an John, erteilt letzte Instruktionen, wer angerufen werden muss, nickt kurz in die Runde und verlässt gemeinsam mit Eric den Flieger. Wir sehen nur, wie Bennett von zwei Männern weggeführt wird. Männer, die sich weigern, ihre Identität und ihren Posten preiszugeben. Wenig später wird er in einen weißen Pickup geworfen, der mit ihm davonbraust.
Zunächst heißt es, wir dürften das stickend heiße Flugzeug nicht verlassen, bis die Polizei komme. Wie die Wilden beginnen wir, unsere Adressbücher und Kurznachrichten im Handy zu löschen, verstecken verhängnisvolle Papiere und Kamera-Speicherkarten unterm Sitz, im Gepäck, unterm Teppich, stimmen unsere Geschichte ab. Wir waren lediglich auf Einladung von Morgan Tsvangirai zu Vereidigung im Land - ganz legal. Unsere Pässe sind gestempelt, unser Flugzeug hatte die Startfreigabe.
Minuten später dürfen wir zumindest die Maschine verlassen. Die Polizei werde uns gleich alle einzeln verhören und verhaften unter dem Vorwurf, Roy Bennett illegal aus dem Land schaffen zu wollen, erfahren wir von zwei Männern der gefürchteten und kompromisslosen Law-and-Order-Einheit. Die Angst klettert wahrscheinlich nicht nur mir die Kehle hoch. Wir sind in Simbabwe, wo man im Polizeigewahrsam einfach so verschwinden kann.

Verhaftung und Einzelverhör für alle?


Inzwischen erfahren wir, dass Roy Bennett zunächst zur polizeilichen Verhörstation Goromonzi, 30 km außerhalb Harares, gebracht wurde und der Tross nun mit hoher Geschwindigkeit weiter über Marondera gen Mutare nahe der Grenze zu Mosambik rast. Bennetts Sohn und Freunde haben die Verfolgung aufgenommen, scheibchenweise werden wir informiert.
Endlich bekomme ich die deutsche Botschaft an die Strippe. Drei Nächte lang hat Botschafter Albrecht Conze Roy Bennett Unterschlupf gewährt - und jetzt will er ein Team zum Flugplatz schicken, um mich zu betreuen. Nie zuvor habe ich mich so sehr über deutsche Unterstützung gefreut. Zwei Männer und eine Frau schickt die deutsche Vertretung und der Boss wird sogleich im Tower aktiv, während wir alle hektisch mit unseren Handys herumtelefonieren. Die Welt soll erfahren, was hier passiert, die Medien werden informiert und wir versuchen, von der MDC-Parteispitze Instruktionen zu bekommen.
Immer wieder kommen und gehen Männer, einmal auch ein uniformierter Polizist. Wird er uns verhaften? Mit erhobener Nase schreitet er zum Tower. Neuigkeiten von Roy Bennett bekommen wir nicht, Morgan Tsvangirai geht nicht an sein Handy, er feiert gerade im Staatshaus mit Präsident Robert Mugabe die Vereidigung der Minister. Er weiß, dass Bennett verschleppt wurde. Die Zeremonie geht trotzdem weiter. Angeblich haben Mugabe und der neue Verteidigungsminister Emerson Mnangagwa Bennetts sofortige Freilassung angeordnet. Dann kommt Danny, der Grenzbeamte, zu uns. Er habe gerade einen Anruf erhalten. Roy Bennett sei freigelassen und in wenigen Minuten hier. Das Fünkchen Hoffnung wird schnell zerstört: Die Meldung war eine Ente.

Keine Reaktion von Tsvangirai


Die Stunden ziehen vorbei. Drei Mal werde ich ins mittlerweile verschlossene und angeblich beschlagnahmte Flugzeug geschickt, um unter Vortäuschung von Magenkrämpfen Dinge hinein- oder herauszuschmuggeln - so zum Beispiel Roy Bennetts Laptop, den wir an das Team der deutschen Botschaft übergeben. Auch mein Geld verstecke ich im Flieger. Mugabes Schergen soll es nicht in die Hände fallen - obwohl Geld so unwichtig wird, wenn es ums Leben geht.
Endlos langsam zieht die Zeit vorbei. Es ist fast 17 Uhr, wir halten uns mit widerlichen Sandwiches und abgestandenem Gin&Tonic aus der Bar des Fliegerclubs am Leben. Der Zigarettenkonsum wächst selbst bei den Nichtrauchern ins Unermessliche. Wann kommt die Verhör- und Folterpolizei?
Und dann das: Plötzlich heißt es von der Flughafenmanagerin: "Los! Ihr müsst sofort fliegen." Lance, der Flugzeug-Sponsor, weigert sich. Uns fehlt ein Passagier, bellt er über das Rollfeld. Er gehe nicht ohne Bennett, habe es ihm am Vortag ins Gesicht versprochen. Der Rest des Teams will eigentlich nur weg. Wir wissen alle, dass der MDC-Politiker heute nicht mehr freigelassen wird. Danny bietet sich an, dass er die Passagierliste neu schreibt - ohne Bennetts Namen - und stempelt, damit wir keine Probleme bei der Einreise in Johannesburg bekommen. Der Beamte weiß wohl, dass er ohnehin Probleme bekommen könnte. Er hat Bennett erkannt, seine Ausreise genehmigt und dann noch mit unserer "Verschwörergruppe" an der Bar gesessen.

Die Helden des Tages

Neben Pilotin Griselde, die die Situation völlig abgeklärt meistert, und der deutschen Botschaftsdelegation war Danny ganz sicher einer der Helden dieses Tages. "Wenn wir eine echte neue Regierung haben, kriegst Du einen Top-Posten", meint John schmunzelnd zu dem Staatsdiener.
Auch die deutsche Botschaft meint, wir sollten fliegen. Jetzt. Über Nacht kann sich eine Meinung immer ändern, vielleicht werden wir doch noch festgesetzt. Lance will auf die Presse warten, die auch tatsächlich in Person von Peter Godwin erscheint. Der Buchautor ist einer von Simbabwes Topjournalisten und redet auf Lance ein. In Johannesburg könnten wir viel mehr Öffentlichkeit für diese Sache erreichen, meint er. Schon jetzt ist Bennetts Verschleppung die Topgeschichte in den englischsprachigen Medien. Danny macht Druck. Um 18 Uhr schließt der Charles-Prince-Flughafen. Wir haben noch fünf Minuten. Es ist wohl Johns Argument, dass schlussendlich zieht: Wenn wir bleiben, könnten wir für Roy alles schlimmer machen - als MDC-Delegation plus Undercover-Journalist an Bord.
"Ich habe sowieso Ärger, also lasse ich Euch noch fliegen", meint Danny und scheucht uns ins Flugzeug, das immer noch nicht vollständig repariert ist und nicht die optimale Flughöhe von 25000 Fuß erreichen wird. Egal. Nur weg. Kurz, aber innig verabschiede ich mich von ihm und der deutschen Botschaftsdelegation. Alle bleiben bis zum bitteren Ende und winken, als würde man Freunde verabschieden.
Es ist still an Bord der Pilatus, als wir in die untergehende Sonne über Harare aufsteigen. Ich verdrücke ein paar Tränen, Todesangst und Anspannung wollen raus. John bekommt noch in der Luft eine SMS aus der MDC-Führung: "Ihr müsst fliegen. Heute. Jetzt!"

Ein Toast auf Roy

In die Erleichterung über unseren Abflug mischt sich die Wut über das Schweigen von Morgan Tsvangirai und die Angst um Roy Bennett. Scheibchenweise erfahren wir am Abend, dass auf dem Weg nach Mutare versucht wurde, Bennett in einem Fluss zu ertränken. Jetzt ist er dort bei der Polizei und soll wegen Hochverrats angeklagt werden. Darauf steht die Todesstrafe. Hunderte MDC-Anhänger halten eine Nachtwache vor der Polizeistation, die Beamten schreiten mit Hunden und schwer bewaffnet ein.
Wir sind noch einmal davon gekommen. Wir waren dabei an einem Tag, an dem das Machtteilungsabkommen für Simbabwe auf einen Prüfstand gestellt wurde und seinen ersten Tiefschlag einstecken musste. Keiner weiß, wie es jetzt weitergeht, innerparteilich wird schon über Tsvangirais Ablösung diskutiert. Auch wir auf dem Flieger tun das. Und wir machen eine Flasche Sekt auf. Auf Roy Bennett. Als wir in südafrikanischen Luftraum einfliegen, genehmige auch ich mir einen Schluck. Auf Roy Bennett. Und darauf, dass ich Simbabwe hinter mir gelassen habe.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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