Groß rauskommen in der Wüste
Manchmal, wenn sie spielt, dann fühlt es sich an, als würde sie fliegen. Dann bekommt sie Gänsehaut, und wenn sie ihr Solo beendet hat, dann ist ihr nach Weinen zumute. Manchmal aber tun ihr die Komponisten, deren Stücke sie bei gesellschaftlichen Anlässen und Empfängen interpretiert, einfach nur leid. Weil ja doch keiner zuhört. Für Berufsmusikerin Polina Loubnina bleibt im täglichen Kampf ums finanzielle Überleben die Liebe zur Musik oft auf der Strecke.
Mit beschwingten Schritten in den engen Blue Jeans nimmt Polina Loubnina die Stufen zum Windhoeker Musikkonservatorium. Das lange dunkle Haar flattert über der weißen Bluse, sie trägt einen riesigen Strohhut. "Den musste ich mir jetzt einfach kaufen, ich weiß nicht weshalb", sagt die attraktive Flötistin und lacht. Nach einem Einkaufsbummel fühlt sie sich meistens besser.
"Das ist mein zweites Zuhause", verkündet Loubnina und öffnet die Tür zu ihrem Büro im Windhoeker College of the Arts. Ein Klavier hat darin Platz, ein kleiner Schreibtisch, und wenn sie die Hände ausstreckt, berührt sie fast die gegenüberliegenden Wände. Ein wenig klaustrophobisch fühle sie sich manchmal, wenn sie den ganzen Tag am College verbringen muss. Aber wenn in diesem engen Raum auch noch schlecht Flöte gespielt wird, dann zweifle sie manchmal sogar an ihren pädagogischen Fähigkeiten.
Polina Loubnina ist Querflötenlehrerin am College of the Arts. Sie hat eine Halbtagsstelle, und nebenher unterrichtet sie am Katutura Community Arts Centre. Dort macht es mehr Spaß, die Diplom-Studenten sind wissbegierig, sie interessieren sich auch für Musiktheorie und Komposition. Von manchen ihrer College-Schülerinnen und -Schülern weiß sie manchmal nicht, warum sie überhaupt ein Instrument erlernen wollen. Sie komme sich manchmal vor wie eine Kindergärtnerin. Aber das liegt vielleicht daran, dass am College jedes Jahr Musikexamen abgelegt werden müssen. Manche Musikschüler proben dann monatelang an drei Examensstücken. Da geht der Spaß am Musizieren verloren. "Jedes System ist ein Witz", sagt Polina und lacht ihr glucksendes Lachen, weil sie gerade Elemotho zitiert hat, den Setswana-Musiker, der so sein Debütalbum betitelte: "The System is a Joke".
Mit Elemotho alias Ricardo Mosimane verbindet sie eine langjährige Zusammenarbeit. Aufnahmen hat die Querflötenspielerin aber auch mit Reggaemusiker Steve Hanana gemacht (2003), mit der Gruppe Omidi d'Afrique (2004) und mit Brian Finch (2004). Wenn afrikanische Musiker in Namibia eine Flöte brauchen, dann ist Polina dabei. Sie ist die Flötistin, die in beiden musikalischen Welten mitmischt: der populären Grassroots-Szene und dem klassischen Establishment. Als ehemaliges Mitglied des inzwischen gänzlich eingeschlafen Namibia National Symphony Orchestra tritt Loubnina auch bei fast allen klassischen Musikveranstaltungen auf; in letzter Zeit jedoch vor allem mit dem von ihr gegründeten Ensemble "Cocktail Suite Trio".
"From Bach to Jazz - Background music for any occasion", wirbt die Visitenkarte des Cocktail Suite Trio. Gemeinsam mit Gitarrist Ashley Zolkov, Vollzeitdozent am College of the Arts, und Violinist Jesús Lasso Rey spielt Loubnina bei Hochzeiten, Geburtstagen, Trauerfeiern, Firmenjubiläen oder zum Candlelight-Dinner. Da passiert es manchmal, dass ihr Johann Sebastian Bach leid tut, sagt sie. Wenn die Hintergrundmusik eben nur Hintergrund sein soll, die Gespräche an den Restauranttischen nicht stören darf. Das ist nicht immer so. Manchmal kann sie sich auch verlieren in der Musik, in einem Solo zu brasilianischer Volksmusik beispielsweise, "da hebe ich dann total ab", sagt die Mittdreißigerin mit glänzenden Augen. Das Publikum bekommt davon meistens gar nichts mit. Aber wenn das Ensemble dann den Beatles-Klassiker "Hey Jude" anstimmt, dann singt und schunkelt man begeistert im Takt.
Es ist eine Frage der Hörgewohnheiten, glaubt Polina. Kürzlich etwa, beim Konzert des bundesdeutschen Jazzensembles "Triosphere" im Warehouse Theatre, ist ein Großteil des Publikums in der Pause verschwunden, erinnert sie sich. Zu kompliziert, zu anspruchsvoll, sei die Musik für das Durchschnittsohr gewesen, glaubt die Mutter eines 16-jährigen Sohnes, "aber mich hat der Sound völlig weggeblasen", sagt sie. "Wenn ich eines Tages so spielen könnte?", und ihr Blick wird wehmütig.
Seit zehn Jahre lebt und wirkt Loubnina in der namibischen Musikszene. Sie ist Mitglied der Hambana Sound Company, einer multikulturellen Musikgruppe, deren Tournee durch das Land der Schweizer Filmemacher Peter Liechti 2001 verfilmte ("Namibia Crossings", 2004). Sie gilt als Kompetenz für jede Art von Musik. Die Stadt Windhoek setzt sie jährlich als Jurorin für das /Ae//Gams Kulturfestival ein. Und am College of the Arts hat sie ein Ensemble gegründet, das durch Improvisation eigene Stücke erarbeitet. Weg von der klassischen Musikerziehung, dem Blattlesen. Jeder darf seine eigenen Ideen einbringen. Und das ist es was Lehrerin und Schülern am meisten Spaß macht, denn eigentlich, sagt sie, "eigentlich will ich ja nur spielen".
Die in Omsk in Sibirien gebürtige Musikerin ist 1995 ins Land eingereist. Seitdem hat sie schon zahllose Abschiedspartys gegeben. "Immer dachte, ich gehe zurück nach Hause. Aber dann habe ich Namibia so sehr vermisst..."
Als Tochter einer Lehrerin und Dolmetscherin und eines bildenden Künstlers, ist Loubnina im Theaterhaus von Onkel und Tante in St. Petersburg aufgewachsen. Das Schauspielen habe sie von klein auf gelernt; selbst wenn sie heute noch ihre Heimat besucht, steht sie als Darstellerin auf der Bühne. Mal als Hippopotamus-Dame mit blauem Haar, mal als Hermione in einer Harry-Potter-Inszenierung. Wunderbar sei das, maskiert und kostümiert aufzutreten, da könne man richtig verrückt spielen. Aber das Schauspielen habe sie nie als ernsthafte Karriere in Erwägung gezogen.
Mit 19 Jahren erwarb Loubnina ihr Musik-Diplom am Novo Sibirsk Music College, die Anstellung als Lehrerin war ihr gewiss. "Unsere Zukunft schien damals, während des Kommunismus, in den Büchern zu stehen", erzählt sie. Als sie ihre Ausbildung beendet hatte, war das kommunistische Regime nicht mehr. "Alles hat sich geändert. Und ich habe gemerkt, dass für uns gar nichts in irgendwelchen Büchern geschrieben stand." Die Berufswahl zur Musiklehrerin erschien ihr plötzlich nicht mehr als clevere Entscheidung. "Die Menschen haben Hunger, und ich gebe ihnen Musik", sagt sie und lacht wieder. "Nur die Schauspielerei wäre noch brotloser gewesen."
Während einer Europareise 1994 überredete eine Freundin sie, mit nach Namibia zu reisen. Da sah sie zum ersten Mal, von den Windhoeker Bergen aus, den Sonnenuntergang. "Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich denke, das war es", sagt Polina als Erklärung für ihr Bleiben in Afrika. Inzwischen fühlt sie sich als Namibierin. "Wenn ich in Europa bin", sagt sie, "will ich jedem entgegenrufen: 'Ich komme aus Afrika!'"
Dabei gibt es manches, was ihr am Leben in Namibia weniger gut gefällt. Vor allem eines: Dass es sich jeder in seiner Berufsnische so gemütlich macht, dass Ehrgeiz und das Streben nach Höherem, Besserem, verloren gehen. Loubnina zählt sich dazu. "Ich bin groß rausgekommen in der Wüste!", sagt sie lachend. "Aber was bedeutet das schon woanders?"
Aber vielleicht macht das gar nichts, fügt sie nach längerem Überlegen hinzu. Vielleicht reicht es, in der Wüste groß rauszukommen, vielleicht ist es diese kleine Welt, die die Menschen in Namibia so glücklich macht - sie inklusive.
Mit beschwingten Schritten in den engen Blue Jeans nimmt Polina Loubnina die Stufen zum Windhoeker Musikkonservatorium. Das lange dunkle Haar flattert über der weißen Bluse, sie trägt einen riesigen Strohhut. "Den musste ich mir jetzt einfach kaufen, ich weiß nicht weshalb", sagt die attraktive Flötistin und lacht. Nach einem Einkaufsbummel fühlt sie sich meistens besser.
"Das ist mein zweites Zuhause", verkündet Loubnina und öffnet die Tür zu ihrem Büro im Windhoeker College of the Arts. Ein Klavier hat darin Platz, ein kleiner Schreibtisch, und wenn sie die Hände ausstreckt, berührt sie fast die gegenüberliegenden Wände. Ein wenig klaustrophobisch fühle sie sich manchmal, wenn sie den ganzen Tag am College verbringen muss. Aber wenn in diesem engen Raum auch noch schlecht Flöte gespielt wird, dann zweifle sie manchmal sogar an ihren pädagogischen Fähigkeiten.
Polina Loubnina ist Querflötenlehrerin am College of the Arts. Sie hat eine Halbtagsstelle, und nebenher unterrichtet sie am Katutura Community Arts Centre. Dort macht es mehr Spaß, die Diplom-Studenten sind wissbegierig, sie interessieren sich auch für Musiktheorie und Komposition. Von manchen ihrer College-Schülerinnen und -Schülern weiß sie manchmal nicht, warum sie überhaupt ein Instrument erlernen wollen. Sie komme sich manchmal vor wie eine Kindergärtnerin. Aber das liegt vielleicht daran, dass am College jedes Jahr Musikexamen abgelegt werden müssen. Manche Musikschüler proben dann monatelang an drei Examensstücken. Da geht der Spaß am Musizieren verloren. "Jedes System ist ein Witz", sagt Polina und lacht ihr glucksendes Lachen, weil sie gerade Elemotho zitiert hat, den Setswana-Musiker, der so sein Debütalbum betitelte: "The System is a Joke".
Mit Elemotho alias Ricardo Mosimane verbindet sie eine langjährige Zusammenarbeit. Aufnahmen hat die Querflötenspielerin aber auch mit Reggaemusiker Steve Hanana gemacht (2003), mit der Gruppe Omidi d'Afrique (2004) und mit Brian Finch (2004). Wenn afrikanische Musiker in Namibia eine Flöte brauchen, dann ist Polina dabei. Sie ist die Flötistin, die in beiden musikalischen Welten mitmischt: der populären Grassroots-Szene und dem klassischen Establishment. Als ehemaliges Mitglied des inzwischen gänzlich eingeschlafen Namibia National Symphony Orchestra tritt Loubnina auch bei fast allen klassischen Musikveranstaltungen auf; in letzter Zeit jedoch vor allem mit dem von ihr gegründeten Ensemble "Cocktail Suite Trio".
"From Bach to Jazz - Background music for any occasion", wirbt die Visitenkarte des Cocktail Suite Trio. Gemeinsam mit Gitarrist Ashley Zolkov, Vollzeitdozent am College of the Arts, und Violinist Jesús Lasso Rey spielt Loubnina bei Hochzeiten, Geburtstagen, Trauerfeiern, Firmenjubiläen oder zum Candlelight-Dinner. Da passiert es manchmal, dass ihr Johann Sebastian Bach leid tut, sagt sie. Wenn die Hintergrundmusik eben nur Hintergrund sein soll, die Gespräche an den Restauranttischen nicht stören darf. Das ist nicht immer so. Manchmal kann sie sich auch verlieren in der Musik, in einem Solo zu brasilianischer Volksmusik beispielsweise, "da hebe ich dann total ab", sagt die Mittdreißigerin mit glänzenden Augen. Das Publikum bekommt davon meistens gar nichts mit. Aber wenn das Ensemble dann den Beatles-Klassiker "Hey Jude" anstimmt, dann singt und schunkelt man begeistert im Takt.
Es ist eine Frage der Hörgewohnheiten, glaubt Polina. Kürzlich etwa, beim Konzert des bundesdeutschen Jazzensembles "Triosphere" im Warehouse Theatre, ist ein Großteil des Publikums in der Pause verschwunden, erinnert sie sich. Zu kompliziert, zu anspruchsvoll, sei die Musik für das Durchschnittsohr gewesen, glaubt die Mutter eines 16-jährigen Sohnes, "aber mich hat der Sound völlig weggeblasen", sagt sie. "Wenn ich eines Tages so spielen könnte?", und ihr Blick wird wehmütig.
Seit zehn Jahre lebt und wirkt Loubnina in der namibischen Musikszene. Sie ist Mitglied der Hambana Sound Company, einer multikulturellen Musikgruppe, deren Tournee durch das Land der Schweizer Filmemacher Peter Liechti 2001 verfilmte ("Namibia Crossings", 2004). Sie gilt als Kompetenz für jede Art von Musik. Die Stadt Windhoek setzt sie jährlich als Jurorin für das /Ae//Gams Kulturfestival ein. Und am College of the Arts hat sie ein Ensemble gegründet, das durch Improvisation eigene Stücke erarbeitet. Weg von der klassischen Musikerziehung, dem Blattlesen. Jeder darf seine eigenen Ideen einbringen. Und das ist es was Lehrerin und Schülern am meisten Spaß macht, denn eigentlich, sagt sie, "eigentlich will ich ja nur spielen".
Die in Omsk in Sibirien gebürtige Musikerin ist 1995 ins Land eingereist. Seitdem hat sie schon zahllose Abschiedspartys gegeben. "Immer dachte, ich gehe zurück nach Hause. Aber dann habe ich Namibia so sehr vermisst..."
Als Tochter einer Lehrerin und Dolmetscherin und eines bildenden Künstlers, ist Loubnina im Theaterhaus von Onkel und Tante in St. Petersburg aufgewachsen. Das Schauspielen habe sie von klein auf gelernt; selbst wenn sie heute noch ihre Heimat besucht, steht sie als Darstellerin auf der Bühne. Mal als Hippopotamus-Dame mit blauem Haar, mal als Hermione in einer Harry-Potter-Inszenierung. Wunderbar sei das, maskiert und kostümiert aufzutreten, da könne man richtig verrückt spielen. Aber das Schauspielen habe sie nie als ernsthafte Karriere in Erwägung gezogen.
Mit 19 Jahren erwarb Loubnina ihr Musik-Diplom am Novo Sibirsk Music College, die Anstellung als Lehrerin war ihr gewiss. "Unsere Zukunft schien damals, während des Kommunismus, in den Büchern zu stehen", erzählt sie. Als sie ihre Ausbildung beendet hatte, war das kommunistische Regime nicht mehr. "Alles hat sich geändert. Und ich habe gemerkt, dass für uns gar nichts in irgendwelchen Büchern geschrieben stand." Die Berufswahl zur Musiklehrerin erschien ihr plötzlich nicht mehr als clevere Entscheidung. "Die Menschen haben Hunger, und ich gebe ihnen Musik", sagt sie und lacht wieder. "Nur die Schauspielerei wäre noch brotloser gewesen."
Während einer Europareise 1994 überredete eine Freundin sie, mit nach Namibia zu reisen. Da sah sie zum ersten Mal, von den Windhoeker Bergen aus, den Sonnenuntergang. "Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich denke, das war es", sagt Polina als Erklärung für ihr Bleiben in Afrika. Inzwischen fühlt sie sich als Namibierin. "Wenn ich in Europa bin", sagt sie, "will ich jedem entgegenrufen: 'Ich komme aus Afrika!'"
Dabei gibt es manches, was ihr am Leben in Namibia weniger gut gefällt. Vor allem eines: Dass es sich jeder in seiner Berufsnische so gemütlich macht, dass Ehrgeiz und das Streben nach Höherem, Besserem, verloren gehen. Loubnina zählt sich dazu. "Ich bin groß rausgekommen in der Wüste!", sagt sie lachend. "Aber was bedeutet das schon woanders?"
Aber vielleicht macht das gar nichts, fügt sie nach längerem Überlegen hinzu. Vielleicht reicht es, in der Wüste groß rauszukommen, vielleicht ist es diese kleine Welt, die die Menschen in Namibia so glücklich macht - sie inklusive.
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Allgemeine Zeitung
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