Koloniale Altlasten in Namibia und die Grenzen des Völkerrechts
Anfang 1904 häuften sich die Widerstände der Herero gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und maßgeblich von der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Herero beeinflusst, welche sich seit der Rinderpest von 1896 stetig verschlechterte. Konflikte mit deutschen Siedlern häuften sich und die Reservatspolitik der Kolonialverwaltung wurde in Frage gestellt. Am 19. Mai 1904 erfolgte nach Artikel 68 der Reichsverfassung von 1871 die Kriegserklärung für das Schutzgebiet. Am 2. Oktober 1904 erklärte Generalleutnant Lothar von Trotha, der Oberbefehlshaber der Schutztruppen im südwestafrikanischen Schutzgebiet, "innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen". Diese später teilweise als "Schieß- oder Vernichtungsbefehl" bekannt gewordene Erklärung, sowie die darauf folgenden historischen Ereignisse zwischen 1904 und 1908, bilden die Grundlage des erhobenen Völkermordvorwurfes.(D. Red.: Der "Schießbefehl" wurde nach zwei Monaten im Dezember 1904 in Berlin widerrufen.)
Politische Verantwortung und völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Bereits im Vorfeld der namibischen Unabhängigkeit, und nicht zuletzt aufgrund der Kolonialzeit, bestand eine besondere Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Namibia, welche bis zum heutigen Tag besteht und sich besonders im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit niederschlägt. Nicht erst seit der Unabhängigkeit, aber seither mit Nachdruck, häuften sich aus den Reihen der Herero die Versuche, von der Bundesregierung eine Entschuldigung wegen der Niederschlagung des Hereroaufstandes und der nachfolgenden historischen (und zweifelsohne tragischen) Begebenheiten sowie Wiedergutmachungsleistungen zu erstreiten.
Eine treibende Kraft hinter diesen Bestrebungen ist Paramount Chief, Kuaima Riruako. Bereits kurz nach Namibia's Unabhängigkeit am 21. März 1990, ersuchte Kuaima Riruako den Namibischen Gründungspräsidenten, Sam Nujoma, zur Weiterleitung eines Briefes an die Bundesrepublik Deutschland und die DDR zu bewegen, in dem wegen der "Ausrottung von 80 Prozent der Herero" um Wiedergutmachung gebeten wird, was Riruako schließlich noch im selben Jahr gegenüber dem damaligen Bundesaußenminister Genscher persönlich in Berlin übermittelte. Dasselbe Anliegen wurde auch 1995 dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und 1998 dem damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog vorgetragen, welche sich jeweils im Rahmen eines Staatsbesuchs in Namibia aufhielten. Wo sich Helmut Kohl noch auf keine Debatte mit den Herero über Entschädigungsforderungen einließ, äußerte Roman Herzog, obwohl er eine Entschuldigung wie auch Entschädigungszahlungen ablehnte, dass Deutschland immerhin eine moralische Verantwortung für das Verhalten der deutschen Kolonialtruppen während des Hererokrieges trage. Bis dato wurde der Begriff "Völkermord" vermieden, eine Linie welcher auch Bundesaußenminister Joschka Fischer bei seinem Besuch in Namibia im Oktober 2003 noch treu blieb.
Kein juristisch relevantes Schuldanerkenntnis
Eine teilweise Kursänderung erfolgte im August 2004 mit dem Besuch der deutschen Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, anlässlich des 100-jährigen Gedenkens an die Schlacht am Waterberg. Zum ersten Mal, wurde eine Entschuldigung offen ausgesprochen, als Wieczorek-Zeul die Herero "im Sinne des gemeinsamen 'Vater Unser' um Vergebung" der damaligen Gräueltaten der deutschen Soldaten bat, was heute als Völkermord bezeichnet würde. Der genaue Wortlaut (welcher unter www.bmz.de eingesehen werden kann) ist dabei maßgeblich. Das wurde damals auch sinngemäß vom stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Winfried Nachtwei so kommentiert. Er bezeichnete Wieczorek-Zeuls Rede als "präzise in den Formulierungen zu Völkermord und Schuld", worin jedoch kein juristisch relevantes Schuldanerkenntnis enthalten ist.
Wiewohl es aus Opfersicht verständlich ist, dass das Völkerrecht bemüht wird um Wiedergutmachung zu erlangen, ist es mehr als fraglich ob aus den Ereignissen nach dem Herero-Aufstand eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland herzuleiten ist. Wie es Steffen Eicker in seiner jüngst veröffentlichten Dissertation über den "Deutsch-Herero Krieg und das Völkerrecht" formuliert, besteht der moralische Vorwurf an das Deutsche Reich darin, "dass es sich in einem nicht-juristischen Sinne des Völkermordes an den Herero schuldig gemacht hat". Ungeachtet der umstrittenen juristischen Frage, ob der Bundesregierung die Handlungen der Truppen des Deutschen Reiches zugerechnet werden können, müssten etwaige Ansprüche, sofern noch nicht verjährt, gegen die Bundesrepublik Deutschland auf völkerrechtlicher Ebene nicht von einzelnen Herero-Gruppen sondern vielmehr von der Republik Namibia für die Verletzung von Rechten ihrer Bürger geltend gemacht werden.
Als Kuaima Riruako im Jahr 1998 im Namen der Herero eine auf Zahlung von Entschädigungsleistungen gerichtete Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) einreichte, nahm dieser das Verfahren aufgrund der Vorschrift des Artikel 34 I des IGH-Statuts nicht zur Verhandlung und Entscheidung an. Artikel 34 I des IGH-Statuts besagt, dass nur Staaten, nicht aber einzelne Personen oder Personengruppen als Partei vor dem IGH auftreten können. Mit anderen Worten, die Herero sind völkerrechtlich nicht aktivlegitimiert, Reparationsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen. Das heißt, dass ungeachtet der Frage, ob man der Bundesrepublik Deutschland die Niederschlagung des Herero-Aufstandes als einen Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht oder Grundsätze der Menschlichkeit zurechnen kann, läge die Staatenverantwortlichkeit bei Namibia, derartige Verletzungen geltend zu machen. Nachdem dies jedoch bis heute, d.h. fast 20 Jahre nach der Unabhängigkeit nicht geschehen ist, könnte man argumentieren, dass der namibische Staat dadurch bei der Bundesrepublik Deutschland den Anschein erweckt hat, dass die Frage der Reparationsleistungen erledigt ist und künftig nicht mehr eingefordert werden kann.
Würde man von einem derartigen Vertrauensschutz absehen, diente dies zwar möglicherweise der "Gerechtigkeit", trüge jedoch gleichermaßen zu einer Rechtsunsicherheit bei, wo historische, d.h. jahrhunderte- oder gar jahrtausendealte Tatbestände zum Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen gemacht werden könnten, wodurch die Ordnungsfunktion des Völkerrechts weitgehend in Frage gestellt wäre. Bisweilen sind die Ausgleichsforderungen der Herero gegen die Bundesrepublik Deutschland erfolglos geblieben. Auch das Beschreiten des Rechtsweges in den USA hat soweit keine anderen Ergebnisse erzielt.
Aktueller Stand der Dinge
Unlängst reiste eine Delegation der Parlamentariergruppe SADC-Staaten (Südliches Afrika) unter Leitung der Vorsitzenden der Parlamentariergruppe, Professor Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD), vom 5. Juli bis 16. Juli 2009 nach Angola, Namibia und Südafrika. Die weiteren Delegationsmitglieder waren: Maria Eichhorn (CDU/CSU), Dr. Konrad Schily (FDP), Professor Dr. Norman Paech (DIE LINKE) und Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Der Verfasser und andere Vertreter des namibischen Rechtswesens hatten bei diesem Besuch die Gelegenheit zum Austausch. Es ging um menschenrechtsrelevante Themen, die Landreform in Simbabwe, das SADC-Tribunal und mehr. Die Frage nach Herero-Ausgleichsforderungen wurde nicht angesprochen. Der 2008 vorgelegte Antrag der Fraktion DIE LINKE mit dem Titel "Anerkennung und Wiedergutmachung der deutschen Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika", war wiederum ein Versuch, auf politischem Wege der "fehlenden" völkerrechtlichen Haftung für deutsches Kolonialunrecht zu begegnen.
Moralische und historische Verantwortung
Der Kurs der jetzigen Bundesregierung wird in Anlehnung an die Debatte in der 172. Sitzung des deutschen Bundestages, am 26. Juni 2008, im Folgenden kurz skizziert: Deutschland ist sich seiner moralischen und historischen Verantwortung für Namibia bewusst. Das Geschehene kann nicht ungeschehen gemacht werden; allerdings ist es das Bestreben, Namibia eingedenk der gemeinsamen Vergangenheit auf seinem Weg in die Zukunft mehr zu unterstützen, als dies in jedem anderen afrikanischen Land der Fall ist. Die Entwicklungshilfe allein für das Jahr 2007 bis 2008 wurde knapp verdoppelt und betrug 56 Millionen Euro. Das sollte unterstrichen werden. Bei der Entwicklungszusammenarbeit wird zukunftsorientiert agiert, damit diese einerseits der gesamten namibischen Bevölkerung zu Gute kommt und andererseits solchen Volksgruppen Rechnung getragen wird, deren Vorfahren unter der deutschen Kolonialherrschaft in besonderem Maße gelitten haben.
So haben die Bundesregierung und die namibische Regierung im November 2007 eine Absichtserklärung über eine Sonderinitiative in Siedlungsgebieten der Herero, Nama und Damara über Zuwendungen in Höhe von 20 Millionen Euro unterzeichnet. Es ist das Anliegen der Bundesregierung, das heutige Namibia als Ganzes in seiner Entwicklung zu unterstützen, ohne die Gesellschaft durch die einseitige Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsgruppen zu spalten, zumal gewisse Tendenzen von Tribalismus im Lande bereits seitens der namibischen Regierung mit Besorgnis zur Kenntnis genommen wurden.
Das Gesamtvolumen aller deutschen finanziellen Zusagen an Namibia seit der Unabhängigkeit beträgt mehr als 500 Millionen Euro. Darüber hinaus leistet Deutschland als maßgeblicher Finanzier der Gemeinschaftshilfe der EU sowie der multikulturellen Entwicklungsorganisationen indirekt weitere Unterstützung, wohlwissend dass Geld allein das während der Kolonialzeit erlittene Unrecht nicht kompensieren kann. Gleichwohl geht die deutsch-namibische Entwicklungszusammenarbeit weiter. So haben sich am 28. Juli 2009 Delegierte der Bundesrepublik Deutschland und der Nationalen Planungskommission Namibias in Swakopmund getroffen, um ein neues Abkommen zu besprechen.
Auch wenn immer mal wieder andere Meinungen laut wurden, so ist die deutschstämmige Minderheit als integraler Bestandteil der namibischen Gesellschaft akzeptiert. Sie ist "einer der namibischen Stämme", so die Wortwahl des namibischen Staatspräsidenten Hifikepunye Pohamba. Anstatt auf das Trennende und die Vergangenheit zu verweisen erscheint der Dialog zwischen Deutschland und Namibia zukunftsgerecht, nicht nur, um den historischen Tatbestand in das Bewusstsein der deutschen Gesellschaft zu bringen, sondern auch um zur Aussöhnung zwischen den verschiedenen Volksgruppen in Namibia beizutragen. Die Versöhnungsinitiative seitens der Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang mehr als nur ein Zeichen. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie die künftigen Regierungen beider Nationen mit der Aufarbeitung des deutschen Kolonialunrechts umgehen werden.
Dr. Oliver C. Ruppel (LL M Stellenbosch) ist der Direktor des Menschenrechts- und Dokumentationszentrums an der juristischen Fakultät der Universität von Namibia, wo er sich unter anderem mit dem Völkerrecht beschäftigt und die Menschenrechte lehrt. Er ist Habilitand an der juristischen Fakultät der Universität Bremen, Mitglied des Komitees zur Verwaltungsrechtsreform in der Gesetzesreformkommission des Justizministeriums von Namibia und fungiert bisweilen als Regionalberater der Welthandelsorganisation und externer akademischer Ansprechpartner des SADC Tribunals.
Politische Verantwortung und völkerrechtliche Verantwortlichkeit
Bereits im Vorfeld der namibischen Unabhängigkeit, und nicht zuletzt aufgrund der Kolonialzeit, bestand eine besondere Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Namibia, welche bis zum heutigen Tag besteht und sich besonders im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit niederschlägt. Nicht erst seit der Unabhängigkeit, aber seither mit Nachdruck, häuften sich aus den Reihen der Herero die Versuche, von der Bundesregierung eine Entschuldigung wegen der Niederschlagung des Hereroaufstandes und der nachfolgenden historischen (und zweifelsohne tragischen) Begebenheiten sowie Wiedergutmachungsleistungen zu erstreiten.
Eine treibende Kraft hinter diesen Bestrebungen ist Paramount Chief, Kuaima Riruako. Bereits kurz nach Namibia's Unabhängigkeit am 21. März 1990, ersuchte Kuaima Riruako den Namibischen Gründungspräsidenten, Sam Nujoma, zur Weiterleitung eines Briefes an die Bundesrepublik Deutschland und die DDR zu bewegen, in dem wegen der "Ausrottung von 80 Prozent der Herero" um Wiedergutmachung gebeten wird, was Riruako schließlich noch im selben Jahr gegenüber dem damaligen Bundesaußenminister Genscher persönlich in Berlin übermittelte. Dasselbe Anliegen wurde auch 1995 dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und 1998 dem damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog vorgetragen, welche sich jeweils im Rahmen eines Staatsbesuchs in Namibia aufhielten. Wo sich Helmut Kohl noch auf keine Debatte mit den Herero über Entschädigungsforderungen einließ, äußerte Roman Herzog, obwohl er eine Entschuldigung wie auch Entschädigungszahlungen ablehnte, dass Deutschland immerhin eine moralische Verantwortung für das Verhalten der deutschen Kolonialtruppen während des Hererokrieges trage. Bis dato wurde der Begriff "Völkermord" vermieden, eine Linie welcher auch Bundesaußenminister Joschka Fischer bei seinem Besuch in Namibia im Oktober 2003 noch treu blieb.
Kein juristisch relevantes Schuldanerkenntnis
Eine teilweise Kursänderung erfolgte im August 2004 mit dem Besuch der deutschen Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, anlässlich des 100-jährigen Gedenkens an die Schlacht am Waterberg. Zum ersten Mal, wurde eine Entschuldigung offen ausgesprochen, als Wieczorek-Zeul die Herero "im Sinne des gemeinsamen 'Vater Unser' um Vergebung" der damaligen Gräueltaten der deutschen Soldaten bat, was heute als Völkermord bezeichnet würde. Der genaue Wortlaut (welcher unter www.bmz.de eingesehen werden kann) ist dabei maßgeblich. Das wurde damals auch sinngemäß vom stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Winfried Nachtwei so kommentiert. Er bezeichnete Wieczorek-Zeuls Rede als "präzise in den Formulierungen zu Völkermord und Schuld", worin jedoch kein juristisch relevantes Schuldanerkenntnis enthalten ist.
Wiewohl es aus Opfersicht verständlich ist, dass das Völkerrecht bemüht wird um Wiedergutmachung zu erlangen, ist es mehr als fraglich ob aus den Ereignissen nach dem Herero-Aufstand eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland herzuleiten ist. Wie es Steffen Eicker in seiner jüngst veröffentlichten Dissertation über den "Deutsch-Herero Krieg und das Völkerrecht" formuliert, besteht der moralische Vorwurf an das Deutsche Reich darin, "dass es sich in einem nicht-juristischen Sinne des Völkermordes an den Herero schuldig gemacht hat". Ungeachtet der umstrittenen juristischen Frage, ob der Bundesregierung die Handlungen der Truppen des Deutschen Reiches zugerechnet werden können, müssten etwaige Ansprüche, sofern noch nicht verjährt, gegen die Bundesrepublik Deutschland auf völkerrechtlicher Ebene nicht von einzelnen Herero-Gruppen sondern vielmehr von der Republik Namibia für die Verletzung von Rechten ihrer Bürger geltend gemacht werden.
Als Kuaima Riruako im Jahr 1998 im Namen der Herero eine auf Zahlung von Entschädigungsleistungen gerichtete Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) einreichte, nahm dieser das Verfahren aufgrund der Vorschrift des Artikel 34 I des IGH-Statuts nicht zur Verhandlung und Entscheidung an. Artikel 34 I des IGH-Statuts besagt, dass nur Staaten, nicht aber einzelne Personen oder Personengruppen als Partei vor dem IGH auftreten können. Mit anderen Worten, die Herero sind völkerrechtlich nicht aktivlegitimiert, Reparationsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen. Das heißt, dass ungeachtet der Frage, ob man der Bundesrepublik Deutschland die Niederschlagung des Herero-Aufstandes als einen Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht oder Grundsätze der Menschlichkeit zurechnen kann, läge die Staatenverantwortlichkeit bei Namibia, derartige Verletzungen geltend zu machen. Nachdem dies jedoch bis heute, d.h. fast 20 Jahre nach der Unabhängigkeit nicht geschehen ist, könnte man argumentieren, dass der namibische Staat dadurch bei der Bundesrepublik Deutschland den Anschein erweckt hat, dass die Frage der Reparationsleistungen erledigt ist und künftig nicht mehr eingefordert werden kann.
Würde man von einem derartigen Vertrauensschutz absehen, diente dies zwar möglicherweise der "Gerechtigkeit", trüge jedoch gleichermaßen zu einer Rechtsunsicherheit bei, wo historische, d.h. jahrhunderte- oder gar jahrtausendealte Tatbestände zum Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen gemacht werden könnten, wodurch die Ordnungsfunktion des Völkerrechts weitgehend in Frage gestellt wäre. Bisweilen sind die Ausgleichsforderungen der Herero gegen die Bundesrepublik Deutschland erfolglos geblieben. Auch das Beschreiten des Rechtsweges in den USA hat soweit keine anderen Ergebnisse erzielt.
Aktueller Stand der Dinge
Unlängst reiste eine Delegation der Parlamentariergruppe SADC-Staaten (Südliches Afrika) unter Leitung der Vorsitzenden der Parlamentariergruppe, Professor Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD), vom 5. Juli bis 16. Juli 2009 nach Angola, Namibia und Südafrika. Die weiteren Delegationsmitglieder waren: Maria Eichhorn (CDU/CSU), Dr. Konrad Schily (FDP), Professor Dr. Norman Paech (DIE LINKE) und Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Der Verfasser und andere Vertreter des namibischen Rechtswesens hatten bei diesem Besuch die Gelegenheit zum Austausch. Es ging um menschenrechtsrelevante Themen, die Landreform in Simbabwe, das SADC-Tribunal und mehr. Die Frage nach Herero-Ausgleichsforderungen wurde nicht angesprochen. Der 2008 vorgelegte Antrag der Fraktion DIE LINKE mit dem Titel "Anerkennung und Wiedergutmachung der deutschen Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika", war wiederum ein Versuch, auf politischem Wege der "fehlenden" völkerrechtlichen Haftung für deutsches Kolonialunrecht zu begegnen.
Moralische und historische Verantwortung
Der Kurs der jetzigen Bundesregierung wird in Anlehnung an die Debatte in der 172. Sitzung des deutschen Bundestages, am 26. Juni 2008, im Folgenden kurz skizziert: Deutschland ist sich seiner moralischen und historischen Verantwortung für Namibia bewusst. Das Geschehene kann nicht ungeschehen gemacht werden; allerdings ist es das Bestreben, Namibia eingedenk der gemeinsamen Vergangenheit auf seinem Weg in die Zukunft mehr zu unterstützen, als dies in jedem anderen afrikanischen Land der Fall ist. Die Entwicklungshilfe allein für das Jahr 2007 bis 2008 wurde knapp verdoppelt und betrug 56 Millionen Euro. Das sollte unterstrichen werden. Bei der Entwicklungszusammenarbeit wird zukunftsorientiert agiert, damit diese einerseits der gesamten namibischen Bevölkerung zu Gute kommt und andererseits solchen Volksgruppen Rechnung getragen wird, deren Vorfahren unter der deutschen Kolonialherrschaft in besonderem Maße gelitten haben.
So haben die Bundesregierung und die namibische Regierung im November 2007 eine Absichtserklärung über eine Sonderinitiative in Siedlungsgebieten der Herero, Nama und Damara über Zuwendungen in Höhe von 20 Millionen Euro unterzeichnet. Es ist das Anliegen der Bundesregierung, das heutige Namibia als Ganzes in seiner Entwicklung zu unterstützen, ohne die Gesellschaft durch die einseitige Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsgruppen zu spalten, zumal gewisse Tendenzen von Tribalismus im Lande bereits seitens der namibischen Regierung mit Besorgnis zur Kenntnis genommen wurden.
Das Gesamtvolumen aller deutschen finanziellen Zusagen an Namibia seit der Unabhängigkeit beträgt mehr als 500 Millionen Euro. Darüber hinaus leistet Deutschland als maßgeblicher Finanzier der Gemeinschaftshilfe der EU sowie der multikulturellen Entwicklungsorganisationen indirekt weitere Unterstützung, wohlwissend dass Geld allein das während der Kolonialzeit erlittene Unrecht nicht kompensieren kann. Gleichwohl geht die deutsch-namibische Entwicklungszusammenarbeit weiter. So haben sich am 28. Juli 2009 Delegierte der Bundesrepublik Deutschland und der Nationalen Planungskommission Namibias in Swakopmund getroffen, um ein neues Abkommen zu besprechen.
Auch wenn immer mal wieder andere Meinungen laut wurden, so ist die deutschstämmige Minderheit als integraler Bestandteil der namibischen Gesellschaft akzeptiert. Sie ist "einer der namibischen Stämme", so die Wortwahl des namibischen Staatspräsidenten Hifikepunye Pohamba. Anstatt auf das Trennende und die Vergangenheit zu verweisen erscheint der Dialog zwischen Deutschland und Namibia zukunftsgerecht, nicht nur, um den historischen Tatbestand in das Bewusstsein der deutschen Gesellschaft zu bringen, sondern auch um zur Aussöhnung zwischen den verschiedenen Volksgruppen in Namibia beizutragen. Die Versöhnungsinitiative seitens der Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang mehr als nur ein Zeichen. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie die künftigen Regierungen beider Nationen mit der Aufarbeitung des deutschen Kolonialunrechts umgehen werden.
Dr. Oliver C. Ruppel (LL M Stellenbosch) ist der Direktor des Menschenrechts- und Dokumentationszentrums an der juristischen Fakultät der Universität von Namibia, wo er sich unter anderem mit dem Völkerrecht beschäftigt und die Menschenrechte lehrt. Er ist Habilitand an der juristischen Fakultät der Universität Bremen, Mitglied des Komitees zur Verwaltungsrechtsreform in der Gesetzesreformkommission des Justizministeriums von Namibia und fungiert bisweilen als Regionalberater der Welthandelsorganisation und externer akademischer Ansprechpartner des SADC Tribunals.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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