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Fakten und Fiktionen zum Grundeinkommen (BIG) - eine Betrachtung

Claudia und Dirk Haarmann, Herbert Jauch und Hilma Mote haben in der AZ vom 3. und 4. August 2011 in einem Doppelartikel erstmalig einen seriösen Versuch unternommen, die Idee, ein Grundeinkommen (Basic Income Grant, BIG) in Namibia einzuführen, gegen Kritiker öffentlich zu verteidigen. Der einzige, der schon zuvor auf kritische Beiträge zum BIG, darunter auch solche von mir, in Zeitungen durchaus seriös reagiert hat, war Herbert Jauch.

Der erste Versuch der ganzen Gruppe von BIG-Koalitionären, das Grundeinkommen gegen Kritiker zu verteidigen, war dagegen unseriös. Er fand im November 2008 in Form eines "Tribunals" in der Windhoeker Friedenskirche statt. Kritiker wie ich wurden von BIG-Koalitionären angebrüllt ("Stehen Sie auf, wenn ich mit Ihnen rede!", "Sie haben kein Recht, hier zu reden!"). Als ich trotz der Brüllerei am Ende des Tribunals zu dem deutschen Pfarrer-Ehepaar Haarmann ging und sie fragte, ob man über BIG noch einmal in Ruhe und sachlich reden könne, schleuderte mir die Pfarrersfrau entgegen: "Wir reden nicht mehr mit Ihnen!"

Bald darauf hat dann der Pfarrersmann im Kreise von Bundestagsabgeordneten, die zur Unterstützung des BIG und eines Grundeinkommens in Deutschland nach Namibia gekommen waren, mich, wie mir zugetragen wurde, als "faschistoid" und "rechtsextremistisch" bezeichnet. Als ich im Januar 2009 nach Ausscheiden bei NEPRU und vor Antritt meiner Tätigkeit für UNAM nach Hause fuhr, hat mir die Pfarrersfrau in einem Interview für eine Internet-Zeitung nachgerufen: "Osterkamp ist in Schande nach Deutschland zurückgekehrt." Ihre damalige Erleichterung über meinen (vermeintlichen) Weggang kann ich nachempfinden, aber sie musste mir auch noch etwas hinterherwerfen.

Nach fast zwei Jahren des Schweigens haben sich die Pfarrersleute also dazu durchgerungen, als (Ko-)Autoren einen Artikel gegen die Argumente eines von ihnen als schändlich, faschistoid und rechtsextremistisch bezeichneten BIG-Kritikers zu verfassen. Denn es sind vor allem meine Argumente, die aufgegriffen werden. Jedenfalls bin ich der einzige in ihrem Artikel namentlich genannte BIG-Kritiker, obwohl es ja durchaus viele dieser Sorte gibt: von Staatspräsident Hifikepunye Pohamba über Premierminister Nahas Angula und Staatssekretär Dr. Kalumbi Shangula bis zu zahlreichen Journalisten und Leserbriefschreibern. Diese Alleinstellung ehrt mich natürlich sehr.

Es ist also die erste seriöse öffentliche Verteidigung des BIG durch die maßgeblichen BIG-Koalitionäre gegen seine Kritiker. Der Text ist seriös, weil die Autoren (jedenfalls teilweise) sachlich argumentieren, keinen Schaum vor dem Mund haben und nicht verleumden. Aber sind ihre Argumente stichhaltig?

Ich beginne mit dem argumentativ stärksten Teil des Doppelartikels. Darin wird eine Barzahlung, die universell (d.h. an Jedermann geleistet wird) und an keine Bedingungen geknüpft, regelmäßig erfolgt und dauerhaft (d.h. kein definiertes Ende besitzt) ist, also ein BIG, mit einer Barzahlung verglichen, die ebenfalls regelmäßig erfolgt, aber nur an Bedürftige geleistet wird, an Verhaltensauflagen geknüpft ist sowie ein vorher definiertes Ende besitzt (nämlich wenn die Bedürftigkeit entfallen ist). Diese Form der Sozialhilfe wird meist als "conditional and targeted cash transfer" (CTCT) bezeichnet. Die Autoren haben sicher recht, wenn sie zwei Vorteile des BIG benennen: Es ist administrativ einfacher und billiger als ein CTCT und es ist auch liberaler und weniger obrigkeitsstaatlich, weil die Begünstigten über die Verwendung des Geldes selbst entscheiden können und keine Auflagen erfüllen müssen.

Die administrative Einfachheit ist aber nur ein Gesichtspunkt unter mehreren. Von besonderer Bedeutung sind die Gesamtkosten. Die Kosten von CTCT-Projekten in Chile, Brasilien und Mexiko (einschließlich Verwaltung) liegen zwischen 0,1% und 0,5% des Sozialprodukts. Beim BIG müsste man mit 3% rechnen. Die Autoren erörtern nicht, welcher Verwaltungsaufwand erforderlich wäre, um in ganz Namibia ein BIG einzuführen und durchzuführen. Man müsste ja jeden Bürger erfassen, aber Doppel-Auszahlungen und Auszahlungen an Verstorbene vermeiden.

Für einen Ökonomen wie mich mit einem liberalen Weltbild ist die Bedingungslosigkeit des BIG grundsätzlich attraktiv. Aber für die Bürger in Namibia (und anderswo) gilt das anscheinend weniger. Leserbriefe zeigen: Gutverdienende Bürger wollen den ärmeren helfen (und viele tun dies bereits in vielfältiger Weise). Sie wollen aber nicht Alkoholkonsum und Müßiggang, der auf Kosten der Kinder geht, unterstützen.

Inwieweit diese Befürchtungen gerechtfertigt sind, ist weitgehend irrelevant. Für die politische Durchsetzbarkeit eines BIG sind solche Befürchtungen, die von den Politikern in Namibia anscheinend fast durchwegs geteilt werden, jedoch fatal. Die Autoren des Doppelartikels haben in ihren zwei Broschüren über Omitara/Otjivero versucht, diese Befürchtungen zu zerstreuen. Allerdings mit wenig Erfolg. Es rächt sich hier, dass der methodische Ansatz schwere Mängel enthält (dazu unten mehr), die die Beweiskraft der angeblichen Ergebnisse massiv beeinträchtigen.

Einen großen Vorteil eines CTCT gegenüber einem BIG erwähnen die Autoren nicht: Mit CTCT-Projekten gibt es umfangreiche Erfahrungen aus mittlerweile Dutzenden von Projekten weltweit, die umfassend und transparent dokumentiert sind - ganz im Gegensatz zu der selektiven Dokumentation über Otjivero.

Die Autoren versuchen, den Nachteil, dass es für BIG kein Vorbild gibt (außer in Alaska), in einen Vorteil umzudeuten: Namibia könnte eine weltweite Vorbildrolle spielen - ganz so, wie es sich die überwiegend deutschen Sponsoren für ihr Grundeinkommen-Projekt in Deutschland wünschen. Aber welcher namibische Politiker würde das Risiko auf sich nehmen wollen, als erster Staat der Dritten Welt oder gar der Welt insgesamt nur dürftig kartiertes sozialpolitisches Neuland zu betreten, während andere Optionen erfolgreich erprobt sind?

Die Autoren behaupten weiter, dass soziale Sicherung, Armutsbekämpfung und Minderung der Ungleichheit heute nicht mehr als Ziel, sondern als Bedingungen für wirtschaftliche und soziale Entwicklung angesehen würden. Diese Behauptung ist kühn, weil sie der historischen Erfahrung aller heutigen Industrieländer sowie der heute erfolgreichen Länder Asiens und Lateinamerikas widerspricht.

Während die Autoren beim Vergleich von BIG und CTCT durchaus ernst zu nehmende Argumente vortragen, reagieren sie auf meine Kritik an den in Otjivero angewandten Methoden ohne jedes inhaltliche Argument. Vielmehr ziehen sie sich auf das mittelalterliche Argument der Autoritäten zurück. Sie nennen drei Professoren der Wirtschaftswissenschaft, die das Projekt in methodischen Fragen beraten hätten. Allerdings hat nur einer der drei genannten Professoren, Michael Samson (Yale/USA), augenscheinlich Erfahrung in dem hier relevanten Feld der Projektevaluierung. Guy Standing (Baths/England) hat lediglich Haushaltserhebungen durchgeführt, aber anscheinend keine Projekte konzipiert oder evaluiert. Auf der Webseite von Nicoli Nattrass (Kapstadt) konnte ich überhaupt keine empirischen Arbeiten entdecken. Es scheint, dass Michael Samson in Otjivero allenfalls mal kurz vorbeigeschaut hätte.

Aus den methodischen Mängeln folgt, dass die in den zwei Broschüren dargelegten positiven Entwicklungen in Otjivero keine Beweiskraft besitzen und als Grundlage für staatliches sozialpolitisches Handeln kaum in Frage kommen.

Jedoch gibt es die Möglichkeit der Nachbesserung, die die Mängel jedenfalls teilweise heilen könnte. Dazu gehören: Offenlegung aller gesammelten Daten, einschließlich Einnahmen und Ausgaben des Projekts; eine neue Datenerhebung in Otjivero, und zwar durch unabhängige Forscher; eine seriöse Fachdiskussion über BIG und andere Systeme der sozialen Sicherung - und keine Propaganda-Veranstaltung wie mit Senator Solice und keine Dichterlesung zum Thema, wie jetzt bei UNAM angekündigt. Zudem müssten die Chancen der politischen Durchsetzung eines BIG in einer Umfrage unter der Bevölkerung geklärt werden.

Der schwächste und zugleich enthüllendste Teil des Doppelartikels bezieht sich auf die oben angesprochene Offenlegung der Daten. Immerhin räumen die Autoren jetzt ein, dass die Daten weder offengelegt wurden noch werden. Sie begründen das damit, dass den Teilnehmern an den Umfragen in Otjivero "Vertraulichkeit ihrer persönlichen Daten zugesichert" wurde. Als ob irgendein Forscher daran interessiert wäre, was einzelne Bürger Otjiveros über sich persönlich zu berichten hatten. Selbstverständlich müssen die offengelegten Daten anonymisiert sein. Anonymisierte und ansonsten volle Offenlegung - nichts anderes ist internationaler Standard.

Vor etwa einem Jahr hat Pfarrer Haarmann die Daten-Anfrage finnischer Studenten noch mit einer anderen Begründung abgelehnt. Er sagte: Beim BIG geht es nicht um akademische Forschung, sondern um den Menschen. Mit anderen Worten: Egal, was die (verborgenen) Zahlen sagen, wir wissen, was für die ganze Nation gut ist. Es drängt sich die Schlussfolgerung auf: Entweder haben die BIG-Koalitionäre Chaos in ihren Daten oder sie wollen etwas verbergen.

Durch die Zurückhaltung von Daten verhindern die BIG-Projektleiter eine sachliche, kritische und transparente fachliche Diskussion. Sie haben sich auch nicht gescheut, Kritiker zu verleumden. Grundvoraussetzung für ein Gelingen dieses sozialpolitischen Außenseiter-Projekts wäre gewesen, dass die Projektleiter in der Lage sind, sachliche Kritik zu ertragen und darauf sachlich zu reagieren, dass sie mutig genug sind, sich nicht nur mit BIG-Gläubigen zu umgeben, sowie ein Mindestmaß an bürgerlichen Umgangsformen und ein Quäntchen Anstand besitzen.

Dr. Rigmar Osterkamp

(Der Autor war bis Juli 2011 Senior Lecturer für Volkswirtschaftslehre an der UNAM und ist per E-Mail unter [email protected] erreichbar.)

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-27

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