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Felskoloss fällt nach 50000 Jahren

Tausende und Abertausende Jahre hatte er Sonne, Wind und Regen getrotzt. 12 m hoch und bis zu 4,5 m breit. Ein 450 Tonnen schwerer Koloss aus Sandstein auf einem 1,5 m schmalen Sockel aus Tonstein. Wie eine Ballerina auf Zehenspitzen balancierend. Eine Laune der Erosion. Oder ein Zeichen Gottes? Mûgorob nannten ihn die Nama, als Mukorob oder auch Finger Gottes kannten ihn die Touristen - im Süden Namibias, östlich der Teerstraße Mariental - Keetmanshoop, nahe Asab. Dann plötzlich, von einem Tag auf den anderen, war der Koloss verschwunden, ragte der Sockel leer in den Himmel. Nur ein Haufen frisch auseinander gebrochenen Sandsteins am Südwest-Hang des Sockels zeugte vom einstigen Felsturm.

20 Jahre ist es nun her, dass der Mûgorob umgestürzt ist - Geologen datieren das Ereignis auf Mittwoch Vormittag, den 7. Dezember 1988. Augenzeugen gibt es jedoch nicht. Entdeckt und gemeldet wurde der Einsturz am Donnerstag, den 8. Dezember, von Jan van Rensburg und Lefie April von der Farm Daberas bei Asab. Über die Ursache wurde jahrelang spekuliert. In Zeitungsberichten hatte man zunächst auf starke Winde getippt, die in den Tagen vor dem 8. Dezember in der Gegend registriert worden waren. Nach Untersuchung der Spuren vor Ort allerdings schlossen Experten den Wind als möglichen "Schuldigen" aus und kamen den wahren "Tätern" auf die Schliche...
Doch zunächst zur Lebensgeschichte des Mûgorob. Geologen zufolge ist der Felsfinger keineswegs so alt gewesen wie von vielen vermutet. Seine Geburt allerdings hat eine lange Vorgeschichte. Vor etwa 280 Mio. Jahren, als die heutigen Kontinente Südamerika, Antarktis, Afrika und Australien noch vereint sind und gemeinsam den Ur-Kontinent Gondwana formen, bedecken gewaltige Gletscher das Land. Dann wird es wärmer und die Gletscher schmelzen. Im Süden des heutigen Namibia befinden sich ausgedehnte Flutgebiete, in denen sich dicke Schichten Schlamm und Sand ablagern.
Diese Ablagerungen treten heute im Weißrand östlich der Teerstraße Mariental - Keetmanshoop zu Tage: Sand wird im Laufe der Jahrmillionen zu Sandstein und Schlamm zu Tonschiefer. Der widerstandsfähigere Sandstein bildet die Decke des Weißrands.
Vor rund 120 Mio. Jahren bricht Gondwana auseinander und Afrika beginnt sich zu heben. Dadurch beschleunigt sich die Erosion; innerhalb von 60 Mio. Jahren wird etwa 2 km Gestein abgetragen. Vor etwa 30 Mio. Jahren werden die Sandstein- und Tonschiefer-Schichten wieder freigelegt. Der Fischfluss und seine Nebenflüsse nagen daraufhin an diesen Schichten und drängen sie alle 1 Mio. Jahre etwa 4 km nach Osten zurück.

Dieses Zurückdrängen geschieht nicht gleichmäßig; hier und da entstehen Felsinseln, die der Erosion länger widerstehen als das Gestein um sie herum. Der Mûgorob wie wir ihn kennen, ist der letzte Rest solch einer Felsinsel. Dass er Teil des Weißrands ist, lässt sich an der übereinstimmenden Schichtung ablesen: Oben Sandstein, unten Tonschiefer. Wie ein besonders hartnäckiger Fels in der Brandung ragt er schließlich 200 m westlich der geschlossenen Abbruchkante in die Luft. Rein rechnerisch können Geologen die Stunde seiner Geburt als Felsinsel auf einen Zeitpunkt vor etwa 50.000 Jahren datieren.
Der Körper aus Sandstein ist 12 m hoch, bis zu 4,5 m breit und etwa 450 t schwer. Er ruht auf einem Sockel, der mit 3 m Länge und 1,5 m Breite erschreckend schmal ist. Dass er sich bei diesen Maßen überhaupt halten kann, gleicht schon einem Wunder - weshalb viele Touristen ihn ja auch aufsuchen und bestaunen. Das Naturwunder lieferte auch den Stoff zu einer Sage, die innerhalb der Nama in vielerlei Variationen überliefert ist:

Das Volk der Herero, so eine Version, lag seit jeher in Streit mit den Nama. Eines Tages kam eine große Gruppe Herero aus den Weidegebieten im Zentrum Namibias mit ihren gut genährten Rindern zu den Nama in den trockenen Süden. "Seht her, wie reich wir sind, mit unseren speckefetten Rindern", prahlten sie und spotteten: "Und was habt ihr? Nichts als Klippen!" Die schlagfertigen Nama jedoch entgegneten: "Wir haben diesen Felsen. Da könnt ihr so viele Rinder haben wie ihr wollt - solange der steht, sind wir die Herren dieses Landes." Das ärgerte die Herero und so beschlossen sie, den Felsen umzustürzen. Sie banden viele Riemen zu einer langen Leine zusammen, legten sie um den Felsen und spannten ihre Rinder an. Doch so sehr sie sich mühten, es gelang ihnen nicht, den Felsen niederzureißen. Da riefen die Nama: "Mû kho ro!" - "Seht Ihr wohl!"
Der Name des Felsens in Nama-Khoekhoegowab lautet eigentlich nicht Mukorob, sondern 'Mûgorob'. Eine kleine Ungenauigkeit, wie es oft bei Ortsbezeichnungen der Nama vorkommt. Die Übersetzung in 'Finger Gottes' dagegen ist nicht nur ungenau, sondern völlig aus den Fingern gesogen. Dem Khoekhoegowab-Experten Wilfried Haacke zufolge muss es präzise übersetzt '(jemand) sah' heißen.

Eine zweite Geschichte, die sich um den Mûgorob gerankt haben soll, sieht in der Felssäule ein Symbol für die Herrschaft des 'Weißen Mannes'. Sobald der Mûgorob umstürzt, stürze auch das System der Apartheid. Allerdings mag diese Version erst nach dem Einsturz des Mûgorob und vielleicht auch erst nach der Unabhängigkeit 1990 erdichtet worden sein...
Wie dem auch sei - Herero und Apartheid-Gegner dürften als Ursache für den Sturz des Mûgorob wohl ausscheiden. Was oder wer sonst aber war dafür verantwortlich? Die Geologen Roy Miller und Karl Heinz Hoffmann sowie der Geophysiker Louis Fernandez haben diese Frage in einem 1990 veröffentlichten Aufsatz diskutiert. Sie kamen zum Schluss, dass es sich um das Zusammenwirken von zwei Faktoren handelt - und ein dritter Faktor den letzten Anstoß gab.
Faktor Nr. 1 war Regen. Sockel und Fundament bestehen aus Tonschiefer, der aufgrund ständiger Verwitterung an der Oberfläche von vielen kleinen Rissen durchzogen ist. Sobald sie feucht wird, platzen kleine Stücke ab und lösen sich zum Teil auf. In den Tagen vor dem Einsturz fielen in der Gegend des Mûgorob 10 bis 20 mm Regen.
Hinzu kommt Faktor Nr. 2, der von oben wirkende Druck der Felssäule, dem der Sockel ab einem bestimmten Punkt nicht mehr standhalten konnte. In solchen Fällen bildet sich eine Bruchebene, die in einem Winkel von 45 Grad zur Richtung der einwirkenden Kraft steht. Am Überrest des Sockels lässt sich diese Bruchebene klar erkennen. Damit scheidet übrigens der Wind als Ursache aus: Hätte eine Windböe den Felsen ins Wanken gebracht, wäre eine horizontale Bruchebene zu erwarten gewesen.

Regen und Druck arbeiten nach dem Prinzip "steter Tropfen höhlt den Stein". Im Laufe der Jahrtausende haben sie den Sockel so zermürbt, dass er kurz vor dem Bruch steht. Nun ist nur noch ein letzter kleiner Impuls nötig... Damit tritt der mögliche Faktor Nr. 3 auf den Plan, dessen Wirkung man allerdings nicht eindeutig beweisen kann: Ein Erdbeben. Am Vormittag des 7. Dezember 1988 wird Armenien von einem verheerenden Erdbeben der Stärke 6,9 auf der Richter-Skala heimgesucht. Die Ausläufer dieser Druckwellen werden auch in Namibia registriert - nicht vom Menschen, aber von der Seismologischen Station in Windhoek.

Der Geophysiker Louis Fernandez geht davon aus, dass die Schwingungen durch den weichen Boden des Sockels um das Drei- bis Vierfache verstärkt wurden. Außerdem wird vermutet, dass der Felsturm mit seinem Gravitäts-Schwerpunkt im oberen Bereich wie ein gigantischer Seismograph funktioniert hat; die Frequenz der Druckwellen mag eine natürliche Resonanz bewirkt und damit die Schwingungen weiter verstärkt haben. Etwa eine Stunde lang dauerten die stärkeren Druckwellen an - möglicherweise genug, um dem bereits zermürbten Sockel den entscheidenden Impuls zum Bruch zu geben.

So oder so, im Dezember 1988 hat der Süden Namibias eine beeindruckende geologische Formation verloren - die übrigens sogar unter Denkmalschutz stand. 1955 hatte die südafrikanische Verwaltung die Felsnadel und das umgebende Gelände auf Farm Middelpos östlich von Asab zum Nationalen Monument erklärt. Trotz des Einsturzes wurde die Stätte bis heute nicht deproklamiert. Stattdessen, so Denkmal-Experte Andreas Vogt, mag man die Begründung für das Monument umgedeutet haben: Die Trümmer des Mûgorob veranschaulichen, dass geologische Formationen keineswegs ewig bestehen, sondern dem geologischen Prozess der Erosion unterworfen sind - so langsam und unmerklich dieser auch verläuft.
Für die Tourismusbranche im Süden dagegen ließ sich der Verlust nicht durch Umdeutung wettmachen. Im Southern Tourist Forum (STF) wurde damals vielmehr darüber nachgedacht, den Mûgorob in Originalgröße an Ort und Stelle wieder aufzubauen - allerdings in Form einer Skulptur in Fiberglas. Die Idee stammte vom STF-Mitbegründer und -Vorsitzenden Oskar "Hampie" Plichta, der zu jener Zeit Bürgermeister von Keetmanshoop war. Ihn muss der Sturz des Mûgorob fast so geschmerzt haben, als habe er selbst einen Finger eingebüßt. Darauf deutet zumindest sein heftiger Ausbruch, nachdem er von der Demontage des Schildes "

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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