Künstler Erik Schnack reflektiert in seinem Comicbuch "Bulletproof" über einen noch lange nicht vergessenen Kampf
Südwestafrika im Jahr 1981. Hansie drückt noch die Schulbank. Er wird beim Kaugummi kauen erwischt. Ein schweres Vergehen. Das Urteil lautet: Nur Kommunisten kauen Kaugummi. Zur Strafe reibt ihm die Lehrerin das Bubblegum ins Haar, zerrt ihn am Ohr ins Zimmer des Rektors, dort gibts sechs Hiebe mit dem Stock.
Das Haar musste sowieso geschnitten werden.
Osire, 1986. Im Militärlager erhält Hansie seine dreimonatige Grundausbildung. Er ist nicht gemacht dafür, er wird schnell zum Prügelknabe. Während des Bibelunterrichts starrt er gedankenverloren ins Leere. Ein schweres Vergehen. Das Urteil lautet: Hansie ist ein potenzieller Kommunist. Diesmal fällt die Strafe härter aus. Richtig los geht es aber erst, als Hansie dann bei der Waffenkunde einschläft. (Nur Kommunisten schlafen.) Ihm werden die Hände am Rücken gefesselt, dann tritt der Feldwebel die Füße unter ihm weg, so dass sein Kopf in einen mit Wasser gefüllten Eimer fällt. Während das Wasser Hansies Lungen füllt, geht der Waffenkunde-Unterricht unbeirrt weiter.
Erik Schnack erzählt mit kunstvollen Comiczeichnungen die Geschichte eines jungen Mannes, der durch die Militärausbildung und den anschließenden Grenzkrieg gebrochen wird, der sich von einem harmlosen Schwächling in einen gemeingefährlichen Amokläufer verwandelt. Dies ist keine Gutenachtgeschichte für Kinder. "Bulletproof" ist ein Comic für Erwachsene. Mit bissigem Humor und treffenden Pointen zeichnet Schnack ein satirisches Bild vom Horror des Krieges und der rassistischen Gesellschaft Südwestafrikas.
Erik Schnack war selbst im Wehrdienst, das war kurz vor der Unabhängigkeit, 1988 bis 1989. An die Grenze musste er nicht mehr, aber Geschichten hat er zur Genüge gehört. Und obwohl die Geschichte von "Bulletproof" größtenteils erfunden ist, könnte sie sehr gut möglich gewesen sein.
Eine Szene im Buschkrieg: Mitten im Maschinengewehrfeuer geht ein verängstigter Hansie in Deckung, während seine Kameraden weiterkämpfen. Bibbernd versteckt er sich in einem Trockenfluss. Da plötzlich knackt ein Ast. Ein Löwe brüllt - es ist der Feind, ein schwarzer Guerillakämpfer. Anstatt seine Waffe zu ziehen oder um Gnade zu flehen, erfüllt sich Hansie einen letzten Wunsch: Mit zitternden Fingern zündet er sich einen Zigarettenstummel an. Der Löwe hält inne. Dann streckt er eine Hand aus nach Hansies Zigarette.
"What's your name, soldier?"
"Hansie! What's yours?"
"Natangwe!"
Und während die Maschinengewehre weiter knattern, blasen ein schwarzer und ein weißer Soldat Zigarettenrauch in die Luft und schließen für Sekunden eine Freundschaft, die nicht lange währen kann.
"Es muss im Krieg Momente gegeben haben, wo man dachte: `F...k das, ich erschieße keinen!`", glaubt Erik Schnack. Die Zigarette wurde für ihn zum Symbol für diese Art Moment. "Ich kenne die Zigarettenpausen vom Drill", erinnert sich der Künstler. Für Stunden wurden die Rekruten getrietzt, mussten in der Mittagssonne durch den glühenden Sand robben. Aber wenn es dann hieß: "Smokebreak!", dann war Auszeit, und die hat selbst der gemeinste Ausbilder respektiert. "Dann konnte dir keiner was", so Schnack. "Kein Wunder, dass ich da zum Raucher wurde."
Ein "Hansie" sei er aber nicht gewesen, sagt Erik. Doch die habe es schließlich in fast in jeder Staffel gegeben.
Schnack, in Windhoek gebürtig, zählt zu den aktuellsten Künstlern im unabhängigen Namibia. Sein erster kompletter Comic, "Bulletproof", entstand aus der Idee, gemeinsam mit anderen namibischen Künstlern ein Comicprojekt zu starten. Jeder Künstler, so Schnacks Idee, sollte fünf Seiten dazu beitragen. "Aber dann kam nichts, ich war alleine mit meinem Plan, und so habe ich halt weiter an meinen fünf Seiten gearbeitet", erinnert sich Erik.
Durch seine Recherche über Waffen und Uniformen - schließlich sollten die Zeichnungen möglichst realitätstreu sein - stieß er auf die berüchtigten Todesflüge von "Doktor Death". Das war der Spitzname von Wouter Basson, der im Auftrag der südafrikanischen Apartheidsregierung Giftstoffe und Killerkeime zur Bekämpfung der Schwarzen entwickelt haben soll, beschuldigt wurde, selbst Todesspritzen gegeben und gefangene Widerstandskämpfer aus Helikoptern über dem Atlantik abgeworfen zu haben. "Von da aus hat sich alles entwickelt", sagt Erik Schnack über den Entstehungsprozess von "Bulletproof".
Es ist jedoch nicht nur die Einbindung von Geschichten wie der des "Doktor Death", die diesem Comic solch erschreckende Realitätsnähe verleihen. Eine Zeichnung in "Bulletproof" etwa zitiert ein Fotodokument aus dem Buschkrieg: Die berühmte Fotografie von John Liebenberg zeigt einen kleinen schwarzen Jungen vor den verrauchten Trümmern eines Dorfes im Ovamboland, kurz nachdem dort eine Bombe der südafrikanischen Armee eingeschlagen hat. In "Bulletproof" fehlt der stehende Junge auf dem fast Eins-zu-Eins abgezeichneten Bild. Dafür liegen Kinderleichen im Sand.
Keine Frage, "Bulletproof" ist harter Tobak.
"Die Zeit vergeht, der Nebel lichtet sich, Krieg ist kein Gemeinschaftssport", so das Zitat vom Vietnam-Arzt Keith Decker weiter. "Trotzdem werden wir immer wieder davon angezogen wie Motten vom brennenden Licht. Wir haben nichts gelernt."
Die Originalzeichnungen von "Bulletproof" wurden kürzlich in der Galerie Fusion in Windhoek ausgestellt. Das Buch war zu der Zeit noch nicht aus dem Druck, soll aber ab Mitte Januar unter anderem in der Nationalgalerie in Windhoek erhältlich sein. Vorbestellungen direkt bei Erik Schnack unter E-Mail [email protected].
Das Haar musste sowieso geschnitten werden.
Osire, 1986. Im Militärlager erhält Hansie seine dreimonatige Grundausbildung. Er ist nicht gemacht dafür, er wird schnell zum Prügelknabe. Während des Bibelunterrichts starrt er gedankenverloren ins Leere. Ein schweres Vergehen. Das Urteil lautet: Hansie ist ein potenzieller Kommunist. Diesmal fällt die Strafe härter aus. Richtig los geht es aber erst, als Hansie dann bei der Waffenkunde einschläft. (Nur Kommunisten schlafen.) Ihm werden die Hände am Rücken gefesselt, dann tritt der Feldwebel die Füße unter ihm weg, so dass sein Kopf in einen mit Wasser gefüllten Eimer fällt. Während das Wasser Hansies Lungen füllt, geht der Waffenkunde-Unterricht unbeirrt weiter.
Erik Schnack erzählt mit kunstvollen Comiczeichnungen die Geschichte eines jungen Mannes, der durch die Militärausbildung und den anschließenden Grenzkrieg gebrochen wird, der sich von einem harmlosen Schwächling in einen gemeingefährlichen Amokläufer verwandelt. Dies ist keine Gutenachtgeschichte für Kinder. "Bulletproof" ist ein Comic für Erwachsene. Mit bissigem Humor und treffenden Pointen zeichnet Schnack ein satirisches Bild vom Horror des Krieges und der rassistischen Gesellschaft Südwestafrikas.
Erik Schnack war selbst im Wehrdienst, das war kurz vor der Unabhängigkeit, 1988 bis 1989. An die Grenze musste er nicht mehr, aber Geschichten hat er zur Genüge gehört. Und obwohl die Geschichte von "Bulletproof" größtenteils erfunden ist, könnte sie sehr gut möglich gewesen sein.
Eine Szene im Buschkrieg: Mitten im Maschinengewehrfeuer geht ein verängstigter Hansie in Deckung, während seine Kameraden weiterkämpfen. Bibbernd versteckt er sich in einem Trockenfluss. Da plötzlich knackt ein Ast. Ein Löwe brüllt - es ist der Feind, ein schwarzer Guerillakämpfer. Anstatt seine Waffe zu ziehen oder um Gnade zu flehen, erfüllt sich Hansie einen letzten Wunsch: Mit zitternden Fingern zündet er sich einen Zigarettenstummel an. Der Löwe hält inne. Dann streckt er eine Hand aus nach Hansies Zigarette.
"What's your name, soldier?"
"Hansie! What's yours?"
"Natangwe!"
Und während die Maschinengewehre weiter knattern, blasen ein schwarzer und ein weißer Soldat Zigarettenrauch in die Luft und schließen für Sekunden eine Freundschaft, die nicht lange währen kann.
"Es muss im Krieg Momente gegeben haben, wo man dachte: `F...k das, ich erschieße keinen!`", glaubt Erik Schnack. Die Zigarette wurde für ihn zum Symbol für diese Art Moment. "Ich kenne die Zigarettenpausen vom Drill", erinnert sich der Künstler. Für Stunden wurden die Rekruten getrietzt, mussten in der Mittagssonne durch den glühenden Sand robben. Aber wenn es dann hieß: "Smokebreak!", dann war Auszeit, und die hat selbst der gemeinste Ausbilder respektiert. "Dann konnte dir keiner was", so Schnack. "Kein Wunder, dass ich da zum Raucher wurde."
Ein "Hansie" sei er aber nicht gewesen, sagt Erik. Doch die habe es schließlich in fast in jeder Staffel gegeben.
Schnack, in Windhoek gebürtig, zählt zu den aktuellsten Künstlern im unabhängigen Namibia. Sein erster kompletter Comic, "Bulletproof", entstand aus der Idee, gemeinsam mit anderen namibischen Künstlern ein Comicprojekt zu starten. Jeder Künstler, so Schnacks Idee, sollte fünf Seiten dazu beitragen. "Aber dann kam nichts, ich war alleine mit meinem Plan, und so habe ich halt weiter an meinen fünf Seiten gearbeitet", erinnert sich Erik.
Durch seine Recherche über Waffen und Uniformen - schließlich sollten die Zeichnungen möglichst realitätstreu sein - stieß er auf die berüchtigten Todesflüge von "Doktor Death". Das war der Spitzname von Wouter Basson, der im Auftrag der südafrikanischen Apartheidsregierung Giftstoffe und Killerkeime zur Bekämpfung der Schwarzen entwickelt haben soll, beschuldigt wurde, selbst Todesspritzen gegeben und gefangene Widerstandskämpfer aus Helikoptern über dem Atlantik abgeworfen zu haben. "Von da aus hat sich alles entwickelt", sagt Erik Schnack über den Entstehungsprozess von "Bulletproof".
Es ist jedoch nicht nur die Einbindung von Geschichten wie der des "Doktor Death", die diesem Comic solch erschreckende Realitätsnähe verleihen. Eine Zeichnung in "Bulletproof" etwa zitiert ein Fotodokument aus dem Buschkrieg: Die berühmte Fotografie von John Liebenberg zeigt einen kleinen schwarzen Jungen vor den verrauchten Trümmern eines Dorfes im Ovamboland, kurz nachdem dort eine Bombe der südafrikanischen Armee eingeschlagen hat. In "Bulletproof" fehlt der stehende Junge auf dem fast Eins-zu-Eins abgezeichneten Bild. Dafür liegen Kinderleichen im Sand.
Keine Frage, "Bulletproof" ist harter Tobak.
"Die Zeit vergeht, der Nebel lichtet sich, Krieg ist kein Gemeinschaftssport", so das Zitat vom Vietnam-Arzt Keith Decker weiter. "Trotzdem werden wir immer wieder davon angezogen wie Motten vom brennenden Licht. Wir haben nichts gelernt."
Die Originalzeichnungen von "Bulletproof" wurden kürzlich in der Galerie Fusion in Windhoek ausgestellt. Das Buch war zu der Zeit noch nicht aus dem Druck, soll aber ab Mitte Januar unter anderem in der Nationalgalerie in Windhoek erhältlich sein. Vorbestellungen direkt bei Erik Schnack unter E-Mail [email protected].
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Allgemeine Zeitung
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