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Kleine Wallfahrten retour
Kleine Wallfahrten retour

Kleine Wallfahrten retour

Stories über Pilgerfahrten gibt es nochall stief in der Literatur. Die berühmtesten sind gewiss vom stouten Geoffrey Chaucer in Merry Olde England. Vor gut 600 Jahren hat er die Pilger, die angeblich zur Stärkung ihres Seelenheils nach Canterbury auf Pad gegangen sind, zu Wort kommen lassen, in den Canterbury Tales, versteht sich. Unzensiert.

Das war ungefähr die Zeit, als sich die Angelsachsen auf der Regeninsel und die Festlandsachsen im heutigen Nieder- und Obersachsen trotz Verwandtschaft immer schwieriger verständigen konnten. Ihre verwandten Dialekte hatten sich schon geraume Zeit auf den Weg gemacht, eigene Sprachen zu werden. Aber gerade da hat Chaucer angefangen, Stories zu schreiben, in seinem Angelsächsisch, das jetzt mit jede Menge Latein und Französisch gespickt war. Französisch auch deshalb, weil die Franzosen den Oukie in ihrem Land einfach 'mal eingelocht haben. Als Gesandter, politischer Aktivist und Dichter muss er den Galliern in irgendeiner Eigenschaft irritierend aufgefallen sein.

Aber das nur nebenbei.

Die Tradition, sich Stories zu erzählen, geht also weit zurück und bleibt immer aktuell, einfach weil es der Schatz ist, den man mühelos und schadlos, aber nicht immer lückenlos, aufrufen kann. Weglassen und Hinzudichten sind auch erlaubt, weil sich das Geschehen aus zeitlicher Entrücktheit betrachtet auch der Legende nähert.

Sogar im 21. Jahrhundert. Das mag die wiederholten Wallfahrten zu Klassentreffen, erklären die Altschüler von Lüderitzbucht, Ovenduka und von Tsoachaobmund abhalten. Es sind hauptsächlich die Schulabgänger deutscher Sprache von Mitte der fünziger bis Mitte der sechziger Jahre der letzten Hundert im vorigen Jahrtausend, die jetzt, da ihre Kinder schon länger aus dem Haus sind, Zeit finden, Nostalgie zu pflegen, rückwärts zu pilgern. Was kann es anderes sein, als verflossene Zeiten wieder aufleben zu lassen: "Wie es damals war."

Um es noch mal mit Hajob zu sagen, der die zeitweilige Rückkehr nach Swakopmund mit seinem Flair verbindet:

" ? wohl weil mir dort, spurlos von Meer und Wind,

viel Jugendjahre einst zerronnen sind ? "



Aber die Wallfahrer solcher Treffen wollen jeweils noch ein paar Spuren retten aus einer Zeit, da die Schulen für die hiesigen Ovandoitjie wenige Jahre nach Aufhebung des staatlichen Verbots der deutschen Sprache im Unterricht eben Stätten des Aufbruchs und - zunächst nur unter Weißen - sozialen Umbruchs waren. Den Eltern dieser Generation saß der etwa zehn Jahre zurückliegende Krieg noch tief in den Knochen. Bomben und Hakenkreuze hatten sie entweder auf den Schauplätzen in Europa selbst überlebt oder indirekt im südlichen Afrika - bedeckter Segen - als Kampwitwen oder Kampinsassen überstanden.

Der Zweite Weltkrieg war zehn Jahre oder länger vorüber, aber auf Südwester Schulhöfen kämpften, verloren und siegten Vorurteile sowie Kriegspropaganda aus deutschen, afrikaansen und wenigen englischen Elternhäusern mitunter noch Jahre lang weiter. Auf Grund des Kriegsausgangs konnten Sprachgruppen und Menschen eben in Menschen und Underdogs eingeteilt werden.

Die Jahrgänge, die jetzt ihre Klassentreffen feiern, hatten es in der Regel raus, sich durch Aktivismus im Sport, auf der Bühne, sogar durch Strebertum oder durch halbstarke Aufsässigkeit - sommer parmantach - vom Status des Underdog zu befreien.

Und so tauchen heute Fotos mit gezackten Rändern auf, darauf kommen junge Leute wieder unter die Leute ?

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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