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Hypothesen über kolonialen Ursprung der NS-Ideologie

Die deutsche Kolonialgeschichte in Namibia regt wiederholt Autoren an, Aspekte des Konflikts auszuleuchten. Prof. Gerhard Tötemeyer, Politologe und Verwaltungsexperte, früherer Vizeminister im namibischen Kabinett, hat sich um eines der jüngsten Bücher in diesem Genre bemüht. Hier folgt seine Buchbesprechung: -Zunächst einige Bemerkungen zu einem doch irreführenden Titel, der wahrscheinlich Sensationscharakter reflektieren und zum Lesen animieren soll. Zur Klarheit ist es zu Beginn nötig, die beiden Begriffe Holocaust und Genozid inhaltlich zu definieren.

Holocaust wird im Allgemeinen mit dem Begriff Inferno verbunden. Im Longmans English Larousse Wörterbuch wird Holocaust definiert als die extensive Vernichtung von Menschenleben, vor allem durch Feuer. Dieses war zutreffend in den Konzentrationslagern während der nationalsozialistischen Herrschaft aber nicht während der deutschen Kolonialzeit im ehemaligen Südwestafrika. Man sollte also Verallgemeinerungen vermeiden.
Suche nach kausalem Faden
Genozid heißt die absichtliche Ausrottung einer Rasse oder eines Volkes wie die nationalsozialitische Herrschaft es mit dem jüdischen Volk beabsichtigte. Dieses war nicht die Absicht im kolonialen Südwestafrika, als es unter deutscher Herrschaft stand. Gewalttätige Dezimierung der Herero und Nama fand statt, aber nicht planmäßige und absolute Ausrottung und dass im Sinne des Sozialdarwinismus nur die Starken überleben sollen. So kann man der im Schlussparagraph gemachten Aussage der Autoren, dass es keinen direkten kausalen Faden und Zusammenhang zwischen der Vernichtung (den hier von den Autoren gebrauchten Begriff Genozid lehne ich in diesem Zusammenhang ab) der Herero und Nama und den Verbrechen des Dritten Reiches besteht, zustimmen.
Zur Einführung auch einige Gedanken zu dem häufig gebrauchten Begriff Konzentrationslager im Buch. Das Longmans English Larousse Wörterbuch definiert Konzentrationslager als ein Ort der willkürlichen Inhaftierung, zu dem die Justiz keinen Zugang hat. Hitler erzählt in Mein Kampf, dass er den Begriff Konzentrationslager kennengelernt habe, als er in seiner Jugend die Zeitungsberichte über den Anglo-Burenkrieg las. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren in den südafrikanischen Konzentrationslagern zigtausende Afrikaner (Buren) Frauen und Kinder inhaftiert. 27 000 kamen letzthin in diesen Lagern ums Leben. Sie verhungerten und starben infolge von Entbehrung und Krankheiten, was auch auf die gefangenen Herero und Nama in den Gefangenenlagern im damaligen Südwestafrika zutrifft.
Forcierte Verbindung
Die südafrikanischen Konzentrationslager unterscheiden sich jedoch zu denen der nationalsozialistischen Herrschaft insofern, dass in den letzteren Massentötung geplant war, nicht aber in den südafrikanischen Konzentrationslagern. In der Kolonialzeit war der Auftrag des Kolonialamtes, die inhaftierten Herero und Nama nicht gewollt ums Leben zu bringen, sie wohl aber zur Zwangsarbeit zu gebrauchen, wobei viele aufgrund ihres schwachen Gesundheitszustandes und der Ausmergelung den Tod fanden. Der Ausgang war leider derselbe, ob gewollt oder nicht.
Die Argumentation im Buch, dass der Nationalsozialismus seine möglichen Wurzeln im deutschen Kolonialismus hat, wirkt nicht überzeugend. Zugegeben, es bestehen durchaus anverwandte Werte zwischen den beiden Konzepten aber sie berechtigen nicht zu der Annahme wie sie im Untertitel des Buches reflektiert ist. Die deutsche Kolonialgeschichte mit der des Nationalsozialismus zu verbinden wirkt in dem Buch forciert.
Sozialdarwinismus
Was wohl interessant und lesenswert in dem Buch ist und noch nie in der deutschen Kolonialliteratur so umfangreich betont worden ist, ist die komparative Anwendung des Darwinismus in variierenden Formen in der Kolonialzeit und im Nationalsozialismus. Es ist eine Argumentation mit der man sich offen und kritisch auseinandersetzen sollte.
Charles Robbert Darwins (1809-1882) Theorie der Evolution durch eine von der Natur bestimmten natürlichen Selektion, die das Stärkere fortleben lässt und das Schwache ausmerzt, wurde in der Nazi-Ideologie auf den Menschen angewandt. In ihr wurde es auf mehrwertige (ausgewählte) und minderwertige (auszumerzende) Rassen bezogen, die die Natur angeblich hervorbringt.
Darwin hatte den Auswahlprozess im Daseinskampf als tragendes Prinzip des Lebens erklärt. Ihm zufolge würden nur die Befähigsten den Daseinskampf überleben, sich zu höheren Wesen entwickeln und sich dementsprechend fortpflanzen. Das Auswahlprinzip stand im Mittelpunt der Lehre Darwins. Dieses Prinzip machte sich der Nationalsozialismus zu eigen und wandte es auf die Selektion der Befähigsten an. Diese sollten die reine oder auch gesäuberte Rasse, sprich arische Rasse, hervorbringen.
Im Nationalsozialismus bezog sich der Sozialdarwinismus ausschließlich auf den Menschen. In dieser Anwendung waren die Nationalsozialisten nicht die ersten. Schon im 19. Jahrhundert gab es Sozialdarwinisten wie Wilhelm Schallmeyer, Alfred Ploets, Otto Ammon, Alexander Tille und John Henry Berry Haycraft. Die genannten Rassentheorektiker spitzten sich auf die Anwendung des Sozialdarwinismus auf Menschen und Rassen zu. Sozialdarwinimus war also kein origineller Theoriebegriff Hitlers.
Differenzierung fehlt
In Hitlers Buch ,Mein Kampf' wird es deutlich, wie stark ein vulgär Darwinistischer Monismus den geistlichen Horizont der Naziideologie prägte. Hitler gebrauchte auch andere Begriffe wie ,Aufnordung' womit er die Schaffung eines Edelmenschen und einer neuen (arischen) Elite meinte. Das hatte er bereits schon in vielen Ansprachen vor seiner Amtsübernahme angedeutet.
Die Argumentation der beiden Autoren über den Einfluss des Sozialdarwinismus auf die nationalsozialistische Ideologie und ihre Durchführung ist akzeptabel, wobei die Argumentation über den Einfluss des Sozialdarwinismus auf die offizielle deutsche Kolonialpolitik nicht überzeugend wirkt. Das Manko in der Argumentation liegt darin, dass im ,Kaisers Holocaust' der Begriff NEO-Sozialdarwinismus nicht von den Autoren angewandt wird, der sich insofern vom Sozialdarwinismus unterscheidet, als dass er das Recht einräumt in die Natur einzugreifen.
So nahmen sich Vertreter der NS-Ideologie das Recht zu bestimmen, wer als 'minderwertig' einzustufen ist. Das bezog sich ausschließlich auf Menschen, derer man sich entledigen wollte wie Juden, Zigeuner und Geisteskranke. Die Konsequenz des Neo-Sozialdarwinismus war, Menschen durch verschiedene Methoden (z.B. Genozide, Euthanasie) auszumerzen. Während im Sozialdarwinimus noch die natürliche und naturbezogene Selektion betont wurde, nahm sich der Neo-Sozialdarwinismus das Recht zu selektieren, also in die Natur einzugreifen und zu vernichten, was als minderwertig identifiziert wurde.
Diese wichtige Differenzierung zwischen Sozialdarwinismus und Neo-Sozialdarwinimus fehlt im Buch und schwächt die Argumentation der Autoren zum Sozialdarwinismus und seiner Anwendung in der deutschen Kolonialzeit und im Nationalsozialismus.

Es gibt auch andere anfechtbare Aussagen wie auf Seite 73, dass "the eradication of indigenous tribes became a symbol of modernity" . So auch hinkt der mögliche Vergleich zwischen der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission mit dem Nürnberger Prozess. Wahrscheinlich haben die Autoren nicht das maßgebende Buch von Telford Taylor, dem amerikanischen Hauptankläger im Nürnberger Prozess ( Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht. Wilhelm Heyne Verlag, 1994) zu Rate gezogen und auch nicht maßgebende Literatur zur südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission intensiv studiert.
Der Ausdruck deutsche Rasse, wie von den Autoren benutzt, war nicht geläufig in der nationalsozialistischen Ideologie. Es dominierte der Begriff arische Rasse. So auch lassen die Autoren es nach, einen deutlichen Unterschied zwischen Rassismus und Ethnozentrismus zu machen. Die im Buch angedeutete Aversion zwischen Polen und Deutschen war nicht rassistisch sondern ethnisch bedingt.
Es gibt auch andere Ungenauigkeiten im Buch. Naturvolk mit "natural people" zu übersetzen (Seite 91) ist nicht akzeptabel. Naturvolk hat eine andere Bedeutung. Rinderpest war nicht wie die Autoren beschreiben (Seite98) ein Begriff, den die "Buren" geprägt haben, sondern stammt aus dem deutschen Sprachgebrauch. Aufklärungspatrouillen können nicht einfach mit "Cleansing Patrols'"(seite151), also Säuberungspatrouillen, übersetzt werden. Es gibt noch mehrere andere Ungenauigkeiten. Faktenfehler jedoch halten sich in Grenzen.
Von Trothas berüchtigter und umstrittener Befehl die Herero auszumerzen, war eine eigenmächtige militär-politische Entscheidung und nicht Teil der offiziellen deutschen Kolonialpolitik. Die Autoren neigen mehrmals im Buch dazu, bestimmte Aussagen und Vorkommnisse zu verallgemeinern und nicht zu verifizieren. Das tut dem wissenschaftlichen Inhalt Abbruch.

Sprachfehler
An Sprachfehlern mangelt es nicht im Buch. So zum Beispiel: anstatt Rhine Mission (Seite34) müsste es Rhenish Mission heißen. Es kommen auch andere Ungenauigkeiten vor. Gab es 1880 (Seite34) schon einen Westdeutsch(en) Verein für Kolonisation und Export in Deutschland?
Rechtschreibefehler kommen häufig vor, besonders wenn es sich um deutsche Wörter, Namen und Begriffe handelt. Allein in den Fußnoten habe ich zwanzig Rechtschreibefehler im deutschen Sprachgebrauch festgestellt. Andere orthographische Fehler lassen vermuten, dass das Buch nicht ausreichend orthographisch versorgt worden ist.
Zum Schluss noch die Bemerkung, dass die auf Seite 293 getätigte Annahme, dass Hitler sehr belesen war und von vielen Philosophen und Rassentheoretikern beeinflusst worden war, nicht der Realität entspricht. Dieses stellte ich fest während der Forschung zu meiner Magisterarbeit über das antisemitische Denken Adolf Hitlers bis 1933: Inhalt und Ursprung.
Seit 1990 sind eine ganze Reihe Bücher erschienen über die Herero- und Namakriege im frühen 20. Jahrhundert. Caspers und Erichsens Buch ist eine neue Hinzufügung. Trotz meiner kritischen Bemerkungen meine ich doch, dass es lesenswert ist und neues Wissen vermittelt. Es ist herausfordernd, kontrovers in manchen der Aussagen und Thesen, aber es bemüht sich historisch korrekt zu sein.

Prof. Gerhard Tötemeyer

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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