Im Tal der Gnade
Uralte Eichen stehen auf dem Kirchplatz, gesäumt von kaum weniger alten Gebäuden. Ein Schild weist zur Schmiedewerkstatt, ein anderes zur Wassermühle. Hier ist die Zeit stehen geblieben. Das ganze kleine Dorf, vorwiegend in Gelb und Weiß, strahlt gediegene Ruhe aus. Den Mittelpunkt bildet die große spätbarocke Kirche, die 1800 geweiht wurde, als die erste Missionsstation im Lande bereits eine Gemeinde von mehr als 1000 Menschen war.
Genadendal liegt rund 140 km östlich von Kapstadt. Kurz vor Caledon biegt man von der Fernstraße N2 nach Norden ab und fährt in vielen Kurven weiter durch Wiesen, Felder und Fichtenhaine auf eine Bergkette zu, die den seltenen Namen Riviersonderend (Fluss ohne Ende) trägt. Baviaanspoort heißt das etwas abgelegene Tal, in dem Genadendal liegt. Der lang gestreckte kleine Ort besteht aus vielen bunten Häuschen, die einen mit blühenden Vorgärten, andere armselig, einige bis auf die alten Lehmsteinmauern verfallen. Mehrere einfache Läden sind da, aber auch große elegante Häuser und das gepflegte Gebäude der Theewater Bezirksverwaltung, in dem gleichzeitig Post und Polizei untergebracht sind.
In dieser ländlichen Umgebung ist die umfangreiche Missionsanlage am anderen Ende des Ortes ein umso überraschender Anblick. Die gut zwei Dutzend Gebäude stehen alle unter Denkmalschutz. Im 19. Jahrhundert war Genadendal ein florierendes, gut funktionierendes Dorf mit dem nötigen handwerklichen Geschick: am Kirchplatz wurde gegerbt, gewebt, geschmiedet und getöpfert, neben der Wassermühle wurde gebacken. Es gab einen Laden, eine Apotheke und eine Druckerei - und vor allem eine Schule.
Im Schatten der Eichen auf dem Kirchplatz darf jetzt geparkt werden. Die Häuser links neben der Kirche werden noch bewohnt, das Gästehaus Weder auf der rechten Seite wird gerade frisch gestrichen. Wir steuern das Gebäude mit dem Schild "Tourist Information" an. In dem angenehm kühlen großen Raum stehen mehrere Tische und Stühle, ringsum an den Wänden erzählen Glasvitrinen mit verschiedenen Ausstellungsstücken vom einstigen Leben in Genadendal. Sie sollen Interesse für das umfangreiche Missionsmuseum wecken. Auch eine kleine Sammlung von deutschem Spielzeug ist da, mit Puppen und Teddys, Kreisel, Blecheisenbahn, Bauklotzkasten und Brettspiel. Später wurde in Genadendal selbst ein Brettspiel hergestellt, bei dem es darum ging, die beschwerliche Reise nach Kapstadt zu meistern, die lange Zeit schon zu Pferd vier Tage dauerte, mit dem Ochsenwagen noch länger.
Ob wir Honeybush Tee mit Zitrone probieren möchten, fragt die freundliche Frau am Informationsstand, Magda Potberg, als wir den Blick auf den Kühlschrank mit Getränken richten, und schon stehen zwei Gläschen vor uns. Nach Genadendaler Art ist er leicht prickelnd und sehr erfrischend. Jetzt, im Frühling, ist der ganze Cyclopia Strauch voller kleiner gelber Blüten und duftet verführerisch. "Wir pflanzen Honeybush hier in der Umgebung und trocknen ihn selbst", sagt Magda Potberg. Da kaufen wir doch gleich eine Flasche und auch einen Beutel losen Tee. Als nächstes erfahren wir, dass das Dutzend Fahrräder draußen vor dem Gebäude keineswegs zum Verleihen dort steht, damit Besucher das Dorf und die Umgebung per Drahtesel erkunden können. "Eine Organisation in den Niederlanden hat uns die Fahrräder gespendet, wir verkaufen sie an die Leute im Dorf." Ein steter Strom von jungen Niederländern kommt zum Praktikum nach Genadendal und ist vor allem an der Oberschule im Einsatz. Die auffallend große Internatsschule setzt die alte Herrnhuter Bildungstradition fort: sie hat einen so guten Ruf, dass die Schüler aus dem ganzen Land kommen.
Der erste Missionar in Baviaanspoort war Georg Schmidt. Er war erst 28 Jahre alt als er sich im April 1738 bei einer Gruppe von halbnomadischen Khoi niederließ. Schmidt gehörte zur Herrnhuter Brüder-Unität in der südöstlichsten Ecke von Sachsen, von der die erste große protestantische Missionsbewegung ausging, und machte sich mit unermüdlichen Eifer ans Werk. Die Schwierigkeiten, mit denen er im ungezähmten Neuland fertig werden musste, und die Isolation, die er zu ertragen hatte, kann man kaum nachvollziehen. Am problematischsten scheint allerdings die Haltung der Niederländisch Reformierten Kirche gewesen zu sein, die keine Konkurrenz dulden wollte. Nach sechs Jahren brach Schmidt nach Europa auf, um Lösungen zu finden und weitere Brüder für die Missionsarbeit unter den Khoi zu gewinnen. Erst 1793 wurden drei Missionare entsandt. Inzwischen hatte sich zwar die Einstellung zur Missionsarbeit gewandelt, dennoch bekamen die Herrnhuter erneut den Neid der Niederländisch Reformierten Kirche zu spüren. Das ging so weit, dass die Kirche geltend machte, die Missionsglocke sei bis ins rund 50 km entfernte Stellenbosch zu hören und störe. Daraufhin wurde das Läuten der Glocke verboten. Unter einem wohlgesonnenen späteren Gouverneur wurde das Verbot aufgehoben, und von der NG Kirche kam sogar eine Entschuldigung. Neid herrschte aber auch in der unmittelbaren Umgebung: benachbarte Farmer sahen mit Missgunst, dass Khoi-Kinder unterrichtet wurden, während es für die Farmerskinder keine Lehrer gab. Probleme bereitete auch die mühsame Kommunikation mit Herrnhut, denn immer noch vergingen Monate, bevor mit Antwort zu rechnen war. Einmal war ein Päckchen mit Briefen ganze acht Jahre unterwegs. Und wenn endlich die Genehmigung der Missionsgesellschaft vorlag, konnten die Missionare immer noch nicht schalten und walten, sondern mussten weitere Genehmigungen bei der jeweiligen Verwaltung in Kapstadt beantragen.
In relativ kurzer Zeit leisteten die drei Missionare dennoch Erstaunliches in Baviaanspoort. Die Station wuchs und gedieh, und bereits 1800 war die eindrucksvolle große Kirche fertig. Der schmucke Kirchplatz sah aus, als sei er aus einer deutschen Kleinstadt verpflanzt worden. Von nah und fern kamen Menschen zum Gottesdienst.
Jetzt lebten die Missionare mit der Sorge, dass sich allerlei unerwünschte Gestalten in ihrem Musterdörfchen niederlassen und die guten Sitten untergraben würden. Wachsende Einwohnerzahlen strapazierten zudem die Lebensmittelversorgung, die auch unter den Launen der Natur litt - mal herrschte Knappheit nach einer Überschwemmung, dann wieder nach einer großen Trockenheit. Zur Verbesserung der finanziellen Lage wurden die handwerklichen Fähigkeiten genutzt und vorangetrieben. Die Messer der Missionsschmiede, Herneuter genannt, waren bald als die besten weit und breit bekannt.
1806 wurde Baviaanskloof in Genadendal umbenannt. Mit etwas mehr als 1000 Einwohnern war es nach Kapstadt der größte Ort in der Kap-Kolonie. Im Laufe der Zeit wurde er ein angesehenes Bildungszentrum. Das weitläufige Gebäude, in dem jetzt das Museum mit seinen umfangreichen Sammlungen aus der Missionstätigkeit untergebracht ist, war die erste pädagogische Hochschule im Land. Die Eröffnung 1838 fiel mit der Abschaffung der Sklaverei zusammen. 1926 wurde die namhafte Ausbildungsstätte jedoch von der Regierung geschlossen, weil nach dem Apartheidsdenken "farbige Menschen keine Hochschulbildung brauchen" und stattdessen auf den Farmen arbeiten sollten. Von da ab ging es mit Genadendal langsam bergab.
Lange zuvor jedoch, in der Blütezeit von Genadendal, war die Kolonialverwaltung so beeindruckt von der Arbeit der Missionare, dass die Herrnhuter gebeten wurden, weitere Stationen zu gründen. So entstanden Mamre, Wittewater und Goedverwacht westlich und nordwestlich von Kapstadt.
Genadendal liegt rund 140 km östlich von Kapstadt. Kurz vor Caledon biegt man von der Fernstraße N2 nach Norden ab und fährt in vielen Kurven weiter durch Wiesen, Felder und Fichtenhaine auf eine Bergkette zu, die den seltenen Namen Riviersonderend (Fluss ohne Ende) trägt. Baviaanspoort heißt das etwas abgelegene Tal, in dem Genadendal liegt. Der lang gestreckte kleine Ort besteht aus vielen bunten Häuschen, die einen mit blühenden Vorgärten, andere armselig, einige bis auf die alten Lehmsteinmauern verfallen. Mehrere einfache Läden sind da, aber auch große elegante Häuser und das gepflegte Gebäude der Theewater Bezirksverwaltung, in dem gleichzeitig Post und Polizei untergebracht sind.
In dieser ländlichen Umgebung ist die umfangreiche Missionsanlage am anderen Ende des Ortes ein umso überraschender Anblick. Die gut zwei Dutzend Gebäude stehen alle unter Denkmalschutz. Im 19. Jahrhundert war Genadendal ein florierendes, gut funktionierendes Dorf mit dem nötigen handwerklichen Geschick: am Kirchplatz wurde gegerbt, gewebt, geschmiedet und getöpfert, neben der Wassermühle wurde gebacken. Es gab einen Laden, eine Apotheke und eine Druckerei - und vor allem eine Schule.
Im Schatten der Eichen auf dem Kirchplatz darf jetzt geparkt werden. Die Häuser links neben der Kirche werden noch bewohnt, das Gästehaus Weder auf der rechten Seite wird gerade frisch gestrichen. Wir steuern das Gebäude mit dem Schild "Tourist Information" an. In dem angenehm kühlen großen Raum stehen mehrere Tische und Stühle, ringsum an den Wänden erzählen Glasvitrinen mit verschiedenen Ausstellungsstücken vom einstigen Leben in Genadendal. Sie sollen Interesse für das umfangreiche Missionsmuseum wecken. Auch eine kleine Sammlung von deutschem Spielzeug ist da, mit Puppen und Teddys, Kreisel, Blecheisenbahn, Bauklotzkasten und Brettspiel. Später wurde in Genadendal selbst ein Brettspiel hergestellt, bei dem es darum ging, die beschwerliche Reise nach Kapstadt zu meistern, die lange Zeit schon zu Pferd vier Tage dauerte, mit dem Ochsenwagen noch länger.
Ob wir Honeybush Tee mit Zitrone probieren möchten, fragt die freundliche Frau am Informationsstand, Magda Potberg, als wir den Blick auf den Kühlschrank mit Getränken richten, und schon stehen zwei Gläschen vor uns. Nach Genadendaler Art ist er leicht prickelnd und sehr erfrischend. Jetzt, im Frühling, ist der ganze Cyclopia Strauch voller kleiner gelber Blüten und duftet verführerisch. "Wir pflanzen Honeybush hier in der Umgebung und trocknen ihn selbst", sagt Magda Potberg. Da kaufen wir doch gleich eine Flasche und auch einen Beutel losen Tee. Als nächstes erfahren wir, dass das Dutzend Fahrräder draußen vor dem Gebäude keineswegs zum Verleihen dort steht, damit Besucher das Dorf und die Umgebung per Drahtesel erkunden können. "Eine Organisation in den Niederlanden hat uns die Fahrräder gespendet, wir verkaufen sie an die Leute im Dorf." Ein steter Strom von jungen Niederländern kommt zum Praktikum nach Genadendal und ist vor allem an der Oberschule im Einsatz. Die auffallend große Internatsschule setzt die alte Herrnhuter Bildungstradition fort: sie hat einen so guten Ruf, dass die Schüler aus dem ganzen Land kommen.
Der erste Missionar in Baviaanspoort war Georg Schmidt. Er war erst 28 Jahre alt als er sich im April 1738 bei einer Gruppe von halbnomadischen Khoi niederließ. Schmidt gehörte zur Herrnhuter Brüder-Unität in der südöstlichsten Ecke von Sachsen, von der die erste große protestantische Missionsbewegung ausging, und machte sich mit unermüdlichen Eifer ans Werk. Die Schwierigkeiten, mit denen er im ungezähmten Neuland fertig werden musste, und die Isolation, die er zu ertragen hatte, kann man kaum nachvollziehen. Am problematischsten scheint allerdings die Haltung der Niederländisch Reformierten Kirche gewesen zu sein, die keine Konkurrenz dulden wollte. Nach sechs Jahren brach Schmidt nach Europa auf, um Lösungen zu finden und weitere Brüder für die Missionsarbeit unter den Khoi zu gewinnen. Erst 1793 wurden drei Missionare entsandt. Inzwischen hatte sich zwar die Einstellung zur Missionsarbeit gewandelt, dennoch bekamen die Herrnhuter erneut den Neid der Niederländisch Reformierten Kirche zu spüren. Das ging so weit, dass die Kirche geltend machte, die Missionsglocke sei bis ins rund 50 km entfernte Stellenbosch zu hören und störe. Daraufhin wurde das Läuten der Glocke verboten. Unter einem wohlgesonnenen späteren Gouverneur wurde das Verbot aufgehoben, und von der NG Kirche kam sogar eine Entschuldigung. Neid herrschte aber auch in der unmittelbaren Umgebung: benachbarte Farmer sahen mit Missgunst, dass Khoi-Kinder unterrichtet wurden, während es für die Farmerskinder keine Lehrer gab. Probleme bereitete auch die mühsame Kommunikation mit Herrnhut, denn immer noch vergingen Monate, bevor mit Antwort zu rechnen war. Einmal war ein Päckchen mit Briefen ganze acht Jahre unterwegs. Und wenn endlich die Genehmigung der Missionsgesellschaft vorlag, konnten die Missionare immer noch nicht schalten und walten, sondern mussten weitere Genehmigungen bei der jeweiligen Verwaltung in Kapstadt beantragen.
In relativ kurzer Zeit leisteten die drei Missionare dennoch Erstaunliches in Baviaanspoort. Die Station wuchs und gedieh, und bereits 1800 war die eindrucksvolle große Kirche fertig. Der schmucke Kirchplatz sah aus, als sei er aus einer deutschen Kleinstadt verpflanzt worden. Von nah und fern kamen Menschen zum Gottesdienst.
Jetzt lebten die Missionare mit der Sorge, dass sich allerlei unerwünschte Gestalten in ihrem Musterdörfchen niederlassen und die guten Sitten untergraben würden. Wachsende Einwohnerzahlen strapazierten zudem die Lebensmittelversorgung, die auch unter den Launen der Natur litt - mal herrschte Knappheit nach einer Überschwemmung, dann wieder nach einer großen Trockenheit. Zur Verbesserung der finanziellen Lage wurden die handwerklichen Fähigkeiten genutzt und vorangetrieben. Die Messer der Missionsschmiede, Herneuter genannt, waren bald als die besten weit und breit bekannt.
1806 wurde Baviaanskloof in Genadendal umbenannt. Mit etwas mehr als 1000 Einwohnern war es nach Kapstadt der größte Ort in der Kap-Kolonie. Im Laufe der Zeit wurde er ein angesehenes Bildungszentrum. Das weitläufige Gebäude, in dem jetzt das Museum mit seinen umfangreichen Sammlungen aus der Missionstätigkeit untergebracht ist, war die erste pädagogische Hochschule im Land. Die Eröffnung 1838 fiel mit der Abschaffung der Sklaverei zusammen. 1926 wurde die namhafte Ausbildungsstätte jedoch von der Regierung geschlossen, weil nach dem Apartheidsdenken "farbige Menschen keine Hochschulbildung brauchen" und stattdessen auf den Farmen arbeiten sollten. Von da ab ging es mit Genadendal langsam bergab.
Lange zuvor jedoch, in der Blütezeit von Genadendal, war die Kolonialverwaltung so beeindruckt von der Arbeit der Missionare, dass die Herrnhuter gebeten wurden, weitere Stationen zu gründen. So entstanden Mamre, Wittewater und Goedverwacht westlich und nordwestlich von Kapstadt.
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Allgemeine Zeitung
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