Kreuz und quer über den Globus

Gernot Kühl Eckernförde Die vier jungen Männer im Eiscafé in der Fußgängerzone ziehen die Blicke auf sich. Meist bleibt es dabei, manche Passanten fragen aber auch, ob sie ein Foto machen dürfen – dürfen sie. „Wenn Sie so nett fragen.“ Keiner der stattlichen Kerle ist älter als 30, und zwei von ihnen haben schon (fast) die ganze Welt gesehen. Nico Paetzold beispielsweise, der Mann aus Namibia. Er ist dort geboren und will auch wieder dorthin zurück, wenn die Coronakrise es zulässt. Die Zeit zur Rückkehr wäre für ihn auch langsam reif: Denn der 27-jährige Zimmermann, der sein Handwerk in Usingen bei Bad Homburg gelernt und sich dann entschlossen hat, auf die Walz zu gehen, ist bereits seit fünf Jahre auf Wanderschaft. Die dauert normalerweise „nur“ drei Jahre und einen Tag. Doch dem Mann aus Namibia gefiel das Leben zwischen Straßengraben und Heuboden, Unterkunft, Werkstatt, Baustelle und Strand so gut, dass er die Zeit der wohl freiesten Lebensphase bis heute ausgedehnt hat. „Ich habe meine Geschichte bestimmt schon ein paar tausendmal erzählt“, sagt Nico Paetzold. Das Interesse an den zünftigen und nahezu überall willkommen geheißenen Wandergesellen scheint nach wie vor sehr groß zu sein – weltweit.In der Zeit der Wanderschaft und der unendlich vielen neuen Eindrücke, dürfen die Gesellen ihrer Heimat nicht näher als 50 Kilometer kommen, kein Handy dabei haben und müssen sich ihren Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen. Weitere Vorgaben: Man darf maximal vier Monate am Stück reisen und maximal sechs Monate in einer Region arbeiten. Fünf Jahre, das heißt im Falle von Nico Paetzold viele Arbeitsstellen, extrem viele Kilometer und extrem viele Länder: Australien, Neuseeland, Skandinavien, Martinique, USA und so weiter kreuz und quer über den Globus. Ein Weltenbummler in schwarz-weißer Zimmermannskluft, Stenz (klassischer, gedrehter Wanderstock), Charlottenburger (auch Charly genannt, wie das Bündel mit den persönlichen Utensilien heißt, die die Wandergesellen stets bei sich haben), und der „schwarzen Ehrbarkeit“, wie der traditionelle schwarze Binder mit den jeweiligen Handwerkswappen in Zunftkreisen heißt. Also viel Tradition, die bis ins Mittelater zurückreicht, die besondere Verbundenheit der Handwerksgesellen untereinander, die völkerverbindenden Freundschaften in aller Welt und die neu gewonnenen beruflichen Techniken und Erfahrungen, die später oft der Schlüssel zu einer erfolgreichen Karriere als Zimmermann, Dachdecker, Stahlbetonbauer oder Tischler sind. Diese Handwerksgesellen zählen allesamt zur „Vereinigung der rechtschaffenen fremden Zimmer- und Schieferdeckergesellen Deutschlands“, einem der ältesten Handwerksbünde überhaupt.Zeitlich an nächsten dran an den fünf Jahren Extremwanderschaft ist Paetzolds Wandergesellenfreund Joscha Kuller (26) aus Krefeld. Er hat bereits seine Meisterschule erfolgreich absolviert und hatte seine Wanderschaft eigentlich bereits 2018 beendet, sich aber dann doch zusammen mit Paetzold auf nach Australien gemacht – Down Under und das freie, ereignisreiche Leben als „Wandermeister“ reizte Kuller.Erfahrungen, die auch Till Möllmann (25) aus Lüdenscheid und Andreas Lohmann (28) aus Mölln noch sammeln wollen. Sie sind erst seit zehn und zwei Wochen auf der Walz und bilden zusammen mit den erfahrenen Wandergesellen ein Quartett, das am Montag von Bredstedt nach Eckernförde getrampt war, eine Nacht am Strand übernachtete und jetzt weiter Richtung Fehmarn und gen Süden zieht. Offenheit, Neugier, Abenteuerlust und der Reiz des Fremden sind es, dass diese vier jungen Männer eint und antreibt. Ihnen sei der Wandergesellgruß „Fixe Tippelei“ mit auf den weiteren Weg gegeben. „Besser schwitzen als frieren“, sagte Andreas Lohmann zum Abschied im heißen Eckernförder Eiscafé. Womit er zweifellos recht hat.(Dieser Artikel wurde mit der freundlichen Genehmigung des Redaktionsleiters der Eckernförder Zeitung vom Schleswig-Holsteiner Zeitungsverlag, Herr Gernot Kühl, abgedruckt.)

Kreuz und quer über den Globus

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-25

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Allgemeine Zeitung 2024-11-25

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