Eine nüchterne Aufarbeitung über „Die Deutschen und ihre Kolonien“

Oft beschränken sich Beiträge zur deutschen Kolonialgeschichte auf wenig differenzierende „pro- oder contra“-Analysen. Sie lassen frühere Rahmenbedingungen des kolonialen deutschen Vorgehens häufig außer Acht und enden (gerade im Fall Namibia) allzu oft in pauschalen Schuldzuweisungen, die kaum Raum für eine fundierte Bewertung der deutschen Geschichte in Übersee lassen. Die im Berliner Deutschen Historischen Museum im Mai 2017 zu Ende gegangene Ausstellung dazu ist ein Beispiel dafür. Einem konstruktiven, nach vorn gerichteten Dialog ist das selten dienlich. Der erschienene Aufsatzband „Die Deutschen und ihre Kolonien“ von Horst Gründer (Münster) und Hermann Hiery (Bayreuth), bereits mit einem aussagestarken Titelcover gestaltet, bildet hier eine lesenswerte Ausnahme und ist daher zur rechten Zeit erschienen. Zeitgenössische Autoren und Historiker der deutschen Kolonialgeschichte zerfallen grob in zwei getrennte, auch verfeindete Lager. Eine Schule stellt sich von vornherein auf die selbst errichtete Kommandohöhe herablassender, süffisanter Aburteilung nach der Art des selbstzufriedenen Famulus in Goethes Faust: „Wie herrlich weit haben wir es gebracht …“ Die andere Schule versucht sich und ihren Lesern aus nachweislichem Zusammenhang ein plausibles Geschichtsbild zu entwerfen. Der vorliegende Band ist vorwiegend der zweiten Schule zuzuordnen, wobei die Redaktion der Essayausgabe dennoch einen Autoren der „Kommando-Schule“ mit eingebunden hat: Joachim Zeller. Die Motivation der Herausgeber zur Erarbeitung der handlichen Schrift ergibt sich aus dem Umstand, dass immer noch keine allgemeinverständliche Gesamtdarstellung über die deutsche Kolonialzeit existiere, die sich „losgelöst von der Emotionalität politischer Debatten“ damaligen Ereignissen widmet. Geschichtsschreibung aber, so Gründer / Hiery, „lebt von unterschiedlichen Deutungen und Einordnungen“. Diesem Anspruch wird das Buch auch deshalb gerecht, weil es gelungen ist, die Beiträge zu unterschiedlichsten Themen von insgesamt elf Autoren in diesem Band zusammenzutragen. Entstanden ist eine fundierte und leicht lesbare Essaysammlung ohne erhobenen Zeigefinger. Die Autoren schlagen dabei einen weiten und kenntnisreichen Bogen von frühneuzeitlichen Kolonialexpansionen Brandenburg-Preußens an der westafrikanischen Goldküste (Ulrich van der Heyden, Berlin) über exemplarische Ausschnitte der deutschen Kolonialherrschaft in Afrika, Asien und der Südsee bis zum Kolonialrevisionismus im Dritten Reich und der heutigen, oft schwerfallenden Bewertung des deutschen Kolonialengagements. Nicht nur der allgemein interessierte Leser ist überrascht, aus welcher außenpolitischen Motivlage heraus mit Blick auf den Rivalen England Reichskanzler Bismarck am Ende des 19. Jahrhunderts seine defensive Meinung zum Kolonialerwerb modifizierte (Winfried Baumgart). Zum Nachdenken regt Winfried Speitkamp (Kassel) mit seinem Afrika-Essay an. Er stellt heraus, dass aus der heutigen Rückschau die Kriege in Südwest- (1904) und Ostafrika (1905) das Bild der deutschen Kolonialzeit nicht nur prägen, sondern überlagern. Auch ragen sie „mit dem Tod Zehntausender Afrika aus der großen Zahl zeitgenössischer Kolonialkriege heraus, ohne dass es sachlich und logisch in eine spezifische deutsche Tradition des Völkermords eingeordnet werden sollte“, so der Historiker. Viel eher deutet er jene kriegerischen Verwerfungen ein als „Teil einer Geschichte der Gewalt, ohne die der Kolonialismus nicht angemessen erfasst werden kann.“ Während Markus Denzel (Leipzig) aufschlüsselt, dass die Kolonialprojekte des Deutschen Reiches einem desaströsen Zuschussgeschäft glichen, runden weitere Beiträge zur Alltagsgeschichte (u.a. Religion, Recht, Kolonialverwaltung) den Band ab. Zum Abschluss greifen die Herausgeber noch einmal den Streit um den Kolonialkrieg im heutigen Namibia auf und plädieren für eine ausgewogene Wertung bekannter Vorgänge und Fakten. So würde allein das Vorgehen der damals außenpolitisch Verantwortlichen in Berlin der Absicht entgegen sprechen, in Südwestafrika eine Vernichtung der Herero zu planen. Schließlich enden Gründer / Hiery mit einem kurios anmutenden Vermerk. Während in den heutigen sechs Nachfolgestaaten des kolonialen Deutschlands in Afrika Botschaften der Bundesrepublik existieren, unterhält Deutschland in den sechs Nachfolgeländern seiner einstigen Kolonien in der Südsee keine einzige Botschaft. Daniel Lange (Berlin) & Eberhard Hofmann (Windhoek)

Eine nüchterne Aufarbeitung über „Die Deutschen und ihre Kolonien“

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-27

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Allgemeine Zeitung 2024-11-27

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