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(Interview)    Karl Rudolf Sievers, Bau- und Möbeltischler im Ruhestand, hat knapp 60 Jahre nach Kriegsende und nach einem erfüllten Berufsleben in Namibia ein Buch geschrieben: "Als Soldat im 2. Weltkrieg 1939 bís 1945?. Er war fünfmal verletzt, zum
(Interview) Karl Rudolf Sievers, Bau- und Möbeltischler im Ruhestand, hat knapp 60 Jahre nach Kriegsende und nach einem erfüllten Berufsleben in Namibia ein Buch geschrieben: "Als Soldat im 2. Weltkrieg 1939 bís 1945?. Er war fünfmal verletzt, zum

(Interview) Karl Rudolf Sievers, Bau- und Möbeltischler im Ruhestand, hat knapp 60 Jahre nach Kriegsende und nach einem erfüllten Berufsleben in Namibia ein Buch geschrieben: "Als Soldat im 2. Weltkrieg 1939 bís 1945?. Er war fünfmal verletzt, zum

AZ: Herr Sievers, es gibt schon unzählige Schriften über den Krieg. Was hat Sie dazu veranlasst, noch eine hinzuzufügen?

Sievers: Mit diesem Buch wollte ich dem Geschehen originalgetreu nachgehen und Aufklärung liefern, wie es damals wirklich gewesen ist. Diese Frage wird heute in Deutschland von vielen Menschen aller Generationen vermehrt gestellt. Inzwischen erhalte ich Bestellungen aus Deutschland, unter anderem aus der Bundeswehr. Auch von afrikaanser, von englischer Seite und natürlich von deutscher Seite in Namibia wird Interesse bekundet.

AZ: Gab es einen besonderen Auslöser?

Sievers: Bei meinen Besuchen in Deutschland in den Jahren 1996 und 1999 bin ich unterwegs auf der Bahn mit jüngeren Leuten darüber ins Gespräch gekommen. Sie stellen wohl deshalb offene Fragen, die sie woanders nicht vortragen, weil man im Zug anonym bleibt und am Ziel jeder aussteigt und seine Wege geht. Da ist alles vorbei. Ich habe den Eindruck, dass sie die Schuldzuweisungüber den Krieg satt haben und ihnen niemand hilft, die Schuldgefühle abzuarbeiten.

AZ: Sie meinen, dass die chronologische Wiedergabe von Tagebuchaufzeichnungen, Briefe aus dem Feld und Notizen aus dem Jahreskalender dazu dienen können?

Sievers: Mit der wörtlichen Wiedergabe kann man authentisch sein. Hätte ich das Buch nur aus der Erinnerung geschrieben, wären Einflüsse aus dem Nachhinein eingeflossen. Wie ich mich nach dem Krieg mit der Epoche befasst habe, als das Gesamtbild zu erkennen war, habe ich im Anhang, "Nachbetrachtung - aus meinem Leben nach 1945" geschildert. Ich habe zwei Jahre daran gearbeitet. Ich scheue mich nicht, für mich Ungünstiges darzustellen.

AZ: Sie waren als Mitglied der Besatzungsmacht in Frankreich, dann aktiv in den Kämpfen um Leningrad (heute wieder St. Petersburg), in der Ukraine und dann in der Schlussphase des Krieges wieder in Deutschland, im letzten Aufgebot gegen die Alliierten im Teutoburger Wald, aktiv dabei. Schließlich in englischer Gefangenschaft. Haben Sie frühere Schlachtstätten wieder besucht?

Sievers: Nein, aber ich stehe mit den noch Lebenden meiner Infanteriedivision in Verbindung, die mitunter nach Russland reisen. Von den Russen erfahren sie dort freundliche Aufnahme in den Kriegsgebieten. Bei den einfachen Leuten trifft man dort den Wunsch nach Versöhnung an. Beide Seiten, auch die dortigen Behörden, bemühen sich, die Friedhöfe zu pflegen. Unter den Russen haben manche aber auch Aversionen, die von solcher Begegnung nichts halten.

AZ: Die Frage der "Spätgeborenen" an Sie muss immer wieder darauf zurückkehren, wie Sie, wie "man", die zwölf Jahre des Nationalsozialismus, die Person Hitler und den Krieg als Zeitzeuge erfahren hat.

Sievers: Ich komme aus dem charismatischen Eindruck Hitlers und habe den frenetischen Jubel der Menschen erlebt - zum Beispiel beim NS-Parteitag in Nürnberg 1938. Ich habe mich später mit dem Mangel an Selbstkontrolle beschäftigt - wie Menschen "außer sich geraten". Das kommt ja auch im Kampf vor. Das muss man nachher wieder abbauen. Sonst ist der Mensch gefährdet Verbrechen zu begehen. Das Buch hat mir geholfen das aufzuarbeiten. Aber das Aufarbeiten ist noch nicht beendet.

AZ: In Ihren Briefen aus dem Feld stellen Sie die Weltanschauung, den politischen Rahmen der NS-Epoche nicht in Frage.

Sievers: Es war alles so selbstverständlich. Wir haben alles geglaubt. Auch die Zensur der Feldpost war für uns selbstverständlich. Wir waren ja Teil des Systems. Nach der Schlacht von Stalingrad hat sich der Schwerpunkt der Gesinnung bei uns jedoch verschoben. Die Treue galt zunehmend dem Vaterland und dem Volk und nicht mehr Hitler.

AZ: Nach dem totalen Zusammenbruch Deutschlands kam die Zeit der "Entnazifizierung und Umerziehung" durch die Alliierten. Herr Sievers, Sie kommentieren diese Phase kritisch. Der zeitpolitische Bezugsrahmen mit seinen Werten, Idealen und Illusionen war zerstört. Die Menschen standen da, geprägt von der vorigen Epoche, und mussten sich neu orientieren. Das Paradigma hatte sich verschoben, heißt es heute. Wie haben Sie die Fäden wieder aufgegriffen?

Sievers: Ethische Werte zu finden, war sehr schwer. Von den Siegern konnte man nichts lernen. Sie wollten zunächst Rache. Ich bin dann auf die preußischen Pflichttugenden und später auch auf die christliche Lehre gekommen. Ich bin 1959 der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia beigetreten und habe mich aktiv an der hiesigen Politik beteiligt ...

AZ: ... und hatten sich mit der Apartheit auseinander zu setzen?

Sievers: Das war ein verwirrender Widerspruch. Südafrika hat mit den Alliierten gegen Nazi-Deutschland und also gegen den Rassismus gekämpft und dann selbst Rassismus - die Apartheid eingeführt. Ich habe mit den fortschrittlich Denkenden die hiesige Nationale Partei verlassen, war Gründungsmitglied der Republikanischen Partei und später Mitglied von zwei Organisationen, die sich für den UN-Lösungsplan für Namibia eingesetzt haben.

AZ: Gibt es aus der Vergangenheit eine Lehre?

Sievers: Neue und kritische Erkenntnisse soll man mit dem Drang und dem Willen zur Mitbestimmung zu verbinden.

AZ: Wir danken für das Gespräch.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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