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Kostbare Schätze der Eiszeit

Es ist dunkel, feucht und still. Ausgestattet mit Stirnlampen und Helmen klettern und krabbeln die drei San über Sand und Lehm durch die nicht öffentlich zugängliche Höhle Fontanet in den Pyrenäen. Elektrizität gibt es nicht, dafür aber jede Menge Fuß- und Handspuren, die 12000 bis 15000 Jahre alt sind. Bei einem Abdruck stutzen die Ju/'hoansi, diskutieren kurz und werfen dann eine Erkenntnis der westlichen Wissenschaft über Bord: Der vermeintlich einzige eiszeitliche Abdruck eines Schuhs - genauer eines Mokassins - für den die Höhle bekannt war, ist doch keiner. Die San widersprechen dieser lang geglaubten Erkenntnis: Derjenige, der diesen Fußabdruck hinterlassen hatte, war barfuß unterwegs. Tilman Lenssen-Erz von der Forschungsstelle Afrika der Universität zu Köln und Andreas Pastoors vom Neandertal-Museum in Mettmann sind Experten für Höhlenkunst und Felsbildmalerei. Sie haben die Buschleute aus den Kalahari, Tsamkxao Cigae, C/wi /Kunta und C/wi G/aqo De!u, um Unterstützung für ihr Projekt „Tracking in Caves" gebeten. Das laut Pastoors so bisher einzigartige Forschungsprojekt führte sie im Juni zunächst nach Namibia und im Juli dann für zwei Wochen nach Frankreich in vier abgelegene Höhlen in den Pyrenäen: Pech Merle, Fontanet, Niaux und Tuc d'Audoubert. Die drei San spüren in ihrer Heimat Wildtieren unter freiem Himmel auf, jagen traditionell mit Pfeil und Bogen und führen Jäger zum gewünschten Abschuss. Auch im Ausfindigmachen von Menschen sind sie geübt. In der dünn besiedelten Kalahari finden sie Angehörige und Freunde, indem sie deren Spuren folgen. In Frankreich waren die Bedingungen jedoch anders: Statt der Jagd unter freiem Himmel kletterten die San durch lichtlose Höhlen. „Wir haben sie langsam an diese Umgebung herangeführt", sagt Pastoors. So begann das Team seine Arbeit am 4. Juli im Pyrenäenpark für prähistorische Kunst in Tarascon. Dort untersuchten die San Repliken von Fußabdrücken, die nach gängiger Lehrmeinung drei Jugendliche hinterlassen hatten, und förderten prompt die erste Überraschung zu Tage. Ihr einhellig verkündetes Fazit: Es handelte sich lediglich um eine einzige junge Person, die den Weg dreimal gelaufen ist. In der Höhle Pech Merle sorgten die San für eine ähnliche Verblüffung. Auf einem kleinen Feld mit Spuren wurden von den frühen Bearbeitern in den 1920er Jahren zwei Personen identifiziert, von einem späteren Bearbeiter gar nur eine einzige. Die Analyse der drei Fährtenleser konnte in den Spuren aber fünf Personen identifizieren. „Ihre Begründungen waren für uns durchweg sehr plausibel und nachvollziehbar", sagt Pastoors. So hatten die San zum Beispiel in der Höhle Fontanet den Forschern beim vermeintlichen Schuhabdruck die Zehenreihen zeigen können. Doch nicht nur bei der Anzahl der Personen gaben die San „präzise und verlässliche" Auskünfte. Sie konnten auch direkt das Geschlecht unterscheiden. Nicht nur die Größe der Spuren führe dazu. „Auch der Abdruck der Ferse ist unterschiedlich", sagt C/wi G/aqo De!u. Außerdem können die San aus einem Fußabdruck herauslesen, wie alt der Hinterlasser war. In Fontanet identifizierten sie Spuren von 17 Menschen, die zwischen drei und 60 Jahre alt waren - drei Generationen unter einem Dach. Details aus dem Alltag der Urmenschen vor rund 17000 Jahren zu erfahren war das Ziel des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekts. Es wurde dabei aber nicht jeder einzelne Fußabdruck in den vier Höhlen untersucht. Das wäre für zwei Wochen auch ein zu straffes Programm gewesen. „Es war ein Experiment, das zeigen sollte, dass eine solche Zusammenarbeit funktioniert und fruchtet", so Pastoors. In den Höhlen folgte das Team immer derselben Methodik: Zunächst gaben die beiden deutschen Forscher eine Einführung über bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse über die Spuren, dann folgte eine Diskussion zwischen den San. Am Ende wurden die Ergebnisse zusammengetragen. Dabei fungierte Tsamkxao Cigae, der Englisch spricht, als Übersetzer. Die Diskussionen der San wurden aufgezeichnet. Und die sollen jetzt auch für neue Erkenntnisse in der Sprachwissenschaft sorgen. Die Anthropologin Megan Biesele, durch die der Kontakt zu den drei San zustande kam, spricht Ju/'hoansi, die Sprache der drei San mit den Klicklauten, praktisch fließend. Die von ihr geleitete Ju/'hoan-Transkriptionsgruppe wird nun wörtliche Übersetzungen der Tonaufzeichnungen anfertigen. Dabei soll auch Übersetzer Tsamkxao Cigae helfen. Durch die Transkription sollen Fragen zur Sprache der San geklärt werden: „Wie diskutieren sie? Und wie argumentieren sie? Wir erhoffen uns dadurch auch zu verstehen, durch welche Methodik die Drei zu ihren präzisen Aussagen gelangen konnten", sagt Pastoors. Neben der wissenschaftlichen Arbeit stand bei der Reise auch Freizeit auf dem Programm. Und dabei gab es nicht nur für die deutschen Wissenschaftler, sondern auch für die San neue Eindrücke: Schnee bei einer Passüberquerung, Forellenangeln, Paraglider - und eine Autowaschanlage. Außerdem nutzten die Forscher die freie Zeit, um in ihren Blogs zu schreiben oder um Interviews zu geben. Denn das Interesse an der ungewöhnlichen Gruppe war groß: Zahlreiche Zeitungen schrieben über sie und der deutsch-französische Sender ARTE drehte sogar eine abendfüllende Dokumentation. Inzwischen sind die San wieder in Namibia und die deutschen Wissenschaftler werten die Ergebnisse aus, was etwa ein halbes Jahr dauern werde. Zeit für ein Fazit: Die Zusammenarbeit sei unheimlich spannend gewesen und habe erstaunliche Erkenntnisse gebracht, so Pastoors. „Jede Spuren in jeder der vier Höhlen erzählt uns nun eine völlig neue Geschichte. Die Analysen waren viel präziser als die bisherigen, eher vagen Aussagen der westlichen Wissenschaft." Pastoors und Lenssen-Erz wollen auch zukünftig mit den San zusammenarbeiten. „Wir könnten zum Beispiel eine Höhle in den Pyrenäen in ihrer Gesamtheit untersuchen", so Pastoors. Auch dann verspreche er sich wieder „sensationelle" Ergebnisse. Außerdem könne man eines der Spurenfelder in einem 3D-Bild aufnehmen und von den San untersuchen lassen. „So könnten wir herausfinden, ob sie auch dann präzise arbeiten können. Denn die Forschungsreisen sind schon ziemlich aufwändig." Pastoors sieht die Ergebnisse seines Teams als wegweisend für die zukünftige Forschung: „Wir müssen die Geschichten der Spuren nun anders erzählen, es gibt kein Zurück in die früheren Erkenntnisse der Wissenschaft. Wir haben eine wesentliche Etappe in der Forschung geschafft, die man nicht ignorieren kann." Künftig müsse man das Wissen von indigenen Völkern in die Forschung einbeziehen. Nächstes Jahr werden die Deutschen nochmal nach Namibia und an die Drehorte der Doku zurückkehren und gemeinsam mit den San die ARTE-Dokumentation präsentieren. Maike Geißler, Windhoek

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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