Gnadenhochzeit nach bewegten Jahren gefeiert
AZ: Herr Lühl , Sie sind zur Zeit des kaiserlichen Gouvernements, am 3. Juni 1914, in Windhoek geboren.
Wie kam es, dass Sie Ihre ersten fünf Schuljahre in Reydt bei Mönchengladbach in Deutschland verbracht haben?
Hans-Joachimg Lühl: Direkt nach dem 1. Weltkrieg ist meine Mutter mit meiner Schwester Hilda (später verheiratet von Hase) und mir nach Deutschland gefahren. Da habe ich fünf Jahre die Schule besucht.
AZ: Wann sind Sie ins damalige Südwestafrika zurückgekehrt? Auf welchem Schiff?
HJL: Wir sind 1924 mit einem Schiff der Woermann- Linie zurückgekehrt.
AZ: Können Sie uns einige Erinnerungen an die Schulzeit an der HPS in Windhoek und in Swakopmund vermitteln? Wo in Swakopmund stand damals Ihr Schülerheim?
HJL: In Windhoek befand sich unser Schülerheim in der ehemaligen Ausstellungshalle, auf dem Gelände der heutigen DHPS. Wir haben viel "Reiter-runter-reißen" gespielt. Ich war ein gutes Pferd! Habe mir dabei allerdings den Ellenbogen gebrochen. Mein Vater hatte jedoch Differenzen/Krach mit dem Schuldirektor in Windhoek und schickte mich dann drei Jahre nach Swakopmund. Das fiel mir schwer, denn hier musste ich mich völlig auf Englisch umstellen. In Swakopmund haben wir als Schüler in einem ehemaligen Haus der Woermann-Linie gewohnt. Frühstück und Mittagessen gab es im Schwester-Frieda-Heim (im heutigen M.C. Human-Haus, vor dem 1. Weltkrieg hieß das Gebäude "Kaufhaus zum Südstrand"). Ich bin in der Kaserne und im Schulhaus neben der Evangel.-Luth. Kirche zur Schule gegangen.
AZ: In Glenn, Freistaat, Südafrika, haben Sie im Jahr 1933 eine Molkereilehre absolviert. Aus welchen Kursen und aus welchen Praktika bestand damals eine solche Lehre?
HJL: Wir haben Käserei und Milchhygiene gelernt. Das Unterrichtsmedium war Afrikaans und Englisch. Auf der elterlichen Farm Garib (bei Dordabis) arbeiteten damals drei Käser aus Deutschland (Döring, Kaun und Albach). Deshalb wurde ich in diese Lehre geschickt. Die Käser wurden während des 2. Weltkriegs auch alle interniert.
Der ehemalige kaiserliche Gouverneur von Lindequist hat in der Zeit meine Eltern besucht und kam danach noch in den Freistaat und hat auch mich besucht. Ich lag gerade mit einer gefährlichen Blutvergiftung im Bett. Von Lindequist wusste, wie man das behandelte und ich glaube, er hat mir damals das Leben gerettet.
Auf Garib haben wir hauptsächlich Gouda-Käse aber auch Emmentaler-Räder produziert. Jede Woche ging eine Käsekarre 45 km nach Rehoboth zur Bahn. Im Melkkral habe ich Nama-Dama (Khoekhoegowab) gelernt und habe mich mit der bekannten Farmerin Lily Frey gern auf Nama unterhalten. Sie hat die Sprache sehr gut beherrscht.
In diese Zeit, Anfang 1934, fiel die große Flut in Südwestafrika. Ich war auf der Farm zurück und am 10. Januar 1934 standen mein Vater, meine Schwester, ich und andere (insgesamt zu fünft) am Bassin, als im Schaf-Rivier eine Flutwelle kam. Wir wären um ein Haar alle ertrunken. Ich konnte über den 1,20 hohen Zaun schwimmen und mich an einem Busch festhalten. Unsere Farmarbeiter haben dann eine Kette gebildet, so dass alle gerettet werden konnten.
AZ: Dann folgte ein weiteres Praktikum bei der Pelzfirma Thorer in Leipzig. Auch hier möchten wir gern wissen, aus welchen Fächern eine solche Lehre bestand. Hat Thorer auch andere junge Südwester ausgebildet? Woher kamen die anderen Lehrlinge?
HJL: Es ging hauptsächlich darum, die Felle nach Qualität und nach der Haarlocke zu sortieren. Wenn Fellchen aus Südwestafrika eintrafen, wurden sie sofort durchsortiert. Der spätere Farmer Hans-Jürgen von Hase und ein Volkmann haben auch hier gelernt. Später bin ich als Gasthörer an die Universität von Heidelberg gekommen. Obwohl ich kein Abitur hatte, konnte ich als "Altherrensohn" mithören, da mein Vater schon an dieser Universität studiert hatte. Ich war 1936 in einer schlagenden Verbindung und habe die erste Mensur geschlagen - später mein Sohn Peter auch. Die Nazis haben die Studentencorps bald aufgelöst.
AZ: Wie lange und wo haben Sie nach der Lehre und vor der späteren Internierung hier im Land noch arbeiten können?
HJL: 1937 bin ich als Farmeleve nach Voigtsgrund gekommen. Eleven kamen mit an den Familientisch. Eine Jacke zu tragen, war Vorschrift. Die anderen - es gab damals viele Afrikaner-Buren als Angestellte - haben in der Messe gegessen. Sie brauchten beim Essen keine Jacke anzuziehen. Dort habe ich meine Frau, Ursula, kennen- gelernt, meine große Liebe bis heute.
Ich bin dann noch einmal nach Deutschland gefahren, um meine Frau bei den Schwiegereltern zu holen. Wir haben in derselben Kirche geheiratet wie meine Eltern. Ich habe 1939 noch drei Monate gedient. Anfang September 1939 hatten wir unsere Möbel zur Ausreise bereits auf dem Schiff und mussten sie wegen Kriegsausbruch aber wieder abladen lassen. Meine Großmutter drängte, dass wir schnellstens "raus aus Deutschland" sollten, wegen der Kriegsgefahr. Mit knapper Not haben meine Frau und ich es nach Rotterdam auf ein holländisches Schiff Richtung Kapstadt geschafft. Mein Großvater hatte für die Passage telegraphisch Geld überwiesen.
AZ: Der 2. Weltkrieg war schon ausgebrochen, als Sie - gerade vermählt - im September 1939 mit Ihrer Frau das "letzte Schiff" nach Kapstadt nehmen konnten. Gab es wegen des Kriegszustands an Bord besondere Bestimmungen?
HJL: Nach zwei Tagen auf See kam ein englisches Schiff und hielt unseren Dampfer zur Kontrolle an. Es ging gut, weil ich nach der damaligen Regelung außerhalb von Deutschland automatisch "british subject" (britischer Untertan) war und in Deutschland deutsche Staatsangehörigkeit hatte. Du konntest ansonsten sein, was Du wolltest. Von Kapstadt sind wir mit der Bahn zurück nach Südwestafrika gefahren. In Rehoboth-Station (außerhalb von Rehoboth gelegen) hat mein Vater uns abgeholt.
AZ: Können Sie etwas über die politische Lage und die Spannungen sagen, die vor dem 2. Weltkrieg und vor der Internierung in Südwestafrika herrschten? Hat der Deutsche Bund, beziehungsweise der Deutsche Südwestbund bei Ihnen eine Rolle gespielt?
HJL: Wir wurden hier bei unserer Rückkehr aus Deutschland ziemlich verteufelt.
AZ: Wie viel Zeit hat die Polizei Ihnen nach Ihrer Rückkehr gelassen, bis Sie interniert wurden? Auf welchem Weg, in welcher Form haben Sie den Internierungsbefehl erhalten?
HJL: Im Juni 1940 wurde ich interniert und im September kam unser erstes Kind zur Welt, das ich dann erst als Sechsjährige kennengelernt habe. Auf Garib kam ein Polizist mit einem Begleiter in einem Wagen vorgefahren, um mich abzuführen. Ich sagte zu meiner Frau: in sechs Wochen bin ich wieder da. Es wurden sechs Jahre daraus. Von Farm Ibenstein hat die Polizei noch Wolfgang Sydow zur Internierung mitgenommen (in den achtziger Jahren Sekretär der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft). Wir hatten alle mit der Internierung gerechnet, aber nicht auf die Schnelle.
AZ: Hat die Polizei einen Grund für die Internierung angegeben?
HJL: Wir haben nie gehört, weswegen wir eingesperrt wurden. Mein Bruder war nur "farminterniert". Radio-Hören war verboten. Wir haben jedoch eins im Taubenschlag aufbewahrt und dort Nachrichten gehört.
AZ: In welchen Lagern waren Sie interniert?
HJL: In Windhoek wurden wir zunächst auf dem Gelände der ehemaligen (kaiserlichen) Funkstation interniert (heute hinter Pionierspark). Freunde haben uns ein Gallontentin angeblich mit Petroleum geschickt. Es war Schnaps drin und der wurde sorgfältig verteilt. Nach zwei Wochen wurden wir ins Internierungslager Andalusia (bei Kimberly) nach Südafrika gebracht. Wir hatten sofort einen Spruch:
Das Wasser stinkt,
Kein Bier ist da.
Oh armes Andalusia.
Gegen Kriegsende wurden wir ins Internierungslager Baviaanspoort nach Transvaal verlegt, wo wir mit (von der Unionsregierung internierten) Buren zusammen waren.
Nach Kriegsende wurden wir zwar entlassen, aber etliche durften nicht nach Südwestafrika zurückkehren. Wir (der Farmer Ernst Dressel von Grootfontein war auch dabei) haben uns Unterkunft gesucht und diese auf der Farm der Schweizer Familie Köhly gefunden. Wir wollten uns nützlich machen. Ich habe Mais gefahren.
Zu dieser Zeit hat mich meine Frau mit meiner ersten Tochter Annetrud (6) besucht, die ich noch nie gesehen hatte. Als sie mich sah, hat sie gesagt: "Den Vater habe ich mir viel schöner vorgestellt."
AZ: Wo hat sich Ihre Frau während der Internierungsjahre aufgehalten?
HJL: Sie hat zuerst bei ihren Schwiegereltern auf Garib gelebt und hat später mit meiner Schwester Hilda eine Pachtfarm mit Karakulschafen zwischen Garib und Rehoboth bewirtschaftet.
AZ: Welche Arbeiten hatten bei Ihnen nach der Rückkehr Vorrang ?
HJL: Die Arbeit auf der damals noch nicht unterteilten Farm Garib ging einfach weiter. Nach meiner Rückkehr habe ich in Rehoboth mein Reitpferd auf die Bahn verladen und bin mit der Tochter erstmal nach Swakopmund gefahren.
Später musste dann für die sechs Kinder gesorgt werden. Jetzt wurde auch ein Besuch in Deutschland möglich.
AZ: Wenn Sie noch einmal einen Beruf wählen könnten, welchen würden Sie wählen?
HJL: Farmer! Wir haben Dürren und Fluten überlebt.
Ursula Lühl: Ein Farmer muss eine Seele haben. Auf 5000 Hektar kann ein Farmer heute nicht mehr existieren. Farmen ist eine schöne Sache. (Lacht) Durchhalten! Das hat schon meine Schwiegermutter gesagt.
AZ: Haben Sie einen Rat, den Sie als Senioren und Ehepartner den jüngeren Generationen ins 21. Jahrhundert mit auf den Weg geben können?
HJL: Durchhalten und offen sein. Offen und ehrlich und gut mit anderssprachigen Menschen auskommen und umgehen.
Paralelle Chronologie ab 1914 - mit ausgewählten Daten
Juni 1914: Das dritte Flugzeug trifft im Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika ein.
4. August: Die Funktürme von Swakopmund und Lüderitzbucht werden von der kaiserlichen Schutztruppe gesprengt. Am 2. August ist in Europa der 1. Weltkrieg ausgebrochen. Südafrika soll im Auftrag von Großbritannien die Funkverbindung zwischen DSWA und Europa zerstören.
8. August: Gouverneur Theodor Seitz ordnet die Mobilisierung der aktiven Schutztruppe - 1600 Mann - und der Reservisten mit 5000 Mann an.
9. September 1914: Das südafrikanische Parlament erklärt dem Deutschen Kaiserreich den Krieg und beschließt, Unionstruppen zum Angriff auf DSWA zu mobilisieren. Südafrika mobilisiert eine Invasionstruppe von 50000 Mann, die von 30000 Man farbiger Helfer begleitet werden. Louis Botha muss jedoch erst einen Aufstand von Kriegsgegnern in Südafrika (hauptsächlich Afrikaner-Buren) niederschlagen, bevor er den Feldzug ab Februar 1915 gegen DSWA gründlich durchführen kann.
9. Juli 1915: Die deutsche Schutztruppe kapituliert vor der südafrikanischen Übermacht bei Khorab/Otavi. 3497 uniformierte Deutsche ergeben sich. Auf deutscher Seite sind 1331 Soldaten gefallen. DSWA steht jetzt unter Militärverwaltung.
22. Juli 1916: Unter der Redaktion von Hans Berthold erscheint in Windhoek zum ersten Mal "Der Kriegsbote", woraus 1918 die Allgemeine Zeitung hervorgeht.
1918: Fast die Hälfte der Deutschen wird von den Südafrikanern deportiert oder repatriiert (6374 deutsche Staatsangehörige).
Januar 1921: Südwestafrika wird ein Mandatsgebiet des Völkerbunds, der Großbritannien zum Mandataren ernennt. Großbritannien gibt den Verwaltungsauftrag für Südwestafrika an Südafrika weiter. Südafrika führt eine Zivilverwaltung ein (weißer Landesrat mit Exekutive).
24. August 1923: In Okahandja wird Samuel Maharero begraben, der als Gegner der deutschen Verwaltung nach Betschuanaland (und Transvaal) geflohen und im Exil gestorben war.
23. Okt. 1923: Nach dem Londoner Abkommen (De-Haas-Smuts-Abkommen) werden Deutsche in Südwestafrika ermu-tigt, sich als (britische) Südafrikaner naturalisieren zu lassen. Dabei gibt es die Variante doppelter Staatsangehörigkeit, wonach ein Bürger auf südwestafrikanischem Boden Südafrikaner (british subject) ist, sobald er aber auf einem deutschen Dampfer an Bord geht oder nach Deutschland einreist, seine deutsche Staatsangehörigkeit wieder auflebt. Die südafrikanische Regierung widerruft diese Formel während des 2. Weltkriegs. Süd-
wester Deutsche in südafrikanischen Internierungslagern werden vorübergehend staatenlos.
1939/40: Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs wird die Mehrzahl deutschsprachiger Männer zwischen 16 und 60 Jahren zuerst in Südwestafrika und dann in Südafrika interniert. Die Internierten werden nach über einem Jahr nach Kriegsende - im Juni 1946 - entlassen. Die deutschsprachigen Südwester müssen erst auf den Befund einer Deportationskommission warten, ob sie nach SWA heimkehren dürfen oder nach Deutschland deportiert werden. Die Kommission beurteilt 5270 "Fälle", davon 4700 aus Südwestafrika, voll Internierte aus südafrikanischen Lagern sowie Haus- und Farminternierte in SWA. Nachdem die Kommission die Mehrzahl der Personen von politischer Haftbarkeit befreit hat, führt sie in ihrem Bericht von 1947(Verslag van die Deportasie-Aanbevelingskommissie), in Pretoria herausgegeben, noch 254 Personen, darunter auch eine Anzahl Frauen auf, die als "Vyandsuitlanders", feindliche Ausländer, abgestempelt sind. Mit dem Regierungswechsel 1948 verfällt die Deportationsliste.
Im Bericht von 1947 legt die Kommission nachträglich die "politischen Indizien", beziehungsweise Kriterien fest, wonach eine Person als feindlicher Ausländer und somit zur Deportation bestimmt werden konnte:
Aktiv in der Führung einer NS-Organisation (die jedoch ab 1935 in SWA schon verboten waren).
Aktives Auftreten und Werbung für die NS-Ideologie
Eine Person, die durch "auffälliges Handeln und Verhalten" zeigt, dass sie einem fremden Staat dient.
Personen, die sich im Rahmen des Personenaustauschs oder der Repatriierung freiwillig zur Rückreise nach Deutschland melden.
1946: Die amtliche Statistik von SWA zählt 373572 Einwohner, inklusive 38000 Weiße.
21. Juni 1971: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag deklariert Südafrikas Präsenz in Namibia endgültig als illegal.
1. September 1975: Die Verfassunggebende Konferenz (in der Turnhalle Windhoeks) wird mit ethnischen Führern einberufen.
11. 8. 1977: Einige Deutsch-Namibier gründen die Interessengemeinschaft Deutschsprachiger Südwester (IG). Zwischen September und Dezember 1977 schafft der südafrikanische Generaladministrator Marthinus Theunis Steyn die Haupt-Apartheidsgesetze in Namibia ab.
21. März 1990: Südafrika und die Vereinten Nationen entlassen Namibia als letztes Kolonialgebiet in Afrika in die Souveränität.
28. Februar 1994: Walvis Bay und der Küste vorgelagerte Atlantikinseln wechseln friedlich aus südafrikanischem zum namibischen Hoheitsgebiet.
21. März 2005: Namibias Gründungspräsident Sam Nujoma legt nach drei Amtsperioden sein Amt nieder. Sein Nachfolger ist Hifikepunye Pohamba.
Wie kam es, dass Sie Ihre ersten fünf Schuljahre in Reydt bei Mönchengladbach in Deutschland verbracht haben?
Hans-Joachimg Lühl: Direkt nach dem 1. Weltkrieg ist meine Mutter mit meiner Schwester Hilda (später verheiratet von Hase) und mir nach Deutschland gefahren. Da habe ich fünf Jahre die Schule besucht.
AZ: Wann sind Sie ins damalige Südwestafrika zurückgekehrt? Auf welchem Schiff?
HJL: Wir sind 1924 mit einem Schiff der Woermann- Linie zurückgekehrt.
AZ: Können Sie uns einige Erinnerungen an die Schulzeit an der HPS in Windhoek und in Swakopmund vermitteln? Wo in Swakopmund stand damals Ihr Schülerheim?
HJL: In Windhoek befand sich unser Schülerheim in der ehemaligen Ausstellungshalle, auf dem Gelände der heutigen DHPS. Wir haben viel "Reiter-runter-reißen" gespielt. Ich war ein gutes Pferd! Habe mir dabei allerdings den Ellenbogen gebrochen. Mein Vater hatte jedoch Differenzen/Krach mit dem Schuldirektor in Windhoek und schickte mich dann drei Jahre nach Swakopmund. Das fiel mir schwer, denn hier musste ich mich völlig auf Englisch umstellen. In Swakopmund haben wir als Schüler in einem ehemaligen Haus der Woermann-Linie gewohnt. Frühstück und Mittagessen gab es im Schwester-Frieda-Heim (im heutigen M.C. Human-Haus, vor dem 1. Weltkrieg hieß das Gebäude "Kaufhaus zum Südstrand"). Ich bin in der Kaserne und im Schulhaus neben der Evangel.-Luth. Kirche zur Schule gegangen.
AZ: In Glenn, Freistaat, Südafrika, haben Sie im Jahr 1933 eine Molkereilehre absolviert. Aus welchen Kursen und aus welchen Praktika bestand damals eine solche Lehre?
HJL: Wir haben Käserei und Milchhygiene gelernt. Das Unterrichtsmedium war Afrikaans und Englisch. Auf der elterlichen Farm Garib (bei Dordabis) arbeiteten damals drei Käser aus Deutschland (Döring, Kaun und Albach). Deshalb wurde ich in diese Lehre geschickt. Die Käser wurden während des 2. Weltkriegs auch alle interniert.
Der ehemalige kaiserliche Gouverneur von Lindequist hat in der Zeit meine Eltern besucht und kam danach noch in den Freistaat und hat auch mich besucht. Ich lag gerade mit einer gefährlichen Blutvergiftung im Bett. Von Lindequist wusste, wie man das behandelte und ich glaube, er hat mir damals das Leben gerettet.
Auf Garib haben wir hauptsächlich Gouda-Käse aber auch Emmentaler-Räder produziert. Jede Woche ging eine Käsekarre 45 km nach Rehoboth zur Bahn. Im Melkkral habe ich Nama-Dama (Khoekhoegowab) gelernt und habe mich mit der bekannten Farmerin Lily Frey gern auf Nama unterhalten. Sie hat die Sprache sehr gut beherrscht.
In diese Zeit, Anfang 1934, fiel die große Flut in Südwestafrika. Ich war auf der Farm zurück und am 10. Januar 1934 standen mein Vater, meine Schwester, ich und andere (insgesamt zu fünft) am Bassin, als im Schaf-Rivier eine Flutwelle kam. Wir wären um ein Haar alle ertrunken. Ich konnte über den 1,20 hohen Zaun schwimmen und mich an einem Busch festhalten. Unsere Farmarbeiter haben dann eine Kette gebildet, so dass alle gerettet werden konnten.
AZ: Dann folgte ein weiteres Praktikum bei der Pelzfirma Thorer in Leipzig. Auch hier möchten wir gern wissen, aus welchen Fächern eine solche Lehre bestand. Hat Thorer auch andere junge Südwester ausgebildet? Woher kamen die anderen Lehrlinge?
HJL: Es ging hauptsächlich darum, die Felle nach Qualität und nach der Haarlocke zu sortieren. Wenn Fellchen aus Südwestafrika eintrafen, wurden sie sofort durchsortiert. Der spätere Farmer Hans-Jürgen von Hase und ein Volkmann haben auch hier gelernt. Später bin ich als Gasthörer an die Universität von Heidelberg gekommen. Obwohl ich kein Abitur hatte, konnte ich als "Altherrensohn" mithören, da mein Vater schon an dieser Universität studiert hatte. Ich war 1936 in einer schlagenden Verbindung und habe die erste Mensur geschlagen - später mein Sohn Peter auch. Die Nazis haben die Studentencorps bald aufgelöst.
AZ: Wie lange und wo haben Sie nach der Lehre und vor der späteren Internierung hier im Land noch arbeiten können?
HJL: 1937 bin ich als Farmeleve nach Voigtsgrund gekommen. Eleven kamen mit an den Familientisch. Eine Jacke zu tragen, war Vorschrift. Die anderen - es gab damals viele Afrikaner-Buren als Angestellte - haben in der Messe gegessen. Sie brauchten beim Essen keine Jacke anzuziehen. Dort habe ich meine Frau, Ursula, kennen- gelernt, meine große Liebe bis heute.
Ich bin dann noch einmal nach Deutschland gefahren, um meine Frau bei den Schwiegereltern zu holen. Wir haben in derselben Kirche geheiratet wie meine Eltern. Ich habe 1939 noch drei Monate gedient. Anfang September 1939 hatten wir unsere Möbel zur Ausreise bereits auf dem Schiff und mussten sie wegen Kriegsausbruch aber wieder abladen lassen. Meine Großmutter drängte, dass wir schnellstens "raus aus Deutschland" sollten, wegen der Kriegsgefahr. Mit knapper Not haben meine Frau und ich es nach Rotterdam auf ein holländisches Schiff Richtung Kapstadt geschafft. Mein Großvater hatte für die Passage telegraphisch Geld überwiesen.
AZ: Der 2. Weltkrieg war schon ausgebrochen, als Sie - gerade vermählt - im September 1939 mit Ihrer Frau das "letzte Schiff" nach Kapstadt nehmen konnten. Gab es wegen des Kriegszustands an Bord besondere Bestimmungen?
HJL: Nach zwei Tagen auf See kam ein englisches Schiff und hielt unseren Dampfer zur Kontrolle an. Es ging gut, weil ich nach der damaligen Regelung außerhalb von Deutschland automatisch "british subject" (britischer Untertan) war und in Deutschland deutsche Staatsangehörigkeit hatte. Du konntest ansonsten sein, was Du wolltest. Von Kapstadt sind wir mit der Bahn zurück nach Südwestafrika gefahren. In Rehoboth-Station (außerhalb von Rehoboth gelegen) hat mein Vater uns abgeholt.
AZ: Können Sie etwas über die politische Lage und die Spannungen sagen, die vor dem 2. Weltkrieg und vor der Internierung in Südwestafrika herrschten? Hat der Deutsche Bund, beziehungsweise der Deutsche Südwestbund bei Ihnen eine Rolle gespielt?
HJL: Wir wurden hier bei unserer Rückkehr aus Deutschland ziemlich verteufelt.
AZ: Wie viel Zeit hat die Polizei Ihnen nach Ihrer Rückkehr gelassen, bis Sie interniert wurden? Auf welchem Weg, in welcher Form haben Sie den Internierungsbefehl erhalten?
HJL: Im Juni 1940 wurde ich interniert und im September kam unser erstes Kind zur Welt, das ich dann erst als Sechsjährige kennengelernt habe. Auf Garib kam ein Polizist mit einem Begleiter in einem Wagen vorgefahren, um mich abzuführen. Ich sagte zu meiner Frau: in sechs Wochen bin ich wieder da. Es wurden sechs Jahre daraus. Von Farm Ibenstein hat die Polizei noch Wolfgang Sydow zur Internierung mitgenommen (in den achtziger Jahren Sekretär der Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft). Wir hatten alle mit der Internierung gerechnet, aber nicht auf die Schnelle.
AZ: Hat die Polizei einen Grund für die Internierung angegeben?
HJL: Wir haben nie gehört, weswegen wir eingesperrt wurden. Mein Bruder war nur "farminterniert". Radio-Hören war verboten. Wir haben jedoch eins im Taubenschlag aufbewahrt und dort Nachrichten gehört.
AZ: In welchen Lagern waren Sie interniert?
HJL: In Windhoek wurden wir zunächst auf dem Gelände der ehemaligen (kaiserlichen) Funkstation interniert (heute hinter Pionierspark). Freunde haben uns ein Gallontentin angeblich mit Petroleum geschickt. Es war Schnaps drin und der wurde sorgfältig verteilt. Nach zwei Wochen wurden wir ins Internierungslager Andalusia (bei Kimberly) nach Südafrika gebracht. Wir hatten sofort einen Spruch:
Das Wasser stinkt,
Kein Bier ist da.
Oh armes Andalusia.
Gegen Kriegsende wurden wir ins Internierungslager Baviaanspoort nach Transvaal verlegt, wo wir mit (von der Unionsregierung internierten) Buren zusammen waren.
Nach Kriegsende wurden wir zwar entlassen, aber etliche durften nicht nach Südwestafrika zurückkehren. Wir (der Farmer Ernst Dressel von Grootfontein war auch dabei) haben uns Unterkunft gesucht und diese auf der Farm der Schweizer Familie Köhly gefunden. Wir wollten uns nützlich machen. Ich habe Mais gefahren.
Zu dieser Zeit hat mich meine Frau mit meiner ersten Tochter Annetrud (6) besucht, die ich noch nie gesehen hatte. Als sie mich sah, hat sie gesagt: "Den Vater habe ich mir viel schöner vorgestellt."
AZ: Wo hat sich Ihre Frau während der Internierungsjahre aufgehalten?
HJL: Sie hat zuerst bei ihren Schwiegereltern auf Garib gelebt und hat später mit meiner Schwester Hilda eine Pachtfarm mit Karakulschafen zwischen Garib und Rehoboth bewirtschaftet.
AZ: Welche Arbeiten hatten bei Ihnen nach der Rückkehr Vorrang ?
HJL: Die Arbeit auf der damals noch nicht unterteilten Farm Garib ging einfach weiter. Nach meiner Rückkehr habe ich in Rehoboth mein Reitpferd auf die Bahn verladen und bin mit der Tochter erstmal nach Swakopmund gefahren.
Später musste dann für die sechs Kinder gesorgt werden. Jetzt wurde auch ein Besuch in Deutschland möglich.
AZ: Wenn Sie noch einmal einen Beruf wählen könnten, welchen würden Sie wählen?
HJL: Farmer! Wir haben Dürren und Fluten überlebt.
Ursula Lühl: Ein Farmer muss eine Seele haben. Auf 5000 Hektar kann ein Farmer heute nicht mehr existieren. Farmen ist eine schöne Sache. (Lacht) Durchhalten! Das hat schon meine Schwiegermutter gesagt.
AZ: Haben Sie einen Rat, den Sie als Senioren und Ehepartner den jüngeren Generationen ins 21. Jahrhundert mit auf den Weg geben können?
HJL: Durchhalten und offen sein. Offen und ehrlich und gut mit anderssprachigen Menschen auskommen und umgehen.
Paralelle Chronologie ab 1914 - mit ausgewählten Daten
Juni 1914: Das dritte Flugzeug trifft im Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika ein.
4. August: Die Funktürme von Swakopmund und Lüderitzbucht werden von der kaiserlichen Schutztruppe gesprengt. Am 2. August ist in Europa der 1. Weltkrieg ausgebrochen. Südafrika soll im Auftrag von Großbritannien die Funkverbindung zwischen DSWA und Europa zerstören.
8. August: Gouverneur Theodor Seitz ordnet die Mobilisierung der aktiven Schutztruppe - 1600 Mann - und der Reservisten mit 5000 Mann an.
9. September 1914: Das südafrikanische Parlament erklärt dem Deutschen Kaiserreich den Krieg und beschließt, Unionstruppen zum Angriff auf DSWA zu mobilisieren. Südafrika mobilisiert eine Invasionstruppe von 50000 Mann, die von 30000 Man farbiger Helfer begleitet werden. Louis Botha muss jedoch erst einen Aufstand von Kriegsgegnern in Südafrika (hauptsächlich Afrikaner-Buren) niederschlagen, bevor er den Feldzug ab Februar 1915 gegen DSWA gründlich durchführen kann.
9. Juli 1915: Die deutsche Schutztruppe kapituliert vor der südafrikanischen Übermacht bei Khorab/Otavi. 3497 uniformierte Deutsche ergeben sich. Auf deutscher Seite sind 1331 Soldaten gefallen. DSWA steht jetzt unter Militärverwaltung.
22. Juli 1916: Unter der Redaktion von Hans Berthold erscheint in Windhoek zum ersten Mal "Der Kriegsbote", woraus 1918 die Allgemeine Zeitung hervorgeht.
1918: Fast die Hälfte der Deutschen wird von den Südafrikanern deportiert oder repatriiert (6374 deutsche Staatsangehörige).
Januar 1921: Südwestafrika wird ein Mandatsgebiet des Völkerbunds, der Großbritannien zum Mandataren ernennt. Großbritannien gibt den Verwaltungsauftrag für Südwestafrika an Südafrika weiter. Südafrika führt eine Zivilverwaltung ein (weißer Landesrat mit Exekutive).
24. August 1923: In Okahandja wird Samuel Maharero begraben, der als Gegner der deutschen Verwaltung nach Betschuanaland (und Transvaal) geflohen und im Exil gestorben war.
23. Okt. 1923: Nach dem Londoner Abkommen (De-Haas-Smuts-Abkommen) werden Deutsche in Südwestafrika ermu-tigt, sich als (britische) Südafrikaner naturalisieren zu lassen. Dabei gibt es die Variante doppelter Staatsangehörigkeit, wonach ein Bürger auf südwestafrikanischem Boden Südafrikaner (british subject) ist, sobald er aber auf einem deutschen Dampfer an Bord geht oder nach Deutschland einreist, seine deutsche Staatsangehörigkeit wieder auflebt. Die südafrikanische Regierung widerruft diese Formel während des 2. Weltkriegs. Süd-
wester Deutsche in südafrikanischen Internierungslagern werden vorübergehend staatenlos.
1939/40: Nach Ausbruch des 2. Weltkriegs wird die Mehrzahl deutschsprachiger Männer zwischen 16 und 60 Jahren zuerst in Südwestafrika und dann in Südafrika interniert. Die Internierten werden nach über einem Jahr nach Kriegsende - im Juni 1946 - entlassen. Die deutschsprachigen Südwester müssen erst auf den Befund einer Deportationskommission warten, ob sie nach SWA heimkehren dürfen oder nach Deutschland deportiert werden. Die Kommission beurteilt 5270 "Fälle", davon 4700 aus Südwestafrika, voll Internierte aus südafrikanischen Lagern sowie Haus- und Farminternierte in SWA. Nachdem die Kommission die Mehrzahl der Personen von politischer Haftbarkeit befreit hat, führt sie in ihrem Bericht von 1947(Verslag van die Deportasie-Aanbevelingskommissie), in Pretoria herausgegeben, noch 254 Personen, darunter auch eine Anzahl Frauen auf, die als "Vyandsuitlanders", feindliche Ausländer, abgestempelt sind. Mit dem Regierungswechsel 1948 verfällt die Deportationsliste.
Im Bericht von 1947 legt die Kommission nachträglich die "politischen Indizien", beziehungsweise Kriterien fest, wonach eine Person als feindlicher Ausländer und somit zur Deportation bestimmt werden konnte:
Aktiv in der Führung einer NS-Organisation (die jedoch ab 1935 in SWA schon verboten waren).
Aktives Auftreten und Werbung für die NS-Ideologie
Eine Person, die durch "auffälliges Handeln und Verhalten" zeigt, dass sie einem fremden Staat dient.
Personen, die sich im Rahmen des Personenaustauschs oder der Repatriierung freiwillig zur Rückreise nach Deutschland melden.
1946: Die amtliche Statistik von SWA zählt 373572 Einwohner, inklusive 38000 Weiße.
21. Juni 1971: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag deklariert Südafrikas Präsenz in Namibia endgültig als illegal.
1. September 1975: Die Verfassunggebende Konferenz (in der Turnhalle Windhoeks) wird mit ethnischen Führern einberufen.
11. 8. 1977: Einige Deutsch-Namibier gründen die Interessengemeinschaft Deutschsprachiger Südwester (IG). Zwischen September und Dezember 1977 schafft der südafrikanische Generaladministrator Marthinus Theunis Steyn die Haupt-Apartheidsgesetze in Namibia ab.
21. März 1990: Südafrika und die Vereinten Nationen entlassen Namibia als letztes Kolonialgebiet in Afrika in die Souveränität.
28. Februar 1994: Walvis Bay und der Küste vorgelagerte Atlantikinseln wechseln friedlich aus südafrikanischem zum namibischen Hoheitsgebiet.
21. März 2005: Namibias Gründungspräsident Sam Nujoma legt nach drei Amtsperioden sein Amt nieder. Sein Nachfolger ist Hifikepunye Pohamba.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen