Loading svg Please wait while we translate the article
Es gibt im Recht keine Kompromisse
Es gibt im Recht keine Kompromisse

Es gibt im Recht keine Kompromisse

Gert Johannes Cornelius Strydom, ehemaliger Vorsitzender und zuletzt amtierender Vorsitzender des Obersten Gerichtshofs, ist seit Oktober im Ruhestand. Der seit 1994 in Namibia lebende Simbabwer Simpson Victor Mtambanengwe wird nun bis zum 30. November amtierender Oberster Richter im Verfassungsgerichtshof sein. Abgelöst wird er dann vom jetzigen Vorsitzenden Richter des Obergerichts, Peter Sam Shivute.

Die AZ wollte mehr zur Arbeit von Johannes Strydom in den vergangenen Jahren und zu seinen weiteren Plänen wissen und besuchte ihn im Oktober im Obersten Gerichtshof. Strydom war gerade dabei, letzte Urteile zu verfassen.

AZ: Während der Verabschiedungsfeier im Mitarbeiter- und Kollegenkreis im Oktober sagten Sie "Niemand sage mir, dass Richter nicht beeinflusst werden, von dem was sie tun. Wir sind Menschen wie jeder andere auch und es ist nicht immer einfach, eine Distanz zu den Geschehnissen im Gerichtssaal und den menschlichen Dramen zu wahren, deren Zeugen wir so oft in unseren Gerichten werden". Würden sie darauf nochmals eingehen?

Strydom: Nun, obwohl wir nach einem Regelwerk arbeiten und man über die Jahre an Erfahrung gewinnt, ist es nicht immer einfach zu sagen, ob jemand lügt oder nicht. Kein Richter kann hinter eine menschliche Stirn schauen und sagen, was dort vorgeht. Urteile jedoch könnten nur gefällt werden, wenn auch die letzten Zweifel getilgt sind. Entscheidungen in Familienstreitigkeiten sind besonders schwierig, wenn ein Kleinkind entweder Vater oder Mutter zugesprochen werden muss. Manchmal gibt es einander widersprechende psychologische Gutachten über die Eltern. Und der Richter sitzt da und muss eine Entscheidung treffen, die für das weitere Leben aller Involvierten entscheidend sein wird. Es ist schwierig, sich davon zu distanzieren.

AZ: An welche besonders herausragenden Urteile können Sie sich erinnern?

Strydom: Die meisten, an die ich mich erinnere, stammen aus dem Obergericht. Anfang der 90er Jahre fischten spanischen Schiffe unrechtmäßig vor unserer Küste. Die Fischer wurden für schuldig befunden und alle Boote konfisziert. Ich denke, dieses Beispiel machte es für andere Fischereinationen sehr klar, dass unrechtmäßiges Fischen in Namibias Gewässern Konsequenzen haben wird. Nach diesem Urteil kam mir kein anderes Beispiel illegalen Fischens staatlicher Flotten mehr zu Ohren.

Die Frage der Interpretation der Grundrechte in der Verfassung war ähnlich bedeutsam. Für mich war das eine bedeutende Erfahrung und ich denke, wir entschieden richtig, dass dieser Teil der Verfassung liberal und nicht restriktiv interpretiert werden sollte. Es ging darum, möglichst weitgehende Rechte für die Bürger durchzusetzen. Bis 1985 hatten wir ja keine Verfassung und keinen Grundrechtekatalog. In Namibia gilt Gemeinrecht. Das heißt, unser Recht ist nicht in einem Gesetzbuch kodifiziert. Es sind Rechtsprinzipien, die über viele Jahre entwickelt wurden. Wir hatten also über das Verhältnis der Verfassung und speziell der Grundrechte zum Gemeinrecht zu entscheiden.

Im Fall Mwandingi musste festgestellt werden, wie fundamentale Verfassungsinhalte interpretiert werden sollten. Mwandingi war von einem der Soldaten angeschossen worden, von diesem Zeitpunkt an querschnittsgelähmt und klagte gegen den Verteidigungsminister von Südafrika. Da dies vor der Unabhängigkeit geschah und der Minister nach der Unabhängigkeit nicht mehr zur Verfügung stand, wurde die Klage gegen den Verteidigungsminister von Namibia fortgesetzt, der ja eigentlich mit der Angelegenheit nichts zu tun hatte. Wir entschieden aber, dass der Minister letztendlich eine Entschädigung zu zahlen hatte.

Im Fall Myburgh war darüber zu urteilen, ob das Eigentum von Frauen, die in Gütergemeinschaft verheiratet sind, der Verwaltung durch den Ehemann unterworfen ist. Wir kamen zu dem Schluss, dass dies nicht verfassungsgemäß ist. Das war eine sehr wichtige Grundrechtsentscheidung.

AZ: Hatten Sie mit Konfliktfällen von traditionellem und staatlichem Recht zu tun?

Strydom: O ja, durchaus. Die Beweislast liegt in solchen Fällen beim Kläger. Dieser muss zeigen, dass es das besagte traditionelle Recht gibt. Vor einigen Jahren begannen einige Bewohner von Kommunalgebieten, Land und Städte einzuzäunen. Andere Bewohner fanden dies unrechtmäßig und zogen vor Gericht. Denn nach traditionellem Recht, so sagten sie, sei dies nicht erlaubt. Die Zaun-Bauer hatten nun zu beweisen, dass ein traditionelles Recht besteht, welches Zäune erlaubt. Manchmal stehen die verschiedenen Auffassungen über traditionelles Recht in ziemlichem Konflikt miteinander und jede Seite bringt Zeugen für ihre Meinung.

AZ: Gerichtspräsident Shivute erwähnte einmal, dass in Fällen, in denen die Exekutive vor Gericht gebracht und verurteilt wurde, diese die Urteile akzeptiert und ausgeführt habe und dass dies ein positives Zeichen für einen funktionierenden Rechtsstaat sei. Können Sie Beispiele für diese Aussage nennen?

Strydom: Es gab den Sekunda-Fall, in dem das Obergericht urteilte, dass Herr Sekunda freigelassen werden müsse. Es gab da gewisse Anschuldigungen, dass er ein Mitglied von Unita gewesen sei. Gegen dieses Urteil ging die Regierung in Berufung. Der Oberste Gerichtshof bestätigte jedoch, dass Sekunda freigelassen werden muss. Da gibt es noch viele weitere Beispiele. Man darf dabei nicht vergessen, dass der Staat die mit Abstand am häufigsten verklagte Institution ist. Ein Heer von Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Sektor. Nehmen Sie allein die große Fahrzeugflotte, durch die Unfälle verursacht werden können.

AZ: Wie interpretieren Sie die Meinungsunterschiede in der juristischen Gemeinschaft zur Entscheidung von Richter Elton Hoff vom Obergericht Grootfontein (d. Red.: Elton Hoff hatte geurteilt, dass Namibia über elf als Caprivi-Separatisten Angeklagten keine Rechtsgewalt habe)?

Strydom: Auch im Fall der so genannten Caprivi-Separatisten ging die Regierung in Berufung und die Angelegenheit kam vor den Obersten Gerichtshof. Drei Richter stimmten gegen die Entscheidung des Obergerichts in Grootfontein und zwei dafür. Ich kann dazu leider nichts weiter sagen, da ich Teil dieses Gerichts war. Jedoch wird man nach bestimmten Urteilen immer Meinungsverschiedenheiten finden.

AZ: Hatten Sie mit Fällen zu tun, in denen die Gewaltenteilung von Judikative, Exekutive und Legislative zur Debatte stand?

Strydom: Ja, dafür sind die Caprivi-Angeklagten wieder ein gutes Beispiel. Das Obergericht hatte entschieden, dass den Angeklagten ein Rechtsbeistand zu stellen ist. Die Regierung legte dagegen Berufung ein und die Angelegenheit kam vor den Obersten Gerichtshof. Wir entschieden, dass im Einklang mit dem Grundrechts-Kapitel der Verfassung jedermann das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren hat. Um dieses jedoch zu gewähren, ist es zwingend notwendig, dass die Angeklagten einen Rechtsbeistand bekommen. Von Regierungsseite wurde nun argumentiert, dass wir kein solches Urteil fällen könnten, denn damit würden wir der Legislative ins Handwerk pfuschen und indirekt festlegen, wie viel Geld der namibischen Rechtshilfe zugestanden wird. Wir waren jedoch der Meinung, dass der Oberste Gerichtshof der Verfassung entsprechend arbeiten muss - dasselbe gilt für die Legislative. Die Verfassung sagt, es muss einen fairen Prozess geben, also müssen die Angeklagten verteidigt werden. In diesem Fall also kam die Gewaltenteilung indirekt zur Sprache. In solchen Fällen eine Linie zu ziehen, ist immer eine gewisse Gratwanderung. Die ultimative Aufgabe der Gerichte ist es aber immer, Recht zu interpretieren.

Ich kann mich an keinen weiteren Fall erinnern, indem Budget-Fragen so deutlich angesprochen wurden. Ich denke außerdem, dass kaum ein anderes Grundrecht diese Frage so deutlich aufwirft wie Artikel 12 der Verfassung zur Gleichheit vor dem Gesetz. Wir hatten bislang noch keine Situation wie beispielsweise in Südafrika, als Bürger klagten, dass die Regierung nach der Verfassung verpflichtet sei, Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Dies tat sie nach Auffassung der Bürger nicht, daher sollte das Gericht die Regierung dazu verurteilen. Es gab dann ein entsprechendes Urteil, welches jedoch die notwendigen Mittel etc. mit einbezog.

In Kapitel elf der namibischen Verfassung wird festgestellt, dass es Regierungsvorhaben und -aufträge gibt, die erfüllt werden sollen. Die Regierung ist jedoch nicht an deren Durchführung gebunden. Denn diese Vorhaben benötigen Zeit und Mittel.

AZ: Es gibt immer wieder Beschwerden über das langsam arbeitende Rechtssystem. Warum ist das so und wie könnte diese Situation verbessert werden?

Strydom: Das ist vor allem ein Problem in den Magistratsgerichten. Aber diese Gerichte fallen unter die Aufsicht der Magistratskommission des Ministers. Soweit die Obergerichte betroffen sind, führten wir bestimmte Strukturen ein, die die Gerichte für die Bürger leichter zugänglich machen. Die Wartezeiten wurden dadurch um vier bis fünf Monate verkürzt. Während der Zeit, in der ich im Obergericht war, betrugen die Wartezeiten manchmal ein ganzes Jahr. Ein anderes Problem ist das der Kosten.

Ich habe ein kleines Komitee gegründet mit einem Richter als Vorsitzenden und mit Vertretern der Law Society, der Namibischen Juristenvereinigung und der Staatsanwaltschaft. Hier werden solche Probleme diskutiert.

Was Urteile angeht: Ich weiß, dass lange Zeit auf Urteile gewartet werden muss. Das ist ein Problem und sollte nicht so sein. Mir ist bewusst, dass die Richter am Obergericht mit Arbeit überladen sind. Jedoch sollte dann die Arbeit beispielsweise so koordiniert und verteilt werden, dass Richter, die noch Urteile zu verfassen haben, die Zeit bekommen, diese abzuarbeiten.

AZ. Was würden Sie den nächsten Juristengenerationen mit auf den Weg geben?

Strydom: Ich möchte vor allem junge schwarze Juristen ermuntern, Mitglieder in der namibischen Anwaltschaft zu werden und dort Erfahrungen zu sammeln. Außerdem müssen Sie wissen, dass man als Richter darauf vorbereitet sein muss, sehr hart zu arbeiten. Das ist kein Beruf, den man nur von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr ausübt. Zu jeder Verhandlung muss man detailliert vorbereitet sein.

AZ: Herr Strydom, was sind Ihre persönlichen Interessen und welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Strydom: In meinem Amt als Oberrichter war ich im Rat für juristische Ausbildung - das ist an die Position gekoppelt. Ich würde gelegentlich gern mit der Universität arbeiten. Nicht als Dozent, aber es würde mir Spaß machen, Vorträge zu bestimmten Themen zu halten, wenn ich gefragt werde.

An der Grenze zur Kalahari haben wir eine Schaffarm. Ich freue mich sehr darauf, dort mehr Zeit mit der Schafzucht zu verbringen. Es wartet ziemlich viel Arbeit. Die Kalahari beginnt dort gerade. Mit den Dünen und dem roten Boden ist das ein wunderschönes Gebiet. Bislang hatte ich nie so richtig die Zeit dafür, mich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Das ist eine gewaltige Veränderung im Vergleich zu dem, was ich mein ganzes Leben über getan habe. Sobald ich die noch restlichen Urteile geschrieben habe, werde ich mich dem voll widmen.

Wir werden dann zwei, drei Tage dorthin fahren, dann zurück nach Windhoek kommen. Denn ich teile mir die Arbeit mit meinem Sohn und einem Kollegen. Diese werden dort die Wochenenden verbringen, ich die Woche.

Tja, außerdem angele ich gern, ich lese viel und habe eine kleine Briefmarkensammlung. Zum größten Teil namibische Marken. Aber ich bin kein so eifriger Briefmarkensammler wie manch andere. Ich weiß, in Deutschland gibt es so wundervolle Briefmarken. Mein Vorgänger als Oberster Richter, Hans-Jochen Berker hatte die wundervollste namibische Briefmarkensammlung. Ich reise gern in Namibia und ich spiele Golf. Es wird also nicht zu stressig werden, aber ich werde auch nicht meine Hände gefaltet in den Schoß legen.

AZ: Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person:

Gert Johannes Cornelius Strydom wurde am 17. Juni 1938 in Otjiwarongo geboren. Er wuchs auf in Outjo, ging erst in Outjo, später in Otjiwarongo zur Schule.

Von 1959 bis 1963 studierte er Recht in Stellenbosch, Südafrika. Ab 1983 war er ständiger Richter am Obergericht von Südwestafrika. Im März 1990 wurde er zum amtierenden Gerichtspräsident berufen, permanent wurde diese Position 1991. Im März 1999 wurde er zum Obersten Richter am Obersten Gerichtshof der Republik Namibia berufen. Nach dem erreichen des gesetzlich festgelegten Ruhestandalters von 65 Jahren im Juni 2003 war er amtierender Oberster Richter.

Strydom ist mit Joy Strydom verheiratet. Das Paar hat zwei Töchter und einen Sohn, der ebenfalls die juristische Laufbahn eingeschlagen hat. Eine der Töchter lebt in Südafrika, die andere arbeitet als Lehrerin in Okahandja.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-16

Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu hinterlassen

Katima Mulilo: 20° | 35° Rundu: 19° | 35° Eenhana: 20° | 36° Oshakati: 23° | 35° Ruacana: 22° | 35° Tsumeb: 22° | 34° Otjiwarongo: 21° | 32° Omaruru: 22° | 36° Windhoek: 20° | 33° Gobabis: 21° | 33° Henties Bay: 16° | 24° Swakopmund: 15° | 17° Walvis Bay: 15° | 23° Rehoboth: 21° | 33° Mariental: 21° | 37° Keetmanshoop: 21° | 38° Aranos: 22° | 37° Lüderitz: 14° | 25° Ariamsvlei: 20° | 39° Oranjemund: 13° | 21° Luanda: 25° | 26° Gaborone: 22° | 35° Lubumbashi: 17° | 32° Mbabane: 17° | 29° Maseru: 16° | 31° Antananarivo: 16° | 32° Lilongwe: 21° | 33° Maputo: 21° | 32° Windhoek: 20° | 33° Cape Town: 16° | 25° Durban: 20° | 25° Johannesburg: 16° | 31° Dar es Salaam: 25° | 31° Lusaka: 20° | 32° Harare: 18° | 28° #REF! #REF!