Kathedrale in Miniatur-Ausgabe
Von Simon Kunert, Windhoek
Kathedralen sind riesig. Sie haben meterdicke Wände, Türme hoch wie Wolkenkratzer und verschnörkelte Fassaden – es sind die größten Kirchen der Welt. Mit ihnen tragen die reichen Kurien ihre Macht und ihren Prunk zur Schau. Schon allein deshalb müssen sie steinerne Riesen sein, die auf das Menschenvolk unter ihnen herabblicken.
Mit diesem Vorurteil ihm Gepäck stehe ich nun vor einem Gittertor an der Ecke Conradie- und Lovestraße – und bin verwirrt. Hinter dem Tor, auf dem ein Kreuz prangt, versteckt sich zwischen Bäumen und Sträuchern ein Gebäude aus Naturstein und mit grünem Blechdach. Es ist kaum größer als ein Bungalow. „Das soll eine Kathedrale sein?“, frage ich und blicke dabei in das lächelnde Gesicht eines 60-Jährigen. „Aber natürlich“, sagt Reverend Kanonikus Samuel Kaxuxuena. „Unsere liebe St. George ist klein, aber fein – und ausgesprochen gemütlich.“
Kaxuxuena trägt eine graue Stoffhose, hellblaue Sneakers und eine Baumwollweste über seinem schwarzen Hemd. Das überdimensionierte weiße Handy, das unentwegt klingelt, steckt griffbereit in der linken Hemdtasche. Er ist der Kanonikus der Kirche und für deren Instandhaltung verantwortlich. Mit seiner Frau und den sieben Kindern wohnt er neben der Kathedrale im Pfarrgarten. Sein Haus ist größer als die Kathedrale.
Vor dem Termin hatte ich an die großen Kathedralen dieser Welt gedacht: den Petersdom in Rom, die St. Paul’s Cathedral in London und die Cathédrale Notre Dame de Paris. Steinerne Wunder der Baukunst voll mit Glanz und Gloria. Auch bei der St. George-Kathedrale war ich deshalb wenigstens von der Größe der Christuskirche ausgegangen. Schließlich hatte ich gelesen, dass sie die wichtigste anglikanische Kirche Namibias ist.
Doch ich hatte mich getäuscht. Und zwar mit allem. Kathedralen müssen keineswegs riesige Türme, monumentale Seitenschiffe oder gedrechselte Portale haben, um in den Kreis aufgenommen zu werden. Denn es gibt es nur ein einziges Kriterium: Die Kirche muss Bischofssitz sein.
Der Begriff „Cathedra“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet schlicht: Bischofsstuhl. „Kathedrale“ ist deshalb kein architektonischer Begriff, sondern hat mit der Funktion als Bischofskirche, die dann gleichzeitig Hauptkirche einer Diözese ist, zu tun. „Seit 1924 gibt es in Windhoek anglikanische Bischöfe. Unser derzeitiger heißt Nathaniel Nakwatumbah“, erklärt Reverend Kaxuxuena, der mich über den Fronteingang mittlerweile in die Kirche eingelassen hat. „Reverend Nakwatumbah ist das Oberhaupt der Diözese in Namibia. Seinen Hauptsitz hat er in der Kathedrale.“
Doch eigentlich weist nur wenig darauf hin, dass St. George mit Notre-Dame oder dem Petersdom gleichgestellt ist. Es ist ein schmuckes Kirchlein, an das sich bequem Bäume und Sträucher schmiegen, die drumherum wachsen. Das grüne Blechdach spannt sich unspektakulär über den rund fünf Meter hohen Dachstuhl. An seiner höchsten Stelle trohnt ein winziges hölzernes Kreuz. Kirchturm gibt es keinen. Die Glocke musste deshalb auf die trockene Rasenfläche nebenan ausweichen. Ihr halbrund gemauertes Gestell und das Schiffstau, mit dem sie geläutet wird, erinnern eher an die Eröffnungsszene aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ als an das stolze Geläut einer Kathedrale.
Im Innern herrscht eine friedliche und heimelige Atmosphäre. Der Boden ist mit rotem Teppich belegt. Sechs Milchglas- und vier bemalte Fenster lassen ausreichend Licht in das Innere. Die etwa 3,50 Meter hohe Decke drückt von oben. Das dunkle Holz, aus dem auch das Kreuz über dem Altar geschnitzt ist, verleiht dem Raum eine zusätzliche Schwere. Er wirkt dadurch noch kleiner als er ohnehin schon ist und ist vielleicht gerade deshalb so gemütlich. Von der sterilen Kühle, die große Gotteshäuser häufig durchweht, ist hier nichts zu spüren. Es gibt keinen Goldaltar, keine Heiligenfiguren, keinen Hochaltar. Lediglich das Porträt der Heiligen Mutter Gottes hängt an der Wand und wird von einer funzelnden Kerze beschienen. An den Rückseiten der Gebetsstühle steckt das „Book of Common Prayer“ – das anglikanische Gebetsbuch, das bis auf wenige Änderungen in der gesamten anglikanischen Gemeinschaft den gleichen Aufbau hat.
In den 22 Kirchenbänken finden maximal 120 Gläubige Platz. „Dann ist unser Haus aber pickepacke voll“, erklärt Pfarrer Kaxuxuena. Bei Trauungen, Taufen oder Beerdigungen sitzen die, die keinen Platz mehr in der Kirche finden, davor. „Mit Lautsprechern übertragen wir den Gottesdienst dann nach draußen, das funktioniert ganz gut.“ Bei ganz großen Anlässen weicht die Gemeinde jedoch auf andere Gotteshäuser aus.
Im linken Teil des Altars steht der besondere Stuhl des Bischofs. Er verfügt über eine besonders hohe Rückenlehne, eine Bücherablage und an ihm ist der Stab angebracht, den der Bischof für feierliche Anlässe und Gottesdienste benutzt. Auf dem „Cathedra“ darf nur er Platz nehmen. Links vor dem Altar in St. George zweigt eine enge Tür in die Sakristei ab. Dort sind in einem Schrank die Gewänder der Priester und Messdiener untergebracht. An der Wand hängt ein Bild mit den Gesichtern der ehemaligen Bischöfe. Nakwatumbah ist der zwölfte Bischof der Diözese Namibia. Unter seinem ersten Vorgänger, Nelson Wellesley Fogarty, wurden die Kathedrale und die St. George-Schule 1924 gebaut, erklärt Kaxuxuena, während er auf das Bild deutet. Erst ab diesem Zeitpunkt habe es eine anglikanische Diözese in Namibia gegeben. Davor hatte es lediglich zarte Missionierungsversuche gegeben, die am Veto der vorherrschenden katholischen und lutherischen Kirche scheiterten.
Durch die neue Diözese erhoffte sich die südafrikanische Besatzungsmacht Hilfe im Umgang mit der Bevölkerung. „Bis 1978 gab es deshalb nur weiße Bischöfe in Windhoek“, sagt Kaxuxuena. Dennoch wurden die Südafrikaner von ihrer Kirche enttäuscht. Denn die meisten der hier tätigen Bischöfe schlugen sich schnell auf die Seite der Unterdrückten und öffneten ihr Gotteshaus als „Botschaft Gottes“, in der jeder Unterschlupf finden konnte, der in Not war. Vier Bischöfe wurden aus diesem Grund wieder abberufen und außer Landes gebracht, da sie Südafrikaner oder Amerikaner waren.
Als 1981 jedoch mit James Hamupanda Kauluma der erste Schwarze und der erste Namibier Bischof wurde, hatte die südafrikanische Regierung ein ernstes Problem, denn Kauluma konnte als Einheimischer nicht eben mal ausgewiesen werden und war in der Friedensmission noch engagierter als seine Vorgänger. Er organisierte Fluchten, bot Unterschlupf und beteiligte sich an Demonstrationen. Auf einer von ihnen wurde er sogar angeschossen. „Er war ein sehr starker Mann, der viele Dinge angepackt hat“, sagt Kaxuxuena, der ebenfalls von Kauluma profitierte. Durch dessen Hilfe konnte er dem verhassten Bergwerksjob entkommen und in den USA Theologie studieren.
Wegen der Enge will die Diözese nun ihre Mutterkirche vergrößern. Für rund drei Millionen N$ soll das Mittelschiff verbreitert und um zwei Seitenflügel ergänzt werden. Dann könnten 500 Gläubige Platz finden. Noch sind die Pläne in der Schwebe und es fehlt vor allem am Geld. Sollte das Projekt jedoch umgesetzt werden, könnte die Diözese selbst dafür sorgen, dass aus der vielleicht kleinsten Kathedrale der Welt ein unbedeutendes größeres Kirchlein wird. Denn eines hat mich die St. George-Kathedrale gelehrt: Kirchen müssen keineswegs groß sein, um eindrucksvoll und menschenanziehend zu wirken.
Kathedralen sind riesig. Sie haben meterdicke Wände, Türme hoch wie Wolkenkratzer und verschnörkelte Fassaden – es sind die größten Kirchen der Welt. Mit ihnen tragen die reichen Kurien ihre Macht und ihren Prunk zur Schau. Schon allein deshalb müssen sie steinerne Riesen sein, die auf das Menschenvolk unter ihnen herabblicken.
Mit diesem Vorurteil ihm Gepäck stehe ich nun vor einem Gittertor an der Ecke Conradie- und Lovestraße – und bin verwirrt. Hinter dem Tor, auf dem ein Kreuz prangt, versteckt sich zwischen Bäumen und Sträuchern ein Gebäude aus Naturstein und mit grünem Blechdach. Es ist kaum größer als ein Bungalow. „Das soll eine Kathedrale sein?“, frage ich und blicke dabei in das lächelnde Gesicht eines 60-Jährigen. „Aber natürlich“, sagt Reverend Kanonikus Samuel Kaxuxuena. „Unsere liebe St. George ist klein, aber fein – und ausgesprochen gemütlich.“
Kaxuxuena trägt eine graue Stoffhose, hellblaue Sneakers und eine Baumwollweste über seinem schwarzen Hemd. Das überdimensionierte weiße Handy, das unentwegt klingelt, steckt griffbereit in der linken Hemdtasche. Er ist der Kanonikus der Kirche und für deren Instandhaltung verantwortlich. Mit seiner Frau und den sieben Kindern wohnt er neben der Kathedrale im Pfarrgarten. Sein Haus ist größer als die Kathedrale.
Vor dem Termin hatte ich an die großen Kathedralen dieser Welt gedacht: den Petersdom in Rom, die St. Paul’s Cathedral in London und die Cathédrale Notre Dame de Paris. Steinerne Wunder der Baukunst voll mit Glanz und Gloria. Auch bei der St. George-Kathedrale war ich deshalb wenigstens von der Größe der Christuskirche ausgegangen. Schließlich hatte ich gelesen, dass sie die wichtigste anglikanische Kirche Namibias ist.
Doch ich hatte mich getäuscht. Und zwar mit allem. Kathedralen müssen keineswegs riesige Türme, monumentale Seitenschiffe oder gedrechselte Portale haben, um in den Kreis aufgenommen zu werden. Denn es gibt es nur ein einziges Kriterium: Die Kirche muss Bischofssitz sein.
Der Begriff „Cathedra“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet schlicht: Bischofsstuhl. „Kathedrale“ ist deshalb kein architektonischer Begriff, sondern hat mit der Funktion als Bischofskirche, die dann gleichzeitig Hauptkirche einer Diözese ist, zu tun. „Seit 1924 gibt es in Windhoek anglikanische Bischöfe. Unser derzeitiger heißt Nathaniel Nakwatumbah“, erklärt Reverend Kaxuxuena, der mich über den Fronteingang mittlerweile in die Kirche eingelassen hat. „Reverend Nakwatumbah ist das Oberhaupt der Diözese in Namibia. Seinen Hauptsitz hat er in der Kathedrale.“
Doch eigentlich weist nur wenig darauf hin, dass St. George mit Notre-Dame oder dem Petersdom gleichgestellt ist. Es ist ein schmuckes Kirchlein, an das sich bequem Bäume und Sträucher schmiegen, die drumherum wachsen. Das grüne Blechdach spannt sich unspektakulär über den rund fünf Meter hohen Dachstuhl. An seiner höchsten Stelle trohnt ein winziges hölzernes Kreuz. Kirchturm gibt es keinen. Die Glocke musste deshalb auf die trockene Rasenfläche nebenan ausweichen. Ihr halbrund gemauertes Gestell und das Schiffstau, mit dem sie geläutet wird, erinnern eher an die Eröffnungsszene aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ als an das stolze Geläut einer Kathedrale.
Im Innern herrscht eine friedliche und heimelige Atmosphäre. Der Boden ist mit rotem Teppich belegt. Sechs Milchglas- und vier bemalte Fenster lassen ausreichend Licht in das Innere. Die etwa 3,50 Meter hohe Decke drückt von oben. Das dunkle Holz, aus dem auch das Kreuz über dem Altar geschnitzt ist, verleiht dem Raum eine zusätzliche Schwere. Er wirkt dadurch noch kleiner als er ohnehin schon ist und ist vielleicht gerade deshalb so gemütlich. Von der sterilen Kühle, die große Gotteshäuser häufig durchweht, ist hier nichts zu spüren. Es gibt keinen Goldaltar, keine Heiligenfiguren, keinen Hochaltar. Lediglich das Porträt der Heiligen Mutter Gottes hängt an der Wand und wird von einer funzelnden Kerze beschienen. An den Rückseiten der Gebetsstühle steckt das „Book of Common Prayer“ – das anglikanische Gebetsbuch, das bis auf wenige Änderungen in der gesamten anglikanischen Gemeinschaft den gleichen Aufbau hat.
In den 22 Kirchenbänken finden maximal 120 Gläubige Platz. „Dann ist unser Haus aber pickepacke voll“, erklärt Pfarrer Kaxuxuena. Bei Trauungen, Taufen oder Beerdigungen sitzen die, die keinen Platz mehr in der Kirche finden, davor. „Mit Lautsprechern übertragen wir den Gottesdienst dann nach draußen, das funktioniert ganz gut.“ Bei ganz großen Anlässen weicht die Gemeinde jedoch auf andere Gotteshäuser aus.
Im linken Teil des Altars steht der besondere Stuhl des Bischofs. Er verfügt über eine besonders hohe Rückenlehne, eine Bücherablage und an ihm ist der Stab angebracht, den der Bischof für feierliche Anlässe und Gottesdienste benutzt. Auf dem „Cathedra“ darf nur er Platz nehmen. Links vor dem Altar in St. George zweigt eine enge Tür in die Sakristei ab. Dort sind in einem Schrank die Gewänder der Priester und Messdiener untergebracht. An der Wand hängt ein Bild mit den Gesichtern der ehemaligen Bischöfe. Nakwatumbah ist der zwölfte Bischof der Diözese Namibia. Unter seinem ersten Vorgänger, Nelson Wellesley Fogarty, wurden die Kathedrale und die St. George-Schule 1924 gebaut, erklärt Kaxuxuena, während er auf das Bild deutet. Erst ab diesem Zeitpunkt habe es eine anglikanische Diözese in Namibia gegeben. Davor hatte es lediglich zarte Missionierungsversuche gegeben, die am Veto der vorherrschenden katholischen und lutherischen Kirche scheiterten.
Durch die neue Diözese erhoffte sich die südafrikanische Besatzungsmacht Hilfe im Umgang mit der Bevölkerung. „Bis 1978 gab es deshalb nur weiße Bischöfe in Windhoek“, sagt Kaxuxuena. Dennoch wurden die Südafrikaner von ihrer Kirche enttäuscht. Denn die meisten der hier tätigen Bischöfe schlugen sich schnell auf die Seite der Unterdrückten und öffneten ihr Gotteshaus als „Botschaft Gottes“, in der jeder Unterschlupf finden konnte, der in Not war. Vier Bischöfe wurden aus diesem Grund wieder abberufen und außer Landes gebracht, da sie Südafrikaner oder Amerikaner waren.
Als 1981 jedoch mit James Hamupanda Kauluma der erste Schwarze und der erste Namibier Bischof wurde, hatte die südafrikanische Regierung ein ernstes Problem, denn Kauluma konnte als Einheimischer nicht eben mal ausgewiesen werden und war in der Friedensmission noch engagierter als seine Vorgänger. Er organisierte Fluchten, bot Unterschlupf und beteiligte sich an Demonstrationen. Auf einer von ihnen wurde er sogar angeschossen. „Er war ein sehr starker Mann, der viele Dinge angepackt hat“, sagt Kaxuxuena, der ebenfalls von Kauluma profitierte. Durch dessen Hilfe konnte er dem verhassten Bergwerksjob entkommen und in den USA Theologie studieren.
Wegen der Enge will die Diözese nun ihre Mutterkirche vergrößern. Für rund drei Millionen N$ soll das Mittelschiff verbreitert und um zwei Seitenflügel ergänzt werden. Dann könnten 500 Gläubige Platz finden. Noch sind die Pläne in der Schwebe und es fehlt vor allem am Geld. Sollte das Projekt jedoch umgesetzt werden, könnte die Diözese selbst dafür sorgen, dass aus der vielleicht kleinsten Kathedrale der Welt ein unbedeutendes größeres Kirchlein wird. Denn eines hat mich die St. George-Kathedrale gelehrt: Kirchen müssen keineswegs groß sein, um eindrucksvoll und menschenanziehend zu wirken.
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