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Vor 30 Jahren

„Gewinnen, egal wie“: Klinsmann und der besondere WM-Triumph 1990
Stefan Noechel
Die Nockenschuhe Copa Mundial schnürt Jürgen Klinsmann auch 30 Jahre danach noch, wenn er mit seinen Mitstreitern von einst ab und an zu einem Senioren-Match aufläuft. Sein Trikot, das der Stürmer am 8. Juli 1990 beim deutschen 1:0-Endspiel-Triumph in Rom getragen hatte, ist verschollen. Aber die Erinnerung lebt natürlich.

„Wir hatten einen extremen Hunger auf Erfolg, fast schon über der Grenze des Vorstellbaren“, sagte Klinsmann im Interview der Deutschen Presse-Agentur zur Goldenen Fußballer-Generation mit Sturmpartner Rudi Völler, dem Finaltorschützen Andreas Brehme, Antreiber Lothar Matthäus, den Dribblern Thomas „Icke“ Häßler und Pierre Littbarski, den knallharten Verteidigern Guido Buchwald und Jürgen Kohler. „Unser Fokus lag voll und ganz auf Gewinnen, egal wie!“

Mit dieser Einstellung bezwang Deutschland gleich zum Auftakt Jugoslawien 4:1, rang im Achtelfinale nach der Spuckattacke von Frank Rijkaard und Rot auch für den getroffenen Völler die Niederlande 2:1 nieder, bezwang die Engländer im Halbfinale vom Elfmeterpunkt. Und ließ dann Argentinien mit dem großen Diego Maradona keine Chance.

„Vor dem Endspiel habe ich einfach in der Kabine auf Franz Beckenbauer gestarrt und mir gesagt, 'der Franz hat das alles schon erlebt und ist so souverän. Alles wird gut und wir gewinnen das Ding'. Seine Gelassenheit und Ausstrahlung hat uns unendlich viel Selbstvertrauen gegeben“, berichtete Klinsmann über den „Kaiser“, den damaligen Teamchef, als einen der Schlüssel zum Erfolg.

„Alle Deutschen stammen aus derselben Fabrik, vermutlich einem Stahlwerk“, sagte der einstige argentinische Weltmeister-Trainer Cesar Luis Menotti (1978) zum DFB-Team, dem die Revanche für die WM-Finalniederlage 1986 gegen seine Landsleute gelang. Brehme schilderte die wichtigsten Szene seiner Karriere so: „Rudi Völler ist noch zu mir gekommen und hat gesagt: 'So, den machst du jetzt rein, dann sind wir Weltmeister.' 'Na, schönen Dank', antwortete ich.“

Klinsmann sieht den Knackpunkt des 1990-er Turniers schon in „Matthäus‘ Super-Tor“ im ersten Spiel. Auch weil sich die beiden exzentrischen Profis, die sicher keine Freunde waren, in Italien zusammenrauften, gelang der ganz große Wurf. Für viele Experten und Ex-Kollegen hat Klinsmann gegen die Oranjes das Spiel seines Lebens gemacht. „Es war mit Sicherheit sein bestes Länderspiel“, bemerkte der eisenharte Verteidiger Kohler und wundert sich noch immer über Rot für Völler im emotionalen Achtelfinale: „Was der Rudi verbrochen haben soll, habe ich bis heute nicht entdeckt.“

1990 wurde für Schwarz-Rot-Gold zu einem wie in der WM-Hymne von Edoardo Bennato und Gianna Nannini besungenen wundervollen italienischen Sommer („Un'estate italiana“). Auch weil ein halbes Jahr zuvor der Eiserne Vorhang aufgegangen war. „Wir fühlten uns schon ein Stück weit auch verantwortlich für Gesamt-Deutschland“, berichtete Klinsmann drei Jahrzehnte danach. Tausende Fans aus der damals noch existierenden DDR strömten über den Brenner.

„Genau zum Zeitpunkt als die Mauer fiel, hatten wir ja das entscheidende Qualifikationsspiel gegen Wales in Köln, wo uns 'Icke' Häßler mit seinem Treffer zum 2:1 erlöst hat. Von dem Tag an war es die Gesamt-Deutsche-WM für alle!“, sagte der heutige Wahl-Amerikaner Klinsmann: „Ein tolles Gefühl und wir hatten ja dann zudem lauter Heimspiele im San-Siro-Stadion in Mailand.“

Den riesigen Erfolgshunger nach dem Titelgewinn beizubehalten, „war leider nicht mehr möglich“, sagte Klinsmann. Auch wenn Beckenbauer nach dem Finale in Rom verkündet hatte: „Wir sind jetzt schon die Nummer eins in der Welt. Wir werden über Jahre hinaus nicht zu besiegen sein. Das tut mir leid für den Rest der Welt.“ Erst nach den Enttäuschungen bei der EM 1992 und der WM 1994 gab es für Klinsmann und Co. mit dem EM-Titel 1996 unter Bundestrainer Berti Vogts den nächsten großen Triumph.

Klinsmann versuchte später selbst als Bundestrainer, 2006 ein WM-Wunder im eigenen Land zu schaffen. Er sorgte zwar mit für ein unvergessliches Sommermärchen, blieb aber genauso unvollendet wie auf seinen Stationen als Bundesliga-Coach.

Sein unrühmlicher Abgang im Februar diesen Jahres nach seinem Kurzgastspiel bei Hertha BSC tue ihm „sehr leid“, bekannte der 55-Jährige. Die Vorstellungen über seine Rolle beim aufstrebenden Hauptstadtclub akzeptierte die Vereinsführung nicht. „Wir haben es damals in zehn Wochen leider nicht geschafft, zu einer schriftlichen Vereinbarung zu kommen.“ Zudem war ein Katalog über von Klinsmann skizzierte Missstände bei Hertha an die Öffentlichkeit gekommen.

„In der Umsetzung meines Weggangs habe ich sicherlich Fehler gemacht und dafür möchte ich mich nochmals entschuldigen“, erklärte der Wahl-Amerikaner. „Dass anschließend eine Analyse, die ich in meiner Eigenschaft als Berater des Investors für den internen Gebrauch erstellt habe, an die Öffentlichkeit kam, hat allen Beteiligten geschadet. Mir ist heute noch ein Rätsel, wie das an die Medien kam. Aber das ist Vergangenheit. Das Allerwichtigste ist, dass Hertha den Klassenverbleib geschafft hat und in der Bundesliga bleibt.“

Von Jens Mende, dpa

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-24

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