Impfstoff-Zulassung: Hundert Experten, Datenberge und ein Countdown
Von Sandra Trauner, dpa
Langen (dpa) - Für zwei Corona-Impfstoffkandidaten hat der Zulassungsprozess bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA bereits begonnen. Der Wirkstoff BNT162b2 des Mainzer Unternehmens Biontech werde in einem sogenannten Rolling-Review-Verfahren geprüft, hatte die Behörde am Dienstag bestätigt. Bei diesem Verfahren werden Daten aus der klinischen Prüfung fortlaufend eingereicht und bewertet. Seit Anfang des Monats prüft die EMA bereits Studiendaten zum Wirkstoff AZD1222, den der britisch-schwedische Pharmakonzern AstraZeneca zusammen mit der Universität Oxford entwickelt.
Die Entscheidung der EMA, das Verfahren zu beginnen, basiert nach Angaben der Behörde auf den ermutigenden vorläufigen Daten der präklinischen sowie der frühen klinischen Studien bei Erwachsenen. „Das Rolling-Review-Verfahren wird solange fortgesetzt, bis genügend Grundlagen vorhanden sind, um einen formellen Zulassungsantrag zu unterstützen“, teilte die EMA mit. Wie läuft eine solche Zulassung ab?
Wo wird die Zulassung beantragt?
Zulassungsanträge für einen Corona-Impfstoff werden nach aktuellem Stand bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) einzureichen sein. Generell gibt es auch rein nationale Zulassungsverfahren und solche der gegenseitigen Anerkennung innerhalb der EU. Bei Corona-Impfstoffprodukten geht das für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) im hessischen Langen aber von einem zentralisierten Verfahren aus.
Welche Rolle spielen die deutschen Behörden?
Bei der EMA bewertet der Ausschuss für Humanarzneimittel die Zulassungsanträge. Darin sitzt jeweils ein Experte der Mitgliedstaaten. Zusätzlich gibt es fünf sogenannte kooptierte Mitglieder - und einen Sitz in diesem Gremium hat das Paul-Ehrlich-Institut „wegen seiner besonderen Expertise auf dem Gebiet der biomedizinischen Arzneimittel“, wie Cichutek sagt.
Wie wird entschieden?
Es gibt entweder einen Konsens oder eine Mehrheitsentscheidung der Mitglieder des Ausschusses. Sie stimmen am Ende des Bewertungsverfahrens darüber ab, ob sie eine positive oder negative Empfehlung hinsichtlich der Arzneimittelzulassung aussprechen. Diese Empfehlung geht an die Europäische Kommission - sie entscheidet zuletzt, ob eine Zulassung erfolgt oder nicht. Die Kommission erteilt im positiven Fall die Zulassung für alle EU-Mitgliedstaaten. Das wird im Regelfall auch von den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums übernommen.
Wie läuft das Verfahren ab?
Die Vertreter zweier Mitgliedstaaten im Ausschuss erhalten die Federführung in einem Verfahren. Man nennt sie Rapporteur und Co-Rapporteur. Aufgrund seiner Expertise wird das Paul-Ehrlich-Institut häufig für eine Rapporteurschaft oder Co-Rapporteurschaft ausgewählt. Am Institut wird ein Projektteam gebildet, dem etwa zehn Fachleute verschiedener Fachgebiete angehören. Sie verfassen einen Entwurf des Bewertungsberichts und stellen ihn dem Ausschuss vor, der dann darüber diskutiert.
Wie lange dauert das Verfahren?
Das ist genau festgelegt: 210 Tage darf die Bewertungszeit bei einer Zulassung üblicherweise dauern. Wenn die Experten Rückfragen haben, wird die Zeit angehalten - ein sogenannter Clockstop erfolgt. Die Uhr läuft erst weiter, wenn der Antragsteller die Fragen schriftlich oder mündlich beantwortet hat. Das kann auch beinhalten, dass zusätzliche Daten geliefert werden müssen. Bei Corona-Impfstoffen kann es aber jeweils ein beschleunigtes Bewertungsverfahren geben. Dabei kann das Verfahren auf 150 Tage verkürzt werden.
Wie kann das Verfahren beschleunigt werden?
Für besonders dringliche Zulassungsverfahren wurde der Prozess des Rolling Review eingeführt, der nun auch bei den beiden Impfstoffkandidaten BNT162b2 und AZD1222 angewandt wird. Das bedeutet, dass Teile des Antrags zu Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des Arzneimittelprodukts schon vor der kompletten Antragstellung zur Bewertung eingereicht werden können. Damit können Fragen früher geklärt werden und die Experten können Vorab-Bewertungen erstellen.
Was muss ein Unternehmen vorlegen?
Anträge werden in elektronischer Form eingereicht und bestehen aus verschiedenen Modulen. Dabei geht es vor allem um die Qualitätsanforderungen an das Produkt und seine Herstellung, um die nichtklinischen Untersuchungen aus den Labor- und Tierversuchen und um Daten der klinischen Prüfungen am Menschen. Ebenfalls vorzulegen ist ein Risiko-Management-Plan „zur Vorsorge und Maßnahmenergreifung bei unvorhergesehenen Ereignissen nach der Zulassung und Vermarktung“, wie das PEI erklärt.
Wie aufwendig ist das?
„Bewertet werden müssen mehrere Tausend Seiten von Daten“, erklärt Cichutek. Nimmt man die zugrundeliegenden Rohdaten mit dazu, deren Vorlage im Einzelfall verlangt werden kann, sind es eher Zehntausende Seiten. Auch der Personaleinsatz ist enorm: „Wenn Sie alle zusammenrechnen, können EU-weit am Ende bis zu 100 Expertinnen und Experten mit so einem Antrag befasst sein.“
Warum der Aufwand?
„Regulatorische Arzneimittelbehörden“ wie das Paul-Ehrlich-Institut verstehen sich als Vertreter der Patientinnen und Patienten bei Therapeutika - beziehungsweise der impfwilligen Menschen bei den Impfstoffen. „Wir kontrollieren die Pharma-Unternehmen, unterstützen aber die Arzneimittelentwicklung, damit uns allen bessere Arzneimittel zur Verfügung stehen“, sagt Cichutek. Zugelassene Arzneimittel müssten eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz aufweisen.
Wieso geht es nicht noch schneller?
Schnelligkeit dürfe nicht auf Kosten der Gründlichkeit gehen, betont Cichutek. „Statistisch aussagekräftige Daten aus der Phase III zur Arzneimittelsicherheit und -wirksamkeit müssen vorliegen, um eine Nutzen-Risiko-Bewertung vornehmen zu können.“ In der dritten Prüfphase wird an mehreren Tausend, oft Zehntausenden Probanden getestet, ob der Impfstoff wirksam und verträglich ist. Abkürzungen wie etwa in Russland werde es bei einer Zulassung in der EU nicht geben, verspricht das Paul-Ehrlich-Institut. Russland hatte mit ersten Impfungen gegen Corona in der Bevölkerung schon begonnen, als die entscheidende Phase-III-Studie für das Präparat „Sputnik V“ noch nicht angefangen hatte.
Wie geht es nach der Zulassung weiter?
Zuerst muss der Impfstoff natürlich produziert werden. Aktuell gehen Pharmahersteller bereits während der Phase-III-Prüfungen, also vor der Zulassung, in Vorleistung. Sie produzieren auf eigenes Risiko, damit sie ihre Produkte schnell verfügbar machen können, wenn das „Go“ kommt. Dennoch werden nach erfolgter Zulassung nicht sofort Impfstoffe für alle verfügbar sein.
Wer wird zuerst geimpft?
„Die Zulassung eines Impfstoffs heißt noch nicht, dass dieser sofort für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen wird“, betont das Robert Koch-Institut (RKI). Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek findet es „ganz wichtig, dass man jetzt genaue Kriterien festlegt, damit die Dosen möglichst sinnvoll verteilt werden“. Dafür ist die beim RKI angesiedelte Ständige Impfkommission (STIKO) zuständig. Sie muss entscheiden, wer zuerst geimpft werden soll.
Ist eine STIKO-Impfempfehlung Voraussetzung dafür, dass mit dem Impfen begonnen werden kann?
Nein. Sobald ein Impfstoff von EMA oder PEI zugelassen sei, könne er in Deutschland verwendet werden, heißt es vom Robert Koch-Institut. Eine STIKO-Empfehlung bedeute im Regelfall - nach Entscheid des Gemeinsamen Bundesausschusses - aber eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen. Zudem werde das Auftreten von Impfschäden auf Bundeslandebene reguliert.
Bei Corona sei die Situation eine besondere: „Die Zulassungsbehörden bekommen ab einem gewissen Zeitpunkt in der Entwicklungsphase eines neuen Impfstoffs sukzessive Daten vom Entwickler übermittelt und entscheiden dann über eine vorläufige Zulassung unter Auflagen.“ Die STIKO versuche parallel zu arbeiten und ebenfalls Daten sukzessive zu bewerten, so das RKI. Ziel sei, zeitnah zur Zulassung auch eine Empfehlung der STIKO zu veröffentlichen. „Sonst ist das ein langes Verfahren, so dass zwischen der Zulassung eines Impfstoffs und der STIKO-Empfehlung häufig eine gewisse Zeit vergehen kann.“
Ist eine Impfempfehlung bereits in Arbeit?
Ja. Eine STIKO-Arbeitsgruppe zur Corona-Impfung sei bereits seit Mitte Mai damit beschäftigt, eine Empfehlung vorzubereiten, heißt es vom RKI. „Viele Vorüberlegungen zur Priorisierung und zu Impfzielen sind bereits am Laufen.“ Auch mit der Erarbeitung eines mathematischen Modells sei begonnen worden - für Berechnungen darüber, was passiert, wenn man welche Bevölkerungsgruppe impft, um herauszufinden, wann der Effekt am größten ist.
Wird es eine generelle Impfempfehlung geben oder eher eine pro zugelassenem Impfstoff?
Das kann man aktuell noch nicht sagen. Zu Anfang müsse mit limitierten Mengen an Impfstoffdosen gerechnet werden und eine Priorisierung von bevorzugt zu impfenden Personengruppen sei festzulegen, heißt es vom RKI. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in den kommenden Monaten Impfstoffe zugelassenen werden, die zum Beispiel bei alten Menschen unterschiedlich gut wirken und unterschiedlich gut auch die Virus-Übertragung verhindern.“ Wenn es mehrere Impfstoffe mit unterschiedlichem Profil gebe, seien impfstoffspezifische Empfehlungen denkbar.
Wann erwartet das PEI erste Zulassungen?
Nach positiver Bewertung und Empfehlung an die Europäische Kommission könnten erste Zulassungen „voraussichtlich im nächsten Jahr“ gelingen, sagt PEI-Chef Klaus Cichutek. Experten hoffen, dass es schon Anfang des Jahres soweit ist. Die Pandemie wäre damit aber keinesfalls auf einen Schlag gebannt: Zum einen ist noch völlig unklar, wie gut die Impfstoffe tatsächlich vor einer Infektion oder zumindest vor schweren Verläufen schützen. Zum anderen wird es auch bei einem sehr wirksamen Impfstoff viele Monate dauern, so viele Wirkstoffdosen bereitzustellen und zu verimpfen, dass die Ausbreitung des Virus eingedämmt wird.
Welche Impfstoffe sind im Rennen?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bisher rund 200 Impfstoffprojekte weltweit erfasst. Phase-III-Studien gibt es demnach zu etwa einem Dutzend Impfstoff-Kandidaten. In Deutschland sind laut PEI vier sogenannte RNA-Impfstoffe und zwei Vektorimpfstoffe in verschiedenen Phasen der klinischen Prüfung. „Alle Impfstoffkandidaten basieren auf dem Grundprinzip, unserem Immunsystem Teile (Antigene) des Sars-CoV-2 zu präsentieren, so dass eine Immunität gegenüber dem Erreger aufgebaut werden kann“, erklärt das Robert Koch-Institut. Es gibt drei Hauptentwicklungslinien: Lebendimpfstoffe mit Vektorviren, Totimpfstoffe mit Virusproteinen und mRNA/DNA-Impfstoffe.
Langen (dpa) - Für zwei Corona-Impfstoffkandidaten hat der Zulassungsprozess bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA bereits begonnen. Der Wirkstoff BNT162b2 des Mainzer Unternehmens Biontech werde in einem sogenannten Rolling-Review-Verfahren geprüft, hatte die Behörde am Dienstag bestätigt. Bei diesem Verfahren werden Daten aus der klinischen Prüfung fortlaufend eingereicht und bewertet. Seit Anfang des Monats prüft die EMA bereits Studiendaten zum Wirkstoff AZD1222, den der britisch-schwedische Pharmakonzern AstraZeneca zusammen mit der Universität Oxford entwickelt.
Die Entscheidung der EMA, das Verfahren zu beginnen, basiert nach Angaben der Behörde auf den ermutigenden vorläufigen Daten der präklinischen sowie der frühen klinischen Studien bei Erwachsenen. „Das Rolling-Review-Verfahren wird solange fortgesetzt, bis genügend Grundlagen vorhanden sind, um einen formellen Zulassungsantrag zu unterstützen“, teilte die EMA mit. Wie läuft eine solche Zulassung ab?
Wo wird die Zulassung beantragt?
Zulassungsanträge für einen Corona-Impfstoff werden nach aktuellem Stand bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) einzureichen sein. Generell gibt es auch rein nationale Zulassungsverfahren und solche der gegenseitigen Anerkennung innerhalb der EU. Bei Corona-Impfstoffprodukten geht das für Impfstoffe zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) im hessischen Langen aber von einem zentralisierten Verfahren aus.
Welche Rolle spielen die deutschen Behörden?
Bei der EMA bewertet der Ausschuss für Humanarzneimittel die Zulassungsanträge. Darin sitzt jeweils ein Experte der Mitgliedstaaten. Zusätzlich gibt es fünf sogenannte kooptierte Mitglieder - und einen Sitz in diesem Gremium hat das Paul-Ehrlich-Institut „wegen seiner besonderen Expertise auf dem Gebiet der biomedizinischen Arzneimittel“, wie Cichutek sagt.
Wie wird entschieden?
Es gibt entweder einen Konsens oder eine Mehrheitsentscheidung der Mitglieder des Ausschusses. Sie stimmen am Ende des Bewertungsverfahrens darüber ab, ob sie eine positive oder negative Empfehlung hinsichtlich der Arzneimittelzulassung aussprechen. Diese Empfehlung geht an die Europäische Kommission - sie entscheidet zuletzt, ob eine Zulassung erfolgt oder nicht. Die Kommission erteilt im positiven Fall die Zulassung für alle EU-Mitgliedstaaten. Das wird im Regelfall auch von den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums übernommen.
Wie läuft das Verfahren ab?
Die Vertreter zweier Mitgliedstaaten im Ausschuss erhalten die Federführung in einem Verfahren. Man nennt sie Rapporteur und Co-Rapporteur. Aufgrund seiner Expertise wird das Paul-Ehrlich-Institut häufig für eine Rapporteurschaft oder Co-Rapporteurschaft ausgewählt. Am Institut wird ein Projektteam gebildet, dem etwa zehn Fachleute verschiedener Fachgebiete angehören. Sie verfassen einen Entwurf des Bewertungsberichts und stellen ihn dem Ausschuss vor, der dann darüber diskutiert.
Wie lange dauert das Verfahren?
Das ist genau festgelegt: 210 Tage darf die Bewertungszeit bei einer Zulassung üblicherweise dauern. Wenn die Experten Rückfragen haben, wird die Zeit angehalten - ein sogenannter Clockstop erfolgt. Die Uhr läuft erst weiter, wenn der Antragsteller die Fragen schriftlich oder mündlich beantwortet hat. Das kann auch beinhalten, dass zusätzliche Daten geliefert werden müssen. Bei Corona-Impfstoffen kann es aber jeweils ein beschleunigtes Bewertungsverfahren geben. Dabei kann das Verfahren auf 150 Tage verkürzt werden.
Wie kann das Verfahren beschleunigt werden?
Für besonders dringliche Zulassungsverfahren wurde der Prozess des Rolling Review eingeführt, der nun auch bei den beiden Impfstoffkandidaten BNT162b2 und AZD1222 angewandt wird. Das bedeutet, dass Teile des Antrags zu Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des Arzneimittelprodukts schon vor der kompletten Antragstellung zur Bewertung eingereicht werden können. Damit können Fragen früher geklärt werden und die Experten können Vorab-Bewertungen erstellen.
Was muss ein Unternehmen vorlegen?
Anträge werden in elektronischer Form eingereicht und bestehen aus verschiedenen Modulen. Dabei geht es vor allem um die Qualitätsanforderungen an das Produkt und seine Herstellung, um die nichtklinischen Untersuchungen aus den Labor- und Tierversuchen und um Daten der klinischen Prüfungen am Menschen. Ebenfalls vorzulegen ist ein Risiko-Management-Plan „zur Vorsorge und Maßnahmenergreifung bei unvorhergesehenen Ereignissen nach der Zulassung und Vermarktung“, wie das PEI erklärt.
Wie aufwendig ist das?
„Bewertet werden müssen mehrere Tausend Seiten von Daten“, erklärt Cichutek. Nimmt man die zugrundeliegenden Rohdaten mit dazu, deren Vorlage im Einzelfall verlangt werden kann, sind es eher Zehntausende Seiten. Auch der Personaleinsatz ist enorm: „Wenn Sie alle zusammenrechnen, können EU-weit am Ende bis zu 100 Expertinnen und Experten mit so einem Antrag befasst sein.“
Warum der Aufwand?
„Regulatorische Arzneimittelbehörden“ wie das Paul-Ehrlich-Institut verstehen sich als Vertreter der Patientinnen und Patienten bei Therapeutika - beziehungsweise der impfwilligen Menschen bei den Impfstoffen. „Wir kontrollieren die Pharma-Unternehmen, unterstützen aber die Arzneimittelentwicklung, damit uns allen bessere Arzneimittel zur Verfügung stehen“, sagt Cichutek. Zugelassene Arzneimittel müssten eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz aufweisen.
Wieso geht es nicht noch schneller?
Schnelligkeit dürfe nicht auf Kosten der Gründlichkeit gehen, betont Cichutek. „Statistisch aussagekräftige Daten aus der Phase III zur Arzneimittelsicherheit und -wirksamkeit müssen vorliegen, um eine Nutzen-Risiko-Bewertung vornehmen zu können.“ In der dritten Prüfphase wird an mehreren Tausend, oft Zehntausenden Probanden getestet, ob der Impfstoff wirksam und verträglich ist. Abkürzungen wie etwa in Russland werde es bei einer Zulassung in der EU nicht geben, verspricht das Paul-Ehrlich-Institut. Russland hatte mit ersten Impfungen gegen Corona in der Bevölkerung schon begonnen, als die entscheidende Phase-III-Studie für das Präparat „Sputnik V“ noch nicht angefangen hatte.
Wie geht es nach der Zulassung weiter?
Zuerst muss der Impfstoff natürlich produziert werden. Aktuell gehen Pharmahersteller bereits während der Phase-III-Prüfungen, also vor der Zulassung, in Vorleistung. Sie produzieren auf eigenes Risiko, damit sie ihre Produkte schnell verfügbar machen können, wenn das „Go“ kommt. Dennoch werden nach erfolgter Zulassung nicht sofort Impfstoffe für alle verfügbar sein.
Wer wird zuerst geimpft?
„Die Zulassung eines Impfstoffs heißt noch nicht, dass dieser sofort für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen wird“, betont das Robert Koch-Institut (RKI). Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek findet es „ganz wichtig, dass man jetzt genaue Kriterien festlegt, damit die Dosen möglichst sinnvoll verteilt werden“. Dafür ist die beim RKI angesiedelte Ständige Impfkommission (STIKO) zuständig. Sie muss entscheiden, wer zuerst geimpft werden soll.
Ist eine STIKO-Impfempfehlung Voraussetzung dafür, dass mit dem Impfen begonnen werden kann?
Nein. Sobald ein Impfstoff von EMA oder PEI zugelassen sei, könne er in Deutschland verwendet werden, heißt es vom Robert Koch-Institut. Eine STIKO-Empfehlung bedeute im Regelfall - nach Entscheid des Gemeinsamen Bundesausschusses - aber eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen. Zudem werde das Auftreten von Impfschäden auf Bundeslandebene reguliert.
Bei Corona sei die Situation eine besondere: „Die Zulassungsbehörden bekommen ab einem gewissen Zeitpunkt in der Entwicklungsphase eines neuen Impfstoffs sukzessive Daten vom Entwickler übermittelt und entscheiden dann über eine vorläufige Zulassung unter Auflagen.“ Die STIKO versuche parallel zu arbeiten und ebenfalls Daten sukzessive zu bewerten, so das RKI. Ziel sei, zeitnah zur Zulassung auch eine Empfehlung der STIKO zu veröffentlichen. „Sonst ist das ein langes Verfahren, so dass zwischen der Zulassung eines Impfstoffs und der STIKO-Empfehlung häufig eine gewisse Zeit vergehen kann.“
Ist eine Impfempfehlung bereits in Arbeit?
Ja. Eine STIKO-Arbeitsgruppe zur Corona-Impfung sei bereits seit Mitte Mai damit beschäftigt, eine Empfehlung vorzubereiten, heißt es vom RKI. „Viele Vorüberlegungen zur Priorisierung und zu Impfzielen sind bereits am Laufen.“ Auch mit der Erarbeitung eines mathematischen Modells sei begonnen worden - für Berechnungen darüber, was passiert, wenn man welche Bevölkerungsgruppe impft, um herauszufinden, wann der Effekt am größten ist.
Wird es eine generelle Impfempfehlung geben oder eher eine pro zugelassenem Impfstoff?
Das kann man aktuell noch nicht sagen. Zu Anfang müsse mit limitierten Mengen an Impfstoffdosen gerechnet werden und eine Priorisierung von bevorzugt zu impfenden Personengruppen sei festzulegen, heißt es vom RKI. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass in den kommenden Monaten Impfstoffe zugelassenen werden, die zum Beispiel bei alten Menschen unterschiedlich gut wirken und unterschiedlich gut auch die Virus-Übertragung verhindern.“ Wenn es mehrere Impfstoffe mit unterschiedlichem Profil gebe, seien impfstoffspezifische Empfehlungen denkbar.
Wann erwartet das PEI erste Zulassungen?
Nach positiver Bewertung und Empfehlung an die Europäische Kommission könnten erste Zulassungen „voraussichtlich im nächsten Jahr“ gelingen, sagt PEI-Chef Klaus Cichutek. Experten hoffen, dass es schon Anfang des Jahres soweit ist. Die Pandemie wäre damit aber keinesfalls auf einen Schlag gebannt: Zum einen ist noch völlig unklar, wie gut die Impfstoffe tatsächlich vor einer Infektion oder zumindest vor schweren Verläufen schützen. Zum anderen wird es auch bei einem sehr wirksamen Impfstoff viele Monate dauern, so viele Wirkstoffdosen bereitzustellen und zu verimpfen, dass die Ausbreitung des Virus eingedämmt wird.
Welche Impfstoffe sind im Rennen?
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bisher rund 200 Impfstoffprojekte weltweit erfasst. Phase-III-Studien gibt es demnach zu etwa einem Dutzend Impfstoff-Kandidaten. In Deutschland sind laut PEI vier sogenannte RNA-Impfstoffe und zwei Vektorimpfstoffe in verschiedenen Phasen der klinischen Prüfung. „Alle Impfstoffkandidaten basieren auf dem Grundprinzip, unserem Immunsystem Teile (Antigene) des Sars-CoV-2 zu präsentieren, so dass eine Immunität gegenüber dem Erreger aufgebaut werden kann“, erklärt das Robert Koch-Institut. Es gibt drei Hauptentwicklungslinien: Lebendimpfstoffe mit Vektorviren, Totimpfstoffe mit Virusproteinen und mRNA/DNA-Impfstoffe.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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