Hat Namibia seine Chancen genutzt? Eine Bilanz 3/5
Einem Neuankömmling in Namibia fällt rasch das überaus kritische und ein wenig schizophrene Verhältnis ,der Namibier' (hier bewusst verallgemeinernd formuliert) zu ihrem Land auf. Auf der einen Seite sind Namibier durchweg ,proud to be Namibian' und kaum einer möchte auf Dauer woanders leben. Auf der anderen Seite werden die Miss-Stände im Land oft dermaßen schonungslos kritisiert, dass man glauben könnte, das Land vereine die schlechtesten Eigenschaften von Nordkorea, dem Iran und Afghanistan. Beispiel gefällig?
"The net-result of this all is our heavily crippled society of today, is the magnitude of poor and hungry people. The net-result of our doing is some 'fat cats' occupying the very top of this society, them and the Chinese getting it all. It seems to be a poor result after more than two decades of sovereignty; after keeping inferiority in power for 22 years."
(Auszug aus einem Leserbrief an The Namibian, 23.03.2012)
Das Einerseits und Andererseits
Auch die Presse nimmt kein Blatt vor den Mund. Speziell die Kolumnen im Namibian (Kaure, Hengari) aber auch viele Kommentare in der AZ kritisieren Missstände und die Arbeit der Regierung oft mit einer Schärfe, die überrascht. Angesichts eines insgesamt recht gut funktionierenden Landes fragt man sich: "Ist diese harte Kritik berechtigt?"
Schauen wir auf die Fakten! Auch hier gibt es natürlich wieder ein ,Einerseits' und ein ,Andererseits'! Unter ,Einerseits' findet man all die sozialen und politischen Missstände, die Namibias Bürger, Medien und NGOs zu Recht anprangern. Vor allem Henning Melber, der deutsch-namibische Direktor der Dag Hammarskjöld Foundation, legt mit seinen zahlreichen Artikeln und Kommentaren immer wieder schonungslos den Finger in die offene Wunde und weist auf eklatante Defizite hin: Armut, Arbeitslosigkeit, enorme Einkommensunterschiede, politische Arroganz und fehlendes Demokratieverständnis der Regierungspartei, Korruption und Inkompetenz in der Administration und Parastatals (Staatsunternehmen, um nur einige seiner Kritikpunkte zu nennen.
Gut eingestuft
Neben diesem (durchaus gravierenden) 'Einerseits' gibt aber auch ein beeindruckendes 'Andererseits'! Namibia hat sich - bei all seinen Fehlern - in diesen 22 Jahren Unabhängigkeit zu einem der freiesten Länder der Erde entwickelt. Internationale Rankings bestätigen, dass Namibias Bürger ein Höchstmaß an persönlicher und politischer Freiheit genießen. Im 2011er Freedom-Ranking der Organisation Country Watch (s. Tabelle 1) wird Namibia nur eine Stufe schlechter als Deutschland oder die USA beurteilt, aber besser als Botswana, das allgemein als Musterland im südlichen Afrika gilt und weit besser als Sambia, Simbabwe und Angola.
In der Pressefreiheit steht Namibia (von 173 bewerteten Ländern) seit kurzem an erster (!) Stelle in Afrika und an 20. Stelle weltweit. Laut aktueller Rangliste der Organisation Reporter ohne Grenzen liegt Namibia damit nur vier Plätze hinter Deutschland (Platz 16), vor Großbritannien (28), Frankreich (38), Spanien (39), den USA (47) und weit vor seinen Nachbarn Südafrika (38), Sambia (53) und Botsuana (62), von Simbabwe (117) und Angola (132) ganz zu schweigen (vgl. http://www.reporter-ohne-grenzen.de).
Auch bei der Korruption steht Namibia im internationalen Vergleich besser da, als man dies vermuten würde (s. Tabelle 2). Transparency International bewertet Namibia im Corruption Perception Index 2011 zwar schlechter als Botswana, aber Namibia liegt in Afrika immerhin an 6. Stelle. Die Korruption in Namibia ist damit deutlich geringer als in seinen übrigen Nachbarländern und sogar geringer als in einigen westeuropäischen Staaten (z.B. Italien, Griechenland). Das gute Ergebnis ist sicher auch auf die Einführung der Anti-Corruption Commission (ACC) zurückzuführen, einer Institution, die es in dieser Form wohl nur in wenigen anderen Ländern gibt.
Exekutive kontrolliert Legislative
Wie aber sieht es mit Parlament, Wahlen und Parteien aus? Die SWAPO-Regierung hat infolge ihrer Dreiviertelmehrheit im Parlament seit 1994 praktisch einen politischen ,Blankoscheck' und kann im Prinzip jede ihr notwendig erscheinende Maßnahme durchsetzen, auch Änderungen der Verfassung. Hinzu kommt, dass die über 40 Regierungsmitglieder gleichzeitig die Mehrheit im Parlament bilden. Damit kontrolliert die Exekutive auch die Legislative, die Regierung kontrolliert sich also gewissermaßen selbst! Trotz dieser Machtfülle hat die Regierung jedoch bisher (weitgehend) der Versuchung widerstanden, die Spielregeln zu ihrem Vorteil zu ändern.
Auch die Handlungsspielräume innerhalb der bestehenden Verfassung wurden bisher längst nicht so ausgeschöpft, wie dies manche befürchtet hatten. So wurde Artikel 16 Absatz 2 der Verfassung, der Landenteignung ,in the public interest' ermöglicht, bisher kaum angewendet. Die gelegentlichen rhetorischen ,Ausraster' einzelner SWAPO-Hardliner stehen in einem bemerkenswerten Gegensatz zum politischen Tagesgeschäft, wo in aller Regel mit ruhiger Hand und durchaus pragmatisch agiert wird. Miss-Stände im Lande (und im Regierungsapparat) werden dabei von (manchen) Regierungsmitgliedern durchaus offen angesprochen, man denke etwa an entsprechende Äußerungen von Präsident Pohamba, Premierminister Angula oder auch Bildungsminister Iyambo.
Gegengewichte zur Regierung
Ein erhebliches Manko der politischen Entwicklung in Namibia ist sicher, dass die parlamentarische Opposition praktisch wirkungslos ist. Dies kann man jedoch nicht der SWAPO anlasten, vielmehr müssen sich die Oppositionsparteien fragen lassen, warum sie es in 22 Jahren nicht geschafft haben, eine für die Wähler attraktive Alternative zur SWAPO aufzubauen.
In Ermangelung einer (wirksamen) parlamentarischen Opposition erfolgt die Kontrolle der Regierung in Namibia de facto außerparlamentarisch. Debatten über wichtige Fragen werden zunehmend außerhalb des Parlaments geführt, angestoßen von NGOs (nichtstaatliche Organisationen und Think Tanks wie LAC (Zentrum für Rechtsbeistand), LARRI (Arbeitsforschungsinstitut), IPPR (Institut für Politforschung), NID (Namibisches Institut für Demokratie) etc. und natürlich von der Presse. Die NGOs in Namibia decken mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten dabei die gesamte Bandbreite gesellschaftlicher Themen ab; sie arbeiten professionell und treten politisch ausgesprochen selbstbewusst auf. Zusammen mit den Printmedien haben sie so einen erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung, tragen wichtige Themen in die Öffentlichkeit und stellen ein nicht zu unterschätzendes Gegengewicht zur Regierung in einem de facto Ein-Parteien-Staat dar. Die positive Entwicklung dieser NGO-Landschaft und die freie Presse gehören damit sicherlich zu Namibias wichtigsten Errungenschaften seit der Unabhängigkeit.
Urteile gegen Regierung
Während die Legislative von der Exekutive komplett dominiert und damit ausgehebelt wird, macht die dritte Säule der Demokratie, die Judikative, eine recht gute Figur, jedenfalls im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit (nicht unbedingt was Effizienz anbetrifft). Trotz sicher häufig starken politischen Drucks hat sich die Judikative ihre Unabhängigkeit bewahrt, was sich u.a. darin zeigt, dass die Gerichte in schöner Regelmäßigkeit Urteile auch gegen den Regierungsapparat fällen.
Anlässlich des 22. Unabhängigkeitstages muss aber natürlich auch an den friedlichen Machtwechsel 1990 erinnert werden, mit dem sich Namibia seinerzeit internationale Bewunderung und Respekt verdiente. Gleiches gilt für die innerhalb kürzester Zeit im breiten Konsens geschaffene Verfassung, die allgemein als eine besten und modernsten der Welt gilt.
Nach drei Amtsperioden Nujomas brachte der Präsidentenwechsel 2005 nicht die politische Instabilität, die manche befürchtet hatten. Präsident Pohamba emanzipierte sich überraschend schnell von seinem Vorgänger und regiert das Land seit nun sieben Jahren ausgleichend und ,mit ruhiger Hand'. Der Präsident hat sich damit inzwischen beträchtliches Ansehent in der Bevölkerung erarbeitet. Laut Afrobarometer-Umfrage vertrauen 60% der Namibier dem Präsidenten "a lot", 21% "somewhat" und nur insgesamt 17% "just a little" bzw. "not at all" (Afrobarometer (2009): Summary of all Round 4 Results for Namibia. http://www.afrobarometer.org/). Unterm Strich kann sich Namibia zugutehalten, dass es seit mehr als zwei Jahrzehnten frei gewählte Regierungen hat und (abgesehen vom kurzen Caprivi-Aufstand 1999) eine bemerkenswerte innen- und außenpolitische Stabilität genießt. Nur wenige Länder Afrikas können Ähnliches von sich behaupten!
Zwischenfazit ,Politik und Zivilgesellschaft'
Blickt man auf die Entwicklung Namibias zurück, dann gibt es sicher "Licht und Schatten" (siehe Melber (2010): Licht und Schatten. Eine bilanzierende Rückschau. AZ-Sonderbeilage 19.03.2010). Im sozialen Bereich, auf den noch näher eingegangen wird, überwiegen die Schatten deutlich. Bei der politischen Entwicklung und beim Aufbau der Zivilgesellschaft gibt es jedoch auch sehr viel Licht, vorausgesetzt man betrachtet die Entwicklung nicht aus der nationalen ,Froschperspektive' sondern im internationalen Vergleich.
Das Problem ist, dass das erreichte hohe Maß an politischer und persönlicher Freiheit dem armen (und damit größeren) Teil der Bevölkerung nur eingeschränkt nutzt, solange dieser nicht auch ein gesichertes Auskommen hat:
"... as a nation we cannot stay at independence because independence doesn't put food on my table, doesn't pay my rent, doesn't pay for education for my children and above all I can breathe without independence."
(Auszug aus einer SMS an The Namibian, 20.03.2012)
Die (zahlreichen) Armen in Namibias Gesellschaft haben also sicher durchaus berechtigten Grund zur Klage. Die wirtschaftlich gut abgesicherte Oberschicht Namibias sollte sich hingegen fragen, ob sie mit ihrer oft heftigen Kritik am eigenen Land nicht gelegentlich auf ziemlich hohem Niveau jammert.
(Die Tabellen zum zweiten Beitrag in der Serie, vom 28. März 2012, sind im PDF-Format unter dem Artikel auf der AZ-Internetseite erschienen.)
Der Autor
Dr. Thomas Christiansen ist Akademischer Rat am Institut für Geographie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Von 2006 bis 2009 war er als Professor für Land Management am Department of Land Management des Polytechnic of Namibia tätig; der Autor verfügt über langjährige Berufserfahrung in der Entwicklungs-zusammenarbeit. Dieser Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar. Die präsentierten Informationen basieren im Wesentlichen auf einer Studie, die unter dem Titel Assessing Namibia's Performance Two Decades After Independence demnächst im Journal of Namibian Studies (http://www.namibian-studies.com/) veröffentlicht wird.
Kommentare sind willkommen (Email: [email protected])
Lesen: Christiansen Tab 1">
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"The net-result of this all is our heavily crippled society of today, is the magnitude of poor and hungry people. The net-result of our doing is some 'fat cats' occupying the very top of this society, them and the Chinese getting it all. It seems to be a poor result after more than two decades of sovereignty; after keeping inferiority in power for 22 years."
(Auszug aus einem Leserbrief an The Namibian, 23.03.2012)
Das Einerseits und Andererseits
Auch die Presse nimmt kein Blatt vor den Mund. Speziell die Kolumnen im Namibian (Kaure, Hengari) aber auch viele Kommentare in der AZ kritisieren Missstände und die Arbeit der Regierung oft mit einer Schärfe, die überrascht. Angesichts eines insgesamt recht gut funktionierenden Landes fragt man sich: "Ist diese harte Kritik berechtigt?"
Schauen wir auf die Fakten! Auch hier gibt es natürlich wieder ein ,Einerseits' und ein ,Andererseits'! Unter ,Einerseits' findet man all die sozialen und politischen Missstände, die Namibias Bürger, Medien und NGOs zu Recht anprangern. Vor allem Henning Melber, der deutsch-namibische Direktor der Dag Hammarskjöld Foundation, legt mit seinen zahlreichen Artikeln und Kommentaren immer wieder schonungslos den Finger in die offene Wunde und weist auf eklatante Defizite hin: Armut, Arbeitslosigkeit, enorme Einkommensunterschiede, politische Arroganz und fehlendes Demokratieverständnis der Regierungspartei, Korruption und Inkompetenz in der Administration und Parastatals (Staatsunternehmen, um nur einige seiner Kritikpunkte zu nennen.
Gut eingestuft
Neben diesem (durchaus gravierenden) 'Einerseits' gibt aber auch ein beeindruckendes 'Andererseits'! Namibia hat sich - bei all seinen Fehlern - in diesen 22 Jahren Unabhängigkeit zu einem der freiesten Länder der Erde entwickelt. Internationale Rankings bestätigen, dass Namibias Bürger ein Höchstmaß an persönlicher und politischer Freiheit genießen. Im 2011er Freedom-Ranking der Organisation Country Watch (s. Tabelle 1) wird Namibia nur eine Stufe schlechter als Deutschland oder die USA beurteilt, aber besser als Botswana, das allgemein als Musterland im südlichen Afrika gilt und weit besser als Sambia, Simbabwe und Angola.
In der Pressefreiheit steht Namibia (von 173 bewerteten Ländern) seit kurzem an erster (!) Stelle in Afrika und an 20. Stelle weltweit. Laut aktueller Rangliste der Organisation Reporter ohne Grenzen liegt Namibia damit nur vier Plätze hinter Deutschland (Platz 16), vor Großbritannien (28), Frankreich (38), Spanien (39), den USA (47) und weit vor seinen Nachbarn Südafrika (38), Sambia (53) und Botsuana (62), von Simbabwe (117) und Angola (132) ganz zu schweigen (vgl. http://www.reporter-ohne-grenzen.de).
Auch bei der Korruption steht Namibia im internationalen Vergleich besser da, als man dies vermuten würde (s. Tabelle 2). Transparency International bewertet Namibia im Corruption Perception Index 2011 zwar schlechter als Botswana, aber Namibia liegt in Afrika immerhin an 6. Stelle. Die Korruption in Namibia ist damit deutlich geringer als in seinen übrigen Nachbarländern und sogar geringer als in einigen westeuropäischen Staaten (z.B. Italien, Griechenland). Das gute Ergebnis ist sicher auch auf die Einführung der Anti-Corruption Commission (ACC) zurückzuführen, einer Institution, die es in dieser Form wohl nur in wenigen anderen Ländern gibt.
Exekutive kontrolliert Legislative
Wie aber sieht es mit Parlament, Wahlen und Parteien aus? Die SWAPO-Regierung hat infolge ihrer Dreiviertelmehrheit im Parlament seit 1994 praktisch einen politischen ,Blankoscheck' und kann im Prinzip jede ihr notwendig erscheinende Maßnahme durchsetzen, auch Änderungen der Verfassung. Hinzu kommt, dass die über 40 Regierungsmitglieder gleichzeitig die Mehrheit im Parlament bilden. Damit kontrolliert die Exekutive auch die Legislative, die Regierung kontrolliert sich also gewissermaßen selbst! Trotz dieser Machtfülle hat die Regierung jedoch bisher (weitgehend) der Versuchung widerstanden, die Spielregeln zu ihrem Vorteil zu ändern.
Auch die Handlungsspielräume innerhalb der bestehenden Verfassung wurden bisher längst nicht so ausgeschöpft, wie dies manche befürchtet hatten. So wurde Artikel 16 Absatz 2 der Verfassung, der Landenteignung ,in the public interest' ermöglicht, bisher kaum angewendet. Die gelegentlichen rhetorischen ,Ausraster' einzelner SWAPO-Hardliner stehen in einem bemerkenswerten Gegensatz zum politischen Tagesgeschäft, wo in aller Regel mit ruhiger Hand und durchaus pragmatisch agiert wird. Miss-Stände im Lande (und im Regierungsapparat) werden dabei von (manchen) Regierungsmitgliedern durchaus offen angesprochen, man denke etwa an entsprechende Äußerungen von Präsident Pohamba, Premierminister Angula oder auch Bildungsminister Iyambo.
Gegengewichte zur Regierung
Ein erhebliches Manko der politischen Entwicklung in Namibia ist sicher, dass die parlamentarische Opposition praktisch wirkungslos ist. Dies kann man jedoch nicht der SWAPO anlasten, vielmehr müssen sich die Oppositionsparteien fragen lassen, warum sie es in 22 Jahren nicht geschafft haben, eine für die Wähler attraktive Alternative zur SWAPO aufzubauen.
In Ermangelung einer (wirksamen) parlamentarischen Opposition erfolgt die Kontrolle der Regierung in Namibia de facto außerparlamentarisch. Debatten über wichtige Fragen werden zunehmend außerhalb des Parlaments geführt, angestoßen von NGOs (nichtstaatliche Organisationen und Think Tanks wie LAC (Zentrum für Rechtsbeistand), LARRI (Arbeitsforschungsinstitut), IPPR (Institut für Politforschung), NID (Namibisches Institut für Demokratie) etc. und natürlich von der Presse. Die NGOs in Namibia decken mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten dabei die gesamte Bandbreite gesellschaftlicher Themen ab; sie arbeiten professionell und treten politisch ausgesprochen selbstbewusst auf. Zusammen mit den Printmedien haben sie so einen erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung, tragen wichtige Themen in die Öffentlichkeit und stellen ein nicht zu unterschätzendes Gegengewicht zur Regierung in einem de facto Ein-Parteien-Staat dar. Die positive Entwicklung dieser NGO-Landschaft und die freie Presse gehören damit sicherlich zu Namibias wichtigsten Errungenschaften seit der Unabhängigkeit.
Urteile gegen Regierung
Während die Legislative von der Exekutive komplett dominiert und damit ausgehebelt wird, macht die dritte Säule der Demokratie, die Judikative, eine recht gute Figur, jedenfalls im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit (nicht unbedingt was Effizienz anbetrifft). Trotz sicher häufig starken politischen Drucks hat sich die Judikative ihre Unabhängigkeit bewahrt, was sich u.a. darin zeigt, dass die Gerichte in schöner Regelmäßigkeit Urteile auch gegen den Regierungsapparat fällen.
Anlässlich des 22. Unabhängigkeitstages muss aber natürlich auch an den friedlichen Machtwechsel 1990 erinnert werden, mit dem sich Namibia seinerzeit internationale Bewunderung und Respekt verdiente. Gleiches gilt für die innerhalb kürzester Zeit im breiten Konsens geschaffene Verfassung, die allgemein als eine besten und modernsten der Welt gilt.
Nach drei Amtsperioden Nujomas brachte der Präsidentenwechsel 2005 nicht die politische Instabilität, die manche befürchtet hatten. Präsident Pohamba emanzipierte sich überraschend schnell von seinem Vorgänger und regiert das Land seit nun sieben Jahren ausgleichend und ,mit ruhiger Hand'. Der Präsident hat sich damit inzwischen beträchtliches Ansehent in der Bevölkerung erarbeitet. Laut Afrobarometer-Umfrage vertrauen 60% der Namibier dem Präsidenten "a lot", 21% "somewhat" und nur insgesamt 17% "just a little" bzw. "not at all" (Afrobarometer (2009): Summary of all Round 4 Results for Namibia. http://www.afrobarometer.org/). Unterm Strich kann sich Namibia zugutehalten, dass es seit mehr als zwei Jahrzehnten frei gewählte Regierungen hat und (abgesehen vom kurzen Caprivi-Aufstand 1999) eine bemerkenswerte innen- und außenpolitische Stabilität genießt. Nur wenige Länder Afrikas können Ähnliches von sich behaupten!
Zwischenfazit ,Politik und Zivilgesellschaft'
Blickt man auf die Entwicklung Namibias zurück, dann gibt es sicher "Licht und Schatten" (siehe Melber (2010): Licht und Schatten. Eine bilanzierende Rückschau. AZ-Sonderbeilage 19.03.2010). Im sozialen Bereich, auf den noch näher eingegangen wird, überwiegen die Schatten deutlich. Bei der politischen Entwicklung und beim Aufbau der Zivilgesellschaft gibt es jedoch auch sehr viel Licht, vorausgesetzt man betrachtet die Entwicklung nicht aus der nationalen ,Froschperspektive' sondern im internationalen Vergleich.
Das Problem ist, dass das erreichte hohe Maß an politischer und persönlicher Freiheit dem armen (und damit größeren) Teil der Bevölkerung nur eingeschränkt nutzt, solange dieser nicht auch ein gesichertes Auskommen hat:
"... as a nation we cannot stay at independence because independence doesn't put food on my table, doesn't pay my rent, doesn't pay for education for my children and above all I can breathe without independence."
(Auszug aus einer SMS an The Namibian, 20.03.2012)
Die (zahlreichen) Armen in Namibias Gesellschaft haben also sicher durchaus berechtigten Grund zur Klage. Die wirtschaftlich gut abgesicherte Oberschicht Namibias sollte sich hingegen fragen, ob sie mit ihrer oft heftigen Kritik am eigenen Land nicht gelegentlich auf ziemlich hohem Niveau jammert.
(Die Tabellen zum zweiten Beitrag in der Serie, vom 28. März 2012, sind im PDF-Format unter dem Artikel auf der AZ-Internetseite erschienen.)
Der Autor
Dr. Thomas Christiansen ist Akademischer Rat am Institut für Geographie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Von 2006 bis 2009 war er als Professor für Land Management am Department of Land Management des Polytechnic of Namibia tätig; der Autor verfügt über langjährige Berufserfahrung in der Entwicklungs-zusammenarbeit. Dieser Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar. Die präsentierten Informationen basieren im Wesentlichen auf einer Studie, die unter dem Titel Assessing Namibia's Performance Two Decades After Independence demnächst im Journal of Namibian Studies (http://www.namibian-studies.com/) veröffentlicht wird.
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Kommentar
Allgemeine Zeitung
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