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Kolonialismusdebatte geht weiter
Kolonialismusdebatte geht weiter

Kolonialismusdebatte geht weiter

„Denkmäler in Afrika werden oft nicht gestürzt, sondern verrückt“
Claudia Reiter
Windhoek
Von Ralf E. Krüger, dpa

Jahrzehntelang schaute der Reiter von seinem Standort neben Windhoeks Christuskirche weit über die Hauptstadt Namibias. Das Gewehr in der Hand, den Blick in die Ferne gerichtet, thronte der Schutztruppen-Soldat seit 1912 als steinernes Symbol kaiserlicher Macht in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Auch wenn die kleine Kolonialtruppe dreieinhalb Jahre später kapitulierte, blieb das Denkmal ein knappes Jahrhundert an seinem Platz; dann erst musste er der Bronzestatue von Sam Nujoma - dem Gründerpräsidenten des heutigen Namibias - Platz machen. Obwohl es Kolonialismusdebatten wie in Deutschland auch in dem südwestafrikanischen Staat gab und gibt, haben sie dort nicht jedes Denkmal sofort vom Sockel gestoßen.
„Denkmäler in Afrika werden oft nicht gestürzt, sondern verrückt“, sagt die Mainzer Ethnologin Anna-Maria Brandstetter, die auf ähnliche Beispiele im Kongo oder in Kamerun verweist. Professor Ciraj Rassool von Südafrikas Westkap-Universität sieht es ähnlich: Viele Denkmäler würden mitunter neu definiert, ihr Platz umgewidmet. Dabei entwickeln viele Staaten in Afrika ihre eigene Handschrift. Den Sturz des Denkmals von Cecil Rhodes in Kapstadt nach Studentenprotesten in der Hafenstadt sieht Rassool jedoch eher nüchtern: „Das kam ein wenig wie das metaphysische Töten der Kolonialfigur daher.“ Doch die Spuren des Kolonialisten Rhodes seien weiter präsent. Man müsse über Denkmäler als Symbole, wie man sich erinnern will, neu nachdenken, fordert er.
Von einer anderen Form des Umgangs mit dem Kolonialerbe spricht auch Brandstetter: „Das Erinnern an die Kolonialzeit ist zwar wichtig, genauso wie das Erinnern an die Dekolonialisierung; aber es gibt eben in den verschiedenen Ländern und Gemeinschaften auch noch andere Vergangenheiten.“ Auf Afrika nur den kolonialen Blick zu werfen, reduziere die vielfältigen Erfahrungen der Menschen dort, meint sie: Europa könne nicht über die für sie relevanten Erfahrungen bestimmen.
Allerdings hinterlässt Europas Debatte auch in so manchen Ländern Afrikas Spuren. Im Senegal etwa wurde gerade ein Platz auf der früheren Sklaveninsel Gorée umbenannt. „Es ist der Europaplatz, der in Platz von Freiheit und Menschenwürde umbenannt wurde - als Tribut für George Floyd“, sagt Doudou Dia vom Gorée-Institut mit Blick auf den in den USA durch Polizeigewalt ums Leben gekommenen Schwarzen. Wegen der Inselgeschichte - einem Symbol der Sklavenverschleppung nach Übersee - sei Europaplatz „sehr umstritten und paradox“ gewesen.
In Namibia riefen Vertreter der Hereros und Namas vor dem Hintergrund der Debatte in Europa dazu auf, Kolonialdenkmäler ganz zu entfernen. „Ich denke, alle Kolonialstatuen sollten entfernt und in den verschiedenen Museen Namibias aufgestellt werden“, erklärte der Herero-Unterhändler und Obmann Manasse Christian Zeraeua der dpa und meinte: „Sie repräsentieren und glorifizieren die Geschichte derer, die unser Volk kolonialisiert haben; sie haben absolut keine Bedeutung für unsere Bevölkerung.“ Für Bildungseinrichtungen hätten sie aber historischen Wert, sagte der Chief, der an den Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia über eine Entschuldigung und Wiedergutmachung für den Völkermord an Herero und Nama beteiligt ist.
Deutschland hatte sich ab 1884 Kolonien in Afrika, Ozeanien und Ostasien angeeignet. Es verfügte damit über das viertgrößte koloniale Gebiet. Die gewaltvolle Herrschaft der Deutschen führte zu Aufständen und Kriegen. Während des Herero-und-Nama-Kriegs von 1904 bis 1908 im damaligen Deutsch-Südwestafrika begingen die Kolonialherren einen Massenmord, der als erster Genozid des 20. Jahrhunderts gilt. Auch im Maji-Maji-Krieg von 1905 bis 1908 im früheren Deutsch-Ostafrika töteten sie Hunderttausende. Mit der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg wurden ihre Kolonien unter den Siegermächten aufgeteilt.
Die Umbenennung von Straßennamen hat in Namibia vor langer Zeit schon eingesetzt, um dem Staat zur eigenen Identität zu verhelfen. Beim Erinnern an die Vergangenheit gab es aus europäischer Sicht so manche Widersprüchlichkeit. Die Hereros tragen bei Gedenkfeiern Uniformen, die denen der einstigen Unterdrücker ähneln. „De facto sind es gemischte Uniformen: deutsche, britische sowie verschiedenste individuelle Modifikationen“, sagt der Freiburger Ethnologe Godwin Kornes, der sich mit Namibias Kolonialismuserbe beschäftigt hat. Eine „fast archivarische Bedeutung“ sieht Rassool in diesen Auftritten.
Büsten von Kolonialisten, die an der blutigen Niederschlagung von Aufständen in den damaligen Kolonien beteiligt waren, sind heute meist verschwunden. Doch in zumindest einem Fall ehrte ein Staat in Afrika einen Ex-Kolonialherrn. „Zur Errichtung einer Dauerausstellung zur deutschen Kolonialgeschichte in Kigali wurde dem früheren deutschen Statthalter Richard Kandt ein Denkmal gesetzt“, sagt Brandstetter. Das aus europäischer Sicht irritierende Bild eines „weniger schlimmen Imperialisten“ mit Interesse für Land und Leute habe sich in Ruanda gehalten. Es sei beispielhaft dafür, dass Ruanda sich nicht vorschreiben lässt, wie es seine Vergangenheit erinnert.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-14

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