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„Eine Geschichte der Verwahrlosung“

Trauriger Werdegang eines Stücks namibischer Landesgeschichte
Wiebke Schmidt
Von Wiebke Schmidt, Windhoek

Kaum einer kennt das große hellgelbe Gebäude in der Bellstraße vor den Toren des Windhoeker Ausstellungsgeländes. Der nahezu fensterlose Bau des Bergmann-Hauses und das verschlossene Stahlgatter davor wirken abweisend und man ahnt nicht, was für eine Fülle an Geschichten sich im Inneren befindet.

Einen langen Weg haben die Stücke hinter sich, die zum größten Teil von Übersee in das damalige Deutsch-Südwestafrika kamen, bis sie letztendlich im Bergmann-Haus landeten. Es sind Gebrauchsgegenstände und Gerätschaften, die vor 1884, während der deutschen Kolonialzeit und der Ära der südafrikanischen Verwaltung in Namibia verwendet wurden. Die Sammlung reicht von Möbelstücken der ersten Siedler bis hin zu Porzellan, Kristalllüstern, Kleidungsstücken, Gemälden bis hin zu Dingen für den Alltag.

Gegründet wurde das damalige „Landesmuseum“, spätere „SWA-Museum“, „Windhoek-Museum“ und heutige „Staats/Nationalmuseum“ bereits 1907. Doch die Sammlung stand nie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit früherer Museumsleiter, die zumeist ausgebildete Naturwissenschaftler waren. In den ersten Jahren waren die Museumssammlungen in zwei Räumen in dem Hinterhof von Arno Henker untergebracht. Von dort aus wurden sie in eine Schule, dann in ein Schulheim und schließlich in das Gemeindegebäude von Windhoek verlegt. 1926 kamen sie in das alte Offizierskasino, wo sie bis 1950 bleiben konnten. Doch nachdem das Casino geräumt werden musste, erwarb das Museum das Schmerenbeck-Haus, die Sammlung musste erneut umziehen. Erst 1964 wurde die historische Sammlung in die Alte Feste verlegt. Und so ging es noch einige Male, bis im Juni 1989 die Halle des Bergmann-Hauses für die historische und kulturhistorische Sammlung des Museums angemietet wurde. Mit Ausnahme der in der Alten Feste ausgestellten Objekte und der im alten Fort in Okahandja gelagerten Großobjekte, wurden alle historischen Gegenstände in das Bergmannhaus gebracht. Die rund 3500 Objekte, darunter nahezu 300 Möbelstücke, wurden in Stahlschränken und in den vorhandenen Regalen, beziehungsweise auf dem Boden der über 850 qm großen Halle gelagert. Jedes Stück erhielt ein Etikett auf dem die Bezeichnung und die Herkunft vermerkt waren.

Da das Nationalmuseum 2007 sein hundertjähriges Bestehen feiern sollte, wurde bereits 2005 beschlossen, eine Sonderausstellung über die Entwicklung des Museums von damals zu heute anzubieten. Aus dem Bergmann-Haus sollten dafür einige Stücke ausgewählt werden. Das Bild jedoch, dass sich der Beauftragten Antje Otto bot, als sie in Begleitung von zwei Kollegen (Christine Kooper und Freddie Versfeld) die Halle im November 2005 zum ersten Mal betrat, war das reine Chaos. Die zentimeterdicke Staubschicht war dabei noch das kleinere Übel, denn alles, was sich in den Regalen und in den inzwischen aufgebrochenen Stahlschränken befand, war durcheinander gebracht, geplündert oder zerstört worden. Ein großer Teil der Sammlung fehlte offensichtlich. Die Stahlschränke, die noch 1990 mit wertvollen Objekten wie Uhren, Fotokameras und dergleichen gefüllt waren, waren aufgebrochen worden und standen jetzt leer. Trostlos sahen die offenen Regale aus, in denen sich vormals die Sachen gestapelt hatten. Etiketten waren von den übriggelassenen Stücken abgerissen worden, Fotos und alte Glasnegative lagen verstreut und zum größten Teil zerbrochen auf dem Boden. Von den 298 Möbelstücken fehlten 112, es standen noch ein paar teilweise demontierte Schreibtische und Stühle herum. Einige Gegenstände lagen abholbereit vor den offenen Hinter- und Seitentüren, die allerdings keinerlei Einbruchsspuren aufwiesen.

„Als ich in dieser Zeit in das Bergmann-Haus kam“, erzählt die Ethnologin Antje Otto, „traute ich meinen Augen nicht. All die wunderbaren Dinge, die vor vielen Jahrzehnten dem Museum anvertraut worden waren, lagen verdreckt und zerbrochen in den Regalen und auf dem Boden der Halle.“ Zusammen mit den Museumskollegen Freddie Versfeld und Anzel Veldman trat sie jeden Freitag gegen das Chaos an.

Aufgrund der Schließung der Alten Feste 2014 sollten die historischen Stücke, die dort ausgestellt waren, in das Bergmann-Haus überführt werden. Es musste gepackt und dokumentiert und auch im Bergmann-Haus Platz geschaffen werden.

„Zu Beginn wurden mir zwei Putzfrauen vom Museum zur Verfügung gestellt, die mir zur Hand gehen sollten“, erinnert Otto sich. Am ersten Tag halfen sie zwar die Objekte aus den zig Meter langen Regalen zu räumen und vorerst auf den Boden zu stellen, doch gleich am nächsten Tag meinten die beiden: „Wenn wir hiermit fertig sind, können wir uns gleich ins Grab legen“, gingen und kamen nie wieder.

Doch Otto gab nicht auf. Nahezu täglich hielt sie sich seit Beginn 2016 im Bergmann-Haus auf. Stück für Stück wurden die vorhandenen Dinge vorsichtig gesäubert, zusammengetragen und neu sortiert, die beschädigten Möbel wurden behutsam etwas restauriert und alles mit besten Wissen und Gewissen ausgefüllten Etiketten versehen. Abends und nachts wurden die Gegenstände in den Computer-Katalog aufgenommen, der nach Abschluss der Arbeit in der Bibliothek der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Windhoek und beim Deutschen Kulturrat einsehbar sein wird. „Manchmal ist es gut, wenn man nicht weiß, was auf einen Zukommt“, erklärt Otto mit einem Schmunzeln.

Bei der Identifizierung wurde das ganze Ausmaß der Verluste im Bergmann-Haus deutlich, als festgestellt wurde, dass in jedem Bereich die wertvollsten Gegenstände gestohlen waren, wie z.B. Telefone, Lampen und Kronleuchter, Öfen und Heizgeräte, Kameras, Textilien, Porzellan, Besteck und andere Haushaltsgeräte.

Im vergangenen Jahr wurden die 152 Objekte, die 1975 dem Gobabis-Museum überlassen worden waren, nach dessen Schließung 2015, wieder in die Sammlung im Bergmann-Haus aufgenommen. 19 Möbelstücke, die 2002 zur Restaurierung dem Namibischen Institut für Bergbau und Technologie (NIMT) überlassen worden waren, wurden 2018 ebenfalls wieder in die Sammlung aufgenommen.

„Es war, als ob jedes dieser Stücke mir seine Geschichte erzählen wollte“, meint Otto, die auch wirklich einiges an Geschichten ausfindig machen konnte.

Es sind Geschichten, die von einem, uns nahezu unbekannten Alltag erzählen. Geschichten, die von Entbehrung und harter Arbeit berichten, von Freuden aber auch von Entsetzlichem, wie etwa das Drama, das mit einer alten Hausorgel zusammenhängt, die einst dem Wanderprediger Frans Smeer aus Mariental gehörte. Die Anhänger Witboois hatten ihn im Oktober 1904 festgenommen. Während sie ihn aus seinem Haus führten und ihn draußen erschossen, musste seine Frau auf diesem Instrument spielen.

Viel zu berichten weiß auch sicher der große schwere Fleischwolf, der von Hendrik Jacobs 1830 über das Kap nach Transvaal gebracht wurde. Mit dem Dorsland Trek kam er zuerst nach Angola, dann 1928 nach Namibia, wo er 1964 von der Familie Jacobs dem Museum vermacht wurde.

Das älteste Stück aus Namibia ist eine Liedertafel der Rheinischen Mission aus dem Jahre 1853, die wohl noch von dem Missionar Franz Heinrich Kleinschmidt stammt und auf dem die zu singenden Nummern der Kirchenlieder, bzw. Psalmen angegeben wurden. An ihr sind noch die Einschüsse aus Jonker Afrikaners Gewehrläufen sichtbar.

Auch die Uniform des Gefreiten Pelser aus dem Ersten Weltkrieg, dessen fester Stoff am Rücken mehrere Einschusslöcher aufweist, gehört dazu.

Bei dem ältesten Stück, das im Bergmann-Haus gelagert ist, handelt es sich um ein kurzes, dickes, seilähnliches Gebilde, welches vor 6000 Jahren von Sklaven zum Bau der Pyramiden benutzt wurde.

Des Weiteren gibt es Kupfermünzen, die von dem holländischen Handelsschiff Vlissingen stammen, das um 1746/47 vor der namibischen Küste bei Meob Bay kenterte.

Wie es weitergeht, wenn Otto Ende dieses Monats in Rente gehen wird? „Das kann ich leider nicht sagen“, meint sie leise. „Am liebsten wäre es mir, wenn die gesamte Sammlung dem Deutschen Kulturrat unterstellt und dieser sich verpflichten würde, alles weiterhin in Ordnung zu halten und die Geschichte zu bewahren“.

Bis eine Entscheidung gefällt wird, werden weiterhin alle Stücke gesäubert, vorsichtig in Kartons verpackt und vor Staub geschützt mit Plastikfolie umhüllt im Bergmann-Haus lagern und flüsternd ihre Geschichten erzählen.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-24

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