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Katastrophe für Betroffene

Mit großem Interesse verfolge ich Ihre Berichterstattung über die sogenannte Deportation ausländischer Jugendlicher, die sich zur Verbesserung ihrer Lebenslagen und Lebensperspektiven unter Betreuung verschiedener Einrichtungen mehr oder weniger lange in Namibia aufhalten und jetzt - offensichtlich aufgrund einer Entscheidung des Sozialministeriums - Hals über Kopf das Land verlassen müssen. Als Jurist und Jugendrichter in Deutschland bin ich auf zweierlei Weise entsetzt über dieses Vorgehen:

Erstens widerspricht es allen rechtsstaatlichen Prinzipien, und für einen Staat mit solchen rechtsstaatlichen Prinzipien hatte ich Namibia bisher gehalten; bei allen Einschränkungen und Vorbehalten in diesen und jenen Details. Aber bei Namibia handelt es sich ja um eine junge und noch eher in der Entwicklung begriffene, hoffentlich auch lernfähige Demokratie.

Dennoch: Wo bleibt der (ggf. einstweilige) Rechtsschutz der betroffenen Einrichtungen? Wurde ihnen Gelegenheit gegeben, sich mit juristischen Mitteln gegen die Entscheidung des Ministeriums zur Wehr zu setzen, und zwar vor Schaffung vollendeter Tatsachen? Sind Sie angehört worden? Durften Sie Stellung beziehen? Hat eine ordnungsgemäße Untersuchung von Vorwürfen (von wem erhoben?) stattgefunden? Mir scheint, alle betroffenen Einrichtungen - und auch die deutsche Botschaft (schöpft sie wirklich all ihre Möglichkeiten aus?) - sind von der Entscheidung überrascht worden.

Das Gleiche gilt für die betroffenen jungen Menschen. Kann man so mit ihnen umgehen, sie ohne Vorwarnung nach Deutschland oder in die anderen europäischen Staaten zurückschicken, sie quasi deportieren und ihnen androhen, sie in Abschiebehaft zu nehmen? Ein Instrument, welches ja in Namibia auch im anderen Zusammenhang des Umgangs mit Ausländern zu Recht in die Kritik geraten ist. Und das alles mit der diese Haltung als Krokodilstränen entlarvenden Begründung, die armen Jugendlichen würden als Arbeitssklaven missbraucht, seien gar Opfer des Menschenhandels. Da liegt der Verdacht näher, man wolle unliebsame Bewohner schnell loswerden.

Trotz einiger Kommentare - die beim Umgang mit schwierigen Jugendlichen immer zu erwarten sind -, in denen sich Leserbriefschreiber eher ahnungslos und stumpf gegen die Praxis aussprechen, Probleme bereitende junge Menschen aus ihrem schwierigen Umfeld herauszunehmen und ihnen in anderer Umgebung, in einem fernen Land mit fremden Menschen, in einem anderen Kulturkreis und unter deutlich geänderten Vorgaben eine neue Chance zu geben, sie mit neuen Herausforderungen zu konfrontieren und häufig verhängnisvolle Kreisläufe zwischen Haft und Therapie zu durchbrechen, kann ich den jetzt durch staatliche Kurzschlusshandlung entstandenen Scherbenhaufen als Jugendrichter nur als individuelle Katastrophe für die Betroffenen bezeichnen.

Natürlich wird auch in Deutschland beklagt, dass die Auslandsunterbringung krimineller Jugendlicher zu teuer sei, man solle sie lieber einsperren - und gut. Aber diese von wenig Sachkunde geprägte Kritik verkennt nicht zuletzt, welche Folgekosten für Gefängnis, psychiatrische Unterbringung oder beispielsweise im Versicherungswesen, also in der volkswirtschaftlichen Langzeitberechnung, entstehen und sie verkennt ebenso, dass viele dieser Einzelmaßnahmen erfolgreich verlaufen; wenige Negativfälle verursachen mehr öffentliche Aufregung als die positiven Verläufe.

Für den Staat Namibia scheinen umgekehrt monetäre Argumente keine Rolle zu spielen. Europäische Sozialsysteme spülen doch Geld ins Land und tragen dort zu Beschäftigung und Einkommen bei, was letztlich der gesamten Bevölkerung zugute kommt. Auch aus diesem Grund wurde durch die staatliche Entscheidung für eine abrupte Aufenthaltsbeendigung der in Namibia betreuten ausländischen Jugendlichen eine Chance vertan.

Karl-Heinz Rogoll (Jugendrichter), Bremen

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-16

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