Forschungsprojekt auf Gobabeb: Das riskante Liebesleben der Dancing White Lady Spider
Wenn das Männchen der Dancing White Lady Spider geschlechtsreif wird, dann hat es nur noch eines im Sinn: cherchez la femme - Frauen. Der Spinnenmann geht im Dunkel der Nacht auf Brautschau und wandert dabei weit aus seinem sicheren Territorium heraus. Trotzdem findet er immer wieder gradlinig zu seinem Haus im Dünensand zurück. Wie macht er das bloß?, fragen sich Wissenschaftler.
Eigentlich ist die Tanzende Weiße Spinne (Leucorchestris Arenicola) ein sehr häuslicher Typ. Tagsüber lässt sie sich sowieso nie draußen blicken, nachts harrt sie in ihrem winzigen Häuschen unter dem Dünensand aus, bis das Krabbeln eines Käfers in der Nähe ihres Domizils hörbar wird. Dann schießt die fette, weißliche Spinne hervor und attackiert die unglückselige Beute, schleppt sie nach Hause und diniert dort in aller Ruhe.
Nicht größer als drei Meter im Durchmesser ist der Aktionsradius dieser nur in der Namib heimischen Spinnenart. Mit einer Ausnahme: Wenn die geschlechtsreifen Männchen liebestoll werden, dann pilgern sie bis zu einen halben Kilometer weit aus dem sicheren Territorium heraus. Das geht in der Regel nur ein bis zwei Monate gut, dann werden sie selbst zur Beute eines anderen Nachttieres. Die Brautschau ist gefährlich, deshalb bleibt die Dancing White Lady Spider lieber die meiste Zeit zu Hause. Und ist das Männchen bei seiner nächtlichen Frauensuche erfolgreich gewesen, dann kehrt es nach dem Liebesakt auch auf schnellstem - nämlich schnurgeradem Weg - zur sicheren Wohnung zurück.
((Zwischenüberschrift:))
Spinne mit innerem Kompass
Was Wissenschaftler an diesem Phänomen nun so fasziniert, ist die Frage: Wie orientiert sich die männliche Spinne beim Wandern in ihr fremden Gefilden? Am Fuße der Dünen, wo sie heimisch ist, gibt es nur topfebene Sandflächen; in der Regel sind dort keine sichtbaren Landmarken. "Riecht" oder "hört" sie sich also ihren Weg zurück? Orientiert sie sich an erdmagnetischen Feldern oder an Sternkonstellationen? Welcher innere Kompass und welcher Entfernungsmesser dienen ihr als Navigationshilfe?
Mit diesen Fragen schlägt sich seit mehr als drei Jahren ein junger Naturwissenschaftler auf der Wüstenforschungsstation Gobabeb herum. Der gebürtige Däne Thomas N"rgaard hat in seiner Heimat bereits Forschung mit der Kreuzspinne betrieben. Dann lernte er den schweizer Professor Rüdiger Wiener kennen, der sich seit Jahren mit den Navigationssystemen von Ameisen beschäftigt. Durch ihn kam er zu dem Thema seiner Doktorarbeit - das Navigationssystem der Leucorchestris Arenicola - und nach Namibia.
((Zwischenüberschrift))
Nur noch Sex im Kopf
Ein ausgesprochener Spinnenfreund sei er nicht unbedingt, meint N"rgaard. Aber schließlich gehe es bei seinem Studienobjekt um eines der grundsätzlichen Dinge im Leben: den Drang zur Fortpflanzung. Und der ist bei dem Männchen der Dancing White Lady Spider so ausgeprägt, dass es, einmal geschlechtsreif, nur noch an Sex denkt. Es nimmt keine Nahrung mehr auf - und kann so bis zu einem halben Jahr überleben.
Spannend sei das Thema Verhaltensforschung allemal, findet N"rgaard. "Es ist im Prinzip Detektivarbeit", sagt der junge Doktorant. "Man muss erst mal die ganzen "üblichen Verdächtigen" aufreihen und dann nach und nach die verschiedenen Möglichkeiten ausschließen."
Eines der ersten Experimente, das der 32-jährige Däne durchgeführt hat, bestand darin, eine Spinne zu fangen und etwa 20 Meter weiter entfernt wieder freizulassen. Der Achtbeiner soll jedes Mal auf kürzestem Wege in seine Behausung geflüchtet sein. 20 Meter Entfernung machen aber keinen Unterschied im Erdmagnetismus, so N"rgaard, deshalb kann man diese Möglichkeit der Navigation schon mal ausschließen.
Auch der Geruchssinn scheint nicht maßgebend zu sein bei der Orientierung der Dancing White Lady Spider, die ihren Namen ihrem tanzähnlichen Verhalten verdankt: Wenn sie sich bedroht fühlt, richtet sie ihre Vorderbeine auf und springt auf der Stelle. Manche der Ausflüge des Achtbeiners dauern drei bis vier Stunden. In dieser Zeit wechselt der Wind oft seine Richtung. Ihr Geruchssinn würde ihr da nicht weiterhelfen, schlussfolgert der Doktorant, könnte aber eine Rolle bei dem finalen Stadium des Heimwegs spielen, d.h. kurz vor Erreichen der Behausung.
Also orientiert sie sich vielleicht akustisch? N"rgaard hat 300 Herz-Töne über Lautsprecher in der Nähe von markierten Spinnenlöchern aufgestellt, hat die Lautsprecher auch mehrmals verschoben. Lencorchestris Arenicola ließ sich durch das Geräuschbombardement kein bisschen irritieren.
Was bleibt also? "Ich vermute, dass sie sich visuell orientiert", sagt N"rgaard. Beweis dafür scheint ein weiteres Experiment zu sein. In der Nähe der Wohnungen der Versuchsobjekte hat der junge Forscher eine eineinhalb Meter hohe Barrikade errichtet. Als die Barrikade einige Wochen später wieder entfernt wurde, waren die Spinnen beim Austreten aus ihren Häusern offensichtlich irritiert, passten sich dann aber schnell wieder an die veränderte Umgebung an. N"rgaard zeigt auf seinem Laptop die verschlungenen Pfade, die die Tanzende Weiße Spinne des Nachts zurücklegt. Mit einem sehr akkuraten GPS-Gerät erfasst er jeden Morgen die Spuren seiner Versuchstiere und legt ein regelrechtes Tagebuch ihrer Ausflüge an.
Wie aber kann er nun zur Gewissheit gelangen, dass die Achtbeiner sich visuell orientieren? Viele Spinnen können UV-Licht sehen, sagt der junge Wissenschaftler. Die dafür relevanten Tests kann er aber erst im April in Schweden machen, wenn er die dafür nötigen Messgeräte zur Verfügung hat. Der Härtetest wäre dann, der Spinne im übertragenen Sinne die Augen zu verbinden - "aber das ist nicht schön", sagt N"rgaard, und will dieses Experiment so lang hinauszögern, bis er sich seiner These ganz sicher ist.
((Zwischenüberschrift))
Die Krimis, die die Wüste schreibt
In der Zwischenzeit verfolgt er weiter das nächtliche Gebaren seiner Forschungsobjekte - meistens anhand der Spuren am nächsten Morgen. "Das liest sich immer wie ein Kriminalroman", sagt N"rgaard. Mord und Totschlag sind oft in den winzigen Abdrücken auf dem Sand abzulesen. Dabei kommt es auch regelmäßig vor, dass das von ihm untersuchte Männchen eines Nachts nicht in sein Haus zurückkehrt. Ein übriggebliebenes Spinnenbeinchen neben einer Mausspur beispielsweise erzählt dann die Geschichte vom tragischen Ende. Nur einmal habe er eines der Männchen tot in dessen Behausung aufgefunden - alle anderen sind nach ein paar Wochen der Brautschau-Ausflüge Opfer anderer Raubtiere geworden.
Eine lebensgefährliche Sache also, das Liebesleben der Dancing White Lady Spider. Ob sich denn das große Risiko wenigstens "lohnt" für die dicken Achtbeiner? N"rgaard lächelt traurig. Hat das Männchen erst mal eine Braut gefunden, dann muss es ganz vorsichtig an ihrer Haustür anklopfen, denn ohne Vorwarnung kommt die Spinnendame unter Umständen agressiv aus ihrem Loch geschossen und droht den Bewerber aufzufressen. Aber auch nach anständiger Voranmeldung scheint das T"te-"-T"te alles andere als ein Vergnügen zu sein. In Sekundenschnelle ist alles vorbei. "Und überhaupt", sagt N"rgaard, "sieht das meistens mehr nach einem Kampf als nach einer Paarung aus."
((im Kasten:))
Liebe nur in Neumondnächten
Je dunkler, desto besser: Das Männchen der Dancing White Lady Spider geht am liebsten in Neumondnächten auf Brautsuche. Die Spinnenart, die es ausschließlich in der Namibwüste gibt, wohnt in kleinen Löchern im Sand, die sie mit einem selbstgebauten "Deckel" verschließt. Das Habitat der Tanzenden Weißen Spinne erstreckt sich über den Fuß der Namibdünen - dort wo die Düne keine Steigung mehr hat, aber noch nicht in den steinigen Bereich im Tal übergeht. An den Steigungen der Dünen lebt ihr naher Verwandter, die Golden Wheeling Spider und White Wheeling Spider, auf den steinigen Feldern weiter unten die fernere Verwandschaft: Orchestrella Longipipes. Es scheint, als würde die Tanzende Weiße Spinne, die größer ist als die anderen Spezies (Spannweite der Fußspuren bis zu 14 cm), diese aus ihrem Lebensraum verdrängen, da am Fuße der Dünen offensichtlich die besten Konditionen für Nahrungssuche vorherrschen.
Eigentlich ist die Tanzende Weiße Spinne (Leucorchestris Arenicola) ein sehr häuslicher Typ. Tagsüber lässt sie sich sowieso nie draußen blicken, nachts harrt sie in ihrem winzigen Häuschen unter dem Dünensand aus, bis das Krabbeln eines Käfers in der Nähe ihres Domizils hörbar wird. Dann schießt die fette, weißliche Spinne hervor und attackiert die unglückselige Beute, schleppt sie nach Hause und diniert dort in aller Ruhe.
Nicht größer als drei Meter im Durchmesser ist der Aktionsradius dieser nur in der Namib heimischen Spinnenart. Mit einer Ausnahme: Wenn die geschlechtsreifen Männchen liebestoll werden, dann pilgern sie bis zu einen halben Kilometer weit aus dem sicheren Territorium heraus. Das geht in der Regel nur ein bis zwei Monate gut, dann werden sie selbst zur Beute eines anderen Nachttieres. Die Brautschau ist gefährlich, deshalb bleibt die Dancing White Lady Spider lieber die meiste Zeit zu Hause. Und ist das Männchen bei seiner nächtlichen Frauensuche erfolgreich gewesen, dann kehrt es nach dem Liebesakt auch auf schnellstem - nämlich schnurgeradem Weg - zur sicheren Wohnung zurück.
((Zwischenüberschrift:))
Spinne mit innerem Kompass
Was Wissenschaftler an diesem Phänomen nun so fasziniert, ist die Frage: Wie orientiert sich die männliche Spinne beim Wandern in ihr fremden Gefilden? Am Fuße der Dünen, wo sie heimisch ist, gibt es nur topfebene Sandflächen; in der Regel sind dort keine sichtbaren Landmarken. "Riecht" oder "hört" sie sich also ihren Weg zurück? Orientiert sie sich an erdmagnetischen Feldern oder an Sternkonstellationen? Welcher innere Kompass und welcher Entfernungsmesser dienen ihr als Navigationshilfe?
Mit diesen Fragen schlägt sich seit mehr als drei Jahren ein junger Naturwissenschaftler auf der Wüstenforschungsstation Gobabeb herum. Der gebürtige Däne Thomas N"rgaard hat in seiner Heimat bereits Forschung mit der Kreuzspinne betrieben. Dann lernte er den schweizer Professor Rüdiger Wiener kennen, der sich seit Jahren mit den Navigationssystemen von Ameisen beschäftigt. Durch ihn kam er zu dem Thema seiner Doktorarbeit - das Navigationssystem der Leucorchestris Arenicola - und nach Namibia.
((Zwischenüberschrift))
Nur noch Sex im Kopf
Ein ausgesprochener Spinnenfreund sei er nicht unbedingt, meint N"rgaard. Aber schließlich gehe es bei seinem Studienobjekt um eines der grundsätzlichen Dinge im Leben: den Drang zur Fortpflanzung. Und der ist bei dem Männchen der Dancing White Lady Spider so ausgeprägt, dass es, einmal geschlechtsreif, nur noch an Sex denkt. Es nimmt keine Nahrung mehr auf - und kann so bis zu einem halben Jahr überleben.
Spannend sei das Thema Verhaltensforschung allemal, findet N"rgaard. "Es ist im Prinzip Detektivarbeit", sagt der junge Doktorant. "Man muss erst mal die ganzen "üblichen Verdächtigen" aufreihen und dann nach und nach die verschiedenen Möglichkeiten ausschließen."
Eines der ersten Experimente, das der 32-jährige Däne durchgeführt hat, bestand darin, eine Spinne zu fangen und etwa 20 Meter weiter entfernt wieder freizulassen. Der Achtbeiner soll jedes Mal auf kürzestem Wege in seine Behausung geflüchtet sein. 20 Meter Entfernung machen aber keinen Unterschied im Erdmagnetismus, so N"rgaard, deshalb kann man diese Möglichkeit der Navigation schon mal ausschließen.
Auch der Geruchssinn scheint nicht maßgebend zu sein bei der Orientierung der Dancing White Lady Spider, die ihren Namen ihrem tanzähnlichen Verhalten verdankt: Wenn sie sich bedroht fühlt, richtet sie ihre Vorderbeine auf und springt auf der Stelle. Manche der Ausflüge des Achtbeiners dauern drei bis vier Stunden. In dieser Zeit wechselt der Wind oft seine Richtung. Ihr Geruchssinn würde ihr da nicht weiterhelfen, schlussfolgert der Doktorant, könnte aber eine Rolle bei dem finalen Stadium des Heimwegs spielen, d.h. kurz vor Erreichen der Behausung.
Also orientiert sie sich vielleicht akustisch? N"rgaard hat 300 Herz-Töne über Lautsprecher in der Nähe von markierten Spinnenlöchern aufgestellt, hat die Lautsprecher auch mehrmals verschoben. Lencorchestris Arenicola ließ sich durch das Geräuschbombardement kein bisschen irritieren.
Was bleibt also? "Ich vermute, dass sie sich visuell orientiert", sagt N"rgaard. Beweis dafür scheint ein weiteres Experiment zu sein. In der Nähe der Wohnungen der Versuchsobjekte hat der junge Forscher eine eineinhalb Meter hohe Barrikade errichtet. Als die Barrikade einige Wochen später wieder entfernt wurde, waren die Spinnen beim Austreten aus ihren Häusern offensichtlich irritiert, passten sich dann aber schnell wieder an die veränderte Umgebung an. N"rgaard zeigt auf seinem Laptop die verschlungenen Pfade, die die Tanzende Weiße Spinne des Nachts zurücklegt. Mit einem sehr akkuraten GPS-Gerät erfasst er jeden Morgen die Spuren seiner Versuchstiere und legt ein regelrechtes Tagebuch ihrer Ausflüge an.
Wie aber kann er nun zur Gewissheit gelangen, dass die Achtbeiner sich visuell orientieren? Viele Spinnen können UV-Licht sehen, sagt der junge Wissenschaftler. Die dafür relevanten Tests kann er aber erst im April in Schweden machen, wenn er die dafür nötigen Messgeräte zur Verfügung hat. Der Härtetest wäre dann, der Spinne im übertragenen Sinne die Augen zu verbinden - "aber das ist nicht schön", sagt N"rgaard, und will dieses Experiment so lang hinauszögern, bis er sich seiner These ganz sicher ist.
((Zwischenüberschrift))
Die Krimis, die die Wüste schreibt
In der Zwischenzeit verfolgt er weiter das nächtliche Gebaren seiner Forschungsobjekte - meistens anhand der Spuren am nächsten Morgen. "Das liest sich immer wie ein Kriminalroman", sagt N"rgaard. Mord und Totschlag sind oft in den winzigen Abdrücken auf dem Sand abzulesen. Dabei kommt es auch regelmäßig vor, dass das von ihm untersuchte Männchen eines Nachts nicht in sein Haus zurückkehrt. Ein übriggebliebenes Spinnenbeinchen neben einer Mausspur beispielsweise erzählt dann die Geschichte vom tragischen Ende. Nur einmal habe er eines der Männchen tot in dessen Behausung aufgefunden - alle anderen sind nach ein paar Wochen der Brautschau-Ausflüge Opfer anderer Raubtiere geworden.
Eine lebensgefährliche Sache also, das Liebesleben der Dancing White Lady Spider. Ob sich denn das große Risiko wenigstens "lohnt" für die dicken Achtbeiner? N"rgaard lächelt traurig. Hat das Männchen erst mal eine Braut gefunden, dann muss es ganz vorsichtig an ihrer Haustür anklopfen, denn ohne Vorwarnung kommt die Spinnendame unter Umständen agressiv aus ihrem Loch geschossen und droht den Bewerber aufzufressen. Aber auch nach anständiger Voranmeldung scheint das T"te-"-T"te alles andere als ein Vergnügen zu sein. In Sekundenschnelle ist alles vorbei. "Und überhaupt", sagt N"rgaard, "sieht das meistens mehr nach einem Kampf als nach einer Paarung aus."
((im Kasten:))
Liebe nur in Neumondnächten
Je dunkler, desto besser: Das Männchen der Dancing White Lady Spider geht am liebsten in Neumondnächten auf Brautsuche. Die Spinnenart, die es ausschließlich in der Namibwüste gibt, wohnt in kleinen Löchern im Sand, die sie mit einem selbstgebauten "Deckel" verschließt. Das Habitat der Tanzenden Weißen Spinne erstreckt sich über den Fuß der Namibdünen - dort wo die Düne keine Steigung mehr hat, aber noch nicht in den steinigen Bereich im Tal übergeht. An den Steigungen der Dünen lebt ihr naher Verwandter, die Golden Wheeling Spider und White Wheeling Spider, auf den steinigen Feldern weiter unten die fernere Verwandschaft: Orchestrella Longipipes. Es scheint, als würde die Tanzende Weiße Spinne, die größer ist als die anderen Spezies (Spannweite der Fußspuren bis zu 14 cm), diese aus ihrem Lebensraum verdrängen, da am Fuße der Dünen offensichtlich die besten Konditionen für Nahrungssuche vorherrschen.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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