Frühe Kolonialkritik
Vom "Ausrottungskrieg" gegen die Herero ist die Rede, durch die "barbarischsten Mittel" sei "ein ganzes Volk vernichtet" worden. Diese Feststellungen stammen nicht etwa aus einer der neueren wissenschaftlichen Studien. Sie sind vielmehr einer bemerkenswerten Fotoreportage entnommen, die Anfang des Jahres 1927 in der "Arbeiter-Illustrierte(n)-Zeitung" erschien. Der Autor des von der Forschung bis heute kaum zur Kenntnis genommenen Artikels ist kein geringerer als der Politiker und Publizist Willi Münzenberg. Der als "Roter Millionär" bekannt gewordene KPD-Reichstagsabgeordnete und Medienunternehmer hatte die Internationale Arbeiterhilfe ins Leben gerufen und war Gründer der "Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit". In der verdeckt arbeitenden, zum Komintern-Netzwerk (Kommunistische Internationale) gehörenden Liga waren antikoloniale Befreiungsbewegungen aus mehreren Kontinenten zusammengeschlossen.
In seinem Artikel polemisiert Münzenberg nicht nur gegen die Propaganda der kolonialrevisionistischen Bewegung, sondern greift besonders den bekannten Reichsbanner-General Berthold von Deimling an, dem er die Beteiligung an Gräueltaten während des Kolonialkrieges von 1904-1908 in D-SWA zum Vorwurf macht. Dass Münzenberg gerade Deimling attackierte, war wohl dessen Mitgliedschaft im Reichsbanner, dem sozialdemokratisch dominierten Kampfverband, geschuldet und damit gegen die SPD gerichtet. Bekanntlich galt - motiviert durch die sog. Sozialfaschismusthese - der Hauptstoß des kommunistischen Kampfes der SPD und nicht etwa den Nationalsozialisten auf der politischen Rechten.
Dabei gehörte Deimling zu den absoluten Ausnahmen unter den Kolonialmilitärs. Der ehemalige Schutztruppenoffizier und Prototyp des "alten Afrikaners" hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg zum Pazifisten gewandelt. Der Exgeneral trat für die Weimarer Republik, Abrüstung und Frieden ein. Insbesondere richtete sich Deimling gegen die Aufnahme einer neuen Kolonialpolitik und votierte für das Selbstbestimmungsrecht der von den europäischen Kolonialmächten unterworfenen Völker in Afrika und Asien.
Gleichwohl wurde Deimling hier von seiner Vergangenheit eingeholt, war er doch an der Verfolgung der nach der "Schlacht am Waterberg" in das trockene Sandfeld der Omaheke geflohenen Herero beteiligt und damit mitverantwortlich am Dursttod Tausender von Herero. Ein weiteres Verbrechen Deimlings lässt Münzenberg allerdings unerwähnt. Deimling hatte sich 1906/07 geweigert, kriegsgefangene Nama aus dem berüchtigten Konzentrationslager auf der Haifischinsel in Lüderitzbucht zu verlegen und stattdessen auf dem Festland zu internieren. Dabei war ihm bekannt, dass die Nama dort zu aberhunderten infolge des nasskalten Küstenklimas zu Tode kamen. Missionar Nyhof, der seinerzeit die Gefangenen in Lüderitzbucht betreute, hatte damals scharfe Kritik an der Gnadenlosigkeit des Kolonialoffiziers geübt. Im April 1907 schrieb er an die Rheinische Missionsgesellschaft in Barmen, Deimling "nimmt jetzt den traurigen Ruhm mit nach Hause, die Hottentotten ausgerottet zu haben, zwar nicht durch Feuer und Schwert, sondern dadurch, daß er sie all zu lange auf der kalten, felsigen Haifischinsel festgehalten hat." (Archiv der Vereinten Evangelischen Mission Wuppertal-Barmen, C/h 23a, Bl. 347). In seiner 1930 erschienenen Autobiographie "Aus der alten in die neue Zeit" bekannte sich Deimling nicht zu seinen Verfehlungen, rechtfertigte sie vielmehr: "Von mancher Seite ist später unserer Kriegführung der Vorwurf der Grausamkeit wegen der rücksichtslosen Verfolgung der Hereros in das Sandfeld hinein gemacht worden. (...) Gewiß, ein hartes Schicksal hat die Hereros betroffen. Viele sind in den Kämpfen gefallen oder in der Wüste dem Durst erlegen. (...) Strategisch aber hätte kein Führer verantworten können, den Feind nach dem siegreichen Gefecht am Waterberg ruhig abziehen zu lassen. Nur rücksichtslose Verfolgung konnte den Feldzug zu einem raschen Ende bringen."
Münzenberg gehörte zu den ganz wenigen Journalisten und Autoren, die in den Zwischenkriegsjahren den Vernichtungskrieg des Deutschen Reiches gegen die Herero und Nama publik gemacht haben. Ein anderer antikolonialer Kritiker war Martin D. Hoffmann, ebenfalls Kommunist, der 1927 sein Buch "Keine Kolonien! Eine Kampfschrift gegen den neuen deutschen Imperialismus" herausbrachte. Darin schrieb er: "Wer heute mit einem der wenigen der überlebenden Herero spricht und dabei das Wort ?Omaheke' ausspricht, der kann es erleben, daß der Herero in eine ungeheure Erregung gerät. Schmerz, bittre Verzweiflung, Wut und Trauer würde er in den stärksten Formen erleben (...) Die deutschen Imperialisten hatten das Land der Herero und Hottentotten [Fremdbezeichnung für die Nama - J.Z.] in ein Massengrab verwandelt."
Kolonialfotografie als Anklage
Die "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" setzte wie alle Massenblätter auch auf die Wirkung des Mediums Fotografie. Und so wurde als Blickfang des Artikels die bekannte Fotografie verwendet, auf der überlebende Herero nach ihrer Flucht durch die Omaheke-Halbwüste zu sehen sind. Schon die Briten veröffentlichten das Bild in ihrer 1918 erschienenen Dokumentation über Deutsch-Südwestafrika, dem sog. "Blaubuch", mit der die Alliierten ihre gegen das Deutsche Reich gerichtete Kolonialschuldthese ?beweisen' und die Annexion der deutschen Kolonialgebiete legitimieren wollten.
Obgleich Willi Münzenberg sich als Aktivist in der antikolonialen Bewegung jener Tage unbestreitbar große Verdienste erwarb, hinterlässt die Lektüre seines Artikels für den heutigen Leser einen zwiespältigen Eindruck. Problematisch ist insbesondere die parteipolitisch-ideologische Gebundenheit seiner gegen die Weimarer Republik gerichteten Kritik, deren Außenpolitik er in eine Linie mit der imperialistischen Großmannssucht des wilhelminischen Kaiserreiches stellte. Mit diesem Urteil irrte sich Münzenberg. Nicht die Weimarer Republik, sondern das ihr nachfolgende "Dritte Reich" betrieb mit seiner expansiven Außenpolitik und der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges eine Fortsetzung der imperialistischen Weltaneignung.
Münzenberg, der unorthodoxe Propagandist des Kommunismus, floh 1933 vor den Nazis nach Paris. Später sagte er sich von der Komintern los und wandte sich nach dem Hitler-Stalin-Pakt offen gegen die Sowjetunion. 1940 kam er auf der Flucht vor den deutschen Wehrmachtstruppen in Südfrankreich ums Leben; ungeklärt ist bis heute, ob ihn die sowjetische Geheimpolizei ermorden ließ oder ob er Selbstmord beging.
Joachim Zeller, Berlin
Anmerkung der Redaktion: Der Leserbrief wurde gekürzt. - Das sehr bekannte Bild abgehungerter Herero ist zuvor bereits in der AZ erschienen, ebenso Dokumentation über Herero, die nach Anschluss beim Bahnbau wieder zu Kräften gekommen waren.
In seinem Artikel polemisiert Münzenberg nicht nur gegen die Propaganda der kolonialrevisionistischen Bewegung, sondern greift besonders den bekannten Reichsbanner-General Berthold von Deimling an, dem er die Beteiligung an Gräueltaten während des Kolonialkrieges von 1904-1908 in D-SWA zum Vorwurf macht. Dass Münzenberg gerade Deimling attackierte, war wohl dessen Mitgliedschaft im Reichsbanner, dem sozialdemokratisch dominierten Kampfverband, geschuldet und damit gegen die SPD gerichtet. Bekanntlich galt - motiviert durch die sog. Sozialfaschismusthese - der Hauptstoß des kommunistischen Kampfes der SPD und nicht etwa den Nationalsozialisten auf der politischen Rechten.
Dabei gehörte Deimling zu den absoluten Ausnahmen unter den Kolonialmilitärs. Der ehemalige Schutztruppenoffizier und Prototyp des "alten Afrikaners" hatte sich nach dem Ersten Weltkrieg zum Pazifisten gewandelt. Der Exgeneral trat für die Weimarer Republik, Abrüstung und Frieden ein. Insbesondere richtete sich Deimling gegen die Aufnahme einer neuen Kolonialpolitik und votierte für das Selbstbestimmungsrecht der von den europäischen Kolonialmächten unterworfenen Völker in Afrika und Asien.
Gleichwohl wurde Deimling hier von seiner Vergangenheit eingeholt, war er doch an der Verfolgung der nach der "Schlacht am Waterberg" in das trockene Sandfeld der Omaheke geflohenen Herero beteiligt und damit mitverantwortlich am Dursttod Tausender von Herero. Ein weiteres Verbrechen Deimlings lässt Münzenberg allerdings unerwähnt. Deimling hatte sich 1906/07 geweigert, kriegsgefangene Nama aus dem berüchtigten Konzentrationslager auf der Haifischinsel in Lüderitzbucht zu verlegen und stattdessen auf dem Festland zu internieren. Dabei war ihm bekannt, dass die Nama dort zu aberhunderten infolge des nasskalten Küstenklimas zu Tode kamen. Missionar Nyhof, der seinerzeit die Gefangenen in Lüderitzbucht betreute, hatte damals scharfe Kritik an der Gnadenlosigkeit des Kolonialoffiziers geübt. Im April 1907 schrieb er an die Rheinische Missionsgesellschaft in Barmen, Deimling "nimmt jetzt den traurigen Ruhm mit nach Hause, die Hottentotten ausgerottet zu haben, zwar nicht durch Feuer und Schwert, sondern dadurch, daß er sie all zu lange auf der kalten, felsigen Haifischinsel festgehalten hat." (Archiv der Vereinten Evangelischen Mission Wuppertal-Barmen, C/h 23a, Bl. 347). In seiner 1930 erschienenen Autobiographie "Aus der alten in die neue Zeit" bekannte sich Deimling nicht zu seinen Verfehlungen, rechtfertigte sie vielmehr: "Von mancher Seite ist später unserer Kriegführung der Vorwurf der Grausamkeit wegen der rücksichtslosen Verfolgung der Hereros in das Sandfeld hinein gemacht worden. (...) Gewiß, ein hartes Schicksal hat die Hereros betroffen. Viele sind in den Kämpfen gefallen oder in der Wüste dem Durst erlegen. (...) Strategisch aber hätte kein Führer verantworten können, den Feind nach dem siegreichen Gefecht am Waterberg ruhig abziehen zu lassen. Nur rücksichtslose Verfolgung konnte den Feldzug zu einem raschen Ende bringen."
Münzenberg gehörte zu den ganz wenigen Journalisten und Autoren, die in den Zwischenkriegsjahren den Vernichtungskrieg des Deutschen Reiches gegen die Herero und Nama publik gemacht haben. Ein anderer antikolonialer Kritiker war Martin D. Hoffmann, ebenfalls Kommunist, der 1927 sein Buch "Keine Kolonien! Eine Kampfschrift gegen den neuen deutschen Imperialismus" herausbrachte. Darin schrieb er: "Wer heute mit einem der wenigen der überlebenden Herero spricht und dabei das Wort ?Omaheke' ausspricht, der kann es erleben, daß der Herero in eine ungeheure Erregung gerät. Schmerz, bittre Verzweiflung, Wut und Trauer würde er in den stärksten Formen erleben (...) Die deutschen Imperialisten hatten das Land der Herero und Hottentotten [Fremdbezeichnung für die Nama - J.Z.] in ein Massengrab verwandelt."
Kolonialfotografie als Anklage
Die "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" setzte wie alle Massenblätter auch auf die Wirkung des Mediums Fotografie. Und so wurde als Blickfang des Artikels die bekannte Fotografie verwendet, auf der überlebende Herero nach ihrer Flucht durch die Omaheke-Halbwüste zu sehen sind. Schon die Briten veröffentlichten das Bild in ihrer 1918 erschienenen Dokumentation über Deutsch-Südwestafrika, dem sog. "Blaubuch", mit der die Alliierten ihre gegen das Deutsche Reich gerichtete Kolonialschuldthese ?beweisen' und die Annexion der deutschen Kolonialgebiete legitimieren wollten.
Obgleich Willi Münzenberg sich als Aktivist in der antikolonialen Bewegung jener Tage unbestreitbar große Verdienste erwarb, hinterlässt die Lektüre seines Artikels für den heutigen Leser einen zwiespältigen Eindruck. Problematisch ist insbesondere die parteipolitisch-ideologische Gebundenheit seiner gegen die Weimarer Republik gerichteten Kritik, deren Außenpolitik er in eine Linie mit der imperialistischen Großmannssucht des wilhelminischen Kaiserreiches stellte. Mit diesem Urteil irrte sich Münzenberg. Nicht die Weimarer Republik, sondern das ihr nachfolgende "Dritte Reich" betrieb mit seiner expansiven Außenpolitik und der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges eine Fortsetzung der imperialistischen Weltaneignung.
Münzenberg, der unorthodoxe Propagandist des Kommunismus, floh 1933 vor den Nazis nach Paris. Später sagte er sich von der Komintern los und wandte sich nach dem Hitler-Stalin-Pakt offen gegen die Sowjetunion. 1940 kam er auf der Flucht vor den deutschen Wehrmachtstruppen in Südfrankreich ums Leben; ungeklärt ist bis heute, ob ihn die sowjetische Geheimpolizei ermorden ließ oder ob er Selbstmord beging.
Joachim Zeller, Berlin
Anmerkung der Redaktion: Der Leserbrief wurde gekürzt. - Das sehr bekannte Bild abgehungerter Herero ist zuvor bereits in der AZ erschienen, ebenso Dokumentation über Herero, die nach Anschluss beim Bahnbau wieder zu Kräften gekommen waren.
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Allgemeine Zeitung
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