Ermittler machtlos: Kokain versteckt in Jeans und Waschlappen
Von Annette Birschel, dpa
Den Haag (dpa) - Gemütliche Bauernhöfe säumen die Straßen des Dorfes Nijeveen. Davor bunte Gärten, die Sonnenblumen blühen. Am Straßenrand sieht man Schilder mit der Aufschrift „Eieren te koop!“ - Eier zu kaufen. Anfang August wurde die Idylle im Nordosten der Niederlande aufgeschreckt. Panzerfahrzeuge rollten durch die Straßen, bewaffnete Einheiten der Polizei stürmten einen Hof. Dort wurden täglich bis zu sechs Millionen Euro erwirtschaftet - doch nicht mit Eiern oder Kartoffeln. In einer umgebauten Pferdemanege hatten Kriminelle täglich bis zu 200 Kilogramm Kokain „gewaschen“. Es war das bisher größte bekannte Kokain-Labor in der Geschichte des Landes - und für die Ermittler ein Indiz, dass der Drogen-Handel floriert wie nie zuvor. Trotz der Corona-Pandemie.
Sogenannte Kokain-Wäschereien wie die in Nijeveen sind fast schon ein typisch niederländisches Phänomen. Dahinter verbirgt sich eine Methode, Drogen mit vergleichsweise geringem Risiko nach Europa zu schmuggeln: Das Kokain wird im Herkunftsland - meist Kolumbien - aufgelöst. Mit der Lösung werden etwa Shampooflaschen gefüllt oder Jeans oder Waschlappen getränkt. Auch viele andere Produkte seien nutzbar, selbst Gewürzmischungen, Kakao oder Bienenwachs, wie der Ermittler Rob sagt. Er ist chemischer Analytiker bei einer Spezialeinheit der Polizei, die Drogenlabors aufspüren soll, seinen vollen Namen will er nicht nennen.
Die mit den Drogen präparierten Waren werden vom Rotterdamer Hafen aus zu einem abgelegenen Ort auf dem Land gebracht. Meist fliegen aus Südamerika noch Spezialisten ein, um die Wasch-Leute anzuleiten, wie der Ermittler sagt. Im Dorf Nijeveen waren auch 13 Kolumbianer festgenommen worden. In anderen Ländern gibt es kaum Kokain-Wäschereien. „Wir sind Marktführer“, sagt Rob fast schon zynisch. Darauf sei aber keiner stolz.
Kompliziert sei es nicht, das Kokain wieder aus den Stoffen zu waschen, erklärt der Ermittler. Nach einer Spülung mit bestimmten Chemikalien setzt sich das Kokain demnach als Pulver wieder ab und kann zu Blöcken gepresst werden. „Das ist keine hohe Wissenschaft.“ Es sei aber aufwendig und teuer. „Aber bei den Gewinnspannen macht das nichts aus“, rechnet Rob vor: Die Produktion von einem Kilo Kokain koste insgesamt rund 1500 Euro, mit dem Waschverfahren vielleicht rund 4000 Euro. „Doch was ist das schon, wenn man bedenkt, dass jedes Kilo reines Kokain etwa 25 000 Euro im Verkauf einbringt?“
Die Drogen-Wäsche ist nicht ungefährlich. In Nijeveen wurden Zehntausende Liter Chemikalien beschlagnahmt, brennbare und explosive Stoffe. „Die Gefahren für Bürger und Umwelt sind enorm“, sagt der Experte Rob. Und der hochgiftige Restmüll werde häufig in der Natur entsorgt.
Die Niederlande sind beim Handel von Kokain und synthetischen Drogen eine der wichtigsten Drehscheiben Europas. „Ein Grund ist die ausgezeichnete Logistik“, sagt Sascha Strupp, Drogenexperte bei Europol in Den Haag. Im Handelsland Niederlande profitiert auch das organisierte Verbrechen vom gut ausgebauten Straßennetz und dem Rotterdamer Hafen - dem größten Europas.
Am häufigsten wird Kokain nach wie vor auf traditionelle Weise nach Europa geschmuggelt: in Containern versteckt etwa zwischen Bananen oder Auto-Teilen. Korrupte Hafenbeamte verschaffen den Kriminellen Zugang zu den Containern. Die schnappen sich die gefüllten Sporttaschen und verschwinden, wie der strategische Analyst Strupp erklärt.
Wie viel Kokain pro Jahr nach Europa gelangt, meist über Rotterdam, Antwerpen oder spanische Häfen, ist kaum zu sagen. Europol schätzt, dass im Jahr Kokain für mehr als neun Milliarden Euro gehandelt wird. Und es wird immer mehr. Ermittler entdeckten bereits häufiger Ladungen von mehr als 1000 Kilogramm. Auch der gigantische Umfang der Kokain-Wäscherei von Nijeveen weist darauf hin. Und der Verkaufspreis ist in Europa im Vergleich sehr niedrig. Ein Indiz für ein großes Angebot. „Der gesamte Drogenmarkt wächst“, sagt Strupp.
Im Hafen von Rotterdam wurden im vergangenen Jahr 34 000 Kilogramm Kokain entdeckt, fast doppelt so viel wie 2018. In diesem Jahr erwarten die Drogenfahnder erneut eine Verdoppelung. Ähnliche Zuwachsraten werden auch aus dem Hafen von Antwerpen in Belgien gemeldet.
Längst ist das Kokain auch nicht mehr nur für den europäischen Markt bestimmt. „Die EU wird immer mehr zum Transitland für Asien oder Russland“, sagt der Europol-Experte. Dabei nutzen Kriminelle den guten Ruf der EU aus: Container aus der EU gelten bei den Drogenfahndern als weniger verdächtig als solche aus Südamerika.
Im Kampf gegen den internationalen Handel haben die Ermittler kaum eine Chance - trotz mancher Erfolge. „Doch an die Hintermänner kommen wir nicht ran“, sagt der niederländische Ermittler Rob. „Die sitzen weit weg.“
Europol setzt auf internationale Zusammenarbeit gerade mit den Herkunftsländern des Kokains, um an die Köpfe der Banden zu kommen - und an deren Geld. „Wir bekommen den Drogenstrom nur in den Griff, wenn wir ans Geld kommen“, sagt Strupp. Doch bisher werden schätzungsweise nur ein Prozent des Gewinns aus dem Drogengeschäft beschlagnahmt. 2018 waren das etwa 200 Millionen Euro.
Den Haag (dpa) - Gemütliche Bauernhöfe säumen die Straßen des Dorfes Nijeveen. Davor bunte Gärten, die Sonnenblumen blühen. Am Straßenrand sieht man Schilder mit der Aufschrift „Eieren te koop!“ - Eier zu kaufen. Anfang August wurde die Idylle im Nordosten der Niederlande aufgeschreckt. Panzerfahrzeuge rollten durch die Straßen, bewaffnete Einheiten der Polizei stürmten einen Hof. Dort wurden täglich bis zu sechs Millionen Euro erwirtschaftet - doch nicht mit Eiern oder Kartoffeln. In einer umgebauten Pferdemanege hatten Kriminelle täglich bis zu 200 Kilogramm Kokain „gewaschen“. Es war das bisher größte bekannte Kokain-Labor in der Geschichte des Landes - und für die Ermittler ein Indiz, dass der Drogen-Handel floriert wie nie zuvor. Trotz der Corona-Pandemie.
Sogenannte Kokain-Wäschereien wie die in Nijeveen sind fast schon ein typisch niederländisches Phänomen. Dahinter verbirgt sich eine Methode, Drogen mit vergleichsweise geringem Risiko nach Europa zu schmuggeln: Das Kokain wird im Herkunftsland - meist Kolumbien - aufgelöst. Mit der Lösung werden etwa Shampooflaschen gefüllt oder Jeans oder Waschlappen getränkt. Auch viele andere Produkte seien nutzbar, selbst Gewürzmischungen, Kakao oder Bienenwachs, wie der Ermittler Rob sagt. Er ist chemischer Analytiker bei einer Spezialeinheit der Polizei, die Drogenlabors aufspüren soll, seinen vollen Namen will er nicht nennen.
Die mit den Drogen präparierten Waren werden vom Rotterdamer Hafen aus zu einem abgelegenen Ort auf dem Land gebracht. Meist fliegen aus Südamerika noch Spezialisten ein, um die Wasch-Leute anzuleiten, wie der Ermittler sagt. Im Dorf Nijeveen waren auch 13 Kolumbianer festgenommen worden. In anderen Ländern gibt es kaum Kokain-Wäschereien. „Wir sind Marktführer“, sagt Rob fast schon zynisch. Darauf sei aber keiner stolz.
Kompliziert sei es nicht, das Kokain wieder aus den Stoffen zu waschen, erklärt der Ermittler. Nach einer Spülung mit bestimmten Chemikalien setzt sich das Kokain demnach als Pulver wieder ab und kann zu Blöcken gepresst werden. „Das ist keine hohe Wissenschaft.“ Es sei aber aufwendig und teuer. „Aber bei den Gewinnspannen macht das nichts aus“, rechnet Rob vor: Die Produktion von einem Kilo Kokain koste insgesamt rund 1500 Euro, mit dem Waschverfahren vielleicht rund 4000 Euro. „Doch was ist das schon, wenn man bedenkt, dass jedes Kilo reines Kokain etwa 25 000 Euro im Verkauf einbringt?“
Die Drogen-Wäsche ist nicht ungefährlich. In Nijeveen wurden Zehntausende Liter Chemikalien beschlagnahmt, brennbare und explosive Stoffe. „Die Gefahren für Bürger und Umwelt sind enorm“, sagt der Experte Rob. Und der hochgiftige Restmüll werde häufig in der Natur entsorgt.
Die Niederlande sind beim Handel von Kokain und synthetischen Drogen eine der wichtigsten Drehscheiben Europas. „Ein Grund ist die ausgezeichnete Logistik“, sagt Sascha Strupp, Drogenexperte bei Europol in Den Haag. Im Handelsland Niederlande profitiert auch das organisierte Verbrechen vom gut ausgebauten Straßennetz und dem Rotterdamer Hafen - dem größten Europas.
Am häufigsten wird Kokain nach wie vor auf traditionelle Weise nach Europa geschmuggelt: in Containern versteckt etwa zwischen Bananen oder Auto-Teilen. Korrupte Hafenbeamte verschaffen den Kriminellen Zugang zu den Containern. Die schnappen sich die gefüllten Sporttaschen und verschwinden, wie der strategische Analyst Strupp erklärt.
Wie viel Kokain pro Jahr nach Europa gelangt, meist über Rotterdam, Antwerpen oder spanische Häfen, ist kaum zu sagen. Europol schätzt, dass im Jahr Kokain für mehr als neun Milliarden Euro gehandelt wird. Und es wird immer mehr. Ermittler entdeckten bereits häufiger Ladungen von mehr als 1000 Kilogramm. Auch der gigantische Umfang der Kokain-Wäscherei von Nijeveen weist darauf hin. Und der Verkaufspreis ist in Europa im Vergleich sehr niedrig. Ein Indiz für ein großes Angebot. „Der gesamte Drogenmarkt wächst“, sagt Strupp.
Im Hafen von Rotterdam wurden im vergangenen Jahr 34 000 Kilogramm Kokain entdeckt, fast doppelt so viel wie 2018. In diesem Jahr erwarten die Drogenfahnder erneut eine Verdoppelung. Ähnliche Zuwachsraten werden auch aus dem Hafen von Antwerpen in Belgien gemeldet.
Längst ist das Kokain auch nicht mehr nur für den europäischen Markt bestimmt. „Die EU wird immer mehr zum Transitland für Asien oder Russland“, sagt der Europol-Experte. Dabei nutzen Kriminelle den guten Ruf der EU aus: Container aus der EU gelten bei den Drogenfahndern als weniger verdächtig als solche aus Südamerika.
Im Kampf gegen den internationalen Handel haben die Ermittler kaum eine Chance - trotz mancher Erfolge. „Doch an die Hintermänner kommen wir nicht ran“, sagt der niederländische Ermittler Rob. „Die sitzen weit weg.“
Europol setzt auf internationale Zusammenarbeit gerade mit den Herkunftsländern des Kokains, um an die Köpfe der Banden zu kommen - und an deren Geld. „Wir bekommen den Drogenstrom nur in den Griff, wenn wir ans Geld kommen“, sagt Strupp. Doch bisher werden schätzungsweise nur ein Prozent des Gewinns aus dem Drogengeschäft beschlagnahmt. 2018 waren das etwa 200 Millionen Euro.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen