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Ich sehe was, was du nicht siehst...

Ein weißer Plastikgartenstuhl auf dem ein Paar schwarze Hände ruhen. Auf den ersten Blick scheint das Foto harmlos und schön anzusehen: Ein gefälliger Farbkontrast, eine stimmige Aufteilung, eine witzige Idee. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass die rechte Hand breiter als die Linke ist, und eine Reihe kleiner Narben aufweist. Das ganze Schicksal hinter diesem Bild begreift man erst durch die Erzählungen seines jungen Fotografen. "Ich wollte mit dieser Aufnahme die Spuren zeigen, die der Krieg auf dem Körper meiner Mutter hinterlassen hat", erklärt der Siebzehnjährige Mazimpaka Masudi aus Ruanda.

Der Unfall geschah Ende der Neunziger, die Eltern waren auf der Flucht vor den grausamen Konflikten in ihrem Heimatland, die Mutter nervös und fahrig. Als sie auf einem Zwischenstopp in aller Eile ein wenig Wasser für die Familie aufkochen wollte, stieß sie an den heißen Kessel und verbrühte sich schwer. Fast hätte sie durch das Missgeschick den gesamten Arm verloren und es dauerte Monate, bis sich die Hand zumindest äußerlich wieder einigermaßen erholt hatte. Die Folgen dieses Zwischenfalls bekommt Mazimpaka als Ältester von vier Geschwistern noch heute täglich zu spüren. "Meine Mutter ist sehr schwach und oft krank, sie kann nichts Schweres tragen oder handarbeiten. Deshalb braucht sie bei vielen Dingen meine Unterstützung."

Vor Ausbruch des Krieges hatte die zierliche Frau einen sicheren Job als Bankangestellte, ihr Mann Abubakar war in seiner Heimatstadt ein angesehener Kleinunternehmer: Erinnerungen an eine vergangene Familienidylle, die Mazimpka und seine Geschwister nur noch aus Erzählungen kennen. Heute lebt die Familie in einer Hütte von kaum dreißig Quadratmetern - und dennoch ist Mazimpaka dankbar für alles, was ihm geblieben ist. "Zumindest in Sicherheit" sei er hier in Osire, und zur Schule gehen dürfe er auch. Wenn er die beendet hat, möchte er studieren, "und dann anderen Menschen helfen, denen es noch schlechter geht als mir." Eine Geschichte von Tausenden hier im Camp. Alle irgendwie ähnlich, und doch so verschieden.

Das vom britischen Fotokünstler Brandon Bannon und dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, dem UNHCR, initiierte Fotoprojekt "Do you see what I see" gibt den Kindern von Osire die Gelegenheit, zumindest einige der Schicksale aus ihrer Mitte einzufangen und für die Außenwelt fotografisch aufzubereiten. Fast 8000 Flüchtlinge leben zurzeit in dem einzigen Flüchtlingslager Namibias, die meisten von ihnen aus Angola und der Demokratischen Republik Kongo. Während eines vierzehntägigen Workshops im vergangenen Jahr erhielten die zwölf auserwählten Nachwuchsfotografen nicht nur mehrere Einwegkameras, sondern auch eine Einführung in die Grundtechniken des Fotografierens. Kamerabedienung, Bildaufteilung und Motivauswahl standen ebenso auf dem Lehrplan wie ein Überblick zu Geschichte und Ethik der Fotografie.

Der aus der Demokratischen Republik Kongo stammende Cadet Lukambom ist seit 2003 Betreuer des "Osire Boys and Girls Club" und war während des Fotoprojekts als Assistent und Übersetzer für Bannon tätig. "Für die Kinder war dieses Projekt etwas ganz Großes", erinnert sich der Zweiunddreißigjährige. Schon allein die Tatsache, aus den über 800 Mitgliedern des Jugendclubs für den Workshop ausgewählt zu werden, sei für die Zehn- bis Zwanzigjährigen "eine Prämie" gewesen. "Durch die Teilnahme haben sie zum ersten Mal seit Jahren so etwas wie Wertschätzung ihrer Persönlichkeit erfahren. Sie mussten sich nicht mehr als vergessen und ausgeschlossen hier im Lager fühlen, die Fotos waren ein Signal, dass es da draußen noch eine Welt gibt, die Interesse an ihnen hat und die sie braucht."

Angeleitet vom Künstler und seinem Assistenten sollten sich die jungen Menschen bewusst machen, was es bedeutet, ein Flüchtling zu sein und sich so intensiver mit ihrem Leben und der Zukunft auseinandersetzen. Fotografisch nachgestellt werden sollten etwa Themen wie "meine Familie", "Krieg und Flucht", "meine Träume" oder "die Gemeinschaft, in der ich lebe." Entstanden sind so bewegende Alben, in denen die Kinder zu jedem der Fotos eine kurze Geschichte verfasst und anschließend die interessantesten Motive für die Ausstellung in Windhoek ausgewählt haben. "Als ein Flüchtling bin ich Opfer von Gewalt und Diskriminierung. Doch was kann ich tun, soll ich mich umbringen oder einfach versuchen, alles auszuhalten?" steht in Mazimpakas Album neben der Porträtserie seiner Familie.

Für viele der Jugendlichen war es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie eine Kamera in den Händen hielten. Vielleicht ist es das, was ihre Bilder so ergreifend macht. Nicht beschönigend, sondern unverstellt und direkt zeigen sie das Leben im Flüchtlingscamp aus der ungewöhnlichen Perspektive des kindlichen Blickes. "Ich habe die Armen und Kranken in unserem Krankenhaus fotografiert, damit alle sehen können, wie schlecht es den Leuten hier geht", erzählt die elfjährige Ishimwe Mireille aus Ruanda. "Und ich glaube, die haben sich darüber gefreut, weil sie doch sonst den ganzen Tag alleine sind", fügt sie mit einem schüchternen Lächeln hinzu.

Doch auch humorvolle Schnappschüsse sind unter den Aufnahmen. Kleine Geschwister beim Spielen, Mütter beim Brot backen oder eifrige Schulkinder, die in der einsamen Savannenlandschaft konzentriert über ihren Büchern hocken. "Das ist ganz typisch für das Camp", erklärt der dreizehnjährige Lionel Dollar aus Burundi. "In unseren Häusern ist es zu eng, zu laut und zu dunkel, um zu lernen, also gehen wir hinaus in den Busch."

"Schauen lernen" sollen die Betrachter durch die Ausstellung in der Nationalgalerie, so die Initiatoren. Die kleinen Kunstwerke aus Osire bieten hierzu sicherlich eine gute Möglichkeit. Anstoß genug jedenfalls bieten sie, unsere Mitmenschen und unsere Umwelt genauer wahrzunehmen, über das Schicksal anderer nachzudenken, und Gegebenes nicht einfach als gegeben zu akzeptieren. Doch egal, welche Assoziationen die Fotos bei den Ausstellungsbesuchern hervorrufen, die Kinder sind über die Veranstaltung vor allem eines: stolz. Und gefragt nach ihrem Berufswunsch lautet die Antwort fast einhellig: "Fotograf!"

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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