In der Genozid-Debatte auf dem Weg zu festerem Boden
In der hitzig-emotionalen Debatte und Polemik um die Bewertung und Beurteilung des Kolonialkriegs 1904 um die Begriffe Genozid, Reparation und Entschuldigung fehlt es zumeist an konkreten Anhaltspunkten. Viele Reporter, Politiker, Lobbyisten, Historiker, Kirchenvertreter reden je nach opportuner Ausrichtung einander hinterher, schreiben ab oder fügen aus freien Stücken hinzu, nimmt man als Beispiel allein die extrem variierende angebliche Todeszahl, die von beteiligten Interessenträgern oder Sympathisanten als Verlustziffer unter den Ovaherero angeführt wird.
Die Ziffern wechseln von 35 000 bis 120 000, wobei auffällt, dass die „Nutzer“ oder Missbraucher der fiktiv hohen Ziffern - ob Kirchenvertreter oder Lobbyisten - in der Regel ohne Quellenangabe operieren. Dies soll lediglich als ein Beispiel unter vielen Verzerrungen dienen, auf welch schiefe Bahn die Geschichts- und Genozid-Debatte geraten ist.
Der Autor Dr. Christian Zöllner - Deutsch-Herero-Krieg 1904 - Eine Betrachtung unter dem Aspekt Völkermord - hat das Thema, das derzeit in den Medien und in den verschiedenen Lagern in bloßen Klischees festgefahren scheint, erfrischend aus alten und neuen Quellen aufgearbeitet. Die zentrale Betrachtung des Kriegsgeschehens 1904 ordnet er in den Zeitrahmen des Kolonialkonzepts im deutschen Kaiserreichs ein, behandelt Wissenund Unwissen über die Herero, geht dem Kriegs- und Kampfgeschehen im Detail nach, arbeitet die Bemühungen um Verfolgung der entwichenen Herero auf und richtet den Fokus auf die Proklamation des Generals von Trotha sowie ihre Aufhebung zwei Monate später.
Zöllner füllt zudem in detaillierter Schilderung die Wissenslücke, die bei den meisten Aktivisten und Interessierten über die Geschehnisse zwischen Aushändigung des sogenannten Schießbefehls bis zur Widerrufung der Proklamation besteht. Just aus diesen zwei Monaten hätte sich ein Bild sytematischer Füsillade ergeben müssen. Und es hätte keine Gefangenen geben dürfen. Der Autor zitiert mehrere Tagebuchaufzeichnungen, dass in der Tat Gefangene gemacht wurden - im Widerspruch zum Schießbefehl. Er zitiert jedoch auch eine Stelle, wo gefangene Großleute erschossen wurden.
In der aktuellen Genozid-Kampagne werden in der Regel sowohl der Schießbefehl des Herero-Chefs Maharero, wodurch Aufstand und Krieg ausgelöst wurden, als auch die Widerrufung des Trothaschen Schießbefehls in Berlin, Dezember 1904, konsequent ausgelassen. Die Aussage zur Widerrufung durch Reichskanzler Bernhard von Bülow am 5. Dezember 1904 im Reichstag erweitert die Perspektive zu einer differenzierteren Beurteilung als plakative Buchtitel wie „The Kaiser´s Holocaust“ es suggerieren wollen.
Hierzu eine kurze Leseprobe aus Zöllners Schrift. In der Eingabe des Reichskanzlers Bülow an den Kaiser vom 24. November 1904 steht unter Anderem:
• Trothas Vorgehen steht „im Widerspruch mit den Prinzipien des Christentums
und der Menschlichkeit“.
• „Die Proklamation des General von Trotha (ist) geeignet, dem deutschen Ansehen unter
den zivilisierten Nationen Abbruch zu thun und der ausländischen Hetze gegen uns
Nahrung zu geben.“
Bülow erklärte im Reichstag am 5. Dezember 1904: „Wir sind weder so grausam, noch
sind wir so töricht, die einzige Möglichkeit der Wiederherstellung geordneter Zustände darin zu
erblicken, daß die jetzt aus den Wüsteneien des Sandfeldes hervorströmenden, halb verhungerten und verdursteten Hererobanden erbarmungslos niedergeknallt werden. Davon kann nicht die Rede sein...
Von einer Ausrottung der Eingeborenen kann, abgesehen von allen Gründen der Menschlichkeit,
die wir immer hochhalten werden, schon aus der praktischen Erwägung heraus nicht die
Rede sein, daß wir die Eingeborenen für jede Art des wirtschaftlichen Betriebes in Südwestafrika, für die Landwirtschaft, für die Viehzucht und insbesondere für den Bergbau gar nicht entbehren können.“
Am 8. Dezember 1904: „Seine Majestät der Kaiser und König wollen den sich freiwillig stellenden
Hereros gegenüber Gnade üben und befehlen, daß ihnen, abgesehen von den unmittelbar Schuldigen und den Führern, das Leben geschenkt wird.
Der Autor Zöllner fügt jedem Kapitel eine abschließende Betrachtung hinzu, inwiefern die soeben geschilderten Geschehnisse dem Aspekt Völkermord zugeordnet werden können, eine sinnvolle Hilfestellung für den kritischen Leser, der am Ende sein eigenes Urteil begründen möchte.
Das Arbeitspapier Nr. 106 regt in seinen umfangreichen Quellenangaben vom Generalstabsbericht über Tagebücher, Missionsberichte, über Autoren wie Hillebrecht, Melber, Nuhn, Schneider-Waterberg und Wassink sowie amtliche Veröffentlichungen zur weiteren Lektüre an. Hilfreich ist auch der deutsche Text des UNO-Übereinkommens zur Definition, Verhütung und Bestrafung von Völkermord, 9. Dezember 1948.
Die Schrift ist auch an Stellen des deutschen Bundestags gegangen sowie an den deutschen Unterhändler Ruprecht Polenz. Die Schrift ist nicht weniger relevant für Namibier, die auf der schiefen Bahn und der verzerrten Polemik um das angesprochene Reizthema wieder nach festem Boden suchen. Der Autor leitet seine Folgerungen und seine Wertung von faktischen, belegbaren Grundlagen ab, im Gegensatz zu den Fürsprechern der dogmatischen Genozidschule, die zum postfaktischen Lager (post truth camp) zu rechnen ist, wo es nicht im Präzision von Aussage und Forschung geht, sondern wo Zugehörigkeit zur sich überlegen wähnenden, politisch korrekten Kommandohöhe als Geltungsanspruch gilt
Die These, dass die Niederschlagung des Herero-Aufstandes Völkermord sei, wird vertreten von
- Historikern, Politologen und Entwicklungssoziologen von Drechsler über Bley bis hin zu Melber, Kößler, Zeller und Zimmerer, wobei es letzteren insbesondere auf mögliche Verknüpfungen „genozidaler“ Theorien bis zur Kontinuitätstheorie des Völkermords an den Juden ankommt;
- Interessenverbänden vorrangig der Herero, die dies mit Reparationsforderungen verbinden;
- deutschen Politikern aktuell im Zusammenhang mit der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages unter innen- bzw. außenpolitisch dominierenden Aspekten.
Alle beziehen sich in ihrer (Um)Deutung von Fakten auf die UN-Konvention von 1948.
Eberhard Hofmann
-----------------------------
Deutsch-Herero-Krieg 1904 - Eine Betrachtung unter dem Aspekt Völkermord von Dr. Christian Zöllner. Die Schrift ist als Arbeitspapier 106 im Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel erschienen, Dezember 2017. 174 Seiten (im Din A-4-Format). ISBN (Deutsche Bibliothek): 978-3-945992-04-3.
Institutspreis 19,50 Euro. Unverbindlicher Richtpreis in Namibia, ca.: 450,00 N$
Die Ziffern wechseln von 35 000 bis 120 000, wobei auffällt, dass die „Nutzer“ oder Missbraucher der fiktiv hohen Ziffern - ob Kirchenvertreter oder Lobbyisten - in der Regel ohne Quellenangabe operieren. Dies soll lediglich als ein Beispiel unter vielen Verzerrungen dienen, auf welch schiefe Bahn die Geschichts- und Genozid-Debatte geraten ist.
Der Autor Dr. Christian Zöllner - Deutsch-Herero-Krieg 1904 - Eine Betrachtung unter dem Aspekt Völkermord - hat das Thema, das derzeit in den Medien und in den verschiedenen Lagern in bloßen Klischees festgefahren scheint, erfrischend aus alten und neuen Quellen aufgearbeitet. Die zentrale Betrachtung des Kriegsgeschehens 1904 ordnet er in den Zeitrahmen des Kolonialkonzepts im deutschen Kaiserreichs ein, behandelt Wissenund Unwissen über die Herero, geht dem Kriegs- und Kampfgeschehen im Detail nach, arbeitet die Bemühungen um Verfolgung der entwichenen Herero auf und richtet den Fokus auf die Proklamation des Generals von Trotha sowie ihre Aufhebung zwei Monate später.
Zöllner füllt zudem in detaillierter Schilderung die Wissenslücke, die bei den meisten Aktivisten und Interessierten über die Geschehnisse zwischen Aushändigung des sogenannten Schießbefehls bis zur Widerrufung der Proklamation besteht. Just aus diesen zwei Monaten hätte sich ein Bild sytematischer Füsillade ergeben müssen. Und es hätte keine Gefangenen geben dürfen. Der Autor zitiert mehrere Tagebuchaufzeichnungen, dass in der Tat Gefangene gemacht wurden - im Widerspruch zum Schießbefehl. Er zitiert jedoch auch eine Stelle, wo gefangene Großleute erschossen wurden.
In der aktuellen Genozid-Kampagne werden in der Regel sowohl der Schießbefehl des Herero-Chefs Maharero, wodurch Aufstand und Krieg ausgelöst wurden, als auch die Widerrufung des Trothaschen Schießbefehls in Berlin, Dezember 1904, konsequent ausgelassen. Die Aussage zur Widerrufung durch Reichskanzler Bernhard von Bülow am 5. Dezember 1904 im Reichstag erweitert die Perspektive zu einer differenzierteren Beurteilung als plakative Buchtitel wie „The Kaiser´s Holocaust“ es suggerieren wollen.
Hierzu eine kurze Leseprobe aus Zöllners Schrift. In der Eingabe des Reichskanzlers Bülow an den Kaiser vom 24. November 1904 steht unter Anderem:
• Trothas Vorgehen steht „im Widerspruch mit den Prinzipien des Christentums
und der Menschlichkeit“.
• „Die Proklamation des General von Trotha (ist) geeignet, dem deutschen Ansehen unter
den zivilisierten Nationen Abbruch zu thun und der ausländischen Hetze gegen uns
Nahrung zu geben.“
Bülow erklärte im Reichstag am 5. Dezember 1904: „Wir sind weder so grausam, noch
sind wir so töricht, die einzige Möglichkeit der Wiederherstellung geordneter Zustände darin zu
erblicken, daß die jetzt aus den Wüsteneien des Sandfeldes hervorströmenden, halb verhungerten und verdursteten Hererobanden erbarmungslos niedergeknallt werden. Davon kann nicht die Rede sein...
Von einer Ausrottung der Eingeborenen kann, abgesehen von allen Gründen der Menschlichkeit,
die wir immer hochhalten werden, schon aus der praktischen Erwägung heraus nicht die
Rede sein, daß wir die Eingeborenen für jede Art des wirtschaftlichen Betriebes in Südwestafrika, für die Landwirtschaft, für die Viehzucht und insbesondere für den Bergbau gar nicht entbehren können.“
Am 8. Dezember 1904: „Seine Majestät der Kaiser und König wollen den sich freiwillig stellenden
Hereros gegenüber Gnade üben und befehlen, daß ihnen, abgesehen von den unmittelbar Schuldigen und den Führern, das Leben geschenkt wird.
Der Autor Zöllner fügt jedem Kapitel eine abschließende Betrachtung hinzu, inwiefern die soeben geschilderten Geschehnisse dem Aspekt Völkermord zugeordnet werden können, eine sinnvolle Hilfestellung für den kritischen Leser, der am Ende sein eigenes Urteil begründen möchte.
Das Arbeitspapier Nr. 106 regt in seinen umfangreichen Quellenangaben vom Generalstabsbericht über Tagebücher, Missionsberichte, über Autoren wie Hillebrecht, Melber, Nuhn, Schneider-Waterberg und Wassink sowie amtliche Veröffentlichungen zur weiteren Lektüre an. Hilfreich ist auch der deutsche Text des UNO-Übereinkommens zur Definition, Verhütung und Bestrafung von Völkermord, 9. Dezember 1948.
Die Schrift ist auch an Stellen des deutschen Bundestags gegangen sowie an den deutschen Unterhändler Ruprecht Polenz. Die Schrift ist nicht weniger relevant für Namibier, die auf der schiefen Bahn und der verzerrten Polemik um das angesprochene Reizthema wieder nach festem Boden suchen. Der Autor leitet seine Folgerungen und seine Wertung von faktischen, belegbaren Grundlagen ab, im Gegensatz zu den Fürsprechern der dogmatischen Genozidschule, die zum postfaktischen Lager (post truth camp) zu rechnen ist, wo es nicht im Präzision von Aussage und Forschung geht, sondern wo Zugehörigkeit zur sich überlegen wähnenden, politisch korrekten Kommandohöhe als Geltungsanspruch gilt
Die These, dass die Niederschlagung des Herero-Aufstandes Völkermord sei, wird vertreten von
- Historikern, Politologen und Entwicklungssoziologen von Drechsler über Bley bis hin zu Melber, Kößler, Zeller und Zimmerer, wobei es letzteren insbesondere auf mögliche Verknüpfungen „genozidaler“ Theorien bis zur Kontinuitätstheorie des Völkermords an den Juden ankommt;
- Interessenverbänden vorrangig der Herero, die dies mit Reparationsforderungen verbinden;
- deutschen Politikern aktuell im Zusammenhang mit der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages unter innen- bzw. außenpolitisch dominierenden Aspekten.
Alle beziehen sich in ihrer (Um)Deutung von Fakten auf die UN-Konvention von 1948.
Eberhard Hofmann
-----------------------------
Deutsch-Herero-Krieg 1904 - Eine Betrachtung unter dem Aspekt Völkermord von Dr. Christian Zöllner. Die Schrift ist als Arbeitspapier 106 im Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel erschienen, Dezember 2017. 174 Seiten (im Din A-4-Format). ISBN (Deutsche Bibliothek): 978-3-945992-04-3.
Institutspreis 19,50 Euro. Unverbindlicher Richtpreis in Namibia, ca.: 450,00 N$
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen