Gemeinsam auf Achse
Von Thomas Haslböck, Windhoek
Gundula gibt Gas. Dröhnend knattert ihr Auto über wellenartig geschliffenes Felsgestein. Ein kleines Erdbeben bricht los: Rumpelnd und polternd kämpft das Fahrzeug gegen den Gesteinsbrocken an. Sand rieselt durch die offenen Fenster und Gundulas Arme werden vom wild herumschlagenden Lenkrad abwechselnd nach links und nach rechts gerissen. Doch ihre Finger halten das Steuer fest umklammert, die Daumen nach außen gebeugt. Dann hebt sich plötzlich die weiße Schnauze des Gefährts – sofort steigt Gundula noch fester aufs Gaspedal. Wie ein übermütiges Kalb hopst das Auto nun eine mit Schiefersteinen gespickte Böschung empor. In kurzen Intervallen dringt ein mechanisch-wippendes Quietschen in die Fahrerkabine – so als ob jemand auf einem verrosteten Bettgestell herumhüpfen würde. Schließlich senkt sich die Schnauze wieder, Gundula geht vom Gas und wischt mit ihrem Zeigefinger über das Display eines kleinen Geräts, das unterhalb der Windschutzscheibe befestigt ist. Hinter einer feinen Staubschicht erscheinen vier Digitalzahlen – der Reifendruck. Alles in Ordnung. Stolz klopft sie auf das Armaturenbrett. „Big Mama kannste nicht totkriegen. Die is‘ wie so’n Esel.“
Big Mama, so nennt die Land-Rover-Liebhaberin Gundula Perry ihren Defender 200TDI. „Der is‘ zwar so aerodynamisch wie ‘ne Sardinenbüchse – aber im Busch is‘ er unschlagbar“, sagt sie. Genau das richtige Fahrzeug also, für einen Abenteuertrip durch das menschenfeindliche Khomas-Hochland. Mit 17 weiteren Autonarren misst Gundula hier ihre Kräfte. Sie alle sind Mitglieder des neugegründeten Land Rover Owners Club Namibia und nehmen am ersten größeren Wettbewerb des Vereins teil: der Dunlop Kuiseb Challenge.
Wie eine Straße aus weißen Ameisen zieht sich der Konvoi an den bräunlichen Hängen des Hochlandes entlang. Vor Gundulas Wagen tuckert ein Cabrio-Land-Rover durch die brüllende Mittagshitze. Die beiden Insassen tragen Cowboy-Hüte mit wuchtigen Krempen auf ihren Köpfen. Aber auch die kommen bald nicht mehr gegen die afrikanische Frühlingssonne an. Schließlich dreht sich der Fahrer nach hinten, greift nach dem Sonnenschirm, der auf Ladefläche liegt, stemmt ihn hoch und klemmt ihn zwischen die beiden Vordersitze. Dann spannt er ihn auf. „In diesem Land muss man sich zu helfen wissen“, schmunzelt Gundula.
Plötzlich gerät der Konvoi ins Stocken. Ein Verkehrsstau mitten im Nirgendwo. Gundula reckt den Hals, um zu sehen, was los ist. Dann öffnet sie die Tür, zögert kurz, schaltet aber am Ende doch den Motor ab, springt aus dem Auto und spurtet nach vorne. Wenige Meter vor Big Mama steht ein Mann neben seinem Land Rover und guckt betrübt auf den rechten Hinterreifen. Durch ein kleines Loch dringt zischend Luft nach außen. Langsam aber merklich sackt die Lauffläche in sich zusammen. „Ich bin das erste Opfer“, bemerkt der Besitzer halb verdrossen, halb verschmitzt. Viele Vereinsfreunde sind mittlerweile zur Hilfe geeilt und tauschen lautstark Ratschläge aus. „Kaugummi dichtet“, meint einer. Ein anderer schlägt vor, das Loch mit einer Schraube zu stopfen. Kaum hat Gundula das gehört, wuselt sie sich durch die kleine Menschentraube zurück zu ihrem Auto und taucht weniger später mit einer Schraube auf. Einer der Land-Rover-Liebhaber nimmt sie ihr ab und windet sie in das Loch. Tatsächlich, sie passt! Es kann weitergehen. Zurück im Auto schmunzelt Gundula und deutet auf die Verkleidung der Fahrertür. „Ich hab die Schraube einfach hier rausgedreht – hab ich halt eine weniger. Wird schon halten.“
Der MacGyver-Trick mit der Schraube war auch für sie neu. „Man lernt im Club so viel – weil einfach jeder seine Erfahrungen mit einbringt“, freut sie sich. Dabei ist sie absolut kein Land-Rover- oder gar Abenteuer-Neuling. Schon vor mehr als zwanzig Jahren hat sie den afrikanischen Kontinent durchquert – damals allerdings noch mit einem ausgesonderten Ambulanzauto der britischen Streitkräfte. Ihr Mann hatte dort als Mechaniker gearbeitet und infizierte sich bei dieser Gelegenheit unheilbar mit dem Land-Rover-Bazillus, den er mit in die Ehe schleppte. Big Mama legte sich das junge Paar zu Beginn der 1990er Jahre zu – stilecht gekauft in England. Die ersten Jahre traute sich Gundula jedoch nicht hinters Steuer. Nach dem frühen Tod ihres Mannes stand das Ungetüm daher erst einmal ungenutzt in der Garage herum. „Ich hatte Angst, damit von A nach B zu fahren“, erinnert sich Gundula. Doch nach einigen Jahren Inkubationszeit brach die Land-Rover-Krankheit auch bei ihr aus. Sie absolvierte einen Mechanikerkurs und lernte Big Mama bald lieben. „Heute heißt die Devise: Umso extremer, desto besser“ sagt sie.
Die Kuiseb Challenge des Land Rover Clubs ist daher genau die richtige Herausforderung. Auf einer kurvenreichen Geröllpiste schlängelt sich der Konvoi einen steilen Berghang entlang. Plötzlich kommt die Ameisenstraße wieder zum Stehen – Gundula zieht die Handbremse kräftig an, springt abermals aus dem Auto und läuft zur nächsten Kurve. Sie blickt geländeaufwärts, fasst an den Schirm ihrer Kappe und murmelt: „Oh, der lässt Gummi“. Ein Koloss von einem Land Rover hängt auf dem steinigen Trampelpfad fest. Laut jaulend, drehen sich die Reifen des Gefährts – aber Halt finden sie nicht. Bloß kleine Steinchen knallen durch die Luft, während das Fahrzeug immer weiter nach hinten rutscht und in eine bedrohliche Schräglage gerät. Von allen Seiten stolpern Clubmitglieder querfeldein über den Berghang, um den in Not geratenen Kollegen zu helfen. Vier Männer klammern sich geradewegs an die rechte Seite des Land Rovers und versuchen mit ihrem Gewicht, die Schräglage auszugleichen. Der Fahrer gibt Gas, das Auto gerät leicht ins Schlingern und die Helfer springen erschrocken ab. Noch ungünstiger hängt das Fahrzeug jetzt im Hang. Schließlich lockert der Fahrer die Frontseilwinde und einer der Männer befestigt den eisernen Strick an einem spindeldürren, kahlen Baumstamm. Dann beginnt der Land Rover das Seil aufzurollen. Langsam bewegt sich der motorisierte Elefantenbulle vom Fleck und gewinnt wieder Boden unter den Reifen. Der Stau löst sich auf und Gundula flitzt zurück zu ihrem Auto. Big Mama jedenfalls hat an der Problemstelle nicht zu kämpfen.
Zu seinem Namen ist Gundulas Land Rover in Botswana gekommen. Zusammen mit den Besitzern eines kleineren Freelanders tourte sie vor einigen Jahren in ihrem Defender 200TDI durch das Land – doch den Reisegefährten machte der weiche, tiefe Sand auf der Fahrtroute zu schaffen. Immer wieder blieb der Freelander regelrecht stecken, sodass Gundula zigmal das Abschleppseil bemühen musste, um dem Gefährt aus der Patsche zu helfen. „Das Seil erinnerte uns bald an eine Nabelschnur. Mein Defender war klar die Mutter – daher: Big Mama“, lacht Gundula Perry.
Seit der Gründung des Land Rover Clubs im vergangenen Juni, ist zur Mama auch eine kleine Familie hinzugekommen. Die Hilfsbereitschaft, der Austausch und die gemeinsamen Ausflüge in die Natur begeistern Gundula schon jetzt. „Bei uns mischt sich Spaß mit Lernerfahrung“, sagt sie. Einen Fahrlehrgang mit Hindernisparcours haben die Autoliebhaber schon hinter sich gebracht. Auch künftig ist einiges geplant. Gundula schwebt etwa eine Tour durch den Nossob in der Kalahari vor. „In diesem ekelhaften schwarzen Flusssand, ließen sich wunderbar Bergetechniken üben“, glaubt sie. Auch die Dunlop Kuiseb Challenge im Khomas-Hochland soll nun jährlich stattfinden – damit jeder einmal den gusseisernen Wanderpokal mit der Land-Rover-Plakette gewinnen kann.
Wer ihn sich 2016 in den Schrank stellen will, muss allerdings auf Zack sein. Die Jury hat in diesem Jahr nämlich zwei besonders zähe Titelverteidigerinnen aufs Siegerpodest gehievt: Gundula Perry und Big Mama.
Im Land Rover Owners Club sind Besitzer aller Modelle herzlich willkommen. Wer Mitglied werden möchte, kann eine Mail an [email protected] schreiben oder unter der Telefonnummer: 081 124 5745 anrufen.
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Allgemeine Zeitung
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