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Identität in drei Akten

Praktikant Praktikant
Von Thomas Haslböck, Windhoek

Es ist aufgetischt. Farmer Lothar Brockwiegel tritt vor seine Gäste und bittet sie an die reich gedeckte Tafel. 30 Menschen nehmen auf dunklen, knarrenden Stühlen Platz. Geweihe und alte Bilder schmücken die Wände – auf den schwarz-weißen Fotos sind auch Brockwiegels Vorfahren zu sehen. Seit fünf Generationen befindet sich die Farm in Familienbesitz. Den Gastgeber macht das stolz, wie seine Gäste schnell merken. Kaum haben sie sich gesetzt, gerät Brockwiegel schon ins Schwärmen. Er erzählt, wie Menschen seines Schlages das wilde Land gezähmt und urbar gemacht haben. Und er erzählt von seinem Großvater, der noch Anerkennung für das bekommen hat, was er hier in Afrika geleistet hat. Ja, sein Großvater… „Selbst muss man sich als Weißer ja kritisch beäugen lassen“, knurrt Brockwiegel plötzlich. Ach, früher – vor der Unabhängigkeit – war doch alles besser.

Im Nebenzimmer befindet sich eine Radiostation – hier läuft ausschließlich schwarze Musik. Am Mikrofon sitzt Mimi Fischer, eine junge Namibierin mit Blumen im Haar. Hinter ihr prangen in roten Lettern die Worte „Afrika den Afrikanern“. Von ihrer Abstammung will sie nichts wissen – lieber durchkämmt sie da ihren Stammbaum nach schwarzen Vorfahren. Vielleicht hatte Opa ja eine Affäre mit einer Dienerin? Dann wäre sie gar nicht weiß und würde nichts mit den bösen Kolonialisten zu tun haben – was für eine Traumvorstellung.

Das hört sich nach Stereotypen an. Und tatsächlich: Mehr sind Lothar Brockwiegel und Mimi Fischer auch nicht. Sie wohnen weder in den Weiten Namibias noch in der Enge Windhoeks, sondern erwachen lediglich auf Stuttgarter Theaterbrettern zum Leben. Erfunden hat die beiden Charaktere der deutsche Dramaturgie-Student Jeffrey Döring (24). Sie sind die Protagonisten seines Abschlussprojekts „Spielplatz Namibia“, das sich mit den deutschsprachigen Einwohnern des Landes beschäftigt.

Namibia, ein Spielplatz? „Zunächst einmal ist es natürlich gewagt, ein Land so zu bezeichnen – das hört sich nach Machtergreifung und Formung an“, meint Döring. Dieser Aspekt ist dem Studenten zwar wichtig, aber hinter dem Titel steckt noch mehr. „Ich wollte auch aufräumen mit dem Klischee vom harschen Kolonialherrn. Menschen, deren Vorfahren seit über 100 Jahren in Namibia leben, haben ein Recht darauf, dieses Land als ihre Heimat zu bezeichnen. Ein Spielplatz hat in diesem Sinne auch mit Kindheit zu tun – und Kindheit hängt eng mit Identität zusammen“, so der Dramaturgie-Student.

Besonders die Frage des Deutsch-Seins ist dabei zentral – mit ihr wollte Döring sein Stuttgarter Publikum konfrontieren. Und das mit Menschen in den Hauptrollen, die in einem 8000 Kilometer entfernten Land leben… Doch für Döring ergibt der Ansatz Sinn: „In Deutschland selbst denkt man selten an seine Identität – dafür ist Deutsch-Sein hier zu selbstverständlich. In Namibia hingegen gibt es so viele Volksgruppen, dass sich die Frage nach Herkunft und Kultur viel extremer stellt.“

Extremer sind daher manchmal auch die Positionen, die aus dem Zwang entspringen, sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen. Das zeigen Lothar Brockwiegel und Mimi Fischer, die beide auf unterschiedliche Weise dem Apartheidsdenken verhaftet bleiben. „Apartheid ist zwar ein wichtiger Aspekt. Sie sollte aber das Stück nicht dominieren“, sagt Jeffrey Döring. Darum hat er noch eine dritte Person eingeführt: das ehemalige DDR-Kind Casper. Casper führt seine Habseligkeiten im Einkaufswagen mit sich – er ist heimatlos und weiß nicht, wo er hingehört. Im Gegensatz zu Lothar Brockwiegel und Mimi Fischer, liefert er daher keine klaren Statements, sondern verliert sich in zahllosen Fragen: Wer bin ich? Wo ist meine Mutter? Bin ich Deutscher oder Owambo?

Die drei Protagonisten treffen im Theaterstück nicht aufeinander – jede Aussage steht so für sich. Ohnehin hat Döring die Inszenierung unkonventionell angepackt. Kein normaler Dreiakter ist es, dem das Publikum stumm zu lauschen hat. Im Gegenteil: Die Zuschauer können sich an der Inszenierung beteiligen, mit den Charakteren diskutieren und ihnen Fragen stellen. Zu diesem Zweck werden die Besucher zunächst in drei Gruppen aufgeteilt. Jede davon besucht 25 Minuten lang einen Schauplatz, bevor dann gewechselt wird. Die Dialoge selbst sind daher größtenteils improvisiert – die Schauspieler mussten sich tief in die Materie einlesen und Dörings Recherchematerial genau studieren, um auf alle Gesprächswendungen reagieren zu können.

Der Jung-Dramaturg hatte entsprechende Vorarbeit geleistet: Zwei Wochen lang tourte er zusammen mit einer Kollegin durch Namibia und interviewte hier Karnevalsjecken, Sportler, Farmer, Autovermieter, Touristenguides und Schauspieler. „Ich hätte mir die Gespräche schwieriger vorgestellt, immerhin berührten unsere Fragen sensible Themen. Aber die Menschen waren offen und haben sich gefreut, ihre Geschichte erzählen zu dürfen. Wir waren wohl übervorsichtig“, erinnert sich Döring. Auch weitere Gesprächspartner vermittelten ihm seine Interviewpartner gern – ein Treffen gab das nächste. Dem Zufall war es zudem geschuldet, dass Casper seinen Weg ins Stück fand. Während ihrer Recherche wurden die beiden jungen Deutschen im Zoo-Park von einem ehemaligen DDR-Kind angesprochen – weitere Kontakte waren schnell geknüpft.

Natürlich ging den Interviews vor Ort eine lange Recherche voraus. Mit der Namibia-Thematik kam der Student erstmals durch Tonaufnahmen in Berührung. Die hatte er von Thorsten Schütte erhalten, der hierzulande auch das Projekt „stolen moments“ betreut und an Dörings Uni doziert. Voller Vorurteile horchte der Jung-Dramaturg damals in das Material hinein. „Ich erwartete, jetzt Menschen zu hören, die mir erzählen, wie toll es ist, von Schwarzen bedient zu werden“, erinnert er sich. Doch so war es nicht. Auch die vielen Biografien von Auswanderern, die er kurz darauf zu lesen begann, bestätigten seine Ressentiments nicht. „ Vor allem habe ich begriffen, welche Mühen und Risiken diese Menschen auf sich genommen haben, um sich am anderen Ende der Welt ein neues Leben aufzubauen. Ich habe erkannt, dass das Menschen mit Stärken und Schwächen waren“, meint er rückblickend.

Seine Erlebnisse in Namibia haben ihm das bestätigt. Dennoch: Lothar Brockwiegel und Mimi Fischer sind zwar stilistisch überzeichnet, aber auch für sie hat Döring konkrete Vorbilder gefunden. „Einerseits bin ich immer wieder auf einen rassistischen Umgangston gestoßen, andererseits habe ich beispielsweise auch eine Frau kennengelernt, die ihrem Kind kein Deutsch mehr beibringt, weil sie das in einem afrikanischen Land merkwürdig findet“, erzählt der Student.

Döring betont aber, dass man ebenso andere, vielleicht moderatere Protagonisten hätte verwenden können. Der Uni jedenfalls hat seine Inszenierung auch so gefallen. Im Notenauszug steht eine dicke Eins.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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