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Entrümpelung der von Trothaschen Proklamation des Jahres 1904
Entrümpelung der von Trothaschen Proklamation des Jahres 1904

Entrümpelung der von Trothaschen Proklamation des Jahres 1904

In der namibischen afrikaanssprachigen Zeitung "Republikein" erschien am 25. Juli 1980 in ungewohnter Weise eine deutsche Leserzuschrift. Wegen ihrer Wichtigkeit und offenbaren Maßgeblichkeit hatte die Redaktion diesen Beitrag in großer Aufmachung und im ursprünglichen Deutsch unter der afrikaansen Schlagzeile "Die omstrede skietbevel van Generaal Von Trotha" (Der umstrittene Schießbefehl des Generals Von Trotha) abgedruckt. Hiermit wurde die Diskussion über dieses Thema im Lande meinungsbildend beeinflusst und praktisch beendet. Vielfach wurde der Beitrag als Quelle aufgehoben und sogar zitiert. Dafür war es allerdings nicht gerade hilfreich, dass Gesine Krüger, Autorin, 1999 z.B. Dr. Rust für einen Farmer hält und ihn dazu noch mit dem längst verstorbenen Conrad Rust verwechselte.

Der Autor Dr. Hans Jürgen Rust

Der Autor war aber der damals 80-jährige Dr. Hans Jürgen Rust, der von 1959 bis zu seinem Ruhestand im Jahre 1978 der verdienstvolle und hochangesehene Sekretär der SWA Wissenschaftlichen Gesellschaft gewesen war. Aus seinem Lebenslauf (Namibiana Nr: 11, 1987) geht hervor, dass er bereits 1929 promovierte, danach Namibia länger bereiste und 1939 an seiner kolonialwissenschaftlichen Habilitationsschrift arbeitete, als der Krieg ausbrach und ihn aus den akademischen in eine Offizierslaufbahn verschlug. 1951 wanderte Dr. Rust dann endgültig nach Namibia aus. In seinem Beitrag, den er mit gut dreißigjähriger Landeserfahrung schrieb, befaßt sich Dr. Rust mit zwei Rezensionen des 1980 erschienenen afrikaansen Buches von Gerhardus Pool "Die Herero Opstand". Offensichtlich war nach Ansicht Dr Rusts in einer der Rezensionen, der des englischen Windhoeker Blattes "Advertiser", ein Erklärungsbedarf wegen dessen Frage entstanden: "Was it von Trothas intention to annihilate the Herero people?" Die andere Rezension war jedoch diejenige, auf die Dr. Rust sich hauptsächlich bezog. Diese war in den Mitteilungen der SWA Wissenschaftlichen Gesellschaft (No. 11/ 1979 auf Seite 15) erschienen. Der Rezensent war darin auch auf die Frage des "Avertiser" eingegangen. Es waren aber wohl mehr in diesem Zusammenhang geäußerte etwas unglückliche Formulierungen über den "Ehrenkodex des europäischen Kriegsrechts" und "Traditionen der preußischen Armee", die den Kriegsteilnehmer an zwei Weltkriegen und früheren Stabsoffizier Dr. Rust zu einer Reaktion veranlassten. Es ist dabei ersichtlich, dass Dr. Rust klar erkannt hatte, dass die Frage einer Intention, also eines Vorsatzes für die Vernichtung der Herero, ein Politikum war, mit dem er glaubte, sich erklärend und wegweisend auseinander setzen zu müssen. Dagegen war er mit Einzelheiten der tatsächlichen historischen Wirklichkeit und den Begleitumständen der Proklamation und des "Schießbefehls" von Ozombo zo Vindimba am 2. Oktober 1904 nicht im gleichen Maße befasst.

Friedliche Schicksalsgemeinschaft

Nach zwei "selbstmörderischen", totalen modernen Weltkriegen, an denen er teilgenommen hatte, interessierten ihn dahingegen mehr die "weltweiten und weltgeschichtlichen Probleme des friedlichen Zusammenlebens in irdischer Raumenge von Völkern und Staaten verschiedenster Rassen und Kulturen". Dementsprechend plädiert er als weiser Mahner für eine friedliche Schicksalsgemeinschaft von "Schwarz und Weiß nach den Lehren der Tragödie am Waterberg." Der Gültigkeit und Weisheit seiner Erkenntnisse tut es keinen Abbruch, daß auch er einer der vielen heillosen Verwirrungen in unserer namibischen Kolonialgeschichtsschreibung zum Opfer fiel. Solche Verwirrungen sind heute brisanter als je und sollten nicht, wie damals vor fast 25 Jahren unausgeräumt bleiben, wodurch sie den Weg in die heutige Tagespolitik fanden. Wenn auch vielleicht berechtigte Zweifel darüber bestehen, ob die historische Wirklichkeit - "wie es denn wirklich gewesen ist" - die Brisanz der heutzeitigen Verirrungen in der Bewertung des "Schießbefehls" noch zu entschärfen vermöchte, sollte eine Entwirrung wenigstens nicht unversucht bleiben. Vielleicht kann es gelingen, vor dem Maßstab der unzweifelhaft wissenschaftlichen und persönlichen Integrität des Dr. Rust, eine Versachlichung heikler Streitfragen in einem unklaren Teilbereich der namibischen Geschichte zu finden.

Vernichtung = Annihilation?

Dabei ergibt sich zunächst, dass Dr. Rust die bisher unwidersprochene und ad nauseam zitierte Schilderung und Version des Generalstabswerks (1906) vom "Oorlogsende" in der Omaheke, seinen Ausführungen zugrunde legte. Dieser Version eines "überwältigenden Sieges über die Herero am Waterberg" und einer darauf folgenden Verfolgung und "Vernichtung des Hererovolkes als Folge der Strategie des Generals von Trotha und des Oberkommandos in Berlin" widerspricht jedoch die historische tatsächliche Wirklichkeit. Bevor dieser Widerspruch nachstehend erörtert wird, ist es eine sprachliche Frage, die der Klärung bedarf. Diese ergibt sich aus der Problematik der Übersetzung der Frage des "Advertiser" nach "annihilation" mit "Vernichtung". In der Historiographie der Kolonialzeit Namibias ist über diese semantische Frage bereits ausgiebig und haarspalterisch polemisiert worden.

Wie es bei der Vielvölkerei und in der Sprachverwirrung Namibias täglich vorkommt, sind jedoch Meinungsverschiedenheiten, wie in diesem Falle die der drei Rezensenten ganz offensichtlich (sagte jemand hier "muhts"?) semantischen Ursprungs: Im militärischen Sinne "vernichtet" (englisch destroy von destruere, Latein) man feindliche Heere, Truppen, Verbände usw. z.B. auch mit "Niederwerfung des Feindes". Dabei lösen sich diese feindlichen Kräfte als solche auf und hören auf zu funktionieren - sie sind "vernichtet". Spricht man dagegen von Vernichtung eines ganzen Volkes, dann bedeutet "annihilation" eher ausrotten und töten (lat. nihil = nichts). Die Herero verfügten bekanntlich über mehrere Tausend erwiesenermaßen tüchtige Krieger, deren Kampfverbände es galt zunächst einmal als Kriegsziel zu besiegen, also militärisch zu vernichten ("destroy"). Sie standen aber ebenso als Volk mit Frauen und Kindern und ihrem Vieh im Feld. Hier hatte eine Vernichtung eine viel direktere, drastische Bedeutung ("Endlösung", so Dr. Rust), die eine klare Differenzierung von der militärischen Bedeutung verlangt. Dabei ist den Auffassungen der beiden Rezensenten und Dr. Rusts, wenn nicht unbedingt zu widersprechen, so aber doch mit großer Umsicht zu begegnen, wenn sie sowohl die befehlsmäßige militärische Vernichtung "Aufständischer Verbände", wie auch den Sinn und Zweck der Proklamation an das Hererovolk mit "annihilate" übersetzen. Bekanntlich verbot Von Trothas Befehl an die Truppe ohnehin das Erschießen von Frauen und Kindern und kommt das Wort "vernichten" im Befehl nicht vor. Die Erschießung von Zivilisten durch Hilfstruppen ist ein ganz besonders heikles Thema?

Waterberg

Es ist richtig und belegt und so auch vielfach zitiert, dass nach Waterberg der General von Trotha es wiederholt als seine persönliche Ansicht äußerte, dass er das Hererovolk vernichten oder des Landes verweisen wollte. Darin sieht Dr. Rust eine Übereinstimmung mit den Grausamkeiten moderner Kriegsführung - ob zu Recht sei dahingestellt. Diese "Meinung" (so Dr. Rust) des Generals bleibt aber, wie sich nachstehend zeigt, eine vielleicht sogar fiktive im Zeitgeist begründete Kuriosität ohne wesentliche Wirkung auf das Kriegsgeschehen. Der General konnte nämlich seit seinem Angriff auf Waterberg den Herero das Gesetz des Handelns weder nehmen noch ihren Initiativen seinen Willen aufzwingen. Als sich im Gegenteil und wider Erwarten des Generals und seines Stabes "die Hereros" auch am Rande des Sandfelds nicht zu einem letzten Kampf hatten stellen lassen und im Busch untergetaucht waren, hatten sie sich ihm, wie er glaubte, endgültig entzogen. Was dem abermals enttäuschten General nun übrig blieb, war wie schon nach den Gefechten vom Waterberg bzw. Hamakari aus der verfahrenen Lage das Beste zu machen. Er stellte daher auch weiterhin die Flucht der Hereros sowie ihre Auflösung, und nun auch ihre vermeintliche Vernichtung in der Omaheke als ein Kriegsziel dar und als einen Erfolg der eignen Kriegsführung. Das Generalstabswerk und die Berliner Öffentlichkeit folgten ihm in dieser Fiktion gern, denn die Politik und das Heer verlangten Siege.

Die Wende

Der Chef des großen Generalstabs in Berlin hingegen stellte bereits Ende 1904 (am 23. November) in seinem entscheidenden Brief an den Reichskanzler fest, dass die von Trotha befürworteten Vernichtungsmaßnahmen, ob erwünscht oder nicht, nicht praktikabel seien, da dem General dazu die Möglichkeiten fehlten - "er die Macht dazu nicht habe!". Innerhalb weniger Tage nach dem brieflichen Erhalt der von Trothaschen Proklamation vom 2. Oktober 1904 - gut sechs Wochen dauerte damals der Postweg aus der Omaheke - beschloss die Reichsregierung daher in einer drastischen Wende den "Weg der Gnade für die Hereros zu beschreiten". Als der Reichskanzler von Bülow dies dem Kaiser beim Vortrag nahe gelegt hatte, war dieser zunächst unwillig "aufgebraust". Nur Stunden später aber fügte er sich jedoch Bülows Vorstellungen mittels eines Briefes, der er mit "jener Mischung von Güte und Geist, die ihm oft eigen sein konnte" wie folgt unterzeichnete:

Wilhelm I.R.

Qui laudabiliter se subjecit

(der sich dem Lobenswerten unterwirft)

(Bülow Denkwürdigkeiten, Berlin 1930)

Von Trothas Proklamation und sein Befehl, möglichst keine männlichen Gefangenen mehr zu machen, und Frauen und Kinder mit Schreckschüssen von Wasserstellen zu verjagen, wurde mit einem telegraphischen Gegenbefehl am 9. Dezember 1904 zurückgenommen: Ihm wurde befohlen, Gefangenenlager "zur einstweiligen Unterbringung und Versorgung der Überreste des Hererovolkes" mit Hilfe der Mission einzurichten. In diese wurden ab Dezember 1904 Tausende von Herero als Gefangene eingebracht. Das Generalstabswerk (1906!) vermeldet diese Maßnahmen ebensowenig wie die Anordnung Berlins, die Kriegsoperationen im Osten fortzusetzen. Es erweckt im Gegenteil den Eindruck, Berlin habe sich die von Trothasche "Meinung", sprich Fiktion, zu eigen gemacht und seine dramatische Vernichtung des Hererovolkes als Tatsache akzeptiert und sogar implizite geduldet.

Die Erklärung für diese Anomalie war bislang unbekannt, ist aber ebenso einfach wie sie verblüffend ist: Der Oberste Generalstab, der Von Trothas direkte Verbindung zum Kaiser bildete, sowie der Reichskanzler teilen Von Trotha am 11. bzw. 12. Dezember 1904 in separaten Telegrammen mit, daß die "Veröffentlichung des allerhöchsten Erlasses in deutscher Presse zurzeit nicht beabsichtigt" sei. Bei dieser eindeutigen Instruktion blieb es; auch das Generalstabswerk hielt sich noch 1906 daran. Von Trotha hatte zwar sofort aber ohne Wirkung zurückgedrahtet, dass er hierzulande "die Publikation nicht mehr verhindern könne". Unschwer ließen sich die Gründe für die "allerhöchsten" Entscheidungen im Politischen finden. Ärgerlich notiert der General daher in sein Kriegstagebuch: "Wasch' mir den Pelz und mach' mich nicht nass." Als Trost für die aus dem kaiserlichen Gesinnungswandel zum "Weg der Gnade für die Herero" entstandene drastische Einmischung Berlins in die von Trothasche Kriegsführung wird dem General ein Orden verliehen! Der Kaiser selbst verleiht am 14. Dezember 1904 nur wenige Tage nach seinem Gegenbefehl dem General "in Anerkennung seiner Tätigkeit als Kommandeur der Schutztruppe für Süd-West-Afrika bei Bekämpfung des Hereroaufstandes den königlichen Kronenorden 1. Klasse mit Schwertern am statutenmäßigen Bande."

Pressesperre - Amnestie mit Rücknahme verwechselt

Die Pressesperre blieb jedoch wirksam: O. von Weber (Geschichte des Schutzgebietes DSWA.), den Dr. Rust zitiert, (und mit ihm Generationen anderer, sogar Conrad Rust, der amtlich schrieb und Hintrager (SWA in deutscher Zeit) irrt daher verständlicherweise, wenn er die Aufhebung des "Schießbefehls" erst in den November 1905 - also um ein ganzes Jahr - zurückverlegt. Sie wird hier mit dem Amnestieerlaß für die Herero des neuen Gouverneurs von Lindequist und der abermaligen Einrichtung von Auffanglagern verwechselt. Das Generalstabswerk macht sich zudem die publikumswirksame "Meinung" von Trothas von der Durchführbarkeit einer "eisernen Absperrung der Omaheke" zu eigen. Darauf, dass auch dies eine Fiktion war, hatte der Chef des Großen Generalstabs in Berlin bereits in seinem oben genannten entscheidenden Brief an den Reichskanzler vom 23. November 1904 hingewiesen. Intern hatte auch von Trotha selbst durchaus realistisch sofort nach ihrer Einrichtung zahlreiche Durchbrüche durch seine "eiserne Absperrung" unter Hinweis auf die Existenz zahlreicher Wasserstellen dem Gouverneur Leutwein vorausgesagt (pg 110 Nordbruch, 5. Okt. 1904). Die Vorstellungen Berlins von der Auswirkung der Proklamation auf die Herero müssen unrealistisch hoch oder von der von Trothaschen Berichterstattung gefärbt gewesen sein. Berlin versprach sich anscheinend auch von der Aufhebung des "Schießbefehls" - dass sich diese neue Proklamation wirksam in der unendlichen Weite des Landes an die versprengten Gruppen der Herero verteilen lassen würde. Aus vielen Berichten lässt sich jedoch schließen, dass schon die ursprüngliche Proklamation - also der so genannte Schießbefehl - bei den Herero von 1904 so gut wie gar nicht bekannt wurde. Noch heute ist ungeklärt, wie ein Exemplar der ursprünglichen Proklamation, auf sorgfältig gefaltetem Papier des Kommandos in Windhoek geschrieben, nach Monaten in die Hände des Magistrats in Tsau am Ngami kam.

Absperrung?

Wiederum ist es verständlich, dass die "Meinung" von Trothas, die "eiserne Absperrung der Omaheke" sei durchführbar, mit dem tatsächlichen historischen Geschehen verwechselt wird. Im Laufe des Jahres 1905 stellten dann Tausende Hereros seine vermeintliche "Absperrung des Sandfelds" als Theaterdonner bloß. Sie zogen verarmt und hungernd im Land umher oder versteckten sich, sofern sie nicht in Lager eingebracht wurden. Dennoch hat von Trotha sogar in der Presse dies auf die Rücknahme seines Vernichtungsbefehls durch die Reichsregierung zurückgeführt. In diesem Zeitungsartikel vom 26. Dezember 1904, der als Antwort auf einen seine Kriegsführung kritisierenden Leitartikel in der "Südwestafrikanischen Zeitung" bestimmt war und der später von der Trierer Zeitung gebracht wurde, verteidigt und begründet anscheinend der General von Trotha unmissverständlich seine in seiner Proklamation angedrohte "Intention", die Hereros zu vernichten. Aber er schreibt auch: "Dass die Vernichtung nicht bis zum letzten Säugling durchzuführen sein würde, darüber konnte ein logisch denkender Mensch nicht im Unklaren sein."

Das bringt uns wohl so nahe an die wahre von Trothasche "Intention to annihilate" heran, wie sie sachlich möglich ist. Alles weitere wären Vermutungen, die dem jeweilige Zeitgeist unterliegen und individuell geprägt sind, wie z.B. die des Dr. Rust: In Deutsch Südwestafrika verübelte man in Verwaltungskreisen von Trotha bereits 1904 seine Vernichtung des geistigen und materiellen Hererobesitzes an Wissen, Können und Vieh (Franke und Rohrbach in Zeitungen 1905).

Sündenbock?

Aber auch in Berlin hat sich von Trotha mit der Aufrechterhaltung der Fiktion von seinen Siegen und der öffentlichen Rechtfertigung dieser drastischen Handlungsweise sowie der Ablehnung der Trendwende im Kriegsziel der Reichsregierung keine Freunde gemacht. Man hielt sich dort bedeckt und förderte den Eindruck, dass die Herero mit ihrem Abzug vollendete Tatsachen geschaffen hatten. Niemand, auch von Trotha nicht, hatte nun den Vorsatz einer völligen Vernichtung oder Ausweisung in die Tat umzusetzen und zu verantworten. Von Trotha hat demnach anscheinend entgegen aller Vernunft und im Gegensatz zur veränderten Haltung der Reichsregierung stets auf seiner "Meinung" bestanden, bzw. die Fiktion aufrecht erhalten, er hätte das Hererovolk nicht nur besiegt, sondern auch vernichten und des Landes verweisen können und man hätte die Probleme der Entwaffnung und Wiedererstarkung der Herero den Engländern im Britischen Bechuanaland überlassen sollen (Anlage 41/1 am 26.12.1904): "Das Fischen im Trüben wird mit sausenden Kirrischlägen auf die betreffende Nation hereinbrechen." Noch mehr als ein halbes Jahr nach der von der Reichsregierung befohlenen aber unveröffentlichten Wende zeigte man im Generalstab von Trothas dem dorthin als britischen Attaché kommandierten Oberstleutnant Trench in Keetmanshoop eine Abschrift der längst widerrufenen Proklamation an die Herero. Der Oberst durfte das als "wichtig mit Blaustift markierte" Dokument übersetzen und an sein Kriegsministerium in London als Teil seines Berichts vom 26. September 1905 weiterleiten.

Man kann sich nach allem des Eindrucks nicht erwehren, dass der General nicht glauben wollte, dass er als "Diener seiner Könige" von seinem kaiserlichen Kriegsherrn im Stich gelassen worden war. Den Weg der Gnade hatte der Kaiser bei der von Trotha Aussendung noch im Mai 1904 ausgeschlossen.

Die vom "Hererovolk gewählte Selbstvernichtung" (so Dr. Rust) in der Omaheke hatte und hat ergiebigen und willkommenen Stoff für ganze Bibliotheken mit Sieges- und Vernichtungslegenden oder Mythen (Brigitte Lau) geliefert. Über die wahren Gründe und Ausmaße der Hererokatastrophe soll hier nicht nach dem Beispiel Dr. Rusts gemutmaßt werden. Manches, was Dr. Rust nicht wusste oder nicht wissen konnte, ist heute jedoch bekannt. Vieles wird für immer rätselhaft bleiben.

Fakt ist zunächst einmal, dass nicht alle Herero nach den Waterberg- bzw. Hamakarikämpfen nach Südosten und ins Sandfeld/Omaheke flohen. Ein Beispiel dafür, wie wenig Übersicht und Informationen die Truppe während der Kriegsjahre 1904/1905 über das riesige dünn besiedelte Gebiet von weit mehr als hunderttausend Quadratkilometern hatte, in welchem die Herero im Wesentlichen unkontrollierbar umherzogen, ist folgendes: Als die Bahnbauspitze Ende 1905, also ein volles Jahr nach der "Absperrung der Omaheke", das heutige Otjiwarongo erreichte, stieß man auf zwei bisher unbemerkte "Posten" oder "Werften" der Herero. Es waren dies Anhänger Salatiels, dem Sohn des 1903 verstorbenen Häuptlings Kambasembi vom Waterberg, und sie saßen also mitten im Krieg bei Okanjande, etwa 10 km von der neuen Bahntrasse entfernt. Dabei führte damals der Weg zwischen den Orten Waterberg und Outjo, die beide von der Truppe besetzt waren, dicht an Okanjande vorbei!

Bedeutung Salatiels

Salatiel Kambasembi hatte 1904 eine kaum bekannte aber historisch wichtige Rolle gespielt: Mitte Juli 1904 bereits, also einen Monat vor der Entscheidung am Waterberg bzw. Hamakari, war durch Hererogefangene bekannt geworden, und durch Major von Estorff an das Hauptquartier telegraphiert, daß Salatiel und seine Anhänger am Aufstand nicht teilnähmen. Oberstleutnant Böttlin, der unter von Estorff östlich des Waterbergs mit der Bastardabteilung stand, hatte dies durch Vernehmung mehrerer Gefangener vernommen und daraufhin mit Salatiel Verbindung aufgenommen. Er meldete, dass Salatiel bei Waterberg sitze, mit Samuel Streit habe, dass er die Gesandten des Ovambo Häuptlings Nechales abgewiesen, dass das Hererovolk den Großleuten erklärt habe, es werde sie nicht fliehen lassen, sie sollten lieber Frieden machen, und dass Salatiel "sprechen" (verhandeln) wolle, aber noch etwas Zeit zur Überlegung brauche.

Als diese Meldung über die stets stockende Telegraphenverbindung bei Von Trotha ankam, verbot er telegraphisch am 16. Juli 1904 Unterhandlungen - er wolle "das vergossene schwarze Blut auf seinem Sterbebette verantworten", vertraut er seinem Tagebuch an (pg 23, am 16.7.1904) - von Estorff deutet diesen Befehl auf seine Art und telegraphiert als Antwort darauf am 18. Juli 1904 zurück (Anlage 5/3): "Habe ihm (Salatiel) verboten, ferner Boten zu schicken, außer wenn Unterwerfung." Es folgten danach keinerlei Unterwerfungsanträge Salatiels.

Am 23. Oktober 1904 macht Leutwein den Fehler, dem Auswärtigen Amt zu melden - wahrscheinlich als Reaktion auf die inzwischen bekannt gewordene Proklamation vom 2. Oktober 1904 (dem "Schießbefehl") - er sei (23.10. durch von Trotha) "bei Unterwerfungsanträgen Salatiels", von deren Existenz er sicher unterrichtet sei, "als Gouverneur übergangen und von ihnen nicht unterrichtet" worden. Auch sei darüber "ohne Mitwirkung des Gouverneurs entschieden" worden, und er stelle daher sein Amt zur Verfügung.

Vielleicht war Leutwein auch zu Ohren gekommen, dass Ende September 1904 sich Von Trotha und Von Estorff zum ersten Mal bei Otjinene am Sandfeldrand begegnet waren. Dabei ergab sich (am 28. September 1904) eine "Auseinandersetzung", wahrscheinlich auch über mögliche Verhandlungen mit den Herero, die von Estorff befürwortet und die von Trotha abgelehnt hatte. Von Trothas unnachgiebige Haltung wurde noch am gleichen Tag durch den Abzug der letzten Hereros bestätigt, die am 28. und 29. September von Ozombo zo Vindimba (das Osombo Windimbe der Literatur) "nach allen Seiten" abzogen ohne Unterwerfungsanträge gemacht zu haben. Von Trotha kehrte am 3. Oktober um und nach Windhoek zurück, wo er am 24. Oktober ankam (etwa 280 km!). Als von Trotha bei seiner Rückkunft von Leutweins Auftreten erfährt, kommt es zum Eklat. Von Trotha kabelt kurz entschlossen bereits am 25. Oktober nach Berlin, dass eine Zusammenarbeit mit Leutwein nun nicht mehr möglich sei, da "die Meldung an das Auswärtige Amt auf unwahrer Basis beruhe". Als nun Leutwein aus dem Süden am 27. Oktober (Anlage 21 T.B.) auch noch von Trotha seine Meldung an das Auswärtige Amt bestätigt und zufügt: "an der Zuverlässigkeit der Unterwerfungsanträge gäbe es nicht zu zweifeln", fordert von Trotha die Akten der Vorgänge bei Von Estorff an. Dieser, obwohl im tiefsten Busch stehend, veranlasst das über den Postweg (Anlage 21). Nach Einsicht in die an sich eindeutigen Akten schreibt von Trotha am 17. November (auch Anlage 23/1) noch einmal an Estorff und erbittet weitere Erklärungen in der Angelegenheit der angeblichen Unterwerfungsanträge Salatiels. Die Briefverbindung dauerte Wochen, daher kommt die lakonische Antwort von Estorffs telegraphisch mit dem Datum des 10.12.1904 aus Otjimbinde (nördlich Otjinenes): "Angabe, dass Salatiel im August Unterwerfung angeboten ist unrichtig." Inzwischen war aber am 11. November 1904 das erlösende Telegramm des Reichskanzlers Bülow gekommen, das Oberst Leutweins "längst geäußertem Wunsch nach Beurlaubung nichts mehr im Wege stehe und im Falle seiner Abreise der Regierungsrat von Tecklenburg die Zivilverwaltung übernehmen würde." Vor seiner Abreise hatte Leutwein versucht, sich von Trotha gegenüber zu rechtfertigen und seine Kompetenzquerele herunter zu spielen, aber von Trotha blieb konsequent. Das beschleunigte den Entschluss des Gouverneurs, früher als er sich es wohl erhofft hatte, abzureisen. Durch seine Abreise mit S.M. Schiff "Vineta" am 30. November 1904 (Vermutung, siehe T.B. 28. und 29. November 1904) kam der Gouverneur der telegraphischen Antwort von Estorffs zuvor. Es mag für Leutwein ein geringer Trost gewesen sein, dass er sich damit eine abermalige peinliche Auseinandersetzung mit Von Trotha ersparte.

Man kann nur über die Unbekümmertheit staunen, mit der man sich bis in die Gegenwart diese Ereignisse in historiographischen Schilderungen zurechtlegt. Eine moderne Historikerin (Gesine Krüger, Kriegsbewältigung etc. Pg 51f. 1999) z.B. hält dabei abgesehen von anderen Ungenauigkeiten und Fehlern an der Fiktion des Generalstabs fest, Von Trotha habe mit verschärfter Verfolgung die Herero in das Sandfeld getrieben und es hätte Unterwerfungsangebote Salatiels gegeben.

Dr. Rust hätte sich neuen, wie im vorhergehenden geschilderten, Erkenntnissen nie verschlossen. Dennoch hätte er vielleicht in der unnachgiebigen Haltung des Generals von Trotha eine Bestätigung seiner Überzeugung vom Vernichtungswillen - "Intention" - Berlins und des Generals gefunden. Es hätten ihm aber anhand der geschilderten bisher kaum berücksichtigten Umstände - hätte er von ihnen gewusst - Zweifel aufkommen können, ebenso wie sie mir persönlich aufkamen, ob von Trotha nicht glaubte, ganz auf kaiserlichen Befehl, also im Einvernehmen mit einem Auftrag seines Kriegsherrn, handeln zu müssen. Der Kaiser hatte noch im Mai 1904 bei seiner Aussendung von Trotha gegenüber ausdrücklich selbst und nur mit Vermittlung des Großen Generalstabs Schlieffens den Oberbefehl übernommen. Der Kaiser hatte eine schnelle und rigorose Beendigung des Aufstandes gewünscht. Nun musste sich der General von einem seiner Meinung nach nicht zuständigen Zivilisten - dem Reichskanzler - Vorschriften gefallen lassen, die in den Zivilverwaltungsbereich gehörten und seine Kriegsführung über die Maßen belasteten.

Die zusätzliche Versorgung tausender Hererogefangener schuf plötzlich fast unüberwindliche Engpässe im Nachschub über den Hafen von Swakopmund und in der Etappe. Trotz bereits eingerichteter Lager in Windhoek und Okahandja würde die Bewachung Kriegsgefangener in fast allen Orten der Kolonie erhebliche Truppenteile binden, und der General forderte zu diesem Zweck vier neue Etappenkompanien und einen Zivilgouverneur (9.12.1904 Erhalt der Weisungsänderung Peripetie). Konnte es sein, dass sich der General zu recht von seinem Kaiser im Stich gelassen fühlte? Hatte der wegen "Krankheit" nach Waterberg in die Heimat zurückgekehrte Stabschef von Trothas, Oberstleutnant Chales de Beaulieu, die allzu publikumswirksame Berichterstattung der Truppe relativiert, indem er höchsten Stellen den praktischen - übrigens großenteils selbst verschuldeten - Zusammenbruch der Truppenversorgung und Mobilität nach Waterberg aufdeckte? War es aber auch im Interesse der Truppe des Heeres, ja des Kaisers selbst, dass eine "bewundernswerte" erfolgreiche Kampagne als Debakel entblößt wurde? Sah der General es vielleicht sogar als seine Aufgabe an, zur Unterstützung der in Deutschland unveröffentlichten Wende im Hererokrieg seinen Theaterdonner aus der Kolonie fortzusetzen? Ist der General von Trotha ein todbringender, mordsüchtiger ("necrophiliac" - Brigitte Lau) Rassist, wie es seine dem Zeitgeist des "scramble for Africa" entsprechenden Briefe nach Berlin und öffentliche Erklärungen vermuten lassen? Sein Vorbild ist Lord Kitchener, dessen Kriegsführung 25000 Mahdis an einem Vormittag in Omdurman zum Opfer fielen - und der dafür geadelt wurde. Oder ist er ein nüchterner, fähiger, loyaler Offizier seiner Könige, wie es sein Tagebuch vermuten lässt? Ein Kind seiner Zeit? Ein Opfer der Verhältnisse? Ein Statist im Drama? War er Sünder oder Sündenbock? Ein Bauernopfer im Interesse der Staatsräson?

Von Trotha hat über diese Dinge geschwiegen und sein Kriegstagebuch ist bis heute unveröffentlicht. Seine Witwe, die es 1933 zur Veröffentlichung vorbereitet hatte, hat es unterlassen, damit eine Rechtfertigung ihres Mannes zu erstellen.

Albert Schweitzer sagt in seinen vier Goethereden (537): "Schuldig geworden sein bedeutet, ein teuer bezahltes tieferes Verstehen der Dinge besitzen".



Heiner Schneider-Waterberg (Farmer)

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-16

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