Jeder von uns will ein ordentliches Leben führen
Hererochef Kuaima Riruako plädiert in der Entschädigungsfrage für eine außergerichtliche Einigung zwischen den Herero und Deutschland sowie für eine Regierung nationaler Einheit. Seit der Ermordung Clemens Kapuuos 1978 ist Riruako traditioneller Führer der Herero.
AZ: Sollten Namibier sich mehr Kenntnis und Einblick über das Geschehen vor 100 Jahren aneignen oder sollten wir lieber den Auftrag der Verfassung verfolgen, nämlich der nationalen Aussöhnung nachgehen?
Riruako: Versöhnung kann es erst nach einer Diskussion über die Vergangenheit geben. Vergangenheit inklusive der Vernichtung in jener Zeit. Dazu gehört die Akzeptanz, dass es unmenschlich war. Wir müssen einen neuen gemeinsamen Stand erreichen, wo wir einander finden. Wo es Vergebung gibt, aber kein Vergessen. Die damaligen Verluste bestanden aus Menschen, Zerstörung der Existenzgrundlagen, Verlust der Kultur und des angestammten Landes. Darauf müssen wir eingehen. Wir habe zwei Nationen - Herero und Deutsche, sie leben Seite an Seite und tragen das im Bewusstsein mit sich und haben ihre Probleme (hang-ups) mit der Vergangenheit. Lasst uns offen darüber reden, wie wir alles einordnen, kulturell, wirtschaftlich und physisch. So möchte ich vorgehen. Mit der deutschen Regierung suche ich den direkten Dialog. Wir (Herero) sollten heute 1,8 Millionen zählen. Die jüngste Volkszählung und Statistik ist auch nicht akkurat. Viele Leute von Kaokoland, Aminuis und Gam wurden nicht erfasst. Die Regierung hat es in den zehn Jahren seit der Rückkehr (Botswana-Herero) nicht geschafft, Personalausweise auszustellen. Sie sind also noch nicht eingebürgert.
AZ: Wie sind Sie zuerst mit der Kolonialgeschichte von 1904-1907 in Berührung gekommen? Durch mündliche Überlieferung? Haben Sie Überlebende des Krieges gekannt?
Riruako: Beides trifft zu. Ich bin in meinem Elternhaus mit der Geschichte aufgewachsen. Chef Hosea Kutako war mein Onkel. Er und mein Großvater waren Kriegsteilnehmer. Die Geschichten wurden immer wieder erzählt. Mein Vater ist 1909 geboren. Unsere Geschichte wurde aber nicht zu meiner Schulzeit gelehrt, obwohl Vedder und Andersen schon über die Herero geschrieben hatten. Aus den Jahrhunderten davor ist sehr wenig bekannt.
AZ: Hat die Geschichte für die heutige Generation Namibier eine besondere Lehre zu vermitteln?
Riruako: Manchmal habe ich selbst "besondere Lektionen" erteilt, wenn ich in Berlin - dort auch an der Humboldt Universität - oder in Bad Homburg war. In Berlin habe ich auch einen Soldatenfriedhof und ein Kriegsmuseum besucht. Meine Botschaft und mein Anliegen sind: lehre die Geschichte, wie sie war. Es geht um Was, Wann und Wie. Die Ära der Dschungelkräfte ist jetzt vorbei.
AZ: Sehen Sie für die Otjiherero-, Deutsch- und Khoekhoegowab-Sprechenden Namibier in diesem Rahmen eine besondere Verpflichtung? Mit anderen Worten stehen die Nachkommen der kriegerischen Parteien von 1904-1907 vor einer besonderen Herausforderung im Umgang mit der Geschichte oder ist das eine Sache der gesamten Nation?
Riruako: Ich bin vor kurzem von König Kauluma der Ndonga zurückgekommen. Ich habe ihn persönlich zum Gedenken eingeladen. Ich habe auch Namaland besucht. Die gesamte Nation muss unterrichtet sein, was der Krieg und das Trauma danach gebracht haben. Ich rede auch mit Deutschen und Afrikanerburen darüber. Ich lasse von solcher Diskussion nicht ab.
AZ: Die kaiserliche Verwaltung fand mit der Invasion südafrikanischer Truppen 1915 ihr Ende. Das deutsche Volk hat in Europa seither zwei Weltkriege mitgemacht, die zu unsäglichem Leiden vieler Nationen und nicht zuletzt für die Deutschen selbst als zweimalig besiegte Nation geführt haben. Meinen Sie, dass Namibier (deutschsprachige Namibier einmal ausgenommen) verstehen können, dass die koloniale Vergangenheit bei den Deutschen in Europa daher verdrängt ist? Sollte man das ändern?
Riruako: Die doppelte Niederlage haben die Alliierten wieder geheilt. Nach dem 2. Weltkrieg gab es den Marshal Plan. Hier im Lande konnten Firmen wie Woermann & Brock und Wecke & Voigts weiter machen. Sie haben nicht alles verloren wie wir in den Jahren 1904 bis 1907.
AZ: Wie steht es mit der Reparationsklage? Ist das Verfahren in den USA noch schwebend?
Riruako: Schwebt noch. Wir haben das Verfahren nicht zurück gezogen. Ich bin mit den Anwälten so verblieben, dass ich das Mandat habe, mit der deutschen Regierung zu verhandeln. Wir könnten an einem Punkt ankommen, wo wir das außerhalb des Gerichts beilegen. Ich habe diesen Vorschlag durch den deutschen Botschafter weiter gegeben. Mein Vorschlag ist klar und direkt. Wir können einen gemeinsamen Nenner finden. Ich könnte bestimmte Abkommen unterzeichnen und damit zum Anwalt zur Bestätigung zurück gehen. Ich möchte unsere Sache nicht auf den Websites sehen. Ich habe auch von der Strategie des "teile und herrsche" genug. Das schafft ein schlechtes Klima. Es gibt deutsche Bürger, die geben sich als Vermittler aus und richten aber mehr Schaden an. Da machen sogar einige Herero mit. Die Öffentlichkeit in Deutschland habe ich als ziemlich hilfreich erfahren, sie hat einen festen Stand. Ich frage mich, was das andere Komitee (D. Red. Gedenk-Komitee) getan und ob es der Sache geschadet hat. Die Reparationsklage fußt auf moralischem Grund. An deutschen Gerichten bewegt sich jetzt nichts. Ein Gesetz von 1896 ermöglicht es mir jedoch, in Deutschland vor Gericht zu gehen. Es geht um Schaden - Verlust an Leben und Blut. Ich habe auch Anwälte in Deutschland. Wenn jemand meine Stellung als leitender Chef (paramount chief) in Frage stellt, sie nicht anerkennt, muss er zu den Herero gehen, die mir diese Stellung anvertraut haben.
AZ: Haben Sie vor der Kulisse des Kolonialismus eine besondere Botschaft für die jetzige Generation der Namibier?
Riruako: Ich bin nicht hier, die Herero zu unterteilen. Einige Herero lassen sich zu falschen Zwecken missbrauchen. Meine Botschaft: ich stehe für eine Regierung nationaler Einheit ein, in der jedermann vertreten ist. Bei den Faktoren des Wachstums darf keine Gruppe auf Kosten anderer ausgesondert werden. Das ist mein Aufruf an Schwarz und Weiß. Ohne Diskriminierung müssen wir das teilen, was wir haben, ungeachtet der Hautfarbe und des Glaubens.
Ich möchte der deutschen Regierung sagen, dass sie den deutschsprachigen Namibiern mitteilen kann, dass wir nichts an uns reißen wollen. Aber wir müssen korrigieren, was in der Vergangenheit passiert ist.
Ich weiß, dass es Deutsche gibt, die ihre Regierung überreden wollen, dass sie sich entschuldigen soll. Andere werden folgen. Jeder von uns will doch ein ordentliches Leben führen. Ich habe auch die Kirchen in Deutschland als hilfreich erfahren.
AZ: Wir danken für das Gespräch.
AZ: Sollten Namibier sich mehr Kenntnis und Einblick über das Geschehen vor 100 Jahren aneignen oder sollten wir lieber den Auftrag der Verfassung verfolgen, nämlich der nationalen Aussöhnung nachgehen?
Riruako: Versöhnung kann es erst nach einer Diskussion über die Vergangenheit geben. Vergangenheit inklusive der Vernichtung in jener Zeit. Dazu gehört die Akzeptanz, dass es unmenschlich war. Wir müssen einen neuen gemeinsamen Stand erreichen, wo wir einander finden. Wo es Vergebung gibt, aber kein Vergessen. Die damaligen Verluste bestanden aus Menschen, Zerstörung der Existenzgrundlagen, Verlust der Kultur und des angestammten Landes. Darauf müssen wir eingehen. Wir habe zwei Nationen - Herero und Deutsche, sie leben Seite an Seite und tragen das im Bewusstsein mit sich und haben ihre Probleme (hang-ups) mit der Vergangenheit. Lasst uns offen darüber reden, wie wir alles einordnen, kulturell, wirtschaftlich und physisch. So möchte ich vorgehen. Mit der deutschen Regierung suche ich den direkten Dialog. Wir (Herero) sollten heute 1,8 Millionen zählen. Die jüngste Volkszählung und Statistik ist auch nicht akkurat. Viele Leute von Kaokoland, Aminuis und Gam wurden nicht erfasst. Die Regierung hat es in den zehn Jahren seit der Rückkehr (Botswana-Herero) nicht geschafft, Personalausweise auszustellen. Sie sind also noch nicht eingebürgert.
AZ: Wie sind Sie zuerst mit der Kolonialgeschichte von 1904-1907 in Berührung gekommen? Durch mündliche Überlieferung? Haben Sie Überlebende des Krieges gekannt?
Riruako: Beides trifft zu. Ich bin in meinem Elternhaus mit der Geschichte aufgewachsen. Chef Hosea Kutako war mein Onkel. Er und mein Großvater waren Kriegsteilnehmer. Die Geschichten wurden immer wieder erzählt. Mein Vater ist 1909 geboren. Unsere Geschichte wurde aber nicht zu meiner Schulzeit gelehrt, obwohl Vedder und Andersen schon über die Herero geschrieben hatten. Aus den Jahrhunderten davor ist sehr wenig bekannt.
AZ: Hat die Geschichte für die heutige Generation Namibier eine besondere Lehre zu vermitteln?
Riruako: Manchmal habe ich selbst "besondere Lektionen" erteilt, wenn ich in Berlin - dort auch an der Humboldt Universität - oder in Bad Homburg war. In Berlin habe ich auch einen Soldatenfriedhof und ein Kriegsmuseum besucht. Meine Botschaft und mein Anliegen sind: lehre die Geschichte, wie sie war. Es geht um Was, Wann und Wie. Die Ära der Dschungelkräfte ist jetzt vorbei.
AZ: Sehen Sie für die Otjiherero-, Deutsch- und Khoekhoegowab-Sprechenden Namibier in diesem Rahmen eine besondere Verpflichtung? Mit anderen Worten stehen die Nachkommen der kriegerischen Parteien von 1904-1907 vor einer besonderen Herausforderung im Umgang mit der Geschichte oder ist das eine Sache der gesamten Nation?
Riruako: Ich bin vor kurzem von König Kauluma der Ndonga zurückgekommen. Ich habe ihn persönlich zum Gedenken eingeladen. Ich habe auch Namaland besucht. Die gesamte Nation muss unterrichtet sein, was der Krieg und das Trauma danach gebracht haben. Ich rede auch mit Deutschen und Afrikanerburen darüber. Ich lasse von solcher Diskussion nicht ab.
AZ: Die kaiserliche Verwaltung fand mit der Invasion südafrikanischer Truppen 1915 ihr Ende. Das deutsche Volk hat in Europa seither zwei Weltkriege mitgemacht, die zu unsäglichem Leiden vieler Nationen und nicht zuletzt für die Deutschen selbst als zweimalig besiegte Nation geführt haben. Meinen Sie, dass Namibier (deutschsprachige Namibier einmal ausgenommen) verstehen können, dass die koloniale Vergangenheit bei den Deutschen in Europa daher verdrängt ist? Sollte man das ändern?
Riruako: Die doppelte Niederlage haben die Alliierten wieder geheilt. Nach dem 2. Weltkrieg gab es den Marshal Plan. Hier im Lande konnten Firmen wie Woermann & Brock und Wecke & Voigts weiter machen. Sie haben nicht alles verloren wie wir in den Jahren 1904 bis 1907.
AZ: Wie steht es mit der Reparationsklage? Ist das Verfahren in den USA noch schwebend?
Riruako: Schwebt noch. Wir haben das Verfahren nicht zurück gezogen. Ich bin mit den Anwälten so verblieben, dass ich das Mandat habe, mit der deutschen Regierung zu verhandeln. Wir könnten an einem Punkt ankommen, wo wir das außerhalb des Gerichts beilegen. Ich habe diesen Vorschlag durch den deutschen Botschafter weiter gegeben. Mein Vorschlag ist klar und direkt. Wir können einen gemeinsamen Nenner finden. Ich könnte bestimmte Abkommen unterzeichnen und damit zum Anwalt zur Bestätigung zurück gehen. Ich möchte unsere Sache nicht auf den Websites sehen. Ich habe auch von der Strategie des "teile und herrsche" genug. Das schafft ein schlechtes Klima. Es gibt deutsche Bürger, die geben sich als Vermittler aus und richten aber mehr Schaden an. Da machen sogar einige Herero mit. Die Öffentlichkeit in Deutschland habe ich als ziemlich hilfreich erfahren, sie hat einen festen Stand. Ich frage mich, was das andere Komitee (D. Red. Gedenk-Komitee) getan und ob es der Sache geschadet hat. Die Reparationsklage fußt auf moralischem Grund. An deutschen Gerichten bewegt sich jetzt nichts. Ein Gesetz von 1896 ermöglicht es mir jedoch, in Deutschland vor Gericht zu gehen. Es geht um Schaden - Verlust an Leben und Blut. Ich habe auch Anwälte in Deutschland. Wenn jemand meine Stellung als leitender Chef (paramount chief) in Frage stellt, sie nicht anerkennt, muss er zu den Herero gehen, die mir diese Stellung anvertraut haben.
AZ: Haben Sie vor der Kulisse des Kolonialismus eine besondere Botschaft für die jetzige Generation der Namibier?
Riruako: Ich bin nicht hier, die Herero zu unterteilen. Einige Herero lassen sich zu falschen Zwecken missbrauchen. Meine Botschaft: ich stehe für eine Regierung nationaler Einheit ein, in der jedermann vertreten ist. Bei den Faktoren des Wachstums darf keine Gruppe auf Kosten anderer ausgesondert werden. Das ist mein Aufruf an Schwarz und Weiß. Ohne Diskriminierung müssen wir das teilen, was wir haben, ungeachtet der Hautfarbe und des Glaubens.
Ich möchte der deutschen Regierung sagen, dass sie den deutschsprachigen Namibiern mitteilen kann, dass wir nichts an uns reißen wollen. Aber wir müssen korrigieren, was in der Vergangenheit passiert ist.
Ich weiß, dass es Deutsche gibt, die ihre Regierung überreden wollen, dass sie sich entschuldigen soll. Andere werden folgen. Jeder von uns will doch ein ordentliches Leben führen. Ich habe auch die Kirchen in Deutschland als hilfreich erfahren.
AZ: Wir danken für das Gespräch.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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