Fenster in die Vergangenheit
Von Andreas Seibert, Windhoek
„Freiheit ist für mich das Allergrößte“, sagt Werner Pfeifer. „Internat war die Hölle, weil ich von allen Seiten Druck erfahren habe. Ich hasse Zwang.“ Pfeifer lebt in der vierten Generation in Namibia und ist auf einer Farm bei Otavi aufgewachsen. Die Wildnis wurde ihm mit in die Wiege gelegt: „Ich bin schon immer im Busch rumgerannt.“ Daher wurde er nach seiner Schul- und Militärzeit zuerst Naturschutzbeamter, dann Berufsjäger.
Für einen Menschen wie Pfeifer, der quasi in der Natur zu Hause ist, hätte dies der perfekte Beruf sein müssen, doch die Mentalität der anderen Jäger schreckte ihn ab: „Viele wollten nur töten, um mit ihren Trophäen zu Hause anzugeben. Sowas wie Ethik kannten die meisten dieser Leute nicht. Das konnte ich nicht ertragen.“ Es ginge viel mehr darum, sich bei der Jagd Mühe zu geben und nicht das erstbeste Tier zu erschießen. „Teilweise haben sie die Tiere direkt vom Auto abgeknallt, nach dem Motto: Die Masse machts.“ Oft wussten die Jäger auch gar nicht, was da tot vor ihren Füßen lag, dann fragten sie Pfeifer, was das eigentlich sei. „Kuhantilope!“ Beim nächsten Mal das gleiche Spielchen. Irgendwann wusste Pfeifer, dass er einen Schlussstrich ziehen musste: „Ich stand am Ende sogar hinter den Jägern und habe mit den Armen rumgefuchtelt, damit das Tier abhaut. Bald war mir klar, dass ich diesen Beruf nicht weiter machen kann.“
Die nächste Lebensetappe führte ihn nach Mitteleuropa: Auf einer Safari hatte er seine zukünftige Frau kennengelernt, also zog er 1990 nach Deutschland. Natürlich konnte man als Berufsjäger in Deutschland nicht viele Brötchen verdienen, also begann Pfeifer eine Ausbildung: „Werner kann natürlich nichts gewöhnliches machen“, sagt er und lacht, „daher habe ich eine Ausbildung als Säckler in Hemau gemacht.“ Aha, ein afrikanischer Berufsjäger kommt ins bayerische Hemau, um dort eine Ausbildung als Trachtenlederhosenschneider zu machen. Pfeifer ist wirklich nicht für das Gewöhnliche geboren. Dort lernte er eine neue Welt kennen: Das bayerisches Dorftum. Alle sind katholisch, jeder kennt jeden, jeder redet über jeden. Natürlich nur so, dass es die anderen nicht mitbekommen. „Diese Lebensart hat mich irgendwie stark an das Mittelalter erinnert. Nachdem ich meine Ausbildung abgeschlossen hatte, habe ich meine Sachen gepackt und das Weite gesucht. Zwei Jahre Mittelalter haben gereicht.“
Danach hat Pfeifer neun Semester Geografie und Biologie auf Lehramt an der Universität Kiel studiert, doch auch das sollte nicht für die Ewigkeit sein: „Nach dem ersten Staatsexamen habe ich mich dazu entschlossen, mich selbstständig zu machen. Als Lehrer bekommt man von allen Seiten nur Druck, ein sehr harter Beruf.“ Im Tierpark Warder bei Kiel hat Pfeifer einige Jahre als historischer Lehrer gearbeitet. Er hat sich im Tierpark prähistorisches Reetdachhaus aus Lehm und Holz gebaut und dort Schulklassen gezeigt, wie man in der Steinzeit gelebt hat. „Es war eine unglaublich schöne Zeit, die Kinder waren sehr motiviert, etwas zu lernen und die Lehrer waren froh, mal zwei Stunden ihre Ruhe zu haben.“ Doch der Tierpark brach durch interne Misswirtschaft finanziell zusammen, daher sah sich auch Pfeifer seiner Grundlage beraubt. „Zu dieser Zeit habe ich schon 13 Jahre in Deutschland gelebt, ich dachte mir es ist an der Zeit, wieder nach Hause zu gehen.“
2002 ist Pfeifer dann wieder nach Namibia gereist und hat bei einem Freund auf einer Farm bei Otjisondu gelebt. Dort hat er sich in der Nähe eines Viehpostens ein Baumhaus gebaut. „Dort lebte ich ein Jahr, es war unglaublich schön“, erinnet er sich. Während dieser Zeit hat er seinem Freund bei der Etablierung eines Geschäfts geholfen und war so in den verschiedensten Regionen Namibias unterwegs. Schließlich hat er in einem Buschmanndorf einen Mann namens Gau kennengelernt, ihm hat er von seiner Idee der „Living Museums“ erzählt. „Die Idee, ein Freilichtmuseum in Namibia zu etablieren, ist schon lange in meinem Kopf gereift. Ich habe ja schon in Deutschland quasi als lebendes Freilichtmuseum gearbeitet, in Namibia wollte ich sowas mit den einheimischen Völkern machen. Die verschiedenen Völker Namibias verfügen über eine uralte Kultur, die es wert ist, bewahrt zu werden.“
Also überlegte sich Pfeifer ein Konzept: Die Einheimischen sollten das Freilichmuseum selber aufbauen, die Einnahmen können sie komplett behalten. Pfeifer kümmert sich um das Marketing und sorgt dafür, dass Touristen kommen. „Ich habe Gau gesagt, dass sie sich bei mir melden sollten, sobald das Museum steht.“ Zwei Wochen später bekam er einen Anruf, es war Gau: „Werner, wo bleibst du? Das Museum ist fertig!“ Werner ist sofort nach Grashoek gefahren, hat einen Eröffnungstag angesetzt und dazu auch die Presse eingeladen. „Keine Sau kam“, sagt Pfeifer und sein Lachen hallt durch den Raum. „Wir waren ja noch total unbekannt. Ich habe mir mit Carsten Möhle vom Reiseveranstalter Bwana Tucke Tucke und Kathrin Dürrschmidt ein Programm für das Living Museum ausgedacht, das wir vorstellen wollten, doch mit Ausnahme von einigen Freunden und dem Buschmannexperten Reinhard Friedrich kam niemand.“
Während der Eröffnungsfeier kamen aber schon die ersten Touristen: „Wir waren im ersten Moment total überrascht und unvorbereitet. Plötzlich standen Besucher im Dorf, die ein Programm wollten“, sagt Werner. Schon der erste Tag war ein großer Erfolg: Den Touristen hat es gefallen und die Buschmänner waren total begeistert. „Sie haben sich so gefreut, weil sie einfach nur das sein konnten, was sie sind: Buschleute. Und damit können sie plötzlich Geld verdienen“, erklärt Pfeifer. Die Living Museums waren geboren. Das erste Living Museum entstand 2003 bei Grashoek und wird von den Ju/‘Hoansi-San betrieben. Mittlerweile gibt es vier weitere Lebende Museen sowie einen kleinen Verein mit Kathrin und Sebastian Dürrschmidt aus Windhoek, die dabei mitmachen (www.Icfn.info): „Die Museen sind ein großer Erfolg. Ihr Erfolgsrezept ist einfach: Authentizität. Sie zeigen die ursprüngliche Kultur der Völker, noch vor der Europäisierung. So helfen wir einerseits den Leuten ein Geschäft aufzubauen, andererseits schaffen wir ein Fenster in die Vergangenheit. Großartig!“, sagt Pfeifer.
Sein nächstes Projekt steht auch schon in den Startlöchern: „Ich will eine Schule für Buschleute gründen, wo sie lernen, Spuren zu lesen. Diese Kunst ist mittlerweile verloren gegangen, aber viele Leute sind noch der Meinung, dass Buschleute das können. Allerdings beherrschen nur noch die Alten diese Kunst, daher will ich mit ihnen so eine Berufsschule gründen, damit die jüngeren Generationen diese Kunst wieder erlernen und dann Jobs, zum Beispiel im Bereich des Naturschutzes, finden. Und dafür suche ich noch Sponsoren!“
Während Pfeifer den namibischen Sommer im Lande verbringt, ist er iIm deutschen Sommer wieder in Schleswig-Hosein, im Steinzeitpark Dithmarschen als Steinzeitmensch und Museumspädagoge unterwegs – ein Leben lang Sommer.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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